Man mag von Best-Of’s, Compilation,
Neueinspielungen oder Coverscheiben denken, was man mag, so auch
über In Extremos neueste Veröffentlichung „Kein Blick zurück“,
welche im Dezember erschien und eben genau genannte
Wiederverwertungsmöglichkeiten alt bekannter Songs auf zwei Scheiben
vereint. Zumindest in diesem Falle kommt aber auch der grösste
Kritiker solcher Recycling-Aktionen nicht umher, auch einen
positiven Aspekt unweigerlich zu erkennen: die dazugehörige Tour!
Auf dieser Konzertreise machte Deutschlands grösste
Mittelalter-Metalband mit ihrer energiegeladenen Gitarre meets
Dudelsack-Show auch im Zürcher Volkshaus halt, ziemlich genau ein
Jahr nach der umjubelten Show des Septetts in eben diesem
altehrwürdigen Konzertsaal. Dabei glich der Abstecher der Berliner
in diesem Jahr doch schon ein wenig einem „Blick zurück“, nicht nur
in Sachen Setlist, sondern auch in Sachen ausverkauft sein und
Stimmung. So werfen auch wir einen Blick zurück auf einen Abend,
bestehend aus Parisienne-Zigaretten, einem abhanden gekommenen Schuh
und einer Rock-Darbietung, die sicherlich ihresgleichen sucht,
sowohl musikalisch wie auch optisch.
Krieger
Kaum angekommen im Volkshaus schon beginnt die Sause, denn die
deutschen Newcomer Krieger stehen schon 10 Minuten früher als
angekündigt auf der Bühne. Noch ganz ohne offiziellen Tonträger im
Gepäck will es der Fünfer um Sänger XX der Metalwelt zeigen. Um
dieses Unterfangen aber erfolgreich zu bewältigen, sollten die
Herren sich mal reichlich in den Arsch zwicken, denn bis auf den
einen oder anderen rhythmischen Kopfnicker strahlt die Band nicht
wirklich Bewegungsfreundlichkeit aus. Dasselbe gilt für das
Publikum, welches der ganzen Darbietung eher interessenlos zuschaut
und lediglich Höflichkeitsapplaus spendet, was angesichts des doch
passenden Sounds der Band ein wenig verwundert. Riffbetonter,
massenkompatibler Metal mit deutschen Texten, irgendwo zwischen den
Onkelz, Sub7 und Nu Pagadi, so lässt sich das Material der Jungs in
etwa beschreiben, MTV-kompatibel und leicht verdaulich, dabei aber
leider auch des öfteren platt, oberflächlich und vorhersehbar. Naja,
im Hinblick auf In Extremo scheinen wohl noch ziemlich viele Truppen
so...
In Extremo
Sturmgetöse und prasselnden Regen als Intro zu verwenden, das
funktionierte schon 1970 beim Sabbath-Debut und klappt auch heute
noch, denn kaum prasselten jene genannten Geräusche aus den Boxen,
verwandelte sich das proppenvolle Volkshaus in einen wahren
Hexenkessel, der bis zum Ende der über zwei Stunden dauernden Show
nicht abkühlen würde. Da es ja kein wirklich neues Album zu promoten
hiess, freute ich mich auf eine abwechslungsreiche Show voller
Klassiker, doch schon mit dem ersten Song zeichnete sich das
Gegenteil ab: Zum eher melancholischen Start „Spielmann“ (vielleicht
etwas ungünstig als Opener?) enterte als erster Käpt’n Micha Rhein
alias Das Letzte Einhorn die im altbekannten Schiffsdekor
erscheinende und durch riesige Flammensäulen erleuchtete Bühne,
dicht gefolgt vom sechsköpfigen Rest der Mannschaft, natürlich agil
wie Hummeln in der Paarungszeit. Dass man trotz Best Of-Album im
Gepäck auf das neuste Material von „Mein rasend Herz“ (2005) setzte,
zeigte sich sogleich mit „Nur ihr allein“, gefolgt von „Macht und
Dummheit“, bevor mit „Vänner och Frände“ ein älterer Kracher (vom
1999er Album „Verehrt und Angespien“) zum Besten gegeben wurde. Ob
neu oder alt, dem Publikum ist’s egal, und so wird „Horizont“
(optisch aufgemotzt durch reichlich Funkenexplosionen), wie auch
mein Liebling „Erdbeermund“ (zu finden auf „Sieben“ aus dem Jahre
2003), bei welchem das ganze Volkshaus auf Aufforderung Michas mit
den Händen ein Dreieckszeichen formt, welches wohl einen Mund
darstellen soll, oder „Wind“ vom harten „Sünder ohne Zügel“ (2001)
aus Leibeskräften mitgesungen und auch bei den zwei neuen Tracks,
die einzig auf „Kein Blick zurück“ zu finden sind, "Kein Sturm hält
uns auf" und dem später dargebotenen "Alte Liebe" zeigen sich die
altersmässig zwischen 14 und 60 schwankenden Fans erstaunlich
textsicher. Natürlich kam das Fronteinhorn auch auf das letzte
Gastspiel im Volkshaus zu sprechen, welches ziemlich genau ein Jahr
vorher stattgefunden hatte und auf das Ärgernis, dass damals nur
alkoholfreies Bier ausgeschenkt worden war, entschuldigte sich dafür
und verwies darauf, dass es diesmal ja kein Problem sei, dem
Veranstalter sei Dank. Wie gut zur ganzen optischen Darbietung,
bestehend aus Micha in verschiedensten Verkleidungen (mal im
Regenmantel, mal in Mönchskutte während dem „Wessebronner Gebet“,
mal elegant im weissen Hemd), massenhaft Pyros und dem nimmermüden,
die Bühne durchtanzenden Sackpfeifentrio Dr. Pymonte, Flex der
Biegsame und
Yellow
Pfeifer, auch soundtechnisch gearbeitet wurde, zeigte sich vor allem
während den eher ruhigeren, Verschnaufpausen bringenden Songs wie „Ave
Maria“ oder „Singapur“, welche durch klaren, einfühlsamen Sound
unter die Haut gingen. Und wenn dann Micha auch noch die Schweiz
lobt, da man hier an jeder Ecke seine Lieblingszigaretten Parisienne
erwerben könne, was postwendend mit einem Päckchen derselben Sorte
aus dem Publikum quittiert wurde, da waren sich wohl alle Besucher
einig, dass man Vorweihnachten gar nicht besser, als mit einem In
Extremo-Konzert verbringen kann. Und so tobt und gröhlt man durch
den „Spielmannsfluch“; „Omnia Sol Temperat“ oder das aufgemotzte,
nun härtere „Hiemali Tempore“ als gäbe es kein Morgen mehr. Bis
sogar ein Schuh auf die Bühne geworfen wird, worauf Micha spontan
nach dem Besitzer desselben fandet, die junge Dame sogleich auf die
Bühne zitiert und sie, während dem ihr gewidmeten „Küss mich“, mal
romantisch, mal eher anzüglich ansingt. Nach dem von Konfettiregen
begleiteten „Vollmond“ heisst es dann wieder „Mein rasend Herz“, und
so besteht der Abschlussdreier „Raue See“, „Mein rasend Herz“ und
„Liam“, unterbrochen von Crew- und Bandvorstellung, während derer
man erfährt, dass Bassist Die Lutter unter Fieber leidet, was der
Band aber nicht im Geringsten als Grund für eine Konzertabsage gilt.
Natürlich kann es das noch nicht gewesen sein, und so erscheint das
Septett nach kurzer Zeit und lautstarken Zugaberufen auf ihre
Schiffsbühne, um ihren Heavy Metal-Beutezug durch die Schweiz mit
einem durch ein langes Instrumentalintro eingeleitetes „Poc Vecem“
und den Klassikern „Rotes Haar“ und „Villeman og Magnhild“
(natürlich mit ausgiebigem Mitsingteil) zu vollenden, sodass wohl
ein jeder und jede, auch wenn aufgunsten neueren Materials
Dauerbrenner wie „Herr Mannelig“, „Pavane“ oder „Ai Vis Lo Lop“
verloren gingen, eine unvergleichliche
Mittelalter-Metal-Piratenparty erlebt zu haben, voller Spielfreude,
Effekten, Spontaneität und natürlich haufenweise geiler Songs. So
hoffe ich bald wieder sagen zu können: „In Extremo-Schiff ahoi!“
Setlist In Extremo: Spielmann - Nur ihr allein - Macht und Dummheit
- Vänner och Frände - Horizont - Wessebronner Gebet - Erdbeermund -
Kein Sturm hält uns auf - Wind - Singapur - Spielmannsfluch - Ave
Maria - Omnia Sol Temperat - Hiemali Tempore - Küss mich - Alte
Liebe - Vollmond - Raue See - Mein rasend Herz - Liam Zugaben: Poc
Vecem - Rotes Haar - Villeman og Magnhild
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