Die bestverkaufende Rockband aus der Schweiz geriet bei mir
in Vergessenheit. Das lag aber nicht am tragischen Tod von Sänger Steve
Lee, sondern dass mir die Jungs, auch wenn es wieder härter zur
Sache ging, noch immer zu viele Balladen und softe Songs spielten.
Der nicht mehr ganz so neue Shouter Nic Maeder hinterliess zumindest
auf den beiden Tonträgern «Firebirth» und «Bang» einen guten
Eindruck, auch wenn ich nach wie vor der Meinung bin, dass Tommy
Heart (Fair Warning, Soul Doctor) besser zu den Eidgenossen gepasst
hätte.
Nun sollten die Hardrocker doch tatsächlich
vor meiner Haustüre spielen und alleine der Umstand, dass das eher
ruhigere Städtchen Langenthal eine solche Truppe auftreten liess,
durfte ich mir nicht entgehen lassen. Meine Erwartungen waren jedoch nicht
gross. Steve war in meinen Augen nie der grosse Entertainer und das
bot Nic die grosse Chance, sich in mein Herz zu spielen. Allerdings
mussten sich die Herren Maeder (Gesang, Gitarre, Akkordeon), Leo
Leoni (Gitarre), Freddy Scherer (Gitarre), Marc Lynn (Bass) und Hena
Habegger (Schlagzeug) auf das konzentrieren, was sie damals aus der
Masse hob. ROCK! Das wiederum konnte aber schwer werden, wurde der
Fünfer doch in der Schweiz bekannt mit ihren Balladen.
Bevor Gotthard fast zwanzig Minuten früher als geplant die Bühne
stürmte, spielten Baschi und Yokko. Sah man die Reaktionen des
Publikums, war aber schnell klar, warum es an diesem Abend den Weg
unter die Füsse genommen hatte. Die Fanreaktionen waren zu Beginn
noch etwas verhalten und erst mit «Sister Moon» kam so etwas wie
eine durchwegs gute Stimmung auf. Die Bühne war geschmückt mit einem
Drumriser, der wie eine alte amerikanische Luxuskarosse aussah.
Darüber thronte das Arbeitsgerät von Hena Habegger, der an diesem Abend
ein kleines Heimspiel absolvierte. Wuchs der Trommler doch keine zehn
Minuten von Langenthal entfernt auf. Links, von Hena aus gesehen,
standen der wieder mit langen Haaren auftretende Bassist Marc Lynn
und Gitarrist Freddy Scherer, dem man eigentlich einen grösseren
Raum zum Solieren einräumen sollte. Sein Counterpart, Leo Leoni,
entpuppte sich erneut als grosser Sympathieträger. Seine Riffs zu
«Mountain Mama», «Fist In Your Face» oder «Starlight» bleiben kleine
Gottesgaben und haben
massgeblich
dazu beigetragen, zu was die Band wurde und heute noch immer sein kann.
Eine hart rockende und auf der Bühne hart arbeitende Truppe. Auf Nic
Maeder sind noch immer die meisten Augen gerichtet, hat er doch die
schwere Aufgabe, Steve Lee zu ersetzen. Das macht Mister Maeder
verdammt gut, auch wenn er die höheren Gesangsparts von Steve erst
gar nicht versucht zu erreichen. Seine Performance ist sicherlich
noch verbesserungswürdig, da seine Posen eigentlich immer die
gleichen sind. Dafür ist sein Auftreten äusserst sympathisch und
immer auf die Fans ausgerichtet.
Was leider zu erwarten war,
dass die Setliste mit (zu) vielen Balladen oder langsameren Parts
versehen ist. Klar, das Mainstream-Publikum lechzt halt danach und will
Nummern wie «Heaven» (das Publikum singt die erste Strophe ganz
alleine!), «One Life, One Soul», «The Call», oder «Remember It's Me»
(mit hammergeilem Licht!), aber wenn wir alle ehrlich sind… Der
«Dreier» vor den Zugaben mit « Mountain Mama», «Hush» und «Lift U
Up» trieb die Stimmung bis zum Siedepunkt. Vielleicht lassen sich
die Herren Musiker dadurch inspirieren und bringen Tracks wie «Ride
On» (wie heisst es so schon im Refrain… «ride on, till the day I
die…»), «Firedance», «Higher», «Cheat And Hide», «Dream
On», oder «I Don't Mind» in die Setliste zurück. Und wenn wir dann
gleich dabei sind… «All I Care For» und «I'm On My Way» wären
Balladen, die auch zu berücksichtigen wären… Genug aber der «Mängel»
an der Setliste, denn die Eidgenossen haben zumindest in Langenthal
an diesem Abend alles richtig gemacht. Auch wenn ich «Fist In Your
Face» liebe, aber hier fehlte ganz klar der «bissige» Gesang von
Steve. Ihm widmete Leo den Song «The Train»
Interessant war
es auch, dass die beiden Soloparts von Schlagzeug und Keyboard
dermassen grossen Zuspruch fanden. Das belegt aber, dass Gotthard an
diesem Abend hätten spielen können, was sie wollten, es wäre von den
Fans abgefeiert worden. Diese wurden dann auch ein Teil der Band,
als unzählige Besucher, jung und alt, bei «Starlight» zur gesanglichen
Unterstützung auf die Bühne geholt wurden. Sieht man sich dann
noch als helfendes Händchen beim Gitarrensolo von Leo, kannte die
Freude keine Grenzen mehr! Die Verblüffung
von
Leo auch nicht, als Nic mit dem Akkordeon auf die Bühne kam und der
Gitarrist meinte: «…what the fuck is that?», mit einem kleinen
Seitenhieb in Richtung Flöru Ast. Dass Gotthard noch immer cooles
neues Material schreiben, belegten «Bang!», der Ohrwurm «Starlight»
und das handwerklich famos dargebotene «Thank You». Ein grosses
Dankeschön ging auch an die Fans für die letzten zwanzig Jahre und die
treue Unterstützung. Nach dem obligaten «Anytime Anywhere» als
Rausschmeisser, wollte Langenthal aber noch mehr! Die Halle kochte,
nein sie brodelte, und die Jungs liessen es sich nicht nehmen, einen
unplanmässigen Zusatzsong zu spielen. «Mighty Quinn» rundete diesen
wirklich geilen Konzertabend würdig ab, und wer bis anhin seine
Stimmbänder nicht strapazierte, der liess seine Hemmungen spätestens
jetzt fallen. «Well done» meine Herren und zumindest am folgenden Tag
erwischte ich mich beim Ausgraben meiner Gotthard-CDs, die in den
CD-Player wanderten und mir nochmals vor Augen führten, welch geile
Songs der Fünfer in den zwei vergangenen Jahrzehnten geschrieben hat!
Setliste: «Bang!» - «Get Up N Move On» - «Sister Moon» -
«Right On» - «Master Of Illusion» - «Feel What I Feel» - «The Call» -
«Heaven» - «Remember It's Me» - «Fist In Your Face» - «What You Get» -
«Keyboard-Solo Ernesto Ghezzi» - «Starlight» - «The Train» - «C'est La
Vie» - «One Life, One Soul» - «Drumsolo Hena Habegger» - «Mountain
Mama» - «Hush» - «Lift U Up» - «Thank You» - «Anytime Anywhere» --
«Mighty Quinn».
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