Livereview: Guitars vs. Cancer: Disparaged - Drifter
                      Apokastasia - Backwash - Citizen Hell
25. November 2006, Kulturmarkt Zürich
By Kissi
Dass die Mehrheit der Metaller unwahrscheinlich soziale Menschen sind muss ich euch, die ihr diese Zeilen lest, sicherlich nicht erzählen. Dennoch ist es immer wieder mehr als lobenswert, wenn man sich im Rahmen von Konzerten etc. für eine gute Sache einsetzt. Dies gilt auch für das ‚Guitars Against Cancer’ - Festival, das dieses Jahr zum zweiten Mal stattfand, um für Knochenmark-krebskranke Menschen Geld zu sammeln. Lag der Austragungsort letztes Jahr noch im C4 in Islikon, wählte man nun einen etwas zentraleren, wenn auch nicht gerade optimalen Ort, nämlich den Kulturmarkt in Zürich. Neben einer ausgefallenen Metal-Tombola (wo sonst kann man Met, CDs, Shirts oder schicke Gothic-Accessoires per Los gewinnen?) gab es da vor allem gute Musik zu bestaunen, und zwar in Form von fünf hochkarätigen Schweizer Metalkapellen, u. a. die Thrash-Veteranen Drifter, die Rotzrocker Backwash oder die gnadenlosen Deather Disparaged. Fünf mal Schweizer Metal also, wie er abwechslungsreicher nicht sein könnte, verbunden durch ein Ziel, Gutes zu bewirken, wie es sich gehört und dazu noch zu rocken was das Zeug hält - soziales Engagement kann durchaus Spass machen...

Citizen Hell
Den Startschuss zum munteren Benefizrocken gaben mit ein wenig Verspätung Citizen Hell ab, die Nachfolgeband von Eisenhower. Vor ca. 40 zahlenden Gästen und wohl gerade so vielen Helfern schrummte der Fünfer ihren etwas verschrobenen Mix aus Trash, Death und Doom Metal hinunter, wobei vor allem Sänger Lori Livers zu verwundern wusste: Erinnerte er doch zu Beginn irgendwie an Herrn Schmier von Destruction, konnte er auch gleich mal einen rauen Dio machen oder Assoziationen an Chris Boltendahl von Grave Digger erinnern. Alle Saiteninstrumente hingegen waren zeitweise so gut wie gar nicht zu vernehmen, und auch rein optisch wirkten Gitarrist Mischa Frei und Bassist Andy Füglistaler im Vergleich zu Livers, der keine Pose ausliess, gar fade, standen sie doch meist nur gelangweilt scheinend herum. Dazu noch die Ungenauigkeit, und schon fragte man sich, weswegen ein solch variabler Sänger dort singen tut.

Backwash
Wie man es machen sollte, das zeigten anschliessend die Jungs von Backwash: Die Zürcher Sleaze-Rocker, die mit ‚Kick Ass!’ jüngst ihre erste offizielle Scheibe vom Stapel liessen, rockten während ihrer Stunde Spielzeit, was das Zeug hielt und liessen die goldene Poser-Ära auferstehen. Während so Rhythmusgitarrist Notter den besoffenen Clown im Leopardenmantel spielte, gab sich Lead-Klampfer Volli mysteriös und Sänger Bob Spring könnte sowieso als Schweizer Steven Taylor durchgehen, nicht nur wegen riesiger, tiefschwarzer Sonnenbrille und dem lasziven Mikroständer-Tänzeln/-Dranhängen, sondern auch stimmlich. So verwunderte es nicht, dass zu Songs wie ‚She’s Rock ’N’ Roll’, ‚No Gun, No Fun’ oder ‚Hollywood’ und dem spielfreudigen, spontanen und (durch Alkohol?) gelösten Stage-Acting die grösste Partystimmung des Abends herrschte, dies nicht zuletzt wegen dem ziemlich klaren Sound und den amüsanten, fast Storace-tauglichen Zwischenbemerkungen von Bob, der vor den hundert, zwar nicht wild, aber doch immerhin feiernden Zuschauern vor ‚One More Dollar’ offen zugab, dass Musik machen an sich zwar schon spassig, damit aber auch noch Geld zu verdienen doch besser sei ("Choufit üsi neui CD, mer bruuche Gäld!").

Apokatastasia
Dass es die progressiven Instrumentalmetaller von Apokatastasia danach schwer haben würden, schien mir ausser Zweifel. Und das Gefühl täuschte mich nicht, zwar befanden sich doch einige Fans der Truppe im Publikum, welches nun wohl seinen Höchststand von etwa 120 Leuten erreicht haben durfte, dennoch konnte der Fünfer um Frontcellist Dave mit ihren sperrigen Komposition nur einen Teil der Anwesenden fesseln. Dabei verblüfften die allesamt noch ziemlich jung wirkenden Musiker zwar durch perfekte Technik und glasklaren Sound, dass die Songs jedoch zu 95 % instrumental (während 5 % keifte Frontmann Dave sinnlos ins Mikro) waren und im Schnitt doch so um die 8 Minuten dauern dürften, wirkte schon dämpfend auf das Mitmachen des Publikums. Dabei ist es ja auch verständlich, dass bei technisch schwierigem Material der Schädel nicht im Dauerpropeller rotieren muss, ein wenig Bewegung hätte der Stimmung aber sicherlich nicht geschadet, wirkten Apokatastasia doch zu oft ziemlich statisch. Respekt für das Können, aber wenn man das Material nicht kennt, ist es bei diesen Jungs schwierig, am Ball zu bleiben. Was sie nicht daran hinderte, ihre Spielzeit um gut 5 Minuten zu überziehen, da doch wenigstens einige Fans nach einer Zugabe, nämlich ‚Greek Fire’, verlangten.

Drifter
Nicht immer genau, dafür voller Energie und in bester Metallaune waren dagegen Drifter. Die Zürcher Kultcombo aus den späten 80ern, die Anfang 2006 ihr grandioses Comeback feiern durfte, gab von Anfang an Vollgas. Zwar fiel sofort auf, dass auch der rauhe old school-Sound, eine Mischung aus Thrash und US-Power Metal, nicht allen Beteiligten zusagte, was bei einer solchen Verschiedenheit der Stilrichtung natürlich vorherzusehen war. Doch vermochte nur schon die Power, welche die älteren Herren hier entfesselten, ohne Weiteres mitreissen. Flankiert vom Gitarrenduo Peter Wolff und Ivano Marcon warf sich Frontmann Tommy Lion in alle erdenklichen Posen, riss eine Grimasse nach der anderen und wirkte nicht selten wie ein ausgebrochener Patient einer Nervenheilanstalt. Dazu bangte sich Drummer Bruno Naef hintern den Kesseln das Gehirn weg (was dank seinen Kontaktlinsen nun ohne Probleme verläuft), und auch der neue Mann am Viersaiter, Gabor Szabo, für welchen es an diesem Abend das Debut gewesen sein dürfte, zeigte sich um einiges agiler und spielfreudiger als sein Vorgänger. Doch natürlich haben Drifter auch musikalisch etwas zu bieten, und so feuerte das Quintett einen Bandklassiker nach dem anderen ab: ‚Stronzium Dog’, ‚Highlander’, ‚Banners On The Battlefield’ oder das grandiose ‚Reality Turns To Dust’ waren nur einige davon. Obwohl nur wenige Zuschauer richtig zu diesen Thrash-Granaten abfeierten, schien die Truppe den Auftritt doch sichtlich zu geniessen, und so stieg Lion kurzerhand ins Publikum hinunter und feierte mit ihm, während er die neue Scheibe der Band anpries, welche Raritäten, B-Sides und Demoversionen enthält. Wohl ungewollt klang dann auch der Sound richtig nach 80ern, will heissen etwas dünn, scheppernd und richtig thrashig. Solche Auftritte machen Appetit auf mehr Leute, also macht mal vorwärts mit einer neuen Scheibe!

Disparaged
Nach dieser Retro-Vorstellung ging’s wieder zurück in die Gegenwart: High-Speed Brutal-Death war angesagt, und zwar unter dem Banner von Disparaged, sicherlich einer der vielversprechendsten Schweizer Combos überhaupt, haben sie doch mit ihrer letzten Scheibe ‚Blood Source’ ein Stück gnadenlosen Death Metals abgeliefert, das sich im internationalen Vergleich nicht im Geringsten zu verstecken braucht. Gnadenlos war dann auch ihr Auftritt: Technisch makellos und ohne eine Miene zu verziehen ratterte das Quartett ihren raketenschnellen Todesblei hinunter, gerade so, als würde es kein Morgen mehr geben. Dazu fanden sich auch wieder mehr Leute ein als vorhin bei Drifter, und so sah man wieder vermehrt bangende Köpfe, was bei diesem Tempo eine echte Herausforderung darstellte. Wegen des Doppelgesanges von Basser Ralph und Klampfers Tom fand diese Bewegung auf der Bühne leider nicht wirklich statt, und so setzten Disparaged eher auf musikalische Perfektion als auf mitreissende Performance. Dazwischen ergriff Ralf die Gelegenheit, abschliessend den ganzen Organisatoren zu danken und widmete diesen Auftritt seiner, auch an Krebs verstorbenen, Schwägerin. Zwar sind Songs wie ‚Testify’, ‚Overlust’ oder ‚Banished’ nicht wirklich abwechslungsreich, zum exzessiven Kopfschütteln taugen sie aber allemal, und so bescherten Disparaged mit ihrem professionellen, aber etwas distanzierten Auftreten dem einen oder anderen Zuschauer sicherlich Nackenschmerzen am anderen Tag, wobei auch hier, wie am ganzen Abend, nicht wirklich Euphorie herrschte, was sicherlich nicht an den Akteuren, sondern vielmehr am bunt durchmischten Publikum und der Location lag.