Livereview: Cannibal Corpse - Dying Fetus - Evocation - Obscura
04. Oktober 2009, Pratteln Z7
By André G.
„Europäische Seuchen-Tour“, das ist ja mal ein amtlicher Titel, der zudem dieses Package echt geil beschreibt. Die Kannibalen, die seit 20 Jahren aller Zensur und Regeln trotzen, alles erreicht haben, brutale Splatter-Texte schreiben und Plattencover verwenden, die vor Blutrünstigkeit und Brutalität nur so strotzen und jeden Sittenwächter auf den Plan riefen - das ist die blutige Spur von Cannibal Corpse. Gut zu den blutigen Kannibalen passen die Jungs von Dying Fetus. Seit gut 15 Jahren jagen sie sehr extremen und harten Death Metal in die Lauscher der gewillten Zuhörer. Auch die schwedische Formation Evocation ist schon etliche Jahre im Todesgeschäft, einzig die ersten im Reigen, Obscura aus den bayrischen Landen, sind erst ein paar Jahre im Geschäft. Aber sie konnten sich mit ihrem progressiven Death Metal schon einen guten Namen machen. Ohne Umschweife: Der Abend steht ganz unter dem Todesblei-Banner!

Obscura
Als erste Formation des Abends waren die Bayern an der Reihe. Es ist eine Combo, die aus wirklich gestandenen Musikern besteht. Sie haben in dieser Band ihre Vision des neuen Extrem-Metals umgesetzt: Eine Mischung aus Black-, Death- und Thrash-Elementen, die mit einem guten Schuss Progressive gemischt wird. Beim ersten Song ging’s noch nicht so richtig los, irgendwie hatte man das Gefühl, sie müssten sich erst warmlaufen. Aber sie steigerten sich von Track zu Track, und das Ganze endete für mich in einem der vorderen Ränge im Ranking des Abends. Sie verstehen es wirklich, Stimmung und Atmosphäre zu erzeugen, mal treibend schnell, dann wieder schleppend und sphärisch. Die Double Base, die groovend und auch rasend den Boden bot sowie die Gitarren zeigten, speziell bei den Soli oder auch bei den Zwischenparts, was sie drauf haben. Meiner Meinung nach gehören die Jungs zu den Abräumern des Abends, was man auch klar an der Fanreaktion ansah: Die Matten wurden durch die Luft gewirbelt und Fäuste gen Himmel gestreckt. Es ist technisch absolut brillanter Death Metal, der auch mich als nicht ganz Hardcore-Todesblei-Jünger voll und ganz überzeugt hat.

Evocation
So, ab in nordische Gefilde. Evocation aus dem IKEA-Land waren nun an der Reihe. Zuerst kam die Band auf die Bühne und spielte ein Intro. Der Frontmann brauchte seine Show, um auftreten zu können. Aber als er dann auch die Bühne enterte, legten die Jungs mit viel Freude los. Was die Geschwindigkeit anging, waren sie im schnelleren Death/Thrash Metal zu Hause, aber es gab auch immer mal schleppende Elemente, die das Ganze auflockerten. Das Drumming war wirklich brutal. Die Double Base-Salven jagten einem nur so um die Ohren, als ob man mitten in einem Schlachtfeld stehen würde. Nach dem zweiten Song musste Das Drumkit bereits neu gerichtet und erste Schäden behoben werden, dann ging es auch schon weiter im Gefecht. Man hörte bei ihrem Sound ganz klar den schwedischen Touch heraus, die Vocals von Mastermind Tjompe waren richtig hasserfüllt und böse, er brüllte sich wahrlich die Seele aus dem Leib. Er war auch ständig in Bewegung - sein Mikroständer hat er sich wohl bei Chuck Billy (Testament) abgeschaut. Der war auch platzsparend angebracht, und so konnte Tjompe die ganze Bühne beackern. Die Gitarristen waren auch wirklich sattelfest in ihren Instrumenten. Das Riffing war nicht so grosses Kino, aber die Soli wussten zu gefallen. Obwohl die Band mit Spass an die Sache heranging, merkte man im Zuschauerraum, dass die Stimmung merklich in sich zusammenfiel, was an der Tatsache liegen könnte, dass dem Sound der Band einfach die gewisse Kraft fehlte. Alles war sauber und gekonnt dargeboten, aber es fehlte einfach ein gewisses Etwas an Power und Energie.

Dying Fetus
Auch wenn die ersten zwei Acts, speziell Obscura, wirklich gut waren, wurde, mit dem Übersetzen über den grossen Teich auch gleich ein Quantensprung, was Brutalität, Power und Kraft betrifft, gemacht: Dying Fetus, ein Drei-Mann-Betrieb hatten nun ihren Auftritt. Mit Trio-Formationen ist es immer so eine Sache: Kriegen sie das, was auf Tonträgern killt, auch live umgesetzt? Im Falle der Amis ist das klar mit Ja zu beantworten - von der ersten Sekunde an zeigten sie, für was sie seit nun mehr als 15 Jahren stehen: rasend schneller, brutaler Death Metal der Extra-Klasse. Ein Nackenbrecher wurde an den nächsten angehängt, keine Verschnaufspausen wurden dem Publikum in der guten Stunde, welche die Band zur Verfügung hatte, gegönnt. Ein Potpourri aus der ganzen Schaffenszeit wurde dargeboten, auch Liedgut vom neuen Album kam zum Zuge, und die Fans zollten der wirklich überzeugenden Leistung Tribut, indem sie alles gaben. Das wirklich geile an der Band ist, dass Gitarrist John sich für die Growls und wirklich düsteren Parts der Vocals verantwortlich zeigt und der Mann am Viersaiter, Sean, für die eher cleanen, thrashigen Elemente zuständig ist. Das Wechselspiel der Zwei ist einfach sackstark. Trotz aller Raserei und der wirklich ultraharten Prügelei gab es auch bei ihren Songs immer mal kurze Auflockerung, beispielsweise durch einen gekonnt gesetzten Gitarrenlauf oder einen groovigen Basspart. Einfach unglaublich bei dem Dreier war aber der Mann hinter den Kesseln, sprich Trey Williams: Was dieser Typ an Beats pro Minute hinlegte, war einfach schon fast unheimlich, aber immer mit absoluter Präzision und extremer Wucht gespielt. Tightness wird bei den Amis gross geschrieben, sie sind perfekt eingespielt und man konnte, neben dem Bangen, einfach nur mit offenem Mund staunend vor der Stage stehen.

Cannibal Corpse
Es war noch früh an diesem Sonntagabend, sprich zwanzig Minuten nach Zehn, als die Lichter ein letztes Mal ausgingen und eine der führenden Death/Grind-Bands des Universums die Bühne enterte. Die Jungs um den Mann mit dem Hals, der ähnlich breit wie sein Kopf ist, genannt Corpsegrinder, waren an der Reihe, das Letzte aus den wirklich sehr zahlreich erschienenen Fans heraus zu holen. Man merkte der Band die Routine von 25 Jahren gut an: Sie verstanden sich blind und prügelten tight und unheimlich brutal ihren Sound aus den Speakern. Corpsegrinder sah man immer nur mit Haaren vor dem Gesicht, er brüllte und rotzte die bluttriefenden Lyrics raus, als gäbe es kein Morgen mehr. Dies versetzte die Meute in die Abgründe von Cannibal Corpse: Man wurde in eine Welt voller Sex mit Zombies, blutigen Schlachtereien und getöteten Babys entführt. Die Band bot einfach den perfekten Soundtrack für ein krankes Kopfkino der Extraklasse. Mit Brecheisen und Vorschlaghammer wurden die Grundmauern des Z7 zum Beben gebracht. Drums und Bass pflegten ein Zusammenspiel, das härter nicht mehr gehen konnte, einfach eine Macht. Dazu kamen die Gitarrenriffs, welche die Bauchdecke ohne Berührung aufplatzen liessen. Es wurde im Propellerformat gebangt, dass man fast Angst haben musste, Corpsegrinder würde jederzeit abheben, denn der Mann strapazierte seine Nackenmuskeln bis ans Limit, was von den Fans logischerweise übernommen wurde - von allen Seiten bekam man Haare ins Gesicht geschlagen. Was leider bis zum Schluss nicht funktionierte, obwohl es von der Bühne herab gefordert wurde, war ein echter Riesen-Killer-Moshpit. Schade, aber dafür waren die Zuschauer wohl schon zu verbraucht. Cannibal Corpse walzten einfach alles in Grund und Boden, was sich ihnen in den Weg stellte. Eine Kriegsmacht vom feinsten, treibend, groovend, brutal prügelnd, ultimativ böse - das sind alles Bezeichnungen, welche auf die Ami-Combo zutreffen und verkörpert wurden. Was einfach als Negativpunkt angesehen werden konnte, war, dass die Breaks zwischen den einzelnen Songs einfach zu lang waren. Klar, bei so viel Tempo muss man auch trinken, sagt ja jeder Arzt, aber es kann auch zu lange dauern. Trotz allem Hass und Splatter merkte man den Fans wie der Band den Spass an, den alle an dem 1,5-stündigen Auftritt hatten. Man könnte den Abend mit den Worten „Sunday Bloody Sunday“ gut umschreiben. Einfach ein Hammer-Konzert der Kannibalen wie auch ihrer Supporter!