Als in den 70er-Jahren die Rockmusik ihren definitiven Siegeszug
antrat (nachdem Beatles, Stones und Co. den Weg geebnet hatten),
geschah dies nicht zuletzt durch das Moment der Live-Darbietung. So
gut die Studio-Scherben auch waren, die wirkliche Wucht und Kraft
einer kreischenden Gitarre entfaltete sich erst, wenn sie von einer
Bühne auf das Publikum niederdröhnte. Rock'n'Roll war erlebte, (im
besten Fall) kollektive Ekstase, Ausschweifung, Spontaneität. Noch
heute ist das so: So gut ein Album auch sein mag; wer live nicht
überzeugt, der kann es vergessen mit der "Hall of Fame".
Und umso mehr gilt dies für eine Band, die nicht nur in ihrem
Sound, sondern in ihrem ganzen Auftreten, vom Equipment, über das
Coverdesign bis zur Kleidung (Fransen und Schlaghose) und Frisur
(viel Haar, nicht nur über, sondern auch im Gesicht) authentisch ist. Für eine Band
wie Kadavar eben, deren beide bisher erschienenen Alben reinster,
hochgezüchteter Retro-Stoff waren. Wer nach 70's klingt auf Platte,
der muss auch live zu zünden wissen, wie in den 70's. Als eine Art
Beweisführung könnte so die aktuelle Konzertreise bezeichnet werden,
welche das Berliner Trio auch dreimal in der Schweiz Halt machen
liess. Und zumindest am ersten dieser Abende, im ausverkauften (!!)
Berner ISC Club, blieb jedem Zweifler die Kritik im Hals stecken,
wohingegen Optimisten für einmal vollends belohnt wurden.
Phased
Vorher aber sorgte der Support-Act Phased für Sprachlosigkeit in
leider etwas anderer Weise. Es ist ja eine löbliche (wenn auch nicht
ganz selbstlose, da einige Leute mehr bringende) Sache, wenn man
lokalen Bands den Opener-Posten überlässt, doch birgt dies eben auch
ein gewisses Risiko. Ob man es nun Sludge nennt oder Doom
(Eigendeklaration: «Psychedelic Motor Doom»), was die aus Basel
stammenden Phased da aus den Verstärkern dröhnen liess – überzeugen
tat es das Publikum inklusive mir, an sich spartanischen
Kellerriff-Repetitionen alles andere als abgeneigt, nicht. Zu ziel-
und lustlos rumpelte und grollte sich der Dreier aus Basel durch
sein rund 40-minütiges Set. Umso bedauerlicher ist dies, da sich das
Soundmaterial der Truppe zur Abwechslung mal nicht nur bei
Uralt-Idolen wie Sabbath bediente (schon, aber nicht nur), sondern
in seinen wenigen packenden Momenten auch 90er-Epigonen wie die
Melvins durchklingen liess. Dies und das unerschütterliche
Zeitlupen-Klöppeln von Drummer Marko Lehtinen waren die wenigen
positiven Eindrücke in einer ansonsten blutleeren Performance,
welche vom schon ziemlich vollen ISC nur mit Höflichkeitsapplaus
quittiert wurde (ausgenommen der extra wegen Phased Angereisten
natürlich). Randnotiz: Nur wenige Tage nach dieser Show verliess
Basser Marco Grementieri die Band, über das Warum kann man nur
spekulieren.
Kadavar
Keine wirklichen Spekulationen gab es jedenfalls danach. Noch
bevor Kadavar die Bühne betraten, stieg die Vorfreude des Publikums,
umso enger es wurde. Zugegeben, mit einem Fassungsvermögen von
höchstens 200 Leuten ist das ISC nicht gerade riesig. Dass Kadavar
es aber alleine, ohne die Zugkraft eines arrivierteren Headliners
oder Tourpackage, schafften, zumindest eines von gleich drei
Schweizer Konzerten auszuverkaufen, das zeugte von den
Vorschusslorbeeren, die sich die Berliner mit ihren beiden
Alben
hatten sichern können. Und zwar durch und durch verdient. Ohne
Umschweife segelte das Trio mit «All Our Thougths», dem Opener vom
selbstbetitelten Debüt auf die Bühne und legten gleich eine
Punktlandung hin. Knackig die Gitarre, vibrierend der galoppierende
Bass, krachend und treibend die Drums. Und darüber, und zwar genauso
eindringlich wie auf Scheibe (zu selten bei anderen Bands dieses
Genres der Fall), die zwischen beschwörendem Ozzy und flötendem
Roger Daltrey (The Who) mäandernde Stimme von Fronter und Klampfer
Christoph «Lupus» Lindemann. Beginnt man ein Konzert mit solcher
Entschlossenheit und Beherztheit, dann kann eigentlich nichts mehr
schief gehen. Und das tat es dann auch nicht: Ohne gross für Worte
oder sonstige Mätzchen Zeit zu verschwenden, schüttelte der Dreier
eine astreine Heavy-Rock-Performance aus dem Ärmel, die vor 40
Jahren wohl noch euphorischer aufgenommen worden wäre, als es an
diesem Abend schon der Fall war. Ob das galaktisch hallende «Living
In Your Head», die stramm galoppierende «Doomsday Machine» oder das
mit seinen tribal-artigen Drums heidnisch anmutende «Black Sun»,
einer nach dem anderen wurden sie abgefeiert und von vielen gar
mitgesungen, als wären es alte Klassiker der Love Generation, dabei
das Debüt der Mannen gerade mal von 2012 stammt.
Überhaupt wirkten Kadavar an diesem Abend, als würden sie schon seit
Jahrzehnten auf den Bühnen dieser Welt auf- und abgehen. Sicher
genug, um auch mal aus der Songstruktur zu rasseln (beim sogar für
Kadavar-Fans eher unbekannten, zusammen mit den französischen
Psych-Rockern Aqua Nebula Oscillator veröffentlichten «Broken Wings»
etwa) und doch mit der nötigen Erfahrung ausgestattet, dass allzu
lange Jams bei denen, die zuhören, meist weniger Freude erzeugen als
bei jenen, die sie machen. Und auch wenn die drei Jungs sich dabei
wenig um Bühnenshow scherten, sowohl Fronter Lindemann als auch
Basser Simon Bouteloup kaum mehr als drei Schritte am Stück machten,
so herrschte doch nie Stillstand auf der Bühne. Hauptgrund dafür:
Trommeltier Christoph Bartelt, der seinen Kopf genauso heftig in der
Luft herumschleuderte wie er auf die Felle eindrosch und so nicht
wenig an Keith Moon, beziehungsweise sein Muppet-Alter Ego Beast erinnerte.
Ordentlich gezimmerte Songs, Spielfreude und Energie (und vielleicht
auch etwas Talent und Übung), mehr braucht es nicht, um eine
Rock-Show hinzulegen, wie sie sein soll: schweisstreibend, spontan
und laut. Das war in den frühen 70ern das Nonplusultra und das ist
es auch heute noch. Nach rund 80 Minuten beschlossen Kadavar ihr Set
mit dem Doom Rocker «Forgotten Past». Wenn es solche Bands gibt, die
an die glorreiche Vergangenheit des Rock'n'Roll anknüpfen, sie
wieder lebendig werden lassen, dann wird die noch lange nicht
vergessen sein.
Setliste: «All Our Thoughts» - «Living In Your Head» - «Doomsday
Machine» - «Black Sun» - «Eye Of The Storm» - «Broken Wings» - «Come
Back Life» - «Purple Sage» - «Creature Of The Demon» - «Goddess Of
Dawn» - «Forgotten Past».
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