Wenn mir einer 1985 gesagt hätte, dass ich
meine Lieblingsband über zwanzig Jahre später an gleicher Stelle
wieder oder immer noch spielen sehen könne, ich hätte ihn für völlig
plemplem erklärt. Klar war die Reunion in den 80ern emotional
ungleich stärker, aber all die Jahre hindurch haben sich Deep Purple
gehalten und vermögen immer noch tausende von Fans anzuziehen. Dass
dies möglich ist, hat im Wesentlichen mit einem Mann zu tun, der
seit mittlerweile auch schon wieder elf Jahren das heutige Gesicht
der Rocklegende mitprägt: Steve Morse! Ohne ihn wäre kurz nach dem
Split von Ritchie Blackmore Ende 1993 definitiv Schicht im Schacht
gewesen. Dass sich inzwischen auch der Maestro der Hammond-Organ,
Mr. Jon Lord, zurückgezogen hat, liegt dem Schreiber dieser Zeilen
(und vielen anderen, vor allem älteren Fans) immer noch schwer auf
dem Magen, aber wenigstens stammt sein Nachfolger Don Airey auch aus
dem Umfeld, das Deep Purple umgibt, sprich Rainbow, Company Of
Snakes und viele mehr. Der Rest mit den Urgesteinen Gillan/Glover/Paice
vermag aber die Magie des Rock-Dinos immer noch aufrecht zu
erhalten. Auch wenn nach "The battle rages on" musikalisch nichts
mehr wirklich Weltbewegendes kam, versprühen die neueren Songs
durchaus ihren Reiz. Es ist wie beim Wein: Je älter, je besser in
Bezug auf die Glaubwürdigkeit als Band. Live waren und sind Deep
Purple immer noch eine Bank, aber dass der heutige Abend derart gut
werden würde, war nicht zwingend zu erwarten und überraschte nicht
nur mich (angenehmst) als Fan der ersten..., oder sagen wir mal
zweiten Stunde!
Konzertbillette sind eigentlich nicht nur dazu da, dass man Zutritt
zur Halle hat, sondern sie taugen auch als Informationsträger. Unter
anderem steht da drauf, wann die Tür geöffnet wird und das Konzert
anfängt. Da ich dies nicht tat, respektive keines Blickes würdigte,
kam es natürlich so heraus, dass ich meine Ankunft auf Konzertbeginn
20.00 Uhr ausgerichtet hatte. Das wiederum führte dazu, dass ich den
Schweizer Support Gigi Moto glatt verpasste. Das war mir allerdings
schnuppe, da ich lieber Alice Cooper (wie in Deutschland) voraus
gesehen hätte. Aber nicht auszudenken, wenn mir dieser Fauxpas beim
guten Alice widerfahren wäre! Puhhh, Glück gehabt. Damit war
abzusehen, dass die Heimreise nach dem Konzert etwas früher
angetreten werden konnte. Über Gigi Moto kann ich demnach rein gar
nichts berichten, aber dem Vernehmen nach soll es (oder besser
"sie") ganz ordentlich, aber nicht mehr gewesen sein.
Und dann ging es los mit dem Opener "Pictures of home". Ian Paice
hämmerte seinen Beat zu Beginn (nach dem Intro) in unvergleichlicher
Weise in das sehr gut gefüllte Hallenstadion, das beinahe
ausverkauft war. Ein erster Augenschein liess schnell erkennen, dass
das Publikum beileibe nicht nur aus angejahrten Retro-Hippies
bestand, sondern dass sich auch sehr viele junge Fans darunter
befanden, die während der Reunion-Tour von 1985 noch gar nicht erst
geboren waren! Nach dem ersten Classix machte sich dann bei mir
etwas Ratlosigkeit breit, da ich den nächsten Song nicht einordnen
konnte..., zumindest wäre es mir mit Sicherheit so ergangen, aber
Internet sein Dank (oder Fluch) hatte ich bereits ein paar Setlisten
der laufenden Tour in der Hosentasche und wusste deshalb mit grosser
Sicherheit, was wann kommen sollte. "Things I never had" war
ursprünglich der Japan Bonus-Track des neuen Album's "Rapture of the
deep" und dürfte kaum von der Mehrheit der Fans erkannt worden sein.
Nanu? Ein guter neuer Song, der in unseren Breitengraden nur
begrenzt verbreitet ist? Die Abhilfe war bereits im Angebot, denn
die
Tour-Edition
DCD von "Rapture..." enthält "Things..." und auch den Blechbox
Bonus-Track "MTV". Die Anschaffung dieses Teils nach dem Konzert war
somit nur noch Formsache. Weiter im Programm ging es dann mit "Wrong
man", einem ebenfalls neuen Track, der gar etwas "Perfect
strangers"-Flair versprühte. Nach dem Bühnenbesuch von Mechaniker
Ted wurde mit "Living wreck" ein uralter Heuler vom "In Rock"-Album
(1970) reaktiviert, der wie die berühmte Faust auf's Auge passte.
Nach "Bloodsucker" und "Into the fire" (nebst "Speed king" und "Child
in time") wagten sich Deep Purple nun an eine weitere geniale Perle
aus ganz frühen Tagen, die nichts von ihrem Glanz eingebüsst hatte.
Im Gegenteil..., es war einfach himmlisch, das noch miterleben zu
können. Für mich fehlt jetzt nur noch "Flight of the rat", ein Song,
der meines Wissens noch kein einziges Mal live gespielt wurde und es
wahrscheinlich auch nie erleben wird. Tja..., schade eigentlich,
denn erstens ist Setlisten-Bremser Blackmore nicht mehr da und
zweitens wär's doch einfach geil und zudem bekäme Ian Paice eine
Alternative für sein Schlagzeug-Solo! Je länger das Konzert dauerte,
desto mehr tauten die Zuschauer auf. Egal, ob neuere Songs wie der
Titeltrack, "Before time began" oder weitere Klassiker der Währung
"Mary Long" gespielt wurden, respektive "Lazy" einfach nur glänzten,
passte alles wunderbar zusammen. Einzig das Ausbleiben der
Laser-Show wie früher zu "Perfect strangers" liess etwas Wehmut
aufkommen. Die zweite Hälfte des Konzertes trug mit "Kiss tomorrow
goodbye" den letzten Neu-Song zu Schau und danach war nur noch
musikalisches Schaulaufen der Extra-Klasse angesagt: "Space truckin'",
"Highway star" und..., logisch: "Smoke on the water", wo die Halle
aus voller Kehle mitsang. "Hush" hinterliess die gleiche Wirkung,
ehe "Black night" als letzte Zugabe ebenfalls nur zufriedene
Gesichter zurück liess. Fazit: Der Altherren-Club lieferte bei
verbessertem Neubau-Sound des ehrwürdigen Hallenstadions eine ihrer
besten Performances ab, was am heutigen Abend massgeblich an der
guten Stimme von Ian Gillan lag, der praktisch alle gefährlichen
Klippen umschiffte, indem er wohl bewusst das weg liess, was er
nicht mehr so wie in jungen Jahren bringen kann und alles andere
dafür optimal performte. In dieser Form dürften noch ein paar
(wenige) Jährchen anstehen, die nicht verpasst werden dürfen!
Set-Liste: "Pictures of home", "Things I never said", "Wrong man",
"Ted the mechanic", "Living wreck", "Rapture of the deep", "Before
time began", "Mary Long", "Contact lost/Solo Steve Morse/"Well
dressed guitar", "Lazy", "Solo Don Airey", "Perfect strangers", "Kiss
tomorrow goodbye", "Space truckin'", "Highway star", "Smoke on the
water", "Hush/Drum-Solo Ian Paice", "Black night".
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