Livereview: Iced Earth - Ensiferum - Kataklysm - Unearth

13. Dezember 2016, Pratteln – Z7
By Tinu
Es war verdammt kalt an diesem Dienstagabend und stand man nicht in der Halle, fror man sich förmlich die Eier ab. Das dachte sich auch unser Held dieser Story. Ein alter Metal-Fan, der sich nach langen Jahren endlich wieder in seine Lederkutte zwängte und seine heimliche Liebe Iced Earth live sehen wollte. Mit den Ami-Boys wuchs der Langhaarige auf. Diese Truppe sollte für ihn die Metal-Welt retten, nachdem Iron Maiden sich in langweilige Alben verstrickten und Judas Priest, seine Urliebe, auch nicht mehr alles so zustande brachten, wie er sich dies wünschte. Es war der Song «Iced Earth», der ihm einen warmen Herzstich versetzte und von diesem Moment an nicht mehr losliess. Er liebte alles, was Jon Schaffer und seine Jungs fabrizierten und huldigte am meisten den Alben mit Tim «Ripper» Owens, der damals von Judas Priest den Weg zu Iced Earth fand. Den neuen Sänger, Stu Block, findet unser Metal-Held sowieso eine Granate, und so konnte ihn nichts mehr davon abhalten, sich die «MTV Headbangers Ball»-Tour anzusehen. Auch wenn die drei Vorbands dem Familienvater nur vom Hörensagen ein Begriff waren.

So stand der leicht gealterte Metal-Veteran im Z7. Lange war es her, seit er diesen Schuppen besuchte. Einiges hatte sich verändert und er erinnerte sich an die erste Show, die er hier von Iced Earth sah, damals noch zusammen mit Nevermore. "Meine Güte, wie die Zeit doch vergeht!", schoss es ihm durch den Kopf, als er sich die vielen jungen Metalheads ansah. "Was zu Geier ist das denn?", war der nächste Gedanke, als er die Jungs mit einem Horn an der Hose sah. "Lassen die jetzt auch Wikinger in die Stube und hören die Metal?" Es schien so einiges passiert zu sein in den letzten zehn Jahren, in denen sich unser Held eher mit seiner Familie, denn mit Metal beschäftigte. Klar, er kaufte sich nach wie vor Vinyl von seinen Helden und war noch immer ein grosser Sammler von Bootlegs. Aber all die Trends in seiner geliebten Musik, die wies er strikte und weit von sich.

Unearth
Das Hallenlicht erlosch und das Inferno brach über unseren 80er Helden zusammen. Die Amis von Unearth boten brüllenden, aggressiven Metal. Neben den bangenden Matten von Sänger Trevor Phipps und Bassist John "Slo" Maggard bewegten sich die beiden Gitarristen aber kaum auf der Bühne. "Aha, das ist jetzt Metalcore", schoss es unserem Fan durch den Kopf. Verzweifelt suchte er die Bewegungsfreudigkeit bei der Truppe, sah in seinem Kopfkino, wie damals Exodus in ihren Anfangstagen über die Bühne fegten und stellte ernüchternd fest: "Unearth = ziemlich langweilig". Zumindest nach drei Songs hatte es unser Banger gesehen, denn alleine Härte macht noch lange keine guten Songs aus. Auch wenn Trevor ab und zu mit cleanem Gesang auf sich aufmerksam machte, schlussendlich brüllte er sich ziemlich unmotiviert die Seele aus dem Körper. Oder wenn die vorderste Reihe, das Z7 füllte sich nur langsam, freudig mitbangte, der Rest vom Publikum nahm Unearth kaum wahr. "Die sind echt austauschbar", schoss es unserem Metaller durch die Gehirnstube und Songs schreiben wie Slayer, Exodus, Megadeth, Testament oder Death Angel können die Jungs echt nicht. Ob sich grundsätzlich der Booker aber mit vier Bands einen Gefallen tat, war eine weitere Frage, die sich unser Metal-Slave stellte, denn Unearth spielten in einer relativ leeren Halle.

Kataklysm
Lange Rede, kurzer Sinn, bald war das Unearth-Übel fertig und während sich in der kurzen Umbaupause unser Konzertbesucher umsah, nahm er wahr, wie wahrscheinlich der Tourmanager fleissig Backstagepässe an die Mädels verteilte. "Moment? Spielen heute noch Manowar?" Zum Glück nicht, aber besser als Kataklysm wären sie allemal gewesen. "Hey, das ist ja eine positive Power, verpackt in derber Musik", dachte der Metalhead. Doch seine Vermutung blieb nicht lange bestehen, denn schon nach wenigen Minuten stellte er ernüchternd fest, dass das musikalische Abrisskommando dem Hörer kaum Zeit zum Verschnaufen liess. Die Kanadier peitschten das Publikum unaufhörlich auf und die Mosh-Pits wurden von Song zu Song aggressiver, sprich wilder. Sänger Maurizio Iacono trieb die Anwesenden immer mehr an und bedankte sich bei ihnen, dass sie diesen Dienstagabend zu einem partytauglichen Samstagabend abänderten. "Are you with us?", wollte der Schreihals wissen. Und ja, sie waren beim ihm und Kataklysm entpuppten sich als heimlicher Co-Headliner an diesem Abend. "Könnt ihr euch vorstellen, dass Kataklysm eine Show vor 20.00 Uhr spielen? Das ist viel zu früh für uns", plauderte Maurizio los und versprühte mit seiner Art den farbigen, positiven Kontrast zur dunklen, schnellen und brutalen Musik der Band. Für unseren Konzertgänger blieb aber nach der Show kaum was hängen, ausser die pfeifenden Ohren und das Bewusstsein, dass bei Kataklysm Melodie wohl ein Fremdwort ist.

Ensiferum
Das Bild am Bühnenrand änderte sich. Wo vorhin noch nackte Oberkörper im Rausch der Brutalität pogten, standen nun Viking Folk Pagan-Freaks mit ihren Trinkhörnern und freuten sich auf die metallene Polka der Finnen von Ensiferum. "Was ist denn das?", fragte sich unser Iced Earth-Fan. Speed Metal? Ein Blast-Speed-Abriss-Kommando? Eine gemütliche Polka-Runde oder ein metallenes Folkfest mit einem Akkordeon? Und was sollen diese schwarzen Striche unter den Augen? "Hallo, das hatten Tommy Lee und Nikki Sixx von Mötley Crüe auch schon!" Ensiferum versetzten unserem Freund einem kräftigen Kulturschock. Aber, so schien es, er war der Einzige, der sich mit den Klängen dieser Hobbits nicht anfreunden konnte. Die jungen Fans hatten grossen Gefallen an der Truppe und unzählige Ensiferum-Shirts bewiesen, dass die Truppe viele Anhänger hat. "Meine Güte, damals hatten wir Skyclad, die mit einem Album alles gesagt haben, was man mit solcher Musik sagen muss, und interessiert hat's keinen!», war der lapidare Kommentar unseres Besuchers, der kaum mehr auf Jon Schaffner und seine Jungs warten konnte. Als dann Bassist Sami Hinkka noch "growlte", hatte die Truppe auch den letzten Bonuspunkt in Form der hübschen Akkordeonspielerin Netta Skog verspielt. Okay, der Aggressionslevel war deutlich niedriger, als bei Kataklysm, aber zumindest war es in den Pausen zwischen den Liedern sehr ruhig im Publikum. Erstaunlicherweise erhallten nach der Ensiferum-Show die ersten Zugabe-Rufe an diesem Abend. Unser Banger musst sich zwar eingestehen, dass die Bühnenaction der Finnen ebenso agil wie jene von Kataklysm war, aber die musikalische Vielfalt überspannte seinen musikalischen Bogen zu sehr.

Iced Earth
So, es war nun an der Zeit, dass die Amis von Iced Earth mit unserem Helden eine Zeitreise antreten würden. Allerdings sickerte bald einmal durch, dass die Herren Jon Schaffer, Stu Block, Bassist Luke Appleton, Trommler Brent Smedly und Neugitarrist Jake Dreyer nicht länger als siebzig Minuten spielen würden. Dies sollte aber der einzige Wermutstropfen bleiben, denn ansonsten boten Iced Earth eine geschichtsträchtige Show. Eröffnet wurde der Abend mit dem Opener des noch nicht veröffentlichten neuen Albums «Incorruptible». «The Great Heathen Army» machte schon verdammt Laune und liess den Bangfaktor bei unserem Helden auf Hochtouren laufen. Mit «Burning Times» und der damit verbundenen Dynamik war es endgültig um unseren Helden geschehen. Mit Tränen in den Augen schaute er Brent zu, mit welcher Dynamik, Präzision und Lockerheit er das Schlagzeug zusammendepperte und war fasziniert von der nach wie vor ultrabrutalen Rhythmusarbeit von Jon. Diese messerscharfen Riffs und diese unglaublichen Harmonien, ja das konnte nur von einem Herrn Schaffer stammen. Als wären die Metal-Götter auf der Erde gelandet und hätten in diesem Moment das Z7 besucht. Und eines wurde für den Metal-Freak klar. Es gibt für Iced Earth keinen besseren Trommler als Brent. Auch wenn Jon Dette vielleicht auf der letzten Tour härter auf die Felle und Becken schlug, aber diese Vermischung aus Dynamik und Feeling zelebriert eben nur Brent. Mit «Plagues Of Babylon» und «Dystopia» ging es weiter und die Stimmung stieg von Lied zu Lied. "Brother and sister, how are you tonight", wollte Stu von den Anwesenden wissen. Der Sänger animierte das Publikum in bester Bruce Dickinson Manier (Iron Maiden) und liess es Gitarrenharmonien mitsingen. "Do you have singing forces?", erkundigte sich Mister Block und machte mal kurz Warmsingübungen («Mi-mi-miiii») mit den Anwesenden.

Gerührt von einer solchen Vorstellung freute sich unser Besucher ob der sehr agilen Performance von Luke, und auch Jake schien eine gute Wahl zu sein, denn das neuste Bandmitglied solierte sehr souverän und bot auf seiner ersten Iced Earth-Konzertreise eine tolle Show. Ja, irgendwie erinnerte sich unser Metaller an die «Something Wicked This Way Comes»-Shows, als Larry Tarnowski seine schwindelerregenden Solos spielte. Mit fünf Lieder vom «Dark Saga»-Album und jeweils drei von «Something Wicked This Way Comes» und «Dystopia» punkteten die Amerikaner auf der ganzen Linie. Und haute Stu so markerschütternde Schreie wie bei «Cthulhu» raus, überströmte nicht nur den beinharten Iced Earth-Fan eine Ganzköpergänsehaut. Mister Block hat sich seit seinem Einstieg 2011 zum perfekten Shouter und Performer gemausert. Er war ständig in Bewegung und liess nie locker, um das Publikum noch mehr zu animieren. Hört man sich den Set an, ist es nach wie vor unglaublich, wie Jon es immer wieder schafft Songs zu schreiben, bei der Härte mit Geschwindigkeit und Melodien verbunden werden und dabei Breaks wie Tempowechsel immer wieder eingebaut werden. Ob sich dann eine steigernde Nummer wie «I Died For You», das gewaltige «Cthulhu», das mitreissende «The Hunter», der majestätische Chor bei «V» oder die Hymnen «Burning Times» und «Slave To The Dark» mit seinem Maiden-artigen Mitsingpart gespielt werden. Iced Earth machten einfach Laune! "You guys are absolutely amazing! We have a few more songs! Have you more energy?", aber sicher hatten wir die!

"Brothers and sisters, thank you for coming out!", bedankte sich Stu nicht nur bei unserem Banger, sondern bei allen Anwesenden, die das Z7 mit zunehmender Spielzeit teils leider schon frühzeitig verliessen. Da war es wieder, das Problem, dass man Iced Earth nicht mit den anderen Truppen auf Tour schicken darf, weil a) zu viele Bands spielten und b) die Fanschichten zu unterschiedlich sind. Dies hinderte Jon aber nicht daran, Brent zu erwähnen, der vor knapp zwanzig Jahren seinen ersten Gig im Z7 absolvierte, dass Iced Earth gerade im Studio waren und im Mai 2017 ein neues Album veröffentlichen wird. Bevor aber «Incorruptible» erscheint, erfreuten sich die Anwesenden an der Rifforgie von «Pure Evil». "Was für ein Riff, was für eine Gitarreneinleitung, was für ein einzigartiger Song", schoss es unserem Besucher durch den Kopf. Hier zeigte Jon wieder einmal, was für eine geile Lead-Stimme der Rhythmusgitarrist hat. "We have one more song. Thank you very much deep from my metal heart! But I think, we come back really quickly, like tomorrow", grinste Stu ins Mikrofon und erinnerte alle daran, dass am kommenden Abend die gleiche Konstellation nochmals das Z7 unsicher machen wird. Mit «Watching Over Me» und nicht wie sonst immer mit «Iced Earth» beschloss das Quintett diesen Abend nach in der Tat nach siebzig Minuten. Für unseren Banger eine kleine Katastrophe, dass nach etwas mehr als einer Stunde schon alles vorbei sein sollte. ABER, er wusste, Kataklysm hin, Ensiferum her, auch ohne Unearth würde er sich die nächste Iced Earth-Show wieder ansehen, weil er einfach weiss, dass er von seinen Helden noch nie enttäuscht wurde.

Mit einem breiten Grinsen zog es unseren Iced Earth-Freak in die Kälte, und während er den Weg zu seinem Auto unter die Füsse nah, summte er noch immer die Melodien von «Burning Times», «V», «Iced Earth» und «If I Could See You», um dann voller Freude die Live-CD «Live In Ancient Kourion» in seinem Fahrzeug zu zelebrieren…

Setliste: «The Great Heathen Army» - «Burning Times», «Plagues Of Babylon» - «Dystopia» - «I Died For You» - «Vengeance Is Mine» - «Cthulhu» - «Dark Saga» - «V» - «Slave To The Dark» - «My Own Savior» - «The Hunter» - «Boiling Point» - «Pure Evil» - «Watching Over Me».