„Heilige Maria, Mutter Gottes“ mag sich mancher Metal-Fan erst
einmal beim Betrachten des Greenfield Line-Up's gedacht haben, denn
die wirklich grossen Namen fehlten auch in diesem Jahr. Natürlich
gehören The Prodigy, Limp Bizkit und Volbeat zu den Grossen oder
haben zumindest noch vor Jahren zu den ganz Grossen gehört. Wie dem
auch sei, musikalisch gesehen gehört auch die 2018er Ausgabe des
Festivals den „kleinen“ Bands, die ganz oft den Platzhirschen mit
der attraktivsten Spielzeit den Rang abliefen. Zumindest habe ich es
so empfunden, was natürlich im Gesamtpaket nicht ins Gewicht fällt.
Das Publikum, das altersmässig von schulpflichtig bis Rentenalter
alles abdeckt, hiess mit tosendem Jubel also nicht nur alle 41 Bands
der kommenden drei Tage willkommen, sondern auch sich selbst. Dem
grossen „Miteinander“ stand nichts mehr im Weg. Sogar das Wetter
spielte für Greenfield-Verhältnisse enorm gut mit!
Asking Alexandria Der bärtige Mann am Mikro
machte als erstes einmal auf sich aufmerksam, indem er elegant
seinen Naseninhalt auf der Hauptbühne verteilte. Nun, ein erster
guter Eindruck sieht anders aus, aber zum Glück machte der Fünfer aus
York (England) auch noch Musik. Bei sommerlichen Temperaturen
versuchten Asking Alexandria ihren Metalcore unters Volk zu bringen,
was nur stellenweise gelang. Die treuen Anhänger hatten sich
natürlich schon vor der Bühne versammelt, um ihren Idolen Tribut zu
zollen, aber viele Zuschauer blieben lieber im Schatten und lauschten
aus der Ferne. Der Sound allerdings stimmte vom Anfang bis zum Ende,
und sie hinterliessen nach knapp einer Stunde geballter Core-Power
einen guten Eindruck, der mit viel Applaus goutiert wurde.
Bury Tomorrow
Die Metalcore-Titanen von Bury Tomorrow legten später am Abend
derart wuchtig los, dass auch die letzten Verkaterten vor
der Eiger-Stage aus dem Schlaf gerissen wurden. Sänger und
Bandgründer Daniel Winter-Bates nahm die Bühne völlig ein und heizte
das Publikum regelrecht an, ihm zu folgen. Die Masse gehorchte sehr
zur Freude des Frontmanns. Erst in Lederjacke, anschliessend im
Obituary-Shirt eroberte er sich auch die Fans der noch härteren
Musik, zumindest für diesen Gig. Wie so oft bei Metalcore-Konzerten,
waren die vordersten Reihen den weiblichen Fans vorbehalten, die
ihre Idole anschmachteten. Song um Song peitschten die Engländer dem
Publikum um die Ohren, das hinsichtlich dieses Genres bis dato noch
nicht übersättigt war. Bury Tomorrow gehörten an diesem Festival zu
der Sorte Band, der man auch nach dem Verlassen der Bühne gerne noch
weiter zugehört hätte. Und die gab es nicht im Übermass.
Parkway Drive Grosse Erwartungen hatte ich
persönlich an die australische Truppe von Parkway Drive. Hatten sie
sich doch über die letzten Jahre eine stolze Fangemeinde und viele
gute Kritiken erspielt. Auch in den letzten Jahren am
Greenfield-Festival gehörten sie oft zu den garantierten Top-Acts.
In diesem Jahr wollte der Funke
nicht so richtig überspringen. Ihre Show war zugegeben gigantisch,
doch ihr Sound war irgendwie lahm und drucklos. Sie spielten
vermehrt schleppende Stücke, bei denen das Publikum nicht wirklich
in Fahrt kam. Wenn dann Power reinkam, merkte man dies auch den Fans
an, die so richtig mitgingen. Allzu oft traten Parkway Drive dann
wieder auf die Bremse, was für eine knackige Grundstimmung eher von
Nachteil war. Trotzdem erhielten sie von vielen aus der Menge brav
Zuspruch applaudiert, den sie zumindest für ihre Licht- und
Nebelshow auch verdient hatten. Für mich wars das mit Metalcore und
ich setzte meine Hoffnungen in die Schlussband des Tages –
Dreamshade.
Dreamshade Grosse Erwartungen hatte ich an die
Schweizer Formation von Dreamshade. Sie spielten am Abend spät auf
der Eiger-Stage und seit dem Album «The Gift Of Life» habe ich ihren
Weg mehr oder weniger interessiert verfolgt. Ich war mir bewusst,
dass sich mit dem letzten Album viel verändert hat, aber dass sie nun
auch mehr eine Metalcore-Kombo geworden sind, erstaunte mich dann
doch ein wenig. Sie legten heftig los und zeigten ordentlich
Spielfreude, aber die Stimme des Sängers irritierte mich von Anfang
an. Wo sind die Screams à la Children Of Bodom geblieben? Teilweise
fast dem Sprechgesang verfallen und dann auch die optische Aufmache
von Sänger Kevin Cali liess mich etwas konsterniert zurück. Der
Sound war gut und den Leuten auf dem Feld gefiel die Darbietung der
Tessiner, aber ich musste mich zur Hälfte des Konzerts zurück ziehen,
um eine weitere Schweizer Nachwuchshoffnung zu begraben.
Nebenschauplatz Nicht nur auf der Bühne gab es einiges zu
sehen, sondern rund ums Festivalgelände wurden neue Geschütze
aufgefahren. So diente ein umgebauter Kühlcontainer als Ice-Bar und
die Wiese des Greenfield beheimatete ein Mittelalterdorf mit eigenem
Markt. Dies bot Abwechslung zum regulären Festivaltrubel, und auch
die Zeit schien dort fast still zu stehen.
Arch Enemy Endlich! Freitag waren meine
persönlichen Favoriten von Arch Enemy an der Reihe. Zwar etwas früh
am Abend, dafür war das Licht umso optimaler. Die Bühne in Rauch
gehüllt, betraten die Herren der Schöpfung bereits einmal die Bühne,
und zum Schluss folgte Energiebündel und Frontröhre Alissa
White-Gluz. Die Bühnenpräsenz war ihr von Anfang an sicher, und sie
hatte das Publikum vom ersten Ton an Fest im Griff. Bei «Ravenous»
hatten auch die Letzten in der Reihe geschnallt, dass es vor der
Hauptbühne die volle Dröhnung Metal gibt. Showtechnisch lieferten
die Schweden dem Publikum eine ganze Menge. Die Gitarrenfraktion mit
Michael Amott und Jeff Loomis stand immer wieder schön für
Soloeinlagen zusammen und liess die Haare vor dem Ventilator
fliegen. Alissa sprang, trat und schwang ihre frisch gefärbte
türkisweisse Mähne, wenn sie nicht gerade die Texte ins Mikro
brüllte. Der Mix aus altem und neuem Songmaterial war gut gewählt,
das Set aber mit einer Stunde Spielzeit eindeutig zu kurz. Das
Publikum liebte, was es zu sehen und zu hören bekam. Auch wenn ich
in Bezug auf Arch Enemy vielleicht etwas voreingenommen bin, gehörte
die Truppe zum musikalisch Besten, was den vielen Ohren am Festival
geboten wurde.
Korpiklaani
Die finnischen Folkrocker von Korpiklaani spielten am
Sonntagnachmittag auf der Hauptbühne, die für die Finnen aber
irgendwie zu gross schien. Die Band genoss zwar den Platz um sich
frei bewegen zu können, aber da sie kaum Showeinlagen boten, wirkten
sie etwas verloren dort oben. Korpiklaani schien dies aber nicht zu
stören, denn sie legten reine Spielfreude an den Tag und nüchtern
wirkten sie alle auch noch. Natürlich wurde einiges vom neuesten
Album «Noita» zum Besten gegeben, das aber den wenigsten im
Publikum bekannt war, und so forderte es zwischendurch immer wieder
Hits wie «Beer, Beer» oder «Vodka». Letzteres spielten sie dann
wirklich auch noch, aber die Fans mussten sich dafür bis zum letzten
Song des Konzerts gedulden. Wer wach und in Tanzlaune war, bekam
aber zu den bekannten Humpa-Klängen die volle Ladung und konnte das
Konzert der Finnen mehr als geniessen.
Eisbrecher
Positiv überrascht haben mich an diesem Tag die deutschen
Eisbrecher. Eigentlich standen sie für den Livebericht gar nicht auf
meiner Liste, aber ich hatte Zeit und Lust auf etwas Neues. Der Sound
war fett und dröhnte ganz ordentlich aus den Lautsprechern, sodass
der Funke auch noch in den hinteren Reihen übersprang. Sänger und
Entertainer Alexander „Alexx“ Wesselsky hatte zwischen den Songs
immer eine kurze Anekdote aus Gesellschaft, Politik oder einen Schwank
aus seinem Leben parat. Die Show der Deutschen war ebenfalls sehr
abwechslungsreich, denn nebst Schnee und Feuer zu produzieren, haben
sie sich verkleidet und diverse showtechnische Utensilien auf die
Bühne gekarrt. Sympathisch und auf ganzer Linie professionell
hinterliessen die Industrial-Rocker einen aussergewöhnlich positiven
Eindruck am Festival.
Bullet For My Valentine
Mit den Walisern von Bullet For My Valentine ist das immer so eine
Sache. Lange im Geschäft und der Name ist doch einer grossen
Mehrheit bekannt. Sie haben noch gerade vor dem angekündigten
Regenguss ihren Auftritt begonnen und dies direkt und mit viel
Schmackes. Die ersten Titel waren noch durchwegs zum Kopfschütteln
aber je weiter sich das Konzert hinzog, desto mehr neues Material
wurde gespielt und das geht leider nicht mehr ganz in die „Back To
The Roots“-Richtung, sondern vermehrt in die Sparte Mainstream.
Matthew Tuck's Stimme macht zeitweilen ihre Songs monoton und wenig
spannend. Glücklicherweise ist sein Gitarrenkollege noch für
garstige Screams zuständig und sich auch nicht zu fein dafür, diese
immer wieder einzusetzen. Dadurch war die Show alles in allem gar
nicht so schlecht, denn besser als eine Schlagerkappelle sind sie
alleweil, und mit einem Bierchen dazu war es ein echt gelungener
Auftritt.
The Offspring Für die wohl grösste Überraschung
sorgten an diesem Wochenende die Ur-Punker von Offspring. Legendär
sind ihre Hits «Self Esteem», «Pretty Fly (For A White Guy)» und
«Why Don't You Get A Job?» und die scheinen auch noch zwanzig Jahre
nach ihrem Erscheinen zu funktionieren. The Offspring vermochten die
ältere und jüngere Generation am Greenfield zu vereinen und mit
ihnen Party zu machen. Der Regen ergoss sich ziemlich rücksichtslos
über dem Festivalgelände, aber dem Publikum schien dies nichts
anzuhaben. Die Massen tanzten und sangen bis in die hinteren Reihen
bei den Essensständen, was dann doch schon was heissen will. Die
Punker hatten sichtlich Spass an ihrem Auftritt und das Publikum
auch. The Offspring waren in Höchstform und konnten den Fans das
bieten, was von ihnen erwartet wurde – eine geile Party!
Volbeat Danach wurde es etwas bitter für die
Dänen von Volbeat. Ihr klassischer Mix aus Metal, Punk und Country
vermochte die Menge nicht mehr wirklich zu überzeugen. Klar standen
noch etliche Leute vor der Hauptbühne, um ihre Lieblinge live zu sehen,
aber wer die Stimmung zuvor bei The Offspring miterlebt hatte, der
sah den Unterschied. Man harrte im Regen der Dinge die da noch
kommen, und zwischenzeitlich fragte manch einer, ob Volbeat den
soeben aktuellen Titel nicht schon gespielt hätten. Es machte sich
ein Einheitsbrei über dem Gelände breit, der einfach nicht zu
ignorieren war. Ausser dass Gitarrist Rob Caggiano keine Häkelkappe
mehr trug, sondern neuerdings eine Brian Johnson Gedächtnismütze
sein Haupt zierte, gab es keine wirklich auffallenden Neuerungen
oder Überraschungen in der Show des Quartetts. Somit entschied ich
mich zur Hälfte des Konzerts hin, die Zeremonie frühzeitig zu
verlassen und mir eine Mütze Schlaf zu gönnen.
Mit
72'000 Besuchern war das diesjährige Greenfield-Festival trotz der
erneuten Reduktion auf nur zwei Bühnen das bisher bestbesuchte aller
Zeiten. Die Gothic-Stage hatte nicht die gewünschte Wirkung und so
wurde sie kurzerhand wegrationalisiert. Somit ging eine der
erfolgreichsten Festival-Ausgaben in guter Stimmung und friedlich zu
Ende. Das Greenfield 2019 wird vom 13. - 15. Juni stattfinden.
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