Livereview: KISS - Daid Garibaldi

04. Juli 2019, Zürich – Hallenstadion
By Rockslave
Knapp einen Monat zuvor waren KISS unter anderem auch am "Sweden Rock" Festival aufgetreten. Vielleicht ein Grund, das Konzert in der Schweiz deswegen persönlich auszulassen, doch es sprachen ein paar Dinge, respektive Gründe dagegen, das zu tun! Erstens sind KISS Kult und schon nur deswegen muss man hin, zweitens befinden sich die Amis zumindest in Europa auf Abschieds-Tour, und drittens sind Hallenkonzerte grundsätzlich etwas anderes als Freiluft-Events. Was den offiziell verkündeten Abschied angeht, könnte man nun verächtlich gähnen und mitunter auf die Scorpions verweisen. Allerdings muss man wissen, dass Schlabberzunge Gene Simmons Ende August 70 Jahre alt wird (!) und Paul Stanley (67) schon eine Weile mit künstlichen Hüftgelenken auf den Bühnen der Welt herum stakst! Vor allem Gene hat langsam genug von dem ganzen Tour-Zirkus und da Paule stimmlich mehrheitlich am Anschlag ist, muss dann die Reissleine halt mal gezogen werden. Dieser Moment scheint nun gekommen und spätestens jetzt realisieren die Fans auf der ganzen Welt, dass man sich KISS nochmals geben muss. Ob das auch für einen gewissen David Garibaldi gilt?!

David Garibaldi

Das Coole am Internet-Zeitalter ist ja, dass wenn man(n) etwas nicht weiss, einfach mal das Smartphone zückt und das Gesuchte "gugelt". Das Resultat bei David Garibaldi war auf den ersten Blick schlüssig, liess mich dann aber dennoch mit ein paar Stirnrunzeln zurück. Der Grund?! David Garibaldi ist Schlagzeuger der Band Tower Of Power und…, 72 Jahre alt! Sollte der jetzt mit einer eigenen Band unterwegs und dann noch Support von KISS sein?! Mutete reichlich schräg an und liess mich erstmal etwas "verwirrt" nach Zürich anreisen, da ich zeitlich bedingt nicht gross weiter recherchierte. Hätte ich das gemacht, wäre ich allerdings auf den anderen, sprich richtigen David Garibaldi gestossen! Der ist primär kein Musiker, sondern ein Action-Künstler, das heisst ein Maler. Aber wieso zum Teufel sollte nun also ein Pinsel-Meister das Vorprogramm von KISS bestreiten?! Fragen über Fragen, die sich erst langsam zu lüften begannen, als ich im Fotopit stand und den Bühnenaufbau sah. Da standen, bis auf ein Mic auf an einem Ständer, keine Amps und andere Bühnen-Requisiten herum, sondern lediglich ein Backdrop war aufgehängt und davor stand eine Art Holzgestell, wo ein schwarzer Bildrahmen drauf gestellt wurde. Dann war zu sehen, dass der Boden mit einer Matte abgedeckt war und dieses Material aufgrund der vorhandenen Verschmutzung, das heisst Farbresten, offenbar schon mal im Einsatz gestanden sein muss. Soweit so gut, und als das Licht im schon ziemlich gut besetzten Hallenstadion ausging, wusste eigentlich keiner genau, was als Nächstes folgen würde. Vor allem stand etwas bevor, das wohl die meisten, mich eingeschlossen, an einem Konzert dieser Grössenordnung noch nie vorher gesehen haben dürften!

Sollte da also tatsächlich keine Band spielen, sondern bloss ein Performance-Künstler eine Solonummer abziehen?! Ja…, genau so kam das, und dann kam vor allem er…, der David…, mit Nachnamen Garibaldi! Hierbei handelt es sich nicht um den vermuteten Schlagzeuger mit identischem Vor- und Nachnamen, sondern um einen 36-jährigen Kalifornier, der fähig ist, in Windeseile berühmte Musiker auf einer relativ grossen Mal-Fläche und begleitet von entsprechendem Sound ab Band, mittels Action-Painting zu verewigen. Ziel des Ganzen war am Schluss ein Portrait aller KISS-Musiker zu kreieren, das nachher von allen signiert wurde und der umgehend damit erzielte Erlös im Sinne einer Wohltätigkeit an die Stadt Zürich ging. Bevor das aber soweit war, legte sich der Protagonist zuerst James Hetfield von Metallica zurecht, und was dann tatsächlich innert weniger Minuten entstand, war schon beeindruckend. Dazu quasselte Mr. Garibaldi noch das eine oder andere, und zu meinem Erstaunen liess sich das Publikum darauf ein. Anstatt erwarteter Pfiffe und Missmut gab es hingegen anerkennenden Applaus. Anschliessend folgte noch gute alte Jimi Hendrix, dessen Bild sich aber erst ergab, nachdem es, fertig gemalt (!), zuerst um 180 Grad umgedreht werden musste. Die lautstarke Anerkennung liess nicht lange auf sich warten, ehe dann der vorhin beschriebene Höhepunkt folgte. Eine unter dem Strich echt mutige Sache, die auch voll in die Hose hätte gehen können, vor allem bei uns in Europa. Die Fotos beweisen aber, dass der Typ wirklich echt gut ist sowie es voll drauf hat, und wenn das Ganze letztlich noch einem guten Zweck dient, alles richtig gemacht wurde. Trotzdem hätte ich mich aber lieber eine töfte Support-Band gewünscht.


KISS
Es soll ja tatsächlich Leute geben (jüngere Fans bewusst ausgeklammert), die heute Abend gleichzeitig eine Premiere und postwendend auch gerade den Abgesang einer der grössten Rock-Bands auf diesem Planeten erlebten! Und all die Fans, die das Hallenstadion heute Abend zahlreich besuchten (es dürfte annähernd ausverkauft gewesen sein), wurden ein wohl definitiv letztes Mal Zeuge einer Show von KISS, die es natürlich nach allen Regeln der Kunst und in ihrer unnachahmlichen Art und Weise auf der «End Of The Road Tour» krachen liessen. Da Ultra-Fan Tinu den KISS-Fotopass nur über seine Leiche aus den Händen gegeben hätte, war dieser ja in den letzten Jahren zumeist am Drücker gewesen und heuer auch in Schweden. Da sich die Hinfahrt aus privaten Gründen zeitlich verschob, kam meine Wenigkeit für die Schweizer Derniére zum Handkuss, wofür ich bis in alle Ewigkeiten dankbar dafür sein werde. Allerdings bedeutete das Stress pur im überaus bevölkerten Foto-Pit, da der foto-graphierenden Zunft nur zwei anstatt der sonst üblichen drei Songs zugestanden wurden. Das hiess von Anfang an Sperrfeuer, verbunden mit der Hoffnung um gutes Licht. Das war zum Glück auch mehrheitlich vorhanden, und gewisse Posen kennt wie erwartet man ja mittlerweile. Gene, Paul und Tommy standen dann auch entsprechend hin und ermöglichten so auf jeden Fall genügend gute Aufnahmen. Bis ich danach allerdings einen der Presseplätze, inklusive einem kalten Becher Gerstensaft, entern konnte, vergingen wertvolle Minuten im Untergeschoss, da alle Fotographen, die noch in der Halle bleiben wollten, zuerst ihr Equipment abgeben mussten. Da der zuständige Herr gerade nicht vor Ort war und es halt eine Weile dauerte, bis die Garderobe geöffnet werden konnte, machte sich spürbarer Unmut breit. Wie dem auch sei, es blieb ja dennoch noch einiges übrig, und dass man vorher noch den zwangsläufig verwaisten Merchstand in Ruhe anpeilen konnte, war ja schliesslich auch was wert.

Zurück am Ort des Geschehens zogen die showerprobten Amis wiederum alle Register. Sogar Paul Stanley schien einen für seine Verhältnisse nicht allzu schlechten Abend eingezogen zu haben, aber wie man ja zur Genüge weiss, werden vorhandene menschliche Defizite mit technischen Mitteln angegangen. Die Kunst sollte dabei aber sein, dass es nicht offensichtlich ist. Geschulte Ohren hören das allerdings schnell raus, aber für die meisten zählte eh nur das, was effektiv zu sehen und zu hören war. Den geneigten Die-Hard Fan interessierte dabei mehr die Setliste als solche, und dass man hier nicht alle Wünsche und Begehren abdecken kann, liegt bekanntlich in der Natur der Sache. Ich für meinen Teil habe da natürlich auch Präferenzen, wie zum Beispiel stets generell mehr Songs von meinem Lieblings-Album «Dynasty» (1979), also nicht nur «I Was Made For Loving You» und die Zucker-Ballade «Shandi» (ab «Unmasked», 1980), die auf früheren Tourneen mitunter in Australien gespielt wurde, da dort chartmässig erfolgreich. Doch KISS könnten locker drei Stunden auf der Bühne abrocken, und selbst dann könnte nicht jeder Fan individuell zufrieden gestellt werden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Begebenheiten, die ein richtiges KISS-Konzert erst ausmachen oder eben ausgemacht haben. Dazu gehört (nach Led Zeppelin's «Rock And Roll» als Intro) die zum tiefen wummernden Synthie-Basston unvermeidliche wie unverwüstliche Ansage zu Beginn, jeweils gemünzt auf den Auftrittsort. Für Zürich hiess das dann entsprechend "Allright Zurich, you want the best, you got the best! The hottest band in the world…, KISS!! Dann fiel der grosse, am vorderen Bühnen-rand aufgehängte Vorhang runter und zu den ersten Klängen von «Detroit Rock City» schwebten Gene, Paul und Tommy auf Podesten stehend, langsam auf die Bühne runter. Schon beim nach-folgenden Smasher «Shout It Out Loud» sind die Fans voll da und antizipieren lautstark.

Von da an ist der ganze Rest ein durchchoreographierter Konzertleck-erbissen der Sonderklasse. Unter-stützt durch massig eingesetzte Feuersäulen und Knalleffekte geht es Schlag auf Schlag, ohne grosse Verschnaufpause. Nach «Deuce», dem klassischen Opener früherer Jahre, folgte mit «Say Yeah» einer der wenigen "neuen Songs". Der überwiegende Teil setzte sich jedoch aus altbewährten Klassikern zusammen, wie zum Beispiel «I Love It Loud», «Lick It Up» oder dem obligaten Kult-Track «God Of Thunder», wo Gene jeweils seine Kunstblutkapseln im Mund zerbeisst. Ein absolutes Muss einer jeden KISS-Show. Weitere Solo-Slots folgen auch von Eric (d) und Tommy (g). Während Ersterer in der Höhe seine Stöcke schwingt, schiesst Space-Tommy derweil Feuerwerkskörper mit seiner Gitarre ab. Dazu gab es, nebst Einspielungen über die grosse Videowand, auch fettes Licht, noch mehr züngelnde Pyros und auch teils opulente Laserlicht-Effekte. Wie man sich das eben von so einem Konzert gewohnt ist! Ebenso willkommen ist der Ausflug von Starchild Paul auf ein kleines Podest beim Mischpult. So wird er ein gefundenes Fressen, sprich Foto-Sujet für alle gezückten Smart-phones in der Nähe. Nach «Love Gun» und «I Was Made For Lovin' You» "fliegt" Mr. Stanley wieder zurück auf die Hauptbühne, wo der offizielle Set nach «Black Diamond» zu Ende geht. Was früher jeweils Peter Criss vorbehalten war, ist nun die Aufgabe von Eric Singer, der die bekannte Piano-Ballade «Beth» als erste Zugabe ohne Probleme raus haut. Danach gibt es noch «Crazy Crazy Nights» oben drauf, und mit dem Party-Song «Rock And Roll All Nite», befeuert durch Schnitzelpapier-Kanonen, geht die Stimmung im Hallenstadion ein letztes Mal steil. Und dann verabschieden sich Gene Simmons (b/v), Paul Stanley (v/g), Tommy Thayer (g/v) und Eric Singer (d/v) nach gut zwei Stunden Spielzeit von den Schweizer Fans. Ob definitiv, werden wir dann ja sehen, aber ich denke, das wars für uns. Somit schliesst sich der helvetische Kreis der grandiosen Karriere von KISS, die schon 1976 im Zürcher Volkshaus auf der Matte standen. KISS gave us Rock'n'Roll…, wie wahr, und so eine Band wird es nie mehr geben!

Setliste: «Intro "Rock And Roll" (Led Zeppelin)» - «Detroit Rock City» - «Shout It Out Loud» - «Deuce» - «Say Yeah» - «Heaven's On Fire» - «War Machine (Gene speit Feuer)» - «I Love It Loud» - «Lick It Up, inklusive kurzer Einschub "Won't Get Fooled Again" (The Who)» - «Calling Dr. Love» - «100'000 Years, mit Drum-Solo Eric Singer» - «Cold Gin, mit Guitar-Solo Tommy Thayer» - «God Of Thunder, mit Bass-Solo und Gene speit Blut» - «Psycho Circus» - «Let Me Go, Rock'n'Roll, mit Guitar- und Bass-Solo von Paul und Gene, zusammen mit Tommy» - «Love Gun, Paul singt auf Podest im Publikum» - «I Was Made For Lovin' You, Paul singt auf Podest im Publikum» - «Black Diamond» -- «Beth, gesungen von Eric Singer am Piano» - «Crazy Crazy Nights» - «Rock And Roll All Nite» - «Outro God Gave Rock'n'Roll To You II».