Von Beginn meiner Konzertbesucherkarriere an war ich es mir
gewohnt, einer der jüngsten im Publikum zu sein. Mit 16 an einen Gig
von Saxon, Metal Church oder Magnum, dann zieht man den
Altersdurchschnitt schon ziemlich runter. Mit dem Alter verschwindet
dieser Sonderstatus natürlich, doch hätte ich nicht erwartet, gerade
mal mit 22 Jahren schon zur älteren Hälfte der Anwesenden zu
gehören. So geschehen beim Besuch der „Rockstar Taste Of Chaos
Tour“. In der Winterthurer Eishalle angekommen, staunte ich nicht
schlecht, als mir bewusst wurde, wie jung Fans von Disturbed und
Papa Roach zu sein schienen. 15 bis 25 Jahre schien hier der/die
durchschnittliche Besucher/in alt zu sein, was wohl
mitverantwortlich war für den frühen Beginn um 18.30 Uhr. Was für
die Getränkeverkäufer ein Nachteil (Ausweiskontrolle!), das war dann
aber für die Bands ein hundertprozentiger Vorteil. Selten habe ich
ein Publikum so durchdrehen hören wie bei Papa Roach an diesem
Abend. Doch referieren wir chronologisch:
Halestorm
Eher spärlich gefüllt zeigte sich die Halle, deren Ränge gesperrt
waren, um 18.30 Uhr, als die amerikanischen Newcomer Halestorm die
Bühne enterten. Es brauchte aber nur ein beeindruckend langer Schrei
von Frontfrau Elizabeth „Lizzy“ Hale und schon hatte sich eine
euphorisch mitfeiernde Traube aus ca. 200 Fans vor der Bühne
versammelt. Schnell wurde klar wieso: Nicht nur ist Madame Hale ein
wandelnde Männerphantasie, auch ihre Band (allen voran ihr
überschwänglicher Bruder Arejay an den Drums) liess nichts
anbrennen. Begonnen beim eingängigen Rocker „It's not You“, über
Balladeskes wie „Familiar Taste Of Poison“ bis zum abschliessenden „Get
it Off“ mit einleitendem Alle-Trommeln-mal-Teil – der Fünfer
inszenierte sich perfekt als grosse Rocker und konnte dabei mehr als
nur ihre eigenen Fans überzeugen und zeigte sich so als perfekter
Opener.
Buckcherry
Genauso showbewusst, dabei aber noch ein Stück traditioneller und
somit etwas quer im heutigen Line-up zeigten sich Buckcherry. Wer
gedacht hätte, dass Sleaze Metal bei diesem Publikum nicht ankommen
würde, der hatte sich geirrt, denn allerspätestens beim dritten
Stück, dem eingängig „All Night Long“ vom letzten gleichnamigen
Output sang die Hälfte der langsam ganz ansehnlich gefüllten Halle
voller Feierlaune mit und insbesondere Rhythmus-Gitarrist Stevie D.
Konnte sich über eine beachtliche Anzahl kreischender Girls vor
seinem Teil der Bühne freuen, wobei auch er gut dabei beraten wäre,
zuerst einmal die Ausweise zu kontrollieren. Fronter Josh Todd
derweil schrie sich gekonnt die Seele aus dem Leib, wirkte dabei
aber abwechselnd wie ein Duracell-Häschen mit zu wenig Platz bzw.
Wie ein herumgeworfenes Gummibällchen. Ob der Herr mit dem Sixpack
sich vor der Show wohl die Nase gepudert hatte? Den Anwesenden wars
egal und so wurde der Mischmasch aus Ac/Dc, Mötley Crüe und
Aerosmith amtlich abgefeiert und Songs wie „It's a Party“, „Lit it
up“ (dessen Riff etwas zu sehr nach dem kiss'schen „Christine“
klingt) oder das abschliessende „Crazy Bitch“ freudig intoniert.
Simpler Party-Rock funktioniert halt bei jeder Altersklasse.
Papa Roach
Im Gegensatz zu dem was nun an Euphorie folgen sollte, war das
bisherige aber noch gar nichts. Als Papa Roach auf die Bühne stiegen
brach eine Welle des Entzückens über das Publikum aus, die sich in
exzessivem Schreien und Kreischen entlud, was einem im Photograben
die Haare zu Berg stehen liess. Jeweils drei mannshohe LED-Wände auf
beiden Seiten des Drums stellten dabei die Kulisse dar für eine
Show, die vom einleitenden „Kick in the Teeth“ bis zum
erwartungsgemäss finalen Smasher „Last Resort“ fixiert ist auf
Fronter Jacoby Shaddix. Dieser zeigt sich bei bester Laune und
bester Stimme, kocht förmlich über vor Energie und dirigiert sein
devotes Publikum mit vollem Erfolg durch Bandhits wie „Scars“, „Between
Angels and Insects“ und „Getting Away with Murder“, die, ob gewollt
oder nicht, auch der Nichtfan mitpfeiffen kann und getragen von der
frenetischen Stimmung auch tut. Und wenn sich Mr. Shaddix dann zu
„One Track Mind“ auch noch in den Photograben begibt, um sich an der
Absperrung pflichtbewusst befummeln und bekreischen zu lassen, dann
kann sich das vornehmlich weibliche Publikum in den ersten Reihen
überhaupt nicht mehr einkriegen und die Halle springt im wogennden
Takt. Man mag von den MTV-Stammgästen halten was man will, Papa
Roach zeigen sich an diesem Abend als verdammt tighte und
stimmungsvolle Liveband, die ihr Publikum ohne Abstriche im Griff
hat. Beeindruckend!
Disturbed
Zwar sorgen darauf auch Disturbed für eine amtliche Rocksause, doch
das Ekstase-Niveau von Papa Roach können sie nicht halten. Dafür
trumpft der Vierer mit einer imposanten Bühne auf, deren ganze
Rückwand aus mehreren Bildschirmen besteht, die mal zusammen als
Ganzes, mal getrennt die Songs der Truppe bestens optisch
untermalen. So wechseln sich,
wie bei der sozialkritischen Band zu
erwarten, Muster und Symbole ab mit Bildern von Krieg, Elend und
Missstand, welche die Stimmung aber alles andere als trüben. Mit „Asylum“
wird in ein perfekt arrangiertes Set gestartet, dass mit einem
logischen Schwerpunkt auf dem aktuellem, gleichnamigen Album, alle
Alben der Band berücksichtigt. So wechseln sich Publikumslieblinge
wie „The Game“ oder „Prayer“ ab mit Neuem der Sorte „The Animal“
oder „Another Way to Die“, die im Vergleich kaum abfallen, wobei
natürlich auch das hervorragende Genesis-Cover „Land of Confusion“
von „Ten Thousand Fist“ (2005) nicht fehlen darf. Glatzkopf und
Overall-Liebhaber David Draiman, dessen Stimme in der
Vergangenheiten oftmals der Schwachpunkt der Darbietungen war, singt
heute überraschend kraftvoll und auch die übliche Bewegungsfaulheit
scheint das Quartett heute einmal in der Garderobe gelassen und
gegen Spielfreude („Brothers & Sisters, it's great to be back!“) zu
haben. Nicht, dass Draiman und sein Kollege Dan Donegan,wie das
Publikum, energisch herumspringen würden, doch zumindest sind sie
sich nicht zu schade, die auf beiden Seiten begehbaren Plattformen
zu besteigen und sich in Pose zu werfen. Schade nur, dass es
Disturbed immer noch nicht schaffen, den unvergleichlich fetten
Sound ihrer Platten auf die Bühne zu transferieren. An diese Wand an
Gitarren und Getrommel kommen die Jungs live einfach nicht heran.
Trotzdem reissen Songs wie „Inside the Fire“ (mit passender
Feuervisualisierung), „Stricken“ oder „Stupify“ mit ihrem zum
Springen und Bangen gleichermassen einladenden Groove mit und
spätestens bei „Ten Thousand Fists“, bei welchem auf den
Bildschirmen das Publikum gezeigt wird, sind alle Nörgeleien in den
Wind geblasen und man schreit sich den Refrain dieses Übersongs aus
der Seele. Nach dem ebenfalls „Indestructible“ ist dann erst einmal
Zeit für die Zugabe-Rufe, was durch das Projizieren einer
Schweizer-Flagge signalisiert wird. Das dies gut ankommt versteht
sich von selbst und so mobilisiert die sichtlich geschaffte
Rockjugend für „Down with the Sickness“ noch einmal alle Kräfte,
bevor dann endgültig Schicht im Schacht ist. Guter Sound, gute
Beleuchtung, vier energiegeladene, mehr als überzeugende Bands und
ein Publikum, dass sich vor Freude kaum halten kann, so die Bilanz
dieses Abends. Ob die Anwesenden in ein paar Jahren wohl auch so
lethargisch rumstehen, wie so mancher traditionelle Metaller dieser
Tage? Wir hoffen nicht.
Setlist Disturbed:
„Remnants“ - „Asylum“ - „The Game“ - „Prayer“ - „Liberate“ - „Land
of Confusion“ - „The Animal“ - „Inside the Fire“ - „Stricken“ - „Another
Way to Die“ - „Stupify“ - „Ten Thousand Fists“ - „Indestructible“
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„Down with the Sickness“
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