Livereview: Greenfield Festival 2018

07. – 09. Juni 2018, Interlaken - Flugplatz
Text & Pics by Oliver H.


„Heilige Maria, Mutter Gottes“ mag sich mancher Metal-Fan erst einmal beim Betrachten des Greenfield Line-Up's gedacht haben, denn die wirklich grossen Namen fehlten auch in diesem Jahr. Natürlich gehören The Prodigy, Limp Bizkit und Volbeat zu den Grossen oder haben zumindest noch vor Jahren zu den ganz Grossen gehört. Wie dem auch sei, musikalisch gesehen gehört auch die 2018er Ausgabe des Festivals den „kleinen“ Bands, die ganz oft den Platzhirschen mit der attraktivsten Spielzeit den Rang abliefen. Zumindest habe ich es so empfunden, was natürlich im Gesamtpaket nicht ins Gewicht fällt. Das Publikum, das altersmässig von schulpflichtig bis Rentenalter alles abdeckt, hiess mit tosendem Jubel also nicht nur alle 41 Bands der kommenden drei Tage willkommen, sondern auch sich selbst. Dem grossen „Miteinander“ stand nichts mehr im Weg. Sogar das Wetter spielte für Greenfield-Verhältnisse enorm gut mit!



Asking Alexandria
Der bärtige Mann am Mikro machte als erstes einmal auf sich aufmerksam, indem er elegant seinen Naseninhalt auf der Hauptbühne verteilte. Nun, ein erster guter Eindruck sieht anders aus, aber zum Glück machte der Fünfer aus York (England) auch noch Musik. Bei sommerlichen Temperaturen versuchten Asking Alexandria ihren Metalcore unters Volk zu bringen, was nur stellenweise gelang. Die treuen Anhänger hatten sich natürlich schon vor der Bühne versammelt, um ihren Idolen Tribut zu zollen, aber viele Zuschauer blieben lieber im Schatten und lauschten aus der Ferne. Der Sound allerdings stimmte vom Anfang bis zum Ende, und sie hinterliessen nach knapp einer Stunde geballter Core-Power einen guten Eindruck, der mit viel Applaus goutiert wurde.


Bury Tomorrow
Die Metalcore-Titanen von Bury Tomorrow legten später am Abend derart wuchtig los, dass auch die letzten Verkaterten vor der Eiger-Stage aus dem Schlaf gerissen wurden. Sänger und Bandgründer Daniel Winter-Bates nahm die Bühne völlig ein und heizte das Publikum regelrecht an, ihm zu folgen. Die Masse gehorchte sehr zur Freude des Frontmanns. Erst in Lederjacke, anschliessend im Obituary-Shirt eroberte er sich auch die Fans der noch härteren Musik, zumindest für diesen Gig. Wie so oft bei Metalcore-Konzerten, waren die vordersten Reihen den weiblichen Fans vorbehalten, die ihre Idole anschmachteten. Song um Song peitschten die Engländer dem Publikum um die Ohren, das hinsichtlich dieses Genres bis dato noch nicht übersättigt war. Bury Tomorrow gehörten an diesem Festival zu der Sorte Band, der man auch nach dem Verlassen der Bühne gerne noch weiter zugehört hätte. Und die gab es nicht im Übermass.


Parkway Drive
Grosse Erwartungen hatte ich persönlich an die australische Truppe von Parkway Drive. Hatten sie sich doch über die letzten Jahre eine stolze Fangemeinde und viele gute Kritiken erspielt. Auch in den letzten Jahren am Greenfield-Festival gehörten sie oft zu den garantierten Top-Acts. In diesem Jahr wollte der Funke nicht so richtig überspringen. Ihre Show war zugegeben gigantisch, doch ihr Sound war irgendwie lahm und drucklos. Sie spielten vermehrt schleppende Stücke, bei denen das Publikum nicht wirklich in Fahrt kam. Wenn dann Power reinkam, merkte man dies auch den Fans an, die so richtig mitgingen. Allzu oft traten Parkway Drive dann wieder auf die Bremse, was für eine knackige Grundstimmung eher von Nachteil war. Trotzdem erhielten sie von vielen aus der Menge brav Zuspruch applaudiert, den sie zumindest für ihre Licht- und Nebelshow auch verdient hatten. Für mich wars das mit Metalcore und ich setzte meine Hoffnungen in die Schlussband des Tages – Dreamshade.

Dreamshade
Grosse Erwartungen hatte ich an die Schweizer Formation von Dreamshade. Sie spielten am Abend spät auf der Eiger-Stage und seit dem Album «The Gift Of Life» habe ich ihren Weg mehr oder weniger interessiert verfolgt. Ich war mir bewusst, dass sich mit dem letzten Album viel verändert hat, aber dass sie nun auch mehr eine Metalcore-Kombo geworden sind, erstaunte mich dann doch ein wenig. Sie legten heftig los und zeigten ordentlich Spielfreude, aber die Stimme des Sängers irritierte mich von Anfang an. Wo sind die Screams à la Children Of Bodom geblieben? Teilweise fast dem Sprechgesang verfallen und dann auch die optische Aufmache von Sänger Kevin Cali liess mich etwas konsterniert zurück. Der Sound war gut und den Leuten auf dem Feld gefiel die Darbietung der Tessiner, aber ich musste mich zur Hälfte des Konzerts zurück ziehen, um eine weitere Schweizer Nachwuchshoffnung zu begraben.

Nebenschauplatz
Nicht nur auf der Bühne gab es einiges zu sehen, sondern rund ums Festivalgelände wurden neue Geschütze aufgefahren. So diente ein umgebauter Kühlcontainer als Ice-Bar und die Wiese des Greenfield beheimatete ein Mittelalterdorf mit eigenem Markt. Dies bot Abwechslung zum regulären Festivaltrubel, und auch die Zeit schien dort fast still zu stehen.



Arch Enemy
Endlich! Freitag waren meine persönlichen Favoriten von Arch Enemy an der Reihe. Zwar etwas früh am Abend, dafür war das Licht umso optimaler. Die Bühne in Rauch gehüllt, betraten die Herren der Schöpfung bereits einmal die Bühne, und zum Schluss folgte Energiebündel und Frontröhre Alissa White-Gluz. Die Bühnenpräsenz war ihr von Anfang an sicher, und sie hatte das Publikum vom ersten Ton an Fest im Griff. Bei «Ravenous» hatten auch die Letzten in der Reihe geschnallt, dass es vor der Hauptbühne die volle Dröhnung Metal gibt. Showtechnisch lieferten die Schweden dem Publikum eine ganze Menge. Die Gitarrenfraktion mit Michael Amott und Jeff Loomis stand immer wieder schön für Soloeinlagen zusammen und liess die Haare vor dem Ventilator fliegen. Alissa sprang, trat und schwang ihre frisch gefärbte türkisweisse Mähne, wenn sie nicht gerade die Texte ins Mikro brüllte. Der Mix aus altem und neuem Songmaterial war gut gewählt, das Set aber mit einer Stunde Spielzeit eindeutig zu kurz. Das Publikum liebte, was es zu sehen und zu hören bekam. Auch wenn ich in Bezug auf Arch Enemy vielleicht etwas voreingenommen bin, gehörte die Truppe zum musikalisch Besten, was den vielen Ohren am Festival geboten wurde.

Korpiklaani
Die finnischen Folkrocker von Korpiklaani spielten am Sonntagnachmittag auf der Hauptbühne, die für die Finnen aber irgendwie zu gross schien. Die Band genoss zwar den Platz um sich frei bewegen zu können, aber da sie kaum Showeinlagen boten, wirkten sie etwas verloren dort oben. Korpiklaani schien dies aber nicht zu stören, denn sie legten reine Spielfreude an den Tag und nüchtern wirkten sie alle auch noch. Natürlich wurde einiges vom neuesten Album «Noita» zum Besten gegeben, das aber den wenigsten im Publikum bekannt war, und so forderte es zwischendurch immer wieder Hits wie «Beer, Beer» oder «Vodka». Letzteres spielten sie dann wirklich auch noch, aber die Fans mussten sich dafür bis zum letzten Song des Konzerts gedulden. Wer wach und in Tanzlaune war, bekam aber zu den bekannten Humpa-Klängen die volle Ladung und konnte das Konzert der Finnen mehr als geniessen.

Eisbrecher
Positiv überrascht haben mich an diesem Tag die deutschen Eisbrecher. Eigentlich standen sie für den Livebericht gar nicht auf meiner Liste, aber ich hatte Zeit und Lust auf etwas Neues. Der Sound war fett und dröhnte ganz ordentlich aus den Lautsprechern, sodass der Funke auch noch in den hinteren Reihen übersprang. Sänger und Entertainer Alexander „Alexx“ Wesselsky hatte zwischen den Songs immer eine kurze Anekdote aus Gesellschaft, Politik oder einen Schwank aus seinem Leben parat. Die Show der Deutschen war ebenfalls sehr abwechslungsreich, denn nebst Schnee und Feuer zu produzieren, haben sie sich verkleidet und diverse showtechnische Utensilien auf die Bühne gekarrt. Sympathisch und auf ganzer Linie professionell hinterliessen die Industrial-Rocker einen aussergewöhnlich positiven Eindruck am Festival.

Bullet For My Valentine
Mit den Walisern von Bullet For My Valentine ist das immer so eine Sache. Lange im Geschäft und der Name ist doch einer grossen Mehrheit bekannt. Sie haben noch gerade vor dem angekündigten Regenguss ihren Auftritt begonnen und dies direkt und mit viel Schmackes. Die ersten Titel waren noch durchwegs zum Kopfschütteln aber je weiter sich das Konzert hinzog, desto mehr neues Material wurde gespielt und das geht leider nicht mehr ganz in die „Back To The Roots“-Richtung, sondern vermehrt in die Sparte Mainstream. Matthew Tuck's Stimme macht zeitweilen ihre Songs monoton und wenig spannend. Glücklicherweise ist sein Gitarrenkollege noch für garstige Screams zuständig und sich auch nicht zu fein dafür, diese immer wieder einzusetzen. Dadurch war die Show alles in allem gar nicht so schlecht, denn besser als eine Schlagerkappelle sind sie alleweil, und mit einem Bierchen dazu war es ein echt gelungener Auftritt.

The Offspring
Für die wohl grösste Überraschung sorgten an diesem Wochenende die Ur-Punker von Offspring. Legendär sind ihre Hits «Self Esteem», «Pretty Fly (For A White Guy)» und «Why Don't You Get A Job?» und die scheinen auch noch zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen zu funktionieren. The Offspring vermochten die ältere und jüngere Generation am Greenfield zu vereinen und mit ihnen Party zu machen. Der Regen ergoss sich ziemlich rücksichtslos über dem Festivalgelände, aber dem Publikum schien dies nichts anzuhaben. Die Massen tanzten und sangen bis in die hinteren Reihen bei den Essensständen, was dann doch schon was heissen will. Die Punker hatten sichtlich Spass an ihrem Auftritt und das Publikum auch. The Offspring waren in Höchstform und konnten den Fans das bieten, was von ihnen erwartet wurde – eine geile Party!

Volbeat
Danach wurde es etwas bitter für die Dänen von Volbeat. Ihr klassischer Mix aus Metal, Punk und Country vermochte die Menge nicht mehr wirklich zu überzeugen. Klar standen noch etliche Leute vor der Hauptbühne, um ihre Lieblinge live zu sehen, aber wer die Stimmung zuvor bei The Offspring miterlebt hatte, der sah den Unterschied. Man harrte im Regen der Dinge die da noch kommen, und zwischenzeitlich fragte manch einer, ob Volbeat den soeben aktuellen Titel nicht schon gespielt hätten. Es machte sich ein Einheitsbrei über dem Gelände breit, der einfach nicht zu ignorieren war. Ausser dass Gitarrist Rob Caggiano keine Häkelkappe mehr trug, sondern neuerdings eine Brian Johnson Gedächtnismütze sein Haupt zierte, gab es keine wirklich auffallenden Neuerungen oder Überraschungen in der Show des Quartetts. Somit entschied ich mich zur Hälfte des Konzerts hin, die Zeremonie frühzeitig zu verlassen und mir eine Mütze Schlaf zu gönnen.

Mit 72'000 Besuchern war das diesjährige Greenfield-Festival trotz der erneuten Reduktion auf nur zwei Bühnen das bisher bestbesuchte aller Zeiten. Die Gothic-Stage hatte nicht die gewünschte Wirkung und so wurde sie kurzerhand wegrationalisiert. Somit ging eine der erfolgreichsten Festival-Ausgaben in guter Stimmung und friedlich zu Ende. Das Greenfield 2019 wird vom 13. - 15. Juni stattfinden.