Es ist keine unbekannte Tatsache, dass das Veröffentlichen guter
Scheiben und das Spielen ebenso guter Konzerte zwei Paar Schuhe
sind. Kann man das Eine, muss das Andere nicht unbedingt gelingen.
Nein, weder die Deutschen Shooting Stars Long Distance Calling als
Headliner, noch die beiden Support-Acts Sólstafir und Sahg legten an
diesem Abend eine schlechte Show hin. Souverän waren sie alle,
genauso wie sie ihre Fans begeistern konnten.
Und dennoch: Alle drei Auftritte im für einen Dienstag überraschend
vollen KIFF in Aarau zeigten, dass zwischen Scheibe und Bühne doch
erhebliche Unterschiede entstehen können. So zerfiel für mich der
sphärische Post Rock, wie ihn Long Distance Calling spielen und wie
ich ihn in der CD-Review letzten Monat bejubelt habe, schnell in
dröge Langatmigkeit. Wie dem auch sei, der überwältigenden Mehrheit
inklusive meinem Mitrezensenten Michel Arduin mundete die Sache an
diesem Abend, sodass LDC ihren Siegeszug ungebrochen fortsetzen
werden. Doch schön der Reihe nach.
Sahg
Es ist Dienstag und so wird der erste Support-Act, Sahg aus
Norwegen, pünktlich um 19:30 Uhr auf die Bühne geschickt. Nicht nur
die frühe Spielzeit wird der Grund gewesen sein dafür, dass das
Quartett nur bedingt auf Interesse stiess. Erstens fallen die
Skandinavier mit ihrem Retro Doom Rock an diesem Abend doch etwas
aus dem hippen Rahmen und zweitens sind Sahg trotz drei grossartigen
Alben immer noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt in unseren
Breitengraden. Oder lag es daran, dass der Vierer, der aus
Mitgliedern namhafter Bands wie Gorgoroth, Audrey Horne (mit denen
sich Sahg den Opener-Spot auf dieser Tour teilten), Manngard und I
besteht, mit «Godless Faith» zwar virtuos und eindringlich, aber
schleppend doomig loslegte? Die wenigen Sahg-Fans, zu denen auch ich
mich zähle, jedenfalls feierten Black Sabbath nacheifernde Kracher
wie das marschierende «Mortify» oder das groovende «The Executioner
Undead». Was einem dabei aber nicht verborgen bleiben konnte, war
einerseits das Fehlen der auf dem letzten Album «III» so gewichtigen
Hammond-Orgel und andererseits die angekratzte Stimme von Fronter
Olav. Der schaffte es an jenem Abend nämlich nur selten, in debil
kreischende Ozzy-Lagen vorzudringen, was dem ansonsten überzeugend
vorgebrachten Material etwas seiner düster bedrohlichen
Morbidität beraubte. Ein beherzter, souveräner, die Erwartungen dabei
aber nicht ganz erfüllender Auftritt, dem gerade die Long Distance
Calling Fans nicht viel abgewinnen konnten. (kis)
Sólstafir
Da weckten Sólstafir schon mehr Gefallen, keine Ahnung warum. Kaum
standen die Mannen aus Island auf der Bühne, ging im KIFF die
Euphorie um. Ob bärtige Pagan-Metaller, bärtige Alternativ-Metaller
oder bärtige Metalcorler, allesamt feierten sie die ebenfalls
bärtige Band vom ersten entrückten Akkord des Opener «Ljós í Stormi»
ab. Und um es noch einmal zu sagen: keine Ahnung warum! Zwar muss
ich zugeben, dass die eigenständige Mischung aus nordischen Klängen,
Emocore und Sludge-Elementen auf der Scheibe trotz Kitsch-Gefahr einen
gewissen Sog entwickelt, live war davon jedoch wenig zu spüren.
Beinahe gelangweilt vom eigenen Tun wirkte die Band, während sie
taktlos überlange Songs wie «Svartir Sandor» oder das ambient-hafte
«Goddess Of The Ages» runterwurstelte und Fronter und Gitarrist
Aðalbjörn "Addi" Tryggvason sich dazu ungelenk nordische Melancholie
und Schmerz aus der Brust jaulte, winselte und brüllte. Die
zahlreichen Fans schien dies indes wenig zu stören und so bejubelten
sie das Quartett ununterbrochen. Sólstafir scheinen mit ihrem
Post-Pagan-Sound den Nerv der Zeit zu treffen. Die Eigenständigkeit
und Ernsthaftigkeit, mit welcher der Vierer sich zwischen den Genres
bewegt, hat einen Achtungsapplaus verdient, mehr meiner Meinung nach
aber auch nicht, vor allem nicht live. (kis)
Long Distance Calling
Der Headliner startete ruhig und abgeklärt mit «Waves», dem
Vorzeigelied ihres neuen Album. Zur Stimmung passte das
blaue Licht, das der Atmosphäre im KIFF einen besonderen Hauch der
Andersartigkeit verlieh und der Nebel, der alle Konturen verwischte.
Während also im Off das Intro startete, woben die Jungs nach und
nach und mit grossem Einsatz des Basses, einen Soundteppich, der
sich sehen lassen konnte. Erst spät im Lied fand dieser zu seinem
Höhepunkt. Doch darin sind die Jungs aus Münster Spezialisten. Sie
verstehen es, gekonnt mit Rhythmen zu spielen. Mal sind sie leise
und nachdenklich, mal voller Leidenschaft und Kraft. Jeder Ton
sitzt, die Soli sind unglaublich gut und man merkt, dass die Jungs
selbst grossen Spass daran haben, auf der Bühne zu stehen und
miteinander zu spielen. Man vergisst, dass die Zeit vergeht, es gibt
kein grosses Anfeuern, niemand hüpft herum oder schubst gar andere
an, das Publikum konzentriert sich aufs Zuhören und Geniessen. Sie
machen aber auch verdammt gute Musik. Wer Long Distance Calling noch
nicht kennt, am ehesten lassen sie sich in der Sparte Postrock
unterbringen, doch sie haben genug Metal-Riffs, um den Stempel des
Progressiv-Metals tragen
zu können. Am besten hört man sie sich
(vorzugsweise live) an und bildet sich dann eine eigene Meinung.
Aufgenommen hören sie sich meiner Meinung nach sehr elektronisch und
fast schon steril an, aber live dagegen ist ihr Sound lebendiger und
organischer.
Erstaunlich, dass die Band über die Hälfte des Auftritts zuwartete,
bis sie ihren Sänger hervor holte, der dann mit seinen cleanen Vocals
seinen Platz auf der Bühne souverän übernahm. LDC haben ja erst im
2012 (Bandgründung 2005) entschieden, einen ständigen Sänger in der
Band aufzunehmen, der sich meiner Meinung nach prima zu den
Instrumentals ergänzt, zumindest live. Ihr Auftritt ist die Art
Erfahrung, bei der man auch mal mitten im Publikum die Augen
schliesst, sich völlig der Musik hingibt und alles andere rundherum
einfach vergisst. Nach getaner Pflicht und einer Pflicht-Zugabe
verabschiedeten sich die sympathischen Jungs vom Publikum unter
grossem Applaus. Was mich anbelangt, so haben LDC an diesen Abend
einen neuen ständigen Fan hinzugewonnen. (mch)
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