Dass die Mehrheit der Metaller
unwahrscheinlich soziale Menschen sind muss ich euch, die ihr diese
Zeilen lest, sicherlich nicht erzählen. Dennoch ist es immer wieder
mehr als lobenswert, wenn man sich im Rahmen von Konzerten etc. für
eine gute Sache einsetzt. Dies gilt auch für das ‚Guitars Against
Cancer’ - Festival, das dieses Jahr zum zweiten Mal stattfand, um
für Knochenmark-krebskranke Menschen Geld zu sammeln. Lag der
Austragungsort letztes Jahr noch im C4 in Islikon, wählte man nun
einen etwas zentraleren, wenn auch nicht gerade optimalen Ort,
nämlich den Kulturmarkt in Zürich. Neben einer ausgefallenen
Metal-Tombola (wo sonst kann man Met, CDs, Shirts oder schicke
Gothic-Accessoires per Los gewinnen?) gab es da vor allem gute Musik
zu bestaunen, und zwar in Form von fünf hochkarätigen Schweizer
Metalkapellen, u. a. die Thrash-Veteranen Drifter, die Rotzrocker
Backwash oder die gnadenlosen Deather Disparaged. Fünf mal Schweizer
Metal also, wie er abwechslungsreicher nicht sein könnte, verbunden
durch ein Ziel, Gutes zu bewirken, wie es sich gehört und dazu noch
zu rocken was das Zeug hält - soziales Engagement kann durchaus
Spass machen...
Citizen Hell
Den Startschuss zum munteren Benefizrocken gaben mit ein wenig
Verspätung Citizen Hell ab, die Nachfolgeband von Eisenhower. Vor
ca. 40 zahlenden Gästen und wohl gerade so vielen Helfern schrummte
der Fünfer ihren etwas verschrobenen Mix aus Trash, Death und Doom
Metal hinunter, wobei vor allem Sänger Lori Livers zu verwundern
wusste: Erinnerte er doch zu Beginn irgendwie an Herrn Schmier von
Destruction, konnte er auch gleich mal einen rauen Dio machen oder
Assoziationen an Chris Boltendahl von Grave Digger erinnern. Alle
Saiteninstrumente hingegen waren zeitweise so gut wie gar nicht zu
vernehmen, und auch rein optisch wirkten Gitarrist Mischa Frei und
Bassist Andy Füglistaler im Vergleich zu Livers, der keine Pose
ausliess, gar fade, standen sie doch meist nur gelangweilt scheinend
herum. Dazu noch die Ungenauigkeit, und schon fragte man sich,
weswegen ein solch variabler Sänger dort singen tut.
Backwash
Wie man es machen sollte, das zeigten anschliessend die Jungs von
Backwash: Die Zürcher Sleaze-Rocker, die mit ‚Kick Ass!’ jüngst ihre
erste offizielle Scheibe vom Stapel liessen, rockten während ihrer
Stunde Spielzeit, was das Zeug hielt und liessen die goldene
Poser-Ära auferstehen. Während so Rhythmusgitarrist Notter den
besoffenen Clown im Leopardenmantel spielte, gab sich Lead-Klampfer
Volli mysteriös und Sänger Bob Spring könnte sowieso als Schweizer Steven
Taylor durchgehen, nicht nur wegen riesiger, tiefschwarzer
Sonnenbrille und dem lasziven Mikroständer-Tänzeln/-Dranhängen,
sondern auch stimmlich. So verwunderte es nicht, dass zu Songs wie ‚She’s
Rock ’N’ Roll’, ‚No Gun, No Fun’ oder ‚Hollywood’ und dem
spielfreudigen, spontanen und (durch Alkohol?) gelösten Stage-Acting
die grösste Partystimmung des Abends herrschte, dies nicht zuletzt
wegen dem ziemlich klaren Sound und den amüsanten, fast
Storace-tauglichen Zwischenbemerkungen von Bob, der vor den hundert,
zwar nicht wild, aber doch immerhin feiernden Zuschauern vor ‚One More Dollar’ offen zugab, dass Musik machen an sich zwar schon
spassig, damit aber auch noch Geld zu verdienen doch besser sei ("Choufit
üsi neui CD, mer bruuche Gäld!").
Apokatastasia
Dass es die progressiven Instrumentalmetaller von Apokatastasia
danach schwer haben würden, schien mir ausser
Zweifel. Und das Gefühl täuschte mich nicht, zwar befanden sich doch
einige Fans der Truppe im Publikum, welches nun wohl seinen
Höchststand von etwa 120 Leuten erreicht haben durfte, dennoch
konnte der Fünfer um Frontcellist Dave mit ihren sperrigen
Komposition nur einen Teil der Anwesenden fesseln. Dabei verblüfften
die allesamt noch ziemlich jung wirkenden Musiker zwar durch
perfekte Technik und glasklaren Sound, dass die Songs jedoch zu 95 %
instrumental (während 5 % keifte Frontmann Dave sinnlos ins Mikro)
waren und im Schnitt doch so um die 8 Minuten dauern dürften, wirkte
schon dämpfend auf das Mitmachen des Publikums. Dabei ist es ja auch
verständlich, dass bei technisch schwierigem Material der Schädel
nicht im Dauerpropeller rotieren muss, ein wenig Bewegung hätte der
Stimmung aber sicherlich nicht geschadet, wirkten Apokatastasia doch
zu oft ziemlich statisch. Respekt für das Können, aber wenn man das
Material nicht kennt, ist es bei diesen Jungs schwierig, am Ball zu
bleiben. Was sie nicht daran hinderte, ihre Spielzeit um gut 5
Minuten zu überziehen, da doch wenigstens einige Fans nach einer
Zugabe, nämlich ‚Greek Fire’, verlangten.
Drifter
Nicht immer genau, dafür voller Energie und in bester Metallaune
waren dagegen Drifter. Die Zürcher Kultcombo aus den späten 80ern,
die Anfang 2006 ihr grandioses Comeback feiern durfte, gab von
Anfang an Vollgas. Zwar fiel sofort auf, dass auch der rauhe old
school-Sound, eine Mischung aus Thrash und US-Power Metal, nicht
allen Beteiligten zusagte, was bei einer solchen Verschiedenheit der
Stilrichtung natürlich vorherzusehen war. Doch vermochte nur schon
die Power, welche die älteren Herren hier entfesselten, ohne
Weiteres mitreissen. Flankiert vom Gitarrenduo Peter Wolff und Ivano
Marcon warf sich Frontmann
Tommy Lion in alle erdenklichen Posen, riss eine Grimasse nach der
anderen und wirkte nicht selten wie ein ausgebrochener Patient einer
Nervenheilanstalt. Dazu bangte sich Drummer Bruno Naef hintern den
Kesseln das Gehirn weg (was dank seinen Kontaktlinsen nun ohne
Probleme verläuft), und auch der neue Mann am Viersaiter, Gabor
Szabo, für welchen es an diesem Abend das Debut gewesen sein dürfte,
zeigte sich um einiges agiler und spielfreudiger als sein Vorgänger.
Doch natürlich haben Drifter auch musikalisch etwas zu bieten, und
so feuerte das Quintett einen Bandklassiker nach dem anderen ab: ‚Stronzium
Dog’, ‚Highlander’, ‚Banners On The Battlefield’ oder das grandiose
‚Reality Turns To Dust’ waren nur einige davon. Obwohl nur wenige
Zuschauer richtig zu diesen Thrash-Granaten abfeierten, schien die
Truppe den Auftritt doch sichtlich zu geniessen, und so stieg Lion
kurzerhand ins Publikum hinunter und feierte mit ihm, während er die
neue Scheibe der Band anpries, welche Raritäten, B-Sides und
Demoversionen enthält. Wohl ungewollt klang dann auch der Sound
richtig nach 80ern, will heissen etwas dünn, scheppernd und richtig
thrashig. Solche Auftritte machen Appetit auf mehr Leute, also macht
mal vorwärts mit einer neuen Scheibe!
Disparaged
Nach dieser Retro-Vorstellung ging’s wieder zurück in die Gegenwart:
High-Speed Brutal-Death war angesagt, und zwar unter dem Banner von
Disparaged, sicherlich einer der vielversprechendsten Schweizer
Combos überhaupt, haben sie doch mit ihrer letzten Scheibe ‚Blood
Source’ ein Stück gnadenlosen Death Metals abgeliefert, das sich im
internationalen Vergleich nicht im Geringsten zu verstecken braucht.
Gnadenlos war dann auch ihr Auftritt: Technisch makellos und ohne
eine Miene zu verziehen ratterte das Quartett ihren raketenschnellen
Todesblei hinunter, gerade so, als würde es kein Morgen mehr
geben. Dazu fanden sich auch wieder mehr Leute ein als vorhin bei
Drifter, und so sah man wieder vermehrt bangende Köpfe, was bei
diesem Tempo eine echte Herausforderung darstellte. Wegen des
Doppelgesanges von Basser Ralph und Klampfers Tom fand diese
Bewegung auf der Bühne leider nicht wirklich statt, und so setzten
Disparaged eher auf musikalische Perfektion als auf mitreissende
Performance. Dazwischen ergriff Ralf die Gelegenheit, abschliessend
den ganzen Organisatoren zu danken und widmete diesen Auftritt
seiner, auch an Krebs verstorbenen, Schwägerin. Zwar sind Songs wie
‚Testify’, ‚Overlust’ oder ‚Banished’ nicht wirklich
abwechslungsreich, zum exzessiven Kopfschütteln taugen sie aber
allemal, und so bescherten Disparaged mit ihrem professionellen,
aber etwas distanzierten Auftreten dem einen oder anderen Zuschauer
sicherlich Nackenschmerzen am anderen Tag, wobei auch hier, wie am
ganzen Abend, nicht wirklich Euphorie herrschte, was sicherlich
nicht an den Akteuren, sondern vielmehr am bunt durchmischten
Publikum und der Location lag.
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