Das soll es also nun gewesen sein mit Krokus? Einer Band, die
nicht nur Amerika im Sturm eroberte, sondern auch den amerikanischen
Lifestyle in die tristen Stuben des Jurasüdfuss-Maloches zauberte.
Die Jungs schnupften nicht nur das "grösser, höher, tiefer" der US
of A, sondern auch an den zahlreichen süssen Lippen der US-Ladys.
Sie hatten vielleicht nicht die gleichen ausufernden Partys wie
Mötley Crüe, aber waren sicher zerstrittener als Nikki Sixx und
Konsorten. Das ging so weit, dass man in Solothurn für eine gewisse
Zeit die Strassenseite wechselte, als man das ehemalige
Bandmitglied sah, mit dem man nicht nur das Groupie teilte.
Hätte
Chris von Rohr nicht eine so grosse Klappe gehabt… Sorry hätte er
die selbst heute nicht mehr… Wäre Fernando nicht das musikalische
Getriebe gewesen, der selbst eine Inspiration von auf die
Küchenkombination fallendem Besteck zu einem Song kredenzt… Hätte
Malta nicht einen solch wilden, jungen und ungehobelten Sänger ans
Tageslicht gebracht, der mit seiner Art massgeblich dazu beigetragen
hat, dass man von der Def Leppard-Tour flog… Wäre Mark Kohler eine
nicht dermassen konstante Rhythmus-maschine gewesen an den sechs
Saiten und hätten die ewigen Streitereien nicht dazu beigetragen,
immer in der Boulevard-Presse aufzutauchen, wer weiss, was aus Krokus
geworden wäre? Eine Combo, die sich so oft gestritten hat, wie auch
wieder zusammengerauft, um dann heraus zu finden, dass man mit den
Marotten einzelner doch nicht mehr klarkommt. Wie sagte Chris immer
wieder? Dass er den spiessbürgerlichen Sumpf hinter sich lassen
wollte und mit seiner Art nichts anderes war als der Initiator einer
kleinbürgerlichen Seifenoper? Oder war es gerade das, was die
Truppe, neben den unglaublichen Songs, so beliebt machte? War es
nicht diese Mixtur, die es an diesem Abend brauchte, damit das
Hallenstadion nochmals restlos ausverkauft wird? Am Ende des Tages spielt
es keine Rolle, denn Krokus haben mit «Metal Rendez-Vous» (in der
Schweiz Vierfachplatin), «Hardware» und speziell «One Vice At A
Time» und «Headhunter» (Platin in den USA) Klassiker für die
Ewigkeit veröffentlicht.
Okay, «Metal Rendez-Vous» bleibt in
meinen Augen überbewertet, da waren es schon eher «One Vice At A
Time» und natürlich «Headhunter», bei denen ich wohl jede Note in-
und auswendig kenne. Aber so sind die Geschmäcker unterschiedlich
und das ist auch gut so. Verschweigt man aber fast ein
Vierteljahrhundert der Krokus-Geschichte, weil sie angeblich nicht
wichtig sei, mutet das schon einer bösartigen Unterstellung an.
Seien wir ehrlich, gerade ohne diese 25 Jahre, hätten es Krokus sehr
wahrscheinlich nie mehr geschafft an die alten Erfolge anzuknüpfen,
denn auch in dieser, von Mister von Rohr oftmals verschmähten Zeit
(er war zu dem Zeitpunkt kein Bandmitglied), gab es viele tolle
Alben.
Kommen wir aber zum Abschiedskonzert. Ist es denn wirklich eines?
Werden die Herren nie mehr zusammen auf der Bühne stehen? Oder wird
das Geld einmal mehr locken, wie bei Mötley Crüe? Gehen wir davon
aus, dass es das letzte (zumindest in der Schweiz) war, dann darf
man durchaus sagen, dass es ein verdammt gutes war. Auch wenn beim
Film «As Long As We Live» Pfiffe vom Publikum zu hören waren. Wieso
eigentlich? Wegen Butch Stone, der die Band ausnahm wie die berühmte
Weihnachtsgans oder weil man sich den Film nicht antun wollte?
Liebe Besucher, jetzt aber mal Hand aufs Herz. Wer will eine
unnötige Vorband an einem solchen historischen Abend? Eben, ich auch
nicht! Darum fand ich die Filmausschnitte (der ganze Movie wurde
wohl bewusst nicht gezeigt) nicht nur lustig, sondern sehr
authentisch. Die coole Schnauze von Chris und die nicht minder
fantastischen Aussagen von Fernando zeigen deutlich die Chemie,
welche die beiden Stützen der Truppe ausmachte. Auch wenn die Herren
Musiker unterschiedlicher nicht sein könnten. Nach dem Film ging es
nahtlos in einen zweistündigen Set über, der logischerweise nicht
allen gefallen konnte, welche die Truppe über all die Jahren
begleitete. Dass zu Beginn nicht «Headhunter», wie sonst auf den
Konzerten der «Adios Amigos»-Tour, gespielt wurde, war für mich
unverständlich. Kein anderer Song hätte diesen
Abend
besser starten können, als der Trommelwirbel dieser Überhymne zu
Beginn des Gigs. So war es «Long Stick Goes Boom», welcher den Abend
einläutete, dicht gefolgt von «American Woman». Beide wurden mit
tollen Filmen auf den drei Video-Screens begleitet. Ja, meine
Lieben, gewisse Filmausschnitte kannte man von KISS oder den
Scorpions, aber meine Güte, die tanzenden Ladys gehören nun mal zu
der «American Woman». Hier bewies Marc Storace einmal mehr, welch
begnadeter Sänger er noch immer ist und schrie sich seine
Stimmbänder warm. Mit Feuersäulen und Papierschlangen geizte das
Sextett nicht, und so war trotz fehlendem «Headhunter» der Einstieg
nahezu perfekt. Dies auch dank eines immer sehr druckvollen Sounds.
Mit «Rock'n'Roll Tonight» und einem Medley, bestehend aus dem
famosen «Rock City», dem groovigen «Better Than Sex» und dem eher
belanglosen «Dög Song», bei dem ich mich mehr auf den Strassenköter
im Film konzentrierte als auf den Song, ging es weiter. Was danach
folgte, war eine unglaubliche Dynamik und Dramatik mit «Winning Man»,
ein Track, der langsam startet und furios endet. Die musikalische
Zeitreise ging weiter mit alten Liedern («Tokyo
Nights», «Fire», dem bärenstarken «Eat The Rich») und neueren Songs
(«Hellraiser», dem laut mitgesungenen «Hoodoo Woman», «Live For The
Action»). Grundsätzlich ein in sich stimmiges Set, das richtig Fahrt
aufnahm mit «Rockin' In A Free World», «Easy Rocker» und
«Heatstrokes». Das tolle Konzert lebte von der Dreier-Gitarrenpower
(Fernando von Arb, Mark Kohler, Mandy Meyer), bei der einmal mehr
Fernando der absolute Chef im Ring war. Nichts gegen die
handwerklichen Qualitäten von Mandy, aber wenn Mister von Arb in die
Saiten greift, dann verbinden sich Dynamik, Power,
Durchschlags-kraft, Leidenschaft und purer Rock'n'Roll eben.
Mit
dem Zugabe-Block hätte Krokus nochmals alles in den Boden rocken
können. Der Einstieg mit der wunderschönen Ballade «Screaming In The
Night» war äusserst genial, geriet in meinen Ohren aber mit «Dirty
Dynamite» und «Back Seat Rock'n'Roll» ins Wanken. Ja, ich weiss, das
sah wohl nur ich so, denn die Fans feierten die Herren ab. Hier aber
mehr Mut zu zeigen und zum Beispiel «Wild Love», «Bad Boys Rag
Dolls», «Save Me», «Rock The Nation», «Boys Nite Out» oder «Stand
And Be Counted» einzubauen, wäre eine sensationelle Überraschung
gewesen. Dass «Bedside Radio» ganz am Schluss gespielt wurde, war so
sicher wie AC/DCs «For Those About To Rock» oder KISSs «Rock'n
Roll All Nite». Auch dass «Quinn The Eskimo» der obligate Rausschmeisser sein
würde. Fazit: Es war in meinen
Augen
eine würdige Abschiedsshow, die mich als Fan zu jeder Epoche (okay,
klammern wir «Round 13» mal aus), sicherlich den einen oder anderen
Song vermissen liess. Für die zahlreichen Fans im Hallenstadion
wurden garantiert die richtigen Tracks gespielt. Das liess der
Applaus vermuten und das ist es, worauf es ankommt. In diesem Sinne
freue ich mich auf Fernando und seine Bad Ass Romance und danke
Krokus für über vierzig Jahre «Kick Ass Rock'n'Roll». Lieder, welche mich
durch viele Lebensphasen begleiteten und die mir in Form von
«Winning Man» oder auch «Headhunter» immer wieder den Weg wiesen.
Ich verneige mich vor einer Truppe, bei welcher das
Abschiedskonzert keine desaströse Aufführung war, sondern ein Gig,
den ich in bester Erinnerung behalten werde und bei dem ich nach dem
letzten Ton ein paar Sekunden brauchte, um mich von Krokus zu
verabschieden…
Setliste: «Long Stick Goes Boom»,
«American Woman», «Rock'n'Roll Tonight», «Rock City / Better Than
Sex / Dög Song», «Winning Man», «Hellraiser», «Tokyo Nights»,
«Hoodoo Woman», «Eat The Rich», «Fire», «Live For The Action»,
«Rockin' In A Free World», «Easy Rocker», «Heatstrokes / Drum Solo
Flavio Mezzodi» - «Screaming In The Night», «Dirty Dynamite», «Back
Seat Rock&'n'Roll» - «Beside Radio», «Mighty Quinn»
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