Livereview: Gotthard

22. November 2014, Langenthal – Westhalle
By Tinu
 
Die bestverkaufende Rockband aus der Schweiz geriet bei mir in Vergessenheit. Das lag aber nicht am tragischen Tod von Sänger Steve Lee, sondern dass mir die Jungs, auch wenn es wieder härter zur Sache ging, noch immer zu viele Balladen und softe Songs spielten. Der nicht mehr ganz so neue Shouter Nic Maeder hinterliess zumindest auf den beiden Tonträgern «Firebirth» und «Bang» einen guten Eindruck, auch wenn ich nach wie vor der Meinung bin, dass Tommy Heart (Fair Warning, Soul Doctor) besser zu den Eidgenossen gepasst hätte.

Nun sollten die Hardrocker doch tatsächlich vor meiner Haustüre spielen und alleine der Umstand, dass das eher ruhigere Städtchen Langenthal eine solche Truppe auftreten liess, durfte ich mir nicht entgehen lassen. Meine Erwartungen waren jedoch nicht gross. Steve war in meinen Augen nie der grosse Entertainer und das bot Nic die grosse Chance, sich in mein Herz zu spielen. Allerdings mussten sich die Herren Maeder (Gesang, Gitarre, Akkordeon), Leo Leoni (Gitarre), Freddy Scherer (Gitarre), Marc Lynn (Bass) und Hena Habegger (Schlagzeug) auf das konzentrieren, was sie damals aus der Masse hob. ROCK! Das wiederum konnte aber schwer werden, wurde der Fünfer doch in der Schweiz bekannt mit ihren Balladen.

Bevor Gotthard fast zwanzig Minuten früher als geplant die Bühne stürmte, spielten Baschi und Yokko. Sah man die Reaktionen des Publikums, war aber schnell klar, warum es an diesem Abend den Weg unter die Füsse genommen hatte. Die Fanreaktionen waren zu Beginn noch etwas verhalten und erst mit «Sister Moon» kam so etwas wie eine durchwegs gute Stimmung auf. Die Bühne war geschmückt mit einem Drumriser, der wie eine alte amerikanische Luxuskarosse aussah. Darüber thronte das Arbeitsgerät von Hena Habegger, der an diesem Abend ein kleines Heimspiel absolvierte. Wuchs der Trommler doch keine zehn Minuten von Langenthal entfernt auf. Links, von Hena aus gesehen, standen der wieder mit langen Haaren auftretende Bassist Marc Lynn und Gitarrist Freddy Scherer, dem man eigentlich einen grösseren Raum zum Solieren einräumen sollte. Sein Counterpart, Leo Leoni, entpuppte sich erneut als grosser Sympathieträger. Seine Riffs zu «Mountain Mama», «Fist In Your Face» oder «Starlight» bleiben kleine Gottesgaben und haben massgeblich dazu beigetragen, zu was die Band wurde und heute noch immer sein kann. Eine hart rockende und auf der Bühne hart arbeitende Truppe. Auf Nic Maeder sind noch immer die meisten Augen gerichtet, hat er doch die schwere Aufgabe, Steve Lee zu ersetzen. Das macht Mister Maeder verdammt gut, auch wenn er die höheren Gesangsparts von Steve erst gar nicht versucht zu erreichen. Seine Performance ist sicherlich noch verbesserungswürdig, da seine Posen eigentlich immer die gleichen sind. Dafür ist sein Auftreten äusserst sympathisch und immer auf die Fans ausgerichtet.

Was leider zu erwarten war, dass die Setliste mit (zu) vielen Balladen oder langsameren Parts versehen ist. Klar, das Mainstream-Publikum lechzt halt danach und will Nummern wie «Heaven» (das Publikum singt die erste Strophe ganz alleine!), «One Life, One Soul», «The Call», oder «Remember It's Me» (mit hammergeilem Licht!), aber wenn wir alle ehrlich sind… Der «Dreier» vor den Zugaben mit « Mountain Mama», «Hush» und «Lift U Up» trieb die Stimmung bis zum Siedepunkt. Vielleicht lassen sich die Herren Musiker dadurch inspirieren und bringen Tracks wie «Ride On» (wie heisst es so schon im Refrain… «ride on, till the day I die…»), «Firedance», «Higher», «Cheat And Hide», «Dream On», oder «I Don't Mind» in die Setliste zurück. Und wenn wir dann gleich dabei sind… «All I Care For» und «I'm On My Way» wären Balladen, die auch zu berücksichtigen wären… Genug aber der «Mängel» an der Setliste, denn die Eidgenossen haben zumindest in Langenthal an diesem Abend alles richtig gemacht. Auch wenn ich «Fist In Your Face» liebe, aber hier fehlte ganz klar der «bissige» Gesang von Steve. Ihm widmete Leo den Song «The Train»

Interessant war es auch, dass die beiden Soloparts von Schlagzeug und Keyboard dermassen grossen Zuspruch fanden. Das belegt aber, dass Gotthard an diesem Abend hätten spielen können, was sie wollten, es wäre von den Fans abgefeiert worden. Diese wurden dann auch ein Teil der Band, als unzählige Besucher, jung und alt, bei «Starlight» zur gesanglichen Unterstützung auf die Bühne geholt wurden. Sieht man sich dann noch als helfendes Händchen beim Gitarrensolo von Leo, kannte die Freude keine Grenzen mehr! Die Verblüffung von Leo auch nicht, als Nic mit dem Akkordeon auf die Bühne kam und der Gitarrist meinte: «…what the fuck is that?», mit einem kleinen Seitenhieb in Richtung Flöru Ast. Dass Gotthard noch immer cooles neues Material schreiben, belegten «Bang!», der Ohrwurm «Starlight» und das handwerklich famos dargebotene «Thank You». Ein grosses Dankeschön ging auch an die Fans für die letzten zwanzig Jahre und die treue Unterstützung. Nach dem obligaten «Anytime Anywhere» als Rausschmeisser, wollte Langenthal aber noch mehr! Die Halle kochte, nein sie brodelte, und die Jungs liessen es sich nicht nehmen, einen unplanmässigen Zusatzsong zu spielen. «Mighty Quinn» rundete diesen wirklich geilen Konzertabend würdig ab, und wer bis anhin seine Stimmbänder nicht strapazierte, der liess seine Hemmungen spätestens jetzt fallen. «Well done» meine Herren und zumindest am folgenden Tag erwischte ich mich beim Ausgraben meiner Gotthard-CDs, die in den CD-Player wanderten und mir nochmals vor Augen führten, welch geile Songs der Fünfer in den zwei vergangenen Jahrzehnten geschrieben hat!

Setliste: «Bang!» - «Get Up N Move On» - «Sister Moon» - «Right On» - «Master Of Illusion» - «Feel What I Feel» - «The Call» - «Heaven» - «Remember It's Me» - «Fist In Your Face» - «What You Get» - «Keyboard-Solo Ernesto Ghezzi» - «Starlight» - «The Train» - «C'est La Vie» - «One Life, One Soul» - «Drumsolo Hena Habegger» - «Mountain Mama» - «Hush» - «Lift U Up» - «Thank You» - «Anytime Anywhere» -- «Mighty Quinn».