Als die
"Human Zoo"-Tour von Gotthard angekündigt wurde, war ich mir zunächst gar
nicht sicher, ob ich überhaupt an ein Konzert von ihnen gehen wollte. Zu weit hatten sie
sich in der letzten Zeit mit ihrem massentauglichen Mainstream von den wilden Wurzeln
entfernt. Sie schienen das Rocken beinahe verlernt zu haben. Das gilt jedoch nicht für
die Qualität des Songwritings, das trotz allem immer top war und noch ist, sich aber
zunehmend an eine andere, neue Hörerschaft zugewandt hat. Ich kann mir allerdings
vorstellen, dass es dennoch genügend Fans von früher gibt, die die Kraft der ersten
beiden Alben vermissen. Die Band hatte in zahlreichen Interviews allerdings klar zu
Protokoll gegeben, dass sie voll hinter dem stehen was sie machen und eben gemerkt haben,
dass man auf diese Weise klar mehr Erfolg landen kann. Mentor und Producer Chris von Rohr
wachte dabei straff über das Wirken "seiner" Jungs und hinterliess natürlich
auf diese Weise seine Visitenkarte. Nach dem Balladen-Sampler "One life, one
soul", mit dem man natürlich nochmals fette Gewinne einstrich, hätte ich nicht
zwingend mit einem neuen Album der Währung "Human Zoo" gerechnet. Ob das nun
massgeblich etwas mit dem Abgang von Herrn von Rohr etwas zu tun hatte, möchte ich gar
nicht erst ausloten. Tatsache ist, dass Marc Tanner, der neue Mann hinter Gotthard, gute
Arbeit abgeliefert hat. Wohl kracht es nicht zu heftig (und wird es auch nie mehr!), aber
es ist spürbar mehr Zug in den Songs. Die "Homerun"-Tour fand ich ganz
unterhaltend und dank "Eagle" mit dem geilen Solo-Part von Leo, gab es trotzdem
was zu beklatschen. Deshalb war ich sehr gespannt, was mich am heutigen Abend in Biel
erwarten würde. Top oder Flop?
Bevor diese Frage beurteilt werden konnte, stand mit Kingdom Come ein hochkarätiger
Support auf der Bühne. Kaum jemand in der Halle, da wette ich jetzt einfach einmal,
wusste überhaupt, wer das war. Und doch kam ich mit einem Fan spontan ins Gespräch, der
darob völlig aus dem Häuschen war. Lenny Wolf als zentrale Figur seiner Band ist ein
alter Hase, der weiss, wie das Geschäft läuft. Sein persönliches Debüt-Album
("Lenny Wolf's Germany") kam vor über zwanzig Jahren heraus. Weitere Releases
trugen den Namen von Stone Fury und bürgten für sehr guten Melodic Rock. Etwas später, genauer 1988, nahm die Geschichte von Kingdom Come
mit einem auch heute noch absolut zeitlosen und grandiosen Debüt-Album seinen Lauf. Die
Reaktionen darauf waren heftig bis euphorisch. Die Fangemeinde spaltete sich grob in zwei
Lager. Die einen nannten es einen billigen Abklatsch von Led Zeppelin und die anderen
lobten das damals moderne Gewand und die Ohrwurmqualitäten, das die Wurzeln ja
augenscheinlich nicht verheimlichte, in den höchsten Himmel. Diese Kontroverse führte
schliesslich dazu, dass man mit dem zweiten Album "In your face" (1989) auf
Teufel komm raus versuchte, dieser Fessel mindestens etwas zu entrinnen. Es gelang nicht
ganz, aber das Songwriting bewegte sich abermals auf sehr hohem Level. Lenny, der spätere
Werke wie zum Beispiel "Hands of time" als Multiinstrumentalist und eigener
Producer praktisch im Alleingang aufnahm, hatte in den folgenden Jahren immer wieder
andere Musiker in seiner Band. Der Schlagzeuger des ersten Line-Up's von Kingdom Come
hiess übrigens James Kottak! Der sorgt heute bekanntlich dafür, dass den gealterten
Scorpions die Lichter nicht vorzeitig ausgehen! "Indipendent", das neuste Werk
von 2002 (auch wieder im Alleingang produziert!) ist diesmal etwas sperrig geworden und
überzeugte mich nicht auf der ganzen Linie. Trotzdem ist da aber stets das gewisse Etwas
von Lenny's aussergewöhnlicher Stimme, die man sofort erkennt und zuordnen kann. Und
genau dieser konnte man nun nach längerer Abstinenz auf Schweizer Bühnen endlich wieder
lauschen! Das Erscheinungsbild der restlichen Bandmitglieder (bitte fragt mich jetzt nicht
nach Namen!) oder einfach der Tour-Band gestaltete sich gemischt wie ein Strauss
Wiesenblumen. Der Lead-Gitarrist, wie der Drummer glatzköpfig und der Bassist
schwang einen ganz passablen und spitzen Irokesen-Schnitt. Der zweite Gitarrist passte
dann von der Optik her eher zu Meister Wolf, der natürlich mit wallender Mähne ein
gewohnteres Bild an den Tag legte. Man soll Äusserlichkeiten bekanntlich aber nicht zum
Anlass dazu nehmen, die Leistungen eines Kollektivs in Frage zu stellen. Das war dann auch
gar nicht nötig, denn die Band spielte von der ersten Sekunde an sehr tight auf und der
Sound kam bereits ordentlich laut und basslastig aus der PA gewabert. Leider war es noch
taghell in der Halle und das bereits zahlreich anwesende Publikum spendete lediglich
Anstandsapplaus. Das kümmerte Lenny Wolf aber nicht im Geringsten, der sich mit seinen
französischen Ansagen mehr schlecht als recht versuchte. Wahrscheinlich wusste er nicht,
dass Biel eine zweisprachige Stadt ist! Die neueren Stücke zu Beginn konnte ich mir nicht
merken, aber dann folgten Sachen wie "Should I", "Twilight cruiser",
"Living out of touch" oder "Do you like it", das knallte wie Sau. Da
dachte ich mir "hoppla", da müssen Gotthard nachher aber kontern, sonst... -
die Reaktionen der Zuhörer steigerten sich merklich. Einfach nur zum Geniessen war zudem
der Klassiker "What love can be", der unterstrich, was einen unsterblichen Song
wirklich ausmacht. Die Spieldauer von einer guten Stunde zeigte zum Schluss, dass Kingdom
Come als "Special Guest" auf dieser Tour mit dabei waren und als sehr nobel ist
Geste von Leo zu betrachten, der Lenny seine halbakustische Gitarre für die Dauer des
Auftrittes überliess, da dessen Exemplar defekt war.
Nur eine angenehme halbe Stunde später war die Bühne für Gotthard hergerichtet und die
mittlerweile proppenvolle Halle mit schätzungsweise gegen 3000 Leuten wartete
sehnsüchtig auf den Headliner. Der Avis an die Photographen (also auch an mich), dass man
erst ab dem dritten Stück nach vorne in den Fotograben durfte, deutete auf Effekte zu
Beginn der Show hin. Und so kam es auch, als der Vorhang fiel und unvermittelt die ersten
Pyros (!) in die Luft gingen. Gleichzeitig befand sich ein Gitter aus herabhängenden,
dünnen Elementen vor der Bühne, die als Dekor zum Opener "Human Zoo"
gehörten, der brachial in die Halle gepustet wurde! Du heiligs Blechle, so hatte ich das
echt nicht erwartet. Der anschliessende zweite neue Song "Top of the world"
haute ebenso rein und wieder zischten Feuerwerkseffekte los. Überhaupt sah alles genial
aus! Die Bühne mit mehreren Etagen, das volle Licht und die agile Band, die sehr spritzig
wirkte. Steve Lee liess dabei natürlich auch stimmlich nichts anbrennen und sang
göttlich von der ersten Strophe an! "Come along" klang live um einiges saftiger
als auf der CD. Der Sound war überhaupt unglaublich, denn die Bass Drum kam vollfett
rüber und sorgte für die früher "normalen" Schläge in die Magengrube. Cool
dabei das Design des Drums von Hena. Die beiden Bass Drums sahen wie zwei
riesige Lautsprecher aus und ich denke, dass das nicht nur eine optische Wirkung haben
sollte, sondern mitunter den donnernden Klang ausmachte. Aber Gotthard wären nicht
Gotthard, wenn sie keine schönen Balladen und stimmige Songs spielen würden, und davon
gab es einige wie "Vision", "Have a little faith", "You",
"What I like", "Still I belong you" (Extended Version mit geilen Soli
von Mandy und Leo!) und natürlich "Heaven". Dass die Jungs aber immer noch
zulangen können, bewiesen sie mit einer brachialen Version von "Hush", und
"Mountain mama" habe ich zuvor noch kaum besser gehört. Ein akustisches
Intermezzo holte die inzwischen kochende Halle wieder auf den Boden runter, um weitere
zwei Songs später an das geniale "Long way down" mit spürbarem AC/DC-Touch
anzuknüpfen. Noch während des Songs verliess Steve Lee dann fast unbemerkt die Bühne
und war plötzlich "verschwunden", während Hena zu seinem Schlagzeug-Solo
ansetzte. Und spätestens jetzt dachte vorübergehend sicher niemand mehr an Steve, der
unvermittelt auf der Höhe des Mischpultes auftauchte und urplötzlich hinter einem
weiteren (kleineren) Schlagzeug in einem Rundkäfig drinsass und in Richtung Bühne zu
Hena schaute. Was im ersten Moment nach einem "Running Gag" roch, verwandelte
sich jedoch bald in eine der kuriosesten, wie von der Art her genialsten Drum-Darbietung,
die ich je gesehen hatte. Dabei "outete" sich Steve als sehr
talentierter Schlagzeuger, der Hena kaum nachstand und sich mit ihm herrliche Duelle
lieferte, die vom begeisterten Publikum mit ohrenbetäubendem Applaus bedacht wurden. Die
in der abgedunkelten Halle eingesetzten Lichteffekte untermalten das spezielle Szenario
noch zusätzlich, einfach mega! Da kamen mir doch glatt Phil Collins und sein
langjähriger Tourdrummer Chester Thompson in den Sinn, als Genesis vor Jahren schon
dieses Element des absolut synchronen und duellierenden Drum-Spiels aufführten. Wahrlich
ein tolle Showeinlage, die uns Steve und Hena da boten. Der angehängte Sing-a-long mit
dem von Leo kurz eingestreuten "Smoke on the water"-Riff ging darauf natürlich
voll ab. Nach dem treibenden "Movin' on" beschloss "Homerun" den
Hauptteil des Konzertes. Logisch wurde die Band zurück auf die Bühne geschrien, wo Leo
zu meiner grossen Freude nach "Heaven" als erste Zugabe das Eingangsriff von
"Firedance" anspielte. Einfach überirdisch, was der stets quirlige und
gutgelaunte Gitarrist beim Solo und dem Hammersong schlechthin ablieferte, besser geht's
nicht! Nach dem in der letzten Zeit schon fast obligaten "Mighty Quinn" ist
normalerweise Ende Feuer. Denkste! Aber nicht mit dem Bieler Publikum, das munter
weiterlärmte und von den Jungs noch eine schmissige Version des Led Zeppelin Klassiker's
"Rock'n'Roll" vorgesetzt bekam. Als Gotthard sich unter grossem Beifall
definitiv verabschiedeten, schaute ich auf meine Uhr. Seit Konzertbeginn waren mehr als
zwei Stunden vergangen! Hoppla, das kann sich sehen lassen, auch wenn die Band mit
Ticketpreisen von 55 Franken langsam aber sicher den Sprung in die Oberliga vollzieht. Das
Konzert überzeugte jedoch auf der ganzen Linie und Gotthard haben sich (bei mir)
verlorengegangenes Terrain der letzten Jahre wieder überzeugend zurückerobert. Als
weitere Erinnerung an diesen eindrücklichen Abend nahm ich noch das totale Verkehrschaos
rund um die Eishalle mit, wo praktisch auf jedem Quadratmeter ein Auto stand und eine
Menge Leute zum Teil glatt eine Viertelstunde unter die Füsse nehmen mussten, um
überhaupt zur Halle zu gelangen! That's Rock'n'Roll!
Set-Liste: "Intro/Human Zoo", "Top of the world", Come along",
"Vision", "Have a little faith", "You", "Sister
moon", "Still I belong to you", "What I like", "Hush",
"Mountain mama", "In the name of love (acoustic)", "One life, one
soul (acoustic)", "Janie's not alone", "Where I belong",
"Long way down", "Drum Solo (Hena & Steve!)", "Movin'
on", "Homerun", "Heaven", "Firedance", "Mighty
Quinn", "Rock'n'Roll".
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