Knapp einen Monat zuvor waren KISS unter anderem auch am
"Sweden Rock" Festival aufgetreten. Vielleicht ein Grund, das
Konzert in der Schweiz deswegen persönlich auszulassen, doch es
sprachen ein paar Dinge, respektive Gründe dagegen, das zu tun!
Erstens sind KISS Kult und schon nur deswegen muss man hin, zweitens
befinden sich die Amis zumindest in Europa auf Abschieds-Tour, und
drittens sind Hallenkonzerte grundsätzlich etwas anderes als
Freiluft-Events. Was den offiziell verkündeten Abschied angeht,
könnte man nun verächtlich gähnen und mitunter auf die Scorpions
verweisen. Allerdings muss man wissen, dass Schlabberzunge Gene
Simmons Ende August 70 Jahre alt wird (!) und Paul Stanley (67)
schon eine Weile mit künstlichen Hüftgelenken auf den Bühnen der
Welt herum stakst! Vor allem Gene hat langsam genug von dem ganzen
Tour-Zirkus und da Paule stimmlich mehrheitlich am Anschlag ist,
muss dann die Reissleine halt mal gezogen werden. Dieser Moment
scheint nun gekommen und spätestens jetzt realisieren die Fans auf
der ganzen Welt, dass man sich KISS nochmals geben muss. Ob das auch
für einen gewissen David Garibaldi gilt?!
David Garibaldi
Das Coole am Internet-Zeitalter ist ja, dass wenn man(n) etwas nicht
weiss, einfach mal das Smartphone zückt und das Gesuchte "gugelt".
Das Resultat bei David Garibaldi war auf den ersten Blick schlüssig,
liess mich dann aber dennoch mit ein paar Stirnrunzeln zurück. Der
Grund?! David Garibaldi ist Schlagzeuger der Band Tower Of Power
und…, 72 Jahre alt! Sollte der jetzt mit einer eigenen Band
unterwegs und dann noch
Support
von KISS sein?! Mutete reichlich schräg an und liess mich erstmal
etwas "verwirrt" nach Zürich anreisen, da ich zeitlich bedingt nicht
gross weiter recherchierte. Hätte ich das gemacht, wäre ich
allerdings auf den anderen, sprich richtigen David Garibaldi
gestossen! Der ist primär kein Musiker, sondern ein Action-Künstler,
das heisst ein Maler. Aber wieso zum Teufel sollte nun also ein
Pinsel-Meister das Vorprogramm von KISS bestreiten?! Fragen über
Fragen, die sich erst langsam zu lüften begannen, als ich im Fotopit
stand und den Bühnenaufbau sah. Da standen, bis auf ein Mic auf an
einem Ständer, keine Amps und andere Bühnen-Requisiten herum, sondern
lediglich ein Backdrop war aufgehängt und davor stand eine Art
Holzgestell, wo ein schwarzer Bildrahmen drauf gestellt wurde. Dann
war zu sehen, dass der Boden mit einer Matte abgedeckt war und
dieses Material aufgrund der vorhandenen Verschmutzung, das heisst
Farbresten, offenbar schon mal im Einsatz gestanden sein muss.
Soweit so gut, und als das Licht im schon ziemlich gut besetzten
Hallenstadion ausging, wusste eigentlich keiner genau, was als
Nächstes folgen würde. Vor allem stand etwas bevor, das wohl die
meisten, mich eingeschlossen, an einem Konzert dieser Grössenordnung
noch nie vorher gesehen haben dürften!
Sollte da also
tatsächlich keine Band spielen, sondern bloss ein
Performance-Künstler eine Solonummer abziehen?! Ja…, genau so kam
das, und dann kam vor allem er…, der David…, mit Nachnamen
Garibaldi! Hierbei handelt es sich nicht um den vermuteten
Schlagzeuger mit identischem Vor- und Nachnamen, sondern um einen
36-jährigen Kalifornier, der fähig ist, in Windeseile berühmte
Musiker auf einer relativ grossen Mal-Fläche und begleitet von
entsprechendem Sound ab Band, mittels Action-Painting zu
verewigen. Ziel des Ganzen war am Schluss ein Portrait aller
KISS-Musiker zu kreieren, das nachher von allen signiert wurde und
der umgehend damit erzielte Erlös im Sinne einer Wohltätigkeit an
die Stadt Zürich ging. Bevor das aber soweit war, legte sich der
Protagonist zuerst James Hetfield von Metallica zurecht, und was
dann tatsächlich innert weniger Minuten entstand, war schon
beeindruckend. Dazu quasselte Mr. Garibaldi noch das eine oder
andere, und zu meinem Erstaunen liess sich das Publikum darauf ein.
Anstatt erwarteter Pfiffe und Missmut gab es hingegen anerkennenden
Applaus. Anschliessend folgte noch gute alte Jimi Hendrix, dessen
Bild sich aber erst ergab, nachdem es, fertig gemalt (!), zuerst um
180 Grad umgedreht werden musste. Die lautstarke Anerkennung liess
nicht lange auf sich warten, ehe dann der vorhin beschriebene
Höhepunkt folgte. Eine unter dem Strich echt mutige Sache, die auch
voll in die Hose hätte gehen können, vor allem bei uns in Europa.
Die Fotos beweisen aber, dass der Typ wirklich echt gut ist sowie es
voll drauf hat, und wenn das Ganze letztlich noch einem guten Zweck
dient, alles richtig gemacht wurde. Trotzdem hätte ich mich aber
lieber eine töfte Support-Band gewünscht.
KISS
Es soll ja tatsächlich Leute geben (jüngere Fans bewusst
ausgeklammert), die heute Abend gleichzeitig eine Premiere und
postwendend auch gerade den Abgesang einer der grössten Rock-Bands
auf diesem Planeten erlebten! Und all die Fans, die das
Hallenstadion heute Abend zahlreich besuchten (es dürfte annähernd
ausverkauft gewesen sein), wurden ein wohl definitiv letztes Mal
Zeuge einer Show von KISS, die es natürlich nach allen Regeln der
Kunst und in ihrer unnachahmlichen Art und Weise auf der «End Of
The
Road Tour» krachen liessen. Da Ultra-Fan Tinu den KISS-Fotopass nur
über seine Leiche aus den Händen gegeben hätte, war dieser ja in den
letzten Jahren zumeist am Drücker gewesen und heuer auch in
Schweden. Da sich die Hinfahrt aus privaten Gründen zeitlich
verschob, kam meine Wenigkeit für die Schweizer Derniére zum
Handkuss, wofür ich bis in alle Ewigkeiten dankbar dafür sein werde.
Allerdings bedeutete das Stress pur im überaus bevölkerten Foto-Pit,
da der foto-graphierenden Zunft nur zwei anstatt der sonst üblichen
drei Songs zugestanden wurden. Das hiess von Anfang an Sperrfeuer,
verbunden mit der Hoffnung um gutes Licht. Das war zum Glück auch
mehrheitlich vorhanden, und gewisse Posen kennt wie erwartet man ja
mittlerweile. Gene, Paul und Tommy standen dann auch entsprechend
hin und ermöglichten so auf jeden Fall genügend gute Aufnahmen. Bis
ich danach allerdings einen der Presseplätze, inklusive einem kalten
Becher Gerstensaft, entern konnte, vergingen wertvolle Minuten im
Untergeschoss, da alle Fotographen, die noch in der Halle bleiben
wollten, zuerst ihr Equipment abgeben mussten. Da der zuständige
Herr gerade nicht vor Ort war und es halt eine Weile dauerte, bis
die Garderobe geöffnet werden konnte, machte sich spürbarer Unmut
breit. Wie dem auch sei, es blieb ja dennoch noch einiges übrig, und
dass man vorher noch den zwangsläufig verwaisten Merchstand in Ruhe
anpeilen konnte, war ja schliesslich auch was wert.
Zurück
am Ort des Geschehens zogen die showerprobten Amis wiederum alle
Register. Sogar Paul Stanley schien einen für seine Verhältnisse
nicht allzu schlechten Abend eingezogen zu haben, aber wie man ja
zur Genüge weiss, werden vorhandene menschliche Defizite mit
technischen Mitteln angegangen. Die Kunst sollte dabei aber sein,
dass es nicht offensichtlich ist. Geschulte Ohren hören das
allerdings schnell raus, aber für die meisten zählte eh nur das, was
effektiv zu sehen und zu hören war. Den geneigten Die-Hard Fan
interessierte dabei mehr die Setliste als solche, und dass man hier
nicht alle Wünsche und Begehren abdecken kann, liegt bekanntlich in
der Natur der Sache. Ich für meinen Teil habe da natürlich auch
Präferenzen, wie zum Beispiel stets generell mehr Songs von meinem
Lieblings-Album «Dynasty» (1979), also nicht nur «I Was Made For
Loving You» und die Zucker-Ballade «Shandi» (ab «Unmasked», 1980),
die auf früheren Tourneen mitunter in Australien gespielt wurde, da
dort chartmässig erfolgreich. Doch KISS könnten locker drei Stunden
auf der Bühne abrocken, und selbst dann könnte nicht jeder Fan
individuell zufrieden gestellt werden. Auf der anderen Seite gibt es
natürlich Begebenheiten, die ein richtiges KISS-Konzert erst
ausmachen oder eben ausgemacht haben. Dazu gehört (nach Led
Zeppelin's «Rock And Roll» als Intro) die zum tiefen wummernden
Synthie-Basston unvermeidliche wie unverwüstliche Ansage zu Beginn,
jeweils gemünzt auf den Auftrittsort. Für Zürich hiess das dann
entsprechend "Allright Zurich, you want the best, you got the best!
The hottest band in the
world…,
KISS!! Dann fiel der grosse, am vorderen Bühnen-rand aufgehängte
Vorhang runter und zu den ersten Klängen von «Detroit Rock City»
schwebten Gene, Paul und Tommy auf Podesten stehend, langsam auf die
Bühne runter. Schon beim nach-folgenden Smasher «Shout It Out Loud»
sind die Fans voll da und antizipieren lautstark.
Von da an
ist der ganze Rest ein durchchoreographierter Konzertleck-erbissen
der Sonderklasse. Unter-stützt durch massig eingesetzte Feuersäulen
und Knalleffekte geht es Schlag auf Schlag, ohne grosse
Verschnaufpause. Nach «Deuce», dem klassischen Opener früherer
Jahre, folgte mit «Say Yeah» einer der wenigen "neuen Songs". Der
überwiegende Teil setzte sich jedoch aus altbewährten Klassikern
zusammen, wie zum Beispiel «I Love It Loud», «Lick It Up» oder dem
obligaten Kult-Track «God Of Thunder», wo Gene jeweils seine
Kunstblutkapseln im Mund zerbeisst. Ein absolutes Muss einer jeden
KISS-Show. Weitere Solo-Slots folgen auch von Eric (d) und Tommy
(g). Während Ersterer in der Höhe seine Stöcke schwingt, schiesst
Space-Tommy derweil Feuerwerkskörper mit seiner Gitarre ab. Dazu gab
es, nebst Einspielungen über die grosse Videowand, auch fettes
Licht, noch mehr züngelnde Pyros und auch teils opulente
Laserlicht-Effekte. Wie man sich das eben von so einem Konzert
gewohnt ist! Ebenso willkommen ist der Ausflug von Starchild Paul
auf ein kleines Podest
beim Mischpult. So wird er ein gefundenes Fressen, sprich Foto-Sujet
für alle gezückten Smart-phones in der Nähe. Nach «Love Gun» und «I
Was Made For Lovin' You» "fliegt" Mr. Stanley wieder zurück auf die
Hauptbühne, wo der offizielle Set nach «Black Diamond» zu Ende geht.
Was früher jeweils Peter Criss vorbehalten war, ist nun die Aufgabe
von Eric Singer, der die bekannte Piano-Ballade «Beth» als erste
Zugabe ohne Probleme raus haut. Danach gibt es noch «Crazy Crazy
Nights» oben drauf, und mit dem Party-Song «Rock And Roll All Nite»,
befeuert durch Schnitzelpapier-Kanonen, geht die Stimmung im
Hallenstadion ein letztes Mal steil. Und dann verabschieden sich
Gene Simmons (b/v), Paul Stanley (v/g), Tommy Thayer (g/v) und Eric
Singer (d/v) nach gut zwei Stunden Spielzeit von den Schweizer Fans.
Ob definitiv, werden wir dann ja sehen, aber ich denke, das wars für
uns. Somit schliesst sich der helvetische Kreis der grandiosen
Karriere von KISS, die schon 1976 im Zürcher Volkshaus auf der Matte
standen. KISS gave us Rock'n'Roll…, wie wahr, und so eine Band wird
es nie mehr geben!
Setliste: «Intro "Rock And Roll" (Led
Zeppelin)» - «Detroit Rock City» - «Shout It Out Loud» - «Deuce» -
«Say Yeah» - «Heaven's On Fire» - «War Machine (Gene speit Feuer)» -
«I Love It Loud» - «Lick It Up, inklusive kurzer Einschub "Won't Get
Fooled Again" (The Who)» - «Calling Dr. Love» - «100'000 Years, mit
Drum-Solo Eric Singer» - «Cold Gin, mit Guitar-Solo Tommy Thayer» -
«God Of Thunder, mit Bass-Solo und Gene speit Blut» - «Psycho
Circus» - «Let Me Go, Rock'n'Roll, mit Guitar- und Bass-Solo von
Paul und Gene, zusammen mit Tommy» - «Love Gun, Paul singt auf
Podest im Publikum» - «I Was Made For Lovin' You, Paul singt auf
Podest im Publikum» - «Black Diamond» -- «Beth, gesungen von Eric
Singer am Piano» - «Crazy Crazy Nights» - «Rock And Roll All Nite» -
«Outro God Gave Rock'n'Roll To You II».
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