Livereview: Kissin' Dynamite - Folkstone - Gulpdown - Helangar
10. Oktober 2009, Sounddock14, Dietikon (ZH)
By Roger W.
«Stell dir vor, es gibt eine Benefizveranstaltung, und niemand geht hin!» Diesen bitteren Satz werden wohl Nicole, Reto, Mac und Anja von Rockrainbow im Zusammenhang mit dem «Metal 4 Metal» in Erinnerung behalten. Denn die Veranstaltung wäre eigentlich dafür gedacht gewesen, das «Fiesta Pagana 2010» auf eine solide finanzielle Basis zu stellen. Die anwesenden Fans harter Klinge waren dann aber überblickbar. Die gute Nachricht: Das Festival findet trotzdem statt. Und wenn da ähnlich tolle und stilistisch unterschiedliche Bands wie am «Metal 4 Metal» in Dietikon spielen werden, steht einem rauschenden Fest nichts mehr im Wege. Hoffentlich werden die Rock-Regenbogen dann vor kurzfristigen Bandabsagen verschont. Diese mussten sie bereits an jenem fernen Samstagabend hinnehmen, weil der Sänger der Schweiz-Brasilianischen Death-Metaller Omorphagia im Militär festgehalten wurde. Das Benefizkonzert wurde aber auch mit Helangar, Gulpdown, Folk Stone und Kissin' Dynamite ein spannender Abend mit hoffnungsvollen Newcomern und überzeugenden, bereits etablierten Namen.

Helangar
Es war eine weise Entscheidung, die deutschen Helangar zuerst spielen zu lassen. Denn damit wurden einigen Besuchern gewisse Qualen erspart. Nicht dass die Musik langweilig oder schlecht war. Nur spielen Helangar mit ihrem schweren Doom Metal selbst in der Spartenmusik Heavy Metal eine Variante, mit der nur ganz wenige Leute etwas anfangen können. Da wären wir sozusagen bei der Spartenmusik der Spartenmusik. Hinzu kommen bei Helangar die für Doom ungewöhnlichen deutschen Texte, womit beim Schicksalsmetal nochmals einige Fans wegfallen. Wer trotzdem in Richtung Bühne blickte, erlebte eine Band, die sich ruhig und ohne Aufregung ihrer Passion widmete, und dabei eine sehr düstere, tiefgründige Atmosphäre aufbaute. Sänger Daniel liess immer wieder im Sitzen sein Gesicht von einem roten Scheinwerfer beleuchten, und explodierte dann förmlich, wenn er seine Verzweiflung nicht flüsternd, sondern in kurzen Schreisequenzen rauslassen durfte. Helangar wurden so zu einem finsteren Ereignis, dem man noch besser hätte folgen können, wenn man die Texte hätte mitlesen können. Bringt die Band künftig noch mehr theatralische Elemente mit grossen Gesten und Requisiten wie Kunstblut oder Pistolen auf die Bühne, könnte die Musik auch ein grösseres Publikum erreichen. Am «Metal 4 Metal» blieben aber Helangar für alle Zuhörer ein düsteres Erlebnis; Für wenige aufgrund des finsteren Ausdrucks der Band, für die meisten aber wegen der Unzugänglichkeit und des Nichtgefallens.

Gulpdown
Eine Band mit Potenzial stieg danach auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Gulpdown kommen aus dem Kanton St. Gallen, spielen Glam- und Sleaze-Rock und könnten vor einer viel versprechenden Karriere stehen, wenn am einen oder anderen Detail noch ein wenig gearbeitet wird. Am «Metal 4 Metal» schien das saubere Spiel der vielen Eigenkompo-sitionen klar vor einer grossen Show zu stehen. Die Band läutete die seligen Haarspray-Zeiten wieder ein, und passte auch sein Outfit der Musik an. Diese war irgendwo zwischen den Cracy Lixx, Kiss und Guns n' Roses einzuordnen und überzeugte durch eingängige Refrains, coole Gitarrenmelodien und unerwarteten Wendungen. So wurde es bei «Action City» plötzlich ruhig, bevor der Song wieder an Tempo anzog. Sänger Böttn führte mit seinen Ansagen zielsicher durchs Programm und veredelte die Lieder mit seiner feinen, aber passenden Stimme. Besonders beeindruckt war ich, wenn er mal kratzig sang. Dies passierte selten und nie einen ganzen Song lang. Ebenfalls schön waren die mehrstimmigen Chöre zu hören. Gulpdown bewiesen aber auch, dass passende Kleidung allein noch keine wilde Show ausmacht. Zwar taute die Band mit zunehmender Dauer des Konzerts ein wenig auf, die grosse Rock'n'Roll-Show wie sie Heaven's Basement als Vorband von Thunder dieses Jahr im Z7 präsentierten, wurde daraus aber nicht. Irgendwie schienen Culpdown mit angezogener Handbremse zu spielen. Ob dies vielleicht auch am eher spärlich anwesenden Publikum lag? Schaffen es die St. Galler künftig, ihre Hemmungen zu überwinden und bringen sie gleichzeitig ein sauberes Spiel ihrer Songs zustande, werden sie das «Ticket To Hell» ohne Zweifel erhalten.

Folk Stone
Das Potenzial bereits ausgeschöpft hatte der wilde Haufen von Folk Stone. Vom Härtegrad irgendwo zwischen Korpiklaani und Eluveitie einzuordnen, feierten die sechs Italiener zusammen mit ihren zwei weiblichen Musikanten eine wilde Party. Reichlich Alkohol floss dabei sowohl auf wie auch vor der Bühne. Folk Stone boten nur schon durch ihr Aussehen ein eindrucksvolles Bild: Bärtige Männer und eine grosse und eine zierliche Frau, die drei Dudelsäcke, eine Harfe, Flöte und die klassischen Rockinstrumenten Gitarre, Bass, Schlagzeug und Stimme spielen. Dazu kam, dass die Band top motiviert war und auch dann noch voll Gas gab, wenn sich die Musikanten aufgrund der kleinen Bühne ständig im Weg standen. Diese Spielmanns-freude lockte natürlich Publikum an. Und so war es nicht verwunderlich, dass die Band zusammen mit Fans und Neugierigen zu Songs wie In «Taberna (in vino veritas)» und «Alza Il Corno» tanzte. Aber auch die Ansage waren ein Erlebnis für sich, wenn die Band nach mehr Bier verlangte, oder mit schlechtem Englisch zum Kauf ihrer CDs und T-Shirts animierte. Die sprachlichen Belange schienen nie-manden zu stören, und so rief die Band immer wieder selbstironisch «Fuck English». Dass bei soviel guter Laune auch die Publikumsgesänge klappten, versteht sich von selbst. Mir persönlich wurde die Musik mit der Zeit zwar ein wenig eintönig, die Show und die Motivation von Folk Stone machten dieses Manko aber mehr als wett. Und als die Italiener als unerwartete Zugabe zum Schluss nochmals selbstbewusst «In Taberna» spielten, hatten sie sowieso gewonnen.

Kissin' Dynamite
Die dritte Band, von der man wohl künftig noch grosse Glanztagen hören und sehen wird, waren die Jungspunde Kissin' Dynamite. Die eigentlichen Headliner des Abends warnten bereits am diesjährigen Bang Your Head!!! ihre etablierte Konkurrenz, dass sie sich künftig warm anziehen müssen. Und die jungen Deutschen überzeugten auch an diesem Abend ohne Wenn und Aber. Dies umso mehr, als dass nach Folk Stone nur noch wenige Personen im Sounddock verweilten, und Gitarrist Jim sichtlich technische Probleme hatte. Mit ihrer Mischung aus Heavy Metal, Hard- und Sleaze Rock und einer sehr motivierter Bühnenpräsenz zogen sie das Publikum auf ihre Seite, und liessen es vergessen, dass nur noch knapp zwei Reihen Fans anwesend waren. Diese feierten ihre «Rock Religion», bezeugten ein «I Hate Hip Hop» und standen auch mal «Out In The Rain». Als schliesslich bei «Steel Of Swebia» der Verstärker von Gitarrist Jim ausfiel, spielte der Rest selbstbewusst den Song fertig. Sänger Hannes kündigte danach ein Schlagzeug-solo von Andi an, der damit spontan und souverän die Zeit für die Behebung der Probleme füllte. Kissin' Dynamit strahlten unbändige Freude aus und bauten zwischen den Eigenkompositionen auch ein «Enter Sandmann» (Metallica) und ein «Sweet Child O'Mine» (Guns n' Roses) ein. Wähnte man sich bei Folk Stone aufgrund der Platzknappheit auf der Bühne in einem irischen Pub, wurde bei Kissin' Dynamite klar, dass die Band mit ihrem Sound für grosse Stadien geschaffen ist. Beim abschliessenden «Addicted To Metal» kam ein Schmied auf die Bühne und schlug im Takt auf einen Amboss. Der Auftritt im Sounddock machte nochmals klar, dass der Vertrag mit dem Plattenriesen EMI mehr als berechtigt ist. Und so werden die Jungs aus der Schwäbischen Alp hoffentlich bald auch in der Schweiz mehr Volk anziehen können.