Der 16. Mai 2010 wurde für die Rock- und Metalgemeinde zu einem
Trauertag, als eine der charismatischsten und prägnantesten Stimmen
des Rock'n'Roll, Ronnie James Dio, für immer verstummte. Mit Elf
begann der "kleine" Sangesgott Anfang der 70er seine Karriere und
schrieb mit Rainbow an der Seite von Ritchie Blackmore, danach als
Nachfolger von Ozzy bei Black Sabbath und schliesslich mit seiner
Solokapelle Rockgeschichte und eine Unzahl von unvergesslichen
Hymnen.
Wie so oft bei vielen Berühmtheiten, setzte auch bei Dio nach dessen
Tod nicht nur die Ehrung, sondern auch die Vermarktung seines
Vermächtnisses ein. Tribute-Alben wurden zusammengeschustert, seine
Songs werden noch häufiger denn vorher gecovert und eine Flut von
Merchandise- und Sammlerartikel überschwemmt seither den Markt. Und
auch seine alten Weggefährten Craig Goldy (g), Scott Warren (keys)
und Simon Wright (d), die Begleitband seiner Solozeiten, lassen
Dio's Musik weiter klingen. Zusammen mit Allzwecksänger Tim «Ripper»
Owens (Yngwie Malmsteen, Ex-Judas Priest und -Iced Earth u.a.), Toby
Jepson (Ex-Little Angels) und James LoMenzo (Megadeth, Ex-White
Lion, -BLS u.a.) - Originalbasser Rudy Sarzo ist bei Blue Öyster
Cult eingespannt) - schloss man sich unter dem Banner Dio Disciples
zusammen, um die Musik von Ronnie James Dio noch einmal auf die
Bühne, wie etwa auf jene der nur mässig besuchten Schüür in Luzern,
zu bringen. Ehrwürdig war dabei nicht nur die ausschliesslich aus
Hits bestehende Setlist, sondern auch die beiden Vorbands Anvil und
The Rods. (kis)
The Rods
Ich will jetzt nicht hingehen und allen Ernstes sagen, dass Ronnie
James Dio zuerst sterben musste, damit ich noch in den Genuss einer
Show von The Rods komme, aber es kommt mir persönlich ein bisschen
so vor, und das fühlt sich irgendwie voll scheisse an. David "Rock"
Feinstein ist halt nun mal der Cousin von Ronnie, doch das wusste
ich ja schon lange. Irgendwann mal vor langer Zeit kriegte ich ein
paar der alten Rods-LPs in die Finger, darunter das Götterwerk «Let
Them Eat Metal» von 1984. Die Live-Scheibe aus dem gleichen Jahr war
an jeder Plattenbörse anzutreffen und das verkannte 86er Werk «Heavier
Than Thou» (mit einmaligem 4er-Lineup) bedeutete gleichzeitig das
Aus der
Truppe. So hatte man bis 2006 nur die Tonträger zur Hand und
eigentlich die Gewissheit, dass man diese Band wohl nie mehr auf
einer Bühne spielen sehen wird. Fünf Jahre später kann man mit «Vengeance»
ein brandneues Album von The Rods, notabene in der alten Besetzung
mit David Feinstein (g/v), Garry Bordonaro (b/v) und Carl Canedy (d)
in Händen halten, wo mit «The Code» gar ein Song drauf gepackt
wurde, den vorher noch der gute Ronnie James Dio (R.I.P.)
eingesungen hatte. Und nun im Rahmen der Dio Disciples-Tour waren
The Rods als Support dabei und standen an diesem Abend in der
Luzerner Schüür auf der Bühne, um ihr Album zu promoten und die
alten Zeiten wieder aufleben zu lassen! Und wie sie das taten,
einfach nur vom Feinsten! Als Erstes fiel gleich mal auf, wie klein
Herr Feinstein eigentlich ist und auch Bassist Garry gehört(e) nicht
zur Gattung der langen Bohnenstangen. Das hielt die beiden
Saitenkünstler freilich nicht davon ab, gleich von Anfang an ein
metallisch gefärbtes Rock-Spektakel auf das Publikum einwirken zu
lassen, das sich gewaschen hatte. Mit sichtlicher Freude ging das
lärmige Trio ans Werk und präsentierte eine feine Auswahl an alten
Krachern und einen neuen Song, der sich bestens unter den Oldies
behaupten konnte. Den Auftakt machte «Hurricane» ab der 83er-Scheibe
«In The Raw», gefolgt vom soeben erwähnten, ersten Neuwerk «I Just
Wanna Rock», wozu es nichts mehr anzufügen gab. Es rockte und
rumpelte in herrlichster Manier, das einem fast die Lauscher
abfielen. David und Garry lieferten derweil geilste Posen in bester
80er-Manier ab. Es war einfach nur zum Niederknien und als sie dann
tatsächlich «Let Them Eat Metal» spielten, glaubte ich mich kurz vor
der Pforte des Metal-Olymps. Das war wohl sowas wie der Weg hin zu
Erleuchtung als irdischer Metaller. Das Drum-Solo von Master Canedy
war dann allerdings nur mittelprächtig, aber sonst rockte der
sympathische Oldie-Dreier trotz einigen Timing-Remplern in
unvergesslicher Manier bis hin zum letzten Ton durch! (rsl)
Setliste: «Hurricane» - «I Just Wanna Rock» - «Evil In Me, Devil's
Child» - «Let Them Eat Metal» - «Born To Rock» - «Widl Dogs» - «Waiting
For Tomorrow» - «Violation» - «Drum Solo» - «The Night Lives To
Rock» - «Nothing Going On In The City» - «Crank It Up» - « Power
Lover».
Anvil
Nach dem letztjährigen Auftritt beim «Bang Your Head»-Festival war
ich doch ein bisschen enttäuscht von meinen Kanadiern. Die
Trio-Besetzung hat sicherlich seinen Charme, aber bei den Soloparts
fehlte mir immer wieder die begleitende Rhythmusgitarre. Dies war
auch an diesem Abend in Luzern so, dass mir immer wieder die zweite
Axt fehlte. Allerdings war dies der einzige Schwachpunkt eines
ansonsten mit vielen Highlights übersäten Konzertes. «Hello
Switzerland. How the fuck are you? How many people saw the movie?»,
fragte der immer grinsende Lips die Anwesenden und ging gleich mal
auf Tuchfühlung mit den Fans und stellte den Quervergleich zu ihrem
grossen Erfolg mit ihren Film dar. «I'm a fucking hippie and smoke a
lot of pot» erklärte auch gleich das Dauergrinsen des singenden
Gitarristen, der es sich einmal mehr nicht nehmen liess mit einem
Vibrator seine Gitarre zu verwöhnen. Die junge Lady neben mir wusste
dabei nicht so recht, ob ihre Augen nun vor lauter Freude oder
Entsetzen strahlten. Mit seinen Grimassen hatte Lips das Publikum
schnell auf seiner Seite und Songs wie der obligate Einstieg mit «March
Of The Crabs» und «666» taten das Übrige, dass dieses Konzert von
der ersten Sekunde an zu einem wahren Siegeszug des Trios wurde.
Dabei war Trommeltier Robb Reiner mit seinen schnellen Füssen der
antreibende Motor. Die Doublebassarbeit war einmal mehr von einem
anderen Stern und seine sich wie Propeller drehenden Sticks boten
viel fürs Auge. Die neuen Tracks «Juggernaut Of Justice», die
Livegranate «On Fire» und das zum Mitsingen verdammte «New Orleans
Voo Doo» gliederten sich nahtlos in die alten Kracher «Winged
Assassins», «Mothra» und «Forged In Fire» ein. «Thumb Hang» widmete
der quirlige Kanadier Ronnie James Dio und gab dazu gleich eine
kleine Story zum besten. 1983 spielten Anvil als Support des
Sangesgottes. Knapp 25 Jahre später traf Lipps Dio wieder in der
Lobby eines italienischen Hotels, worauf Ronnie den Anvil-Musiker
begrüsst und zum Morgenessen einlud. Das ist METAL! «Metal On Metal»
beendete auch diesen sagenumwobenen Gig einer Band, die eindeutig zu
gut für diese Welt ist. Leider haben dies bis heute definitiv zu
wenig Leute erkannt. Anvil sind auf der Bühne ein verdammtes
Uhrwerk, Robb die brutale Maschine, Glenn Five der Bodenleger und
Lips der Entertainer vor dem Herrn, der nebenbei auch noch locker
famose Leads und Riffs spielt. Anvil sind METAL. (tin)
Setliste: «March Of The Crabs» - «666» - «Juggernaut Of Justice» - «Winged
Assassins» - «On Fire» - «This Is Thirteen» - «Mothra (with Dildo
Guitar Solo Lips)» - «Thumb Hang» - «White Rhino (with Drum Solo
Robb Reiner)» - «Fuken Eh!» - «Forged In Fire» - «New Orleans
Voodoo» -- «Metal On Metal».
Dio Disciples
Nach dem wie zu erwarten tadellosen Auftritt der Kanadier kam nun
die Stunde der Wahrheit. Was würden die Dio-Lehrlinge von der Magie
ihres verstorbenen Meisters weitergeben können? Ehrvolle Verbeugung
oder blutleere Geldmacherei, das würde sich nun entscheiden. Als
dann Craig Goldy das satte Riff von «Stand up and Shout» anstimmte
und Tim «Ripper» Owens zu singen begann waren zwei Dinge sofort
klar: 1. dass hier Menschen auf der Bühne standen, die sich nicht
einfach bereichern
wollen, sondern hier mit voller Inbrunst Freund
und Vorbild ehrten, und 2. dass der Ripper schlicht einer der besten
Sänger dieses Planeten ist. Zuerst Halford, dann Matt Barlow und nun
Dio der Mann kann einfach alles singen. Ohne Pause wurde in «Holy
Diver» übergeleitet, gefolgt von einer eindringlichen Version von «Don't
Talk to Strangers». Musikalisch gab es also überhaupt nichts zu
bemängeln und auch der Sound stimmte. Optisch hingegen gab es noch
Potential nach oben. Nicht, dass der Ripper jetzt die typischen
Dio-Posen hätte machen müssen, doch passte das von ihm bekannte
Schattenboxen auch nicht wirklich und vor allem Goldy zeigte sich zu
Beginn etwas gar steif. Zu «Egypt (The Chains Are on)» kam dann der
zweite Dio-Schüler, Toby Jepson auf die Bühne. Auch der vor allem
für seine Tätigkeit als Little Angels-Fronter bekannte Engländer
vollführte seinen Job am Mikro souverän, konnte dabei aber nicht
wirklich mit Ripper mithalten, dafür fehlten ihm einfach die
vielzitierten Eier. Aus rein musikalischer Sicht hätte Owens als
einziger Sänger also besser gepasst, gleichzeitig ist es diese
Doppelbesetzung, welche deutlich machte, dass es sich hier nicht
einfach um ein Ersetzen Dio's, sondern um ein Referenzerweisen
handelte, dass Ronnie James Dio letzten Endes einfach nicht zu
ersetzen sind. Dementsprechend devot zeigten sich die beiden Shouter
auf der Bühne und liessen auch zwischen den Songs keine Gelegenheit
aus, dem «King of Rock'n'Roll» zu huldigen.
Das Publikum tat es ihnen gleich, feierten Hits wie das Medley
«Catch the Rainbow» / «Stargazer» oder «Neon Knights» textsicher ab
und schickten immer wieder Grüsse in Form der von Dio
bekanntgemachten Teufelshörner in den Rockhimmel. Derweil Tastenmann
Scott Warren leider Probleme mit seinem Monitor-Sound zu haben
schien, bückte er sich doch immer wieder in dessen Richtung und
machte keine sehr zufriedene Miene. Auch vor der Bühne hätte man
sich etwas mehr Keyboard-Sound gewünscht, doch trotz diesem kleinen
Makel kam «Straight Through the Heart» genauso gut wie das
halbballadeske «Children of the Sea» vom Sabbath Kult-Album «Heaven
and Hell».Die bisher genannten Songtitel lassen es vermuten: die
Setlist glich einem Best-Of-Album des Meisters und dass dabei die
eine oder andere vielleicht gewünschte Nummer auf der Strecke
bleiben musste versteht sich von selbst. Zu viele gute Songs hat Dio
während seiner Karriere einfach geschrieben. «Killing the Dragon»,
der Titeltrack von Dios zweitletztem Solo-Album von 2002, blieb
dabei der einzige Track aus der letzten Dekade, gefolgt vom epischen
«The Last in Line». Handelte es sich bei all diesen Nummern schon
um, wie gesagt, Hits, setzte man im Endspurt noch einen obendrauf.
«Long Live Rock'n'Roll», «Man on the Silver Mountain» und «Heaven
and Hell» besiegelten das reguläre Set, bevor mit «Rainbow in the
Dark» und einer gnadenlosen Version von «We Rock» ein überraschend
starker Gedenkgottesdienst sein Ende nahm. Der Grat, auf dem ein
Projekt wie Dio Disciples wandelt, ist schmal. Schnell kann eine als
Verbeugung gedachte Sache in Leichenschändung umkippen. Gott bzw.
Dio sei Dank war das an diesem Abend nicht der Fall und Dio
Disciples haben allen Anwesenden noch einmal klar gemacht, wie
unsterblich das Lebenswerk von Dio ist und gleichzeitig, dass man,
wie etwa Ripper, noch so gut singen kann: der Meister wird von
seinen Schülern niemals überflügelt werden können. In diesem Sinne
bleibt wieder einmal nur ein Satz zu schreiben übrig: R.I.P. Ronnie
James Dio! (kis)
Setliste: «Stand Up And Shout» - «Holy Diver» - «Don't Talk To
Strangers» - «Egypt (The Chains Are On)» - «King Of Rock'n'Roll» -
«Catch The Rainbow» / «Stargazer» - «Neon Knights» - «Straight
Through The Heart» - «Children Of The Sea» - «Killing The Dragon» -
«The Last In Line» - «Long Live Rock'n'Roll» - «Man On The Silver
Mountain» - «Heaven And Hell.» -- «Rainbow in the Dark» - «We Rock».
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