Diskussionen mit Rockslave sind stets eine herzerfrischende
Angelegenheit. Dass wir uns dabei nicht immer einig sind, ist so
sicher wie das Amen in der Kirche. Das soll und muss auch irgendwie
so sein, greift aber zu keiner Sekunde unsere jahrelange
Freundschaft an! Wir können uns sehr einig sein, wenn es um die neue
Accept-Scheibe geht, aber auch gleichermassen uneinig, wenn es sich
um Last In Line handelt. Ja mein lieber Rockslave, auch wenn
Dio-Lieder ohne Ronnie James etwas sehr Unvorstellbares sind, haben
Vivian Campbell (Gitarre) und Vinny Appice (Drums) eindrücklich
bewiesen, dass die Instrumentalisten-Front ein gewichtiges Wort
mitzureden hat. Rundet man dies noch mit einem begnadeten Sänger
(Andrew Freeman) ab, kann man getrost die Augen schliessen und hat
das Gefühl, in die grandiose Zeit zwischen 1983 und 1984 katapultiert
zu werden.
Killer
Doch der Reihe nach. Bevor uns Last In Line gepflegt den Arsch
versohlten, enterten die helvetischen Killer die Bühne. Crown
Kocher, der kürzlich sein 65. Wiegenfest feierte, stand einmal mehr
in seinem schwarz/weissen Daltongewand auf der Bühne. Sprich seinem
Sträflingsanzug, ein Relikt aus den tollen achtziger Jahren. Man
kann über das Quintett denken wie man will. Für die einen ist es
immer wieder eine Bereicherung, mit dem AC/DC-lastigen Sound eins auf
die Mütze zu bekommen, während für die anderen nach vier bis fünf
Liedern der sichere Weg zur Bar gewählt wird. Wie so oft im Leben,
liegt die Wahrheit in der Mitte. An Emi Bassbabe (Bass, logisch)
liegt es sicher nicht, denn die Lady powert mit einer unglaublichen
Performance über die Bühne, poste wie eine Göttin und schwang ihr
langes Haar im Takt. Sie ist eine sehr grosse Bereicherung auf der
linken Bühnenseite und verleiht der Truppe nicht nur optisch einen
enormen Kick. Andy Lickford spaltet derweilen die Meinung der
Nation ebenso, wie das Outfit von Crown. Für die einen ist der
Sänger der perfekt passende Shouter bei den Solothurnern, für die
anderen ein purer Kreischer. Lassen wir jetzt die unterschiedlichen
Geschmäcker auf der Seite und wenden uns dem Versuch der
Objektivität zu. Killer rockten! Es passierte viel auf der Bühne,
die Band poste, der AC/DC-Groove verfehlt seine Wirkung selten und
als Einheit hat der Fünfer einiges zu bieten. Die Band profitierte
an diesem Abend von unglaublich tollen Lichtverhältnissen auf der
Bühne und bewies ein Gespür für gute und weniger gute Ansagen.
«Hello motherfucker! Ihr sid geili Sieche» oder «…wir haben noch
einen Song. Eigentlich haben wir noch viele, aber ihr wollt ja noch
eine richtige Band hören…» Mit zunehmender Spieldauer wurde der
Applaus grösser und Killer überzeugten in ihrer Rolle als Anheizer. - Dabei
wäre es auch mal schön gewesen, ein «Blood On The Black Flag», «Rock'
n Roll Soldiers» oder «Stealin' My Mind Away» zu hören. - Unterm
Strich: Es war eine gute Show, was aber danach folgte, war die Pforte
zur metallischen Himmelstüre!
Last In Line Ohne grossen Bühnenaufbau,
nur mit einem durchsichtigen Drum als einziger "special effect"
betraten Vivian, Vinny, Andrew, der ehemalige Ozzy- und Beggars And
Thieves-Bassist Phil Soussan und Keyboarder Erik Norlander die Bühne,
um mit «Stand Up And Shout» schon mal gehörig Gas zu geben. Ja, es
stand nicht Dio auf der Bühne, aber zumindest 50% der
Original Dio-Band und mit Mister Freeman ein Shouter, der sich
problemlos mit Ronnie James messen lassen kann. UND! Vivian und
Vinny spielten die Lieder endlich wieder so, wie sie klingen müssen.
Ich
erinnere mich nur zu gut, wie gross das Geheule war, als Ronnie zuerst mit
Rowan Robertson und danach mit Tracy G auftrat und man das Gitarrenspiel von
Vivian schmerzlich vermisste. Diese Rufe wurden schon bei seinem
direkten Nachfolger Craig Goldy laut, obschon dieser eine sehr gute
Leistung abgab. Also, mit Vivian an der Gitarre, eigentlich in Diensten
bei Def Leppard, tönten die Lieder endlich wieder so, wie es sein
müsste. Wäre Bassist Jimmy Bain letztes Jahr nicht gestorben, hätten
an diesem Abend sogar 75% der einstigen Dio-Truppe auf der Bühne
gestanden. Somit kann man auch nicht von einer Cover- oder Tribute
Band sprechen, sondern von der Original-Truppe, die leider ohne
ihren verstorbenen Sänger (Dio) wieder auftritt. Bassist Phil hatte
eine gewisse Ähnlichkeit mit Jimmy, bewegte sich wie damals auf der
«Ultimate Sin»-Tour, als er bei Ozzy im Tour-Tross war und hatte
sichtlich Freude an den immer lauter werdenden Reaktionen des
Publikums. Erik verhielt sich sehr ruhig und hatte seine Auftritte bei
«Rainbow In The Dark» oder «Egypt (The Chains Are On)», während Vinny
mit seiner unnachahmlichen Art knüppelhart den Takt vorgab.
Vivian solierte wie in seinen besten Tagen und von seiner
Krebs-Erkrankung war kaum mehr was zu sehen. Die Riffs von «Stand Up
And Shout», «Holy Diver», «Evil Eyes» oder «The Last In Line»
setzten in all den Jahren kaum Staub an und bewiesen, dass gute
Musik zeitlos ist. Auch wenn Vivian der heimliche Star auf der Bühne
war, auf den die meisten Augen ruhten, überliess er Frontmann Andrew das Feld.
Mit einer unglaublich sympathischen Art, einem starken Charisma,
einer seelenruhigen Sicherheit und mit einer Stimme gesegnet, die
Ihresgleichen sucht, trumpfte Andrew gross auf und hinterliess nur
heruntergeklappte untere Kaubalken. Die Screams sassen ebenso wie
die tieferen Parts und statt sich als Dio-Kopie lächerlich zu
machen, präsentierte er sich auf eine sehr natürliche und
authentische
Art
und Weise. Dabei trumpften logischerweise die Dio-Songs aus den
ersten beiden Alben («Holy Diver» und «The Last In Line») gross auf,
von «Sacred Heart» wurde nichts gespielt, aber die eigenen Tracks von Last In
Line aus dem Debütalbum «Heavy Crown» erhielten genügend Platz zu ihrer
Entfaltung. So konnten «Devil In Me», «Already Dead», «Martyr» und
«Starmaker» sicher mehr überzeugen, als die damaligen Lieder aus den
Dio-Alben «Strange Highways» und «Angry Machines».
Von Song
zu Song wurde die Begeisterung im leider viel zu schlecht besuchten
Z7 immer grösser. So waren am Schluss die vielleicht 200 Besucher um
einiges lauter als 2'000 und liessen die Musiker nach 85 Minuten
sehr glücklich und zufrieden von der Bühne gehen. Die Herren
strahlten eine unglaubliche Zufriedenheit aus und hatten mächtig
Spass in den Backen, auch ohne grosse Bühnenkulisse und Requisiten.
Musikalische Highlights an diesem Abend waren sicher das von Dio
kaum mehr gespielte «Evil Eyes» und das unglaublich geile
«Invisible». Daneben trumpften «Egypt», «Straight Through The Heart»
und «Stand Up And Shout» gross auf, während mit den Hymnen «Rainbow
In The Dark», «We Rock» und «Holy Diver» eh nichts anbrennen konnte.
Dazwischen geriet das sich aufbauende und von akustischen zu harten
Parts wechselnde «The Last In Line», welches diesem Abend zu etwas
ganz Speziellem verhalf, zu einer wahren Lern- und Sternstunde.
Man darf diesen Abend somit durchaus als einen magischen Moment
bezeichnen. Tja, lieber Rockslave und alle anderen daheim gebliebenen
Musikbegeisterten: Ihr habt definitiv was verpasst! Selber schuld und
ich kann Euch allen nur raten, diese tolle Band beim nächsten Mal
nicht zu verpassen.
Setliste>: «Stand Up And Shout» -
«Straight Through The Heart» - «Devil In Me» - «Evil Eyes» -
«Holy Diver» - «Already Dead» - «Don't Talk To Strangers» - «The Last
In Line» - «Drum Solo Vinny Appice» - «Martyr» - «Invisible» - «Rainbow
In The Dark» - «Starmaker» - «Egypt (The Chains Are On)» - «We Rock».
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