Man schrieb das Jahr 1984, ein winterlicher
14. November sollte die musikalische Entjungferung eines Berner
Jünglings sein. Ort des Geschehens, die St. Jakobhalle in Basel. Die
Täter, Iron Maiden auf ihrer «Powerslave»-Tour, zusammen mit dem damals
aufstrebenden, wilden Haufen namens Mötley Crüe, der gerade das
Wohnzimmer des Jünglings mit seiner neuen Scheibe «Shout At The Devil»
verzauberte. Pünktlich um 14 Uhr (!!!) stand der zu allen Schadtaten
bereit stehende Junge mit seinem Kumpel vor den noch verschlossenen
Türen der Halle und war geplättet ob der holden Weiblichkeit, die
in einem Hauch von Nichts gekleidet war, umgeben von purem Sex und
willenloser Hingabe. Schon von diesen Bildern total geflasht, erlebte
der Junge am Abend ein Konzert, das sich so schnell nicht mehr
wiederholen sollte.
Mit «Bastards» legten Vince Neil und seine Jungs seinerzeit wie die
Feuerwehr los und liessen die Frauen ohnmächtig zurück. Was damals in
knapp 45 Minuten zelebriert wurde, war an geilen Songs, einer wilden
Performance, einem ungestümen Posing und einer unermüdlichen
Spielfreude lange Zeit nicht mehr zu toppen. Knapp 31 Jahre später
standen Vince, Nikki Sixx (Bass), Mick Mars (Gitarre) und Tommy Lee
(Schlagzeug) wieder in dieser Halle auf der Bühne. Allerdings um ihren
Abschied von der gemeinsamen Zeit als Band zu zelebrieren. Es soll
tatsächlich die letzte Möglichkeit gewesen sein, die Truppe in dieser
Konstellation zu sehen und das schien schätzungsweise 7'000 Leute
anzulocken, um Mötley «fucking» Crüe nochmals live zu erleben. Dass
dabei die Groupies von damals mit der Combo gealtert sind,
beziehungsweise viele damalige Headbanger heute mit einer Glatze oder
einem Kurzhaarschnitt glänzen, liegt am Umstand, dass viele Fans die
Band über Jahre hinweg treu begleitet haben. Betrat man 2015 die Halle,
fiel sofort die einer Achterbahn ähnelnde Konstruktion auf, welche von der
Bühne zum Mischpult führte und an der Hallendecke hing. Man durfte sich also
wieder auf ein spektakuläres Solo von Tommy freuen. Aber sicher war
auch, dass Mötley Crüe kaum an die wilde Show von 1984 anknüpfen
konnten. UND! Dass man einen Special Guest wie Alice Cooper zuerst
toppen musste!
Saint Asonia
Anstelle eines wirklich tollen Supports, in Form von W.A.S.P.,
Slaughter oder Danger Danger, welche perfekt zu den folgenden beiden
Truppen gepasst hätten, standen Saint Asonia auf der Bühne. Eine
angebliche Supertruppe aus Kanada und Amerika. Nun ja, die Halle war
kaum gefüllt und im Vergleich zu Alice Cooper und Mötley Crüe fast
leer, als der Vierer die Bühne bestieg. Das grosse Backdrop war
schlussendlich das Einzige, was gross war an der Band. Ansonsten
glänzten die Jungs mit gleichklingenden Songs und Langeweile. Zu
emotionslos oder zu kalt wurden die Lieder vorgetragen. Selbst wenn
sich Leadgitarrist Mike Mushok als bangendes Monster gebärte, der
grosse Applaus blieb nach dem letzten Ton aus und es schien, dass die
Leute froh waren, dass der Spuk beendet ist. Der Vierer hat keinen Hit
und das in Kombination mit den folgenden Truppen glich einem
Selbstmordversuch. Dass man so im Gedächtnis der Fans bleibt, ist sehr
fraglich. Auch wenn die grösste Fanreaktionen dann erfolgte, als Sänger
Adam Gontier Alice Cooper und The Crüe als weitere Acts anpries. Es war
ein netter, 25 Minuten dauernder Versuch zu gefallen. Mehr als das war
es nicht und im Vergleich zur Supportshow von Mötley Crüe 1984 an
gleicher Stelle schon fast eine Arbeitsverweigerung.
Alice Cooper
Das Bühnenbild änderte sich schnell und wer Alice Cooper dieses Jahr
schon am «Rock Im Ring»-Festival sah, wusste, was ihn erwarten wird. Mit
tosendem Applaus wurde Vincent Damon Furnier (Gesang), Chuck Garric
(Bass), Glen Sobel (Drums) und das Gitarren-Dreigestirn Nita Strauss,
Tommy Henriksen (wohnt im Zürcher Oberland) und Ryan Roxie empfangen.
Der Meister (in einem schwarzen Umhang gekleidet) stieg erhaben die
Stufen vom Schlagzeug-podest herunter und ein fetter Funkenregen
prasselte hinter ihm herunter. Mit «The Black Widow» startete Alice
Cooper die folgenden knapp 55 Minuten und zelebrierte eine Rock-Show,
die es in sich hatte. Da durfte der schwarz/rote Frack («No More Mr.
Nice Guy») ebenso wenig fehlen, wie der Krückenstock bei «I'm
Eighteen», die Billion Dollar Noten bei «Billion Dollar Babies», die
Perlenketten bei «Dirty Diamonds», die vollgefressene fette Boa
Constrictor und die Peitsche in «Go To Hell», das Frankensteinmonster
und Doktor Frankenstein bei «Feed My Frankenstein», die fast erdrosselte, verrückte
Krankenschwester bei «Ballad Of Dwaight Fry», die Guillotine bei «I
Love The Dead» und der weisse Anzug mit Zylinder sowie die grossen
Ballone bei «School's Out». Was Mister Cooper bot, war eine
Headlinershow, zusammen mit einer unglaublich tighten Truppe. Angeführt
von Supertrommler Glen Sobel - er ersetzte Tommy Lee bei einigen
Crüe-Auftritten - der heute der wildere und showtechnisch
interessantere Trommler ist (wirft seine Sticks in die Höhe, jongliert
mit ihnen) wie Tommy! Das Gitarrentrio harmonierte perfekt, wechselte
sich dabei immer wieder bei den Solos ab oder spielte banddienlich
einen Solopart nach dem anderen («Under My Wheels»). Chuck entpuppte sich
wie ein kleiner Sohn von Gene Simmons und brillierte mit seinen
marschierenden Schritten und seinem Charisma. Es war eine durchgestylte
Rock-Show, während der nichts dem Zufall überlassen wurde, aber niemals
langweilig wirkte, sondern auf der ganzen Linie begeistern konnte.
Dabei hinterliess Nita einmal mehr einen viel vitaleren und agileren
Eindruck als ihre oftmals in den Himmel gelobte Vorgängerin Orianthi,
die in meinen Augen viel zu kühl auf der Bühne wirkte. Das pure
Gegenteil ist Frau Strauss, die bangend und rennend die Bühne
beherrscht und sich gerne mit ihren männlichen Kollegen duelliert und
dabei noch verdammt gut aussieht.
Mister Cooper ist der Showman, einer der
genau weiss, wie er seine nach wie vor tolle Stimme einzusetzen hat,
die auch mal völlig verrückt und paranoid klingt («Ballad Of Dwaight
Fry»). Wenn er mit dem Säbel unzählige Dollar-Noten verteilt, mit
galanten, fast Diven haften Bewegungen seine Perlenketten ins Publikum
wirft oder bei «Poison» mit fordernder Stimme verkündet: «Raise
your hands if your poison!» und die Hände der Besucher wie bei
einer Welle in die Höhe schiessen, dann erkennt man, wer hier das Sagen
hat. «Poison» liess zum ersten Mal an diesem Abend die spitzen Mädchen-
und Frauenschreie hören. Alice lieferte einen Hit nach dem anderen,
selbst wenn er keine Songs der Erfolgsalben «Hey Stoopid» und «The Last
Temptation» spielte. Zeit wäre noch gewesen, hätte die Band auf das
sicherlich coole Schlagzeugsolo und die folgenden Soloausflüge der
Saitenfraktion verzichtet. Alice erhält durch diese Besetzung eine Art
Frischzellenkur. Es ist unglaublich, mit welcher souveränen Art er noch
immer zu begeistern weiss und sich dabei Abend für Abend den Kopf
abhacken lässt, sich gesanglich den entsprechenden Songs anpasst und
sich herrlich theatralisch aus der Zwangsjacke befreit, um kurz davor
noch die verrückte Krankenschwester zu erdrosseln und dabei die
Gesangslinien dem Thema entsprechend singt oder schreit. Mit dem
Rausschmeisser «School's Out», wo der Schluss erneut mit dem Refrain
von Pink Floyds «Another Brick In The Wall» garniert wird, beendeten
Mister Cooper und seine Truppe unter aufbrausendem Applaus und Geschrei ein
Konzert der Spitzenklasse. Die Messlatte für den Headliner war somit
extrem hoch gelegt.
Setliste: «Vincent Price (Intro)» - «The Black Widow» - «No
More Mr. Nice Guy» - «Under My Wheels» - «I'm Eighteen» - «Billion Dollar
Babies» - «Poison» - «Dirty Diamonds» - «Go To Hell» - «Feed My
Frankenstein» - «Ballad Of Dwight Fry» - «I Love The Dead» - «School's Out».
Mötley Crüe
Diese hochkarätige Vorlage wurde von Mötley Crüe im Verlauf des Konzerts sogar noch
übertroffen. Das lag einerseits an der spektakulären Pyro-Show, die
schon fast Dimensionen der Marke KISS annahm – ein namhafter Schweizer Musiker
meinte dazu, das wäre nichts für seine Band, das sähe wie ein riesiges
Grillfest aus, da bekäme er nur Hunger – und man schon fast frech bei
Stanley und Simmons klaute, als am Schluss von «Kickstart My Heart»
Nikki und Vince mit schwenkbaren Podesten über den Köpfen des Publikums
schwebten. Zudem tauchten immer wieder die beiden Backgroundsängerinnen auf, die Mötley-like
verdammt knackig aussahen und bei den Männern die Betriebstemperatur
zusätzlich erhöhten. Die Setliste war in meinen Augen allerdings zu
durchdacht und man fokussierte sich zu stark darauf, die Singles der
vergangenen Jahre zu spielen. Die einzige Überraschung, sofern man dies
als solche sehen kann, war «Louder Than Hell» vom «Theatre Of
Pain»-Album. Ansonsten ging der Vierer auf Nummer sicher, was ganz klar
einer «Best Of»-Setlist gleichkam, aber man sich auf einer
Abschiedstour doch wünschte, vielleicht wieder mal «Take Me To The
Top», «All In The Name Of Rock' n Roll», «Save Our Souls», «Too Young
To Fall In Love», «Red Hot», «Bastards» oder die Beatles-Coverversion
«Helter Skelter» zu hören, anstelle der zu Tode gespielten «Anarchy In
The U.K.» oder «Smokin' In The Boys' Room» Covers. Doch wir jammern hier
aber auf hohem Nievau!
Die Band spielte, wie man sich dies erhoffen konnte. Sicher weit weg
von der 84er-Show und der damals präsentierten ungebändigten
Spielfreude, aber noch immer als gestandene Rocker mit Pfeffer im
Arsch. Mick Mars spielte wie immer mit einer stoischen Ruhe seine Riffs
und Solos. Verpackt unter einem grossen Zylinder war sein Gesicht kaum
zu erkennen. Tommy Lee, und das überraschte, beschränkte sich jedoch auf sein
Powerdrumming, bot aber mit Ausnahme seines verrückten Solos, kaum Showmässiges. Wo blieb denn die berühmte
Show der schwingenden Drumsticks? Das Jonglieren und Hochwerfen seiner Arbeits-geräte? Er,
der dies als Erster populär machte und auf den höchsten Stand brachte? Schade,
da hätte zumindest ich mehr erwartet. Nikki posierte derweil wie gewohnt cool
und lässig, marschierte über die Bühne, animierte die Fans und sang
meistens bei seinem freihängenden Mikrofon, an welchem der berüchtigte
«Shout At The Devil»-Stern hing. Tja und Vince… Er ist in die Jahre
gekommen und hat seine schlanken Linien schon länger eingebüsst. Dass
er gesanglich kein Paul Shortino, kein David Coverdale und kein Joe
Lynn Turner ist, wissen wir seit den ersten Konzerten. Aber genau dies
macht eben auch das Flair seines Gesanges aus, dieses Krächzen in der
Stimme. Ansonsten bewegte sich der Blonde noch immer sehr aktiv auf der
Bühne. Was dem Konzert aber das Flair raubte, war der völlig
beschissene Sound, bei dem man die Songs meistens nicht auf Anhieb
erkannte. Schade, schon Alice Cooper litt unter einer nicht optimalen
Beschallung, aber bei Mötley war dies schlicht unerträglich!
Und wenn der Sound schon dürftig war, konnte man sich wenigstens an den beiden Mädels
auf der Bühne kaum satt sehen. Synchrones Tabledancing könnte man die
Darbietung der Beiden auch nennen. Wer zu weit weg von der Bühne stand,
dem wurde ein klarer Blick mit den beiden Videoscreens beschert.
«Basel, make some fucking noise!» Vince Anfeuerungsrufe war zwar nicht einmal nötig,
denn Basel stand vom ersten Ton wie eine Bank hinter dem Quartett.
Dabei sorgten die Eröffnungsnummer «Girls, Girls, Girls», «Wild Side»
und «Primal Scream» schon für eine ausgelassene Stimmung, unterstützt
von vielen Pyroeffekten und Feuerfontänen. Dass bei der Setliste der
Millionenseller «Dr. Feelgood» im Mittelpunkt steht, war klar. Auch
dass man mit «Smokin' In The Boys' Room» einen ersetzbaren Track
spielte. Dafür trumpften «Looks That Kill» und das fantastisch in Szene
gesetzte «Shout At The Devil», der Hexenstern von Nikkis Mikrofon
brannte lichterloh und aus dem Bass schossen unzählige Stichflammen,
gross auf! «How do you feel so far? How many motherfuckers are here tonight?» Vince
animierte die Crüe-Fans immer wieder und man weiss ja nicht erst seit
1984, dass die Mötley-Freaks zu den Loyalsten gehören. Nikki «bad ass
motherfucker» richtete kurz vor «Anarchy In The U.K.» ein paar Worte an
die Fans, mit denen er für die langjährige Unterstützung dankte. «Hello
Swiss, German and French people, can you understand me?», waren die
einleitenden Worte, bevor er über die Entstehung von Mötley Crüe
sprach, um dann mit den Worten «Mötley Crüe is nothing without you!
Switzerland, that's the last fucking Mötley Crüe concert in fucking
Switzerland!», seine Ansage beendete. Tja, das wars dann also. Eine
der besten und skandalträchtigsten Truppen schliesst seine Pforten und
wird in dieser Besetzung nie mehr auftreten. Doch bevor der letzte Ton
ausklang, standen bei «Anarchy In The U.K.» vier in orangen
Overalls gekleidete Typen mit grossen Wasserpistolen auf der Bühne,
welche die vordersten Reihen besprühten. Das wie eine Achterbahn
fahrende Drum von Tommy, welches sich während der Fahrt von der Bühne
zum Mischpult über den Köpfen der Fans auch immer um die eigene Achse
drehte, war ein weiterer Höhepunkt. Einmal mehr eine Showeinlage, die
auch gut im Europa-Parc seinen Platz finden könnte. Auch wenn das Solo
nicht so spektakulär war, spielte er mal kopfüber Schlagzeug…
Das Finale wurde mit dem Peitschenschlag
«Live Wire» gestartet, bevor die Truppe mit «Dr. Feelgood» und
«Kickstart My Heart» Konfettischlangen und Pyros ohne Ende den
Abschluss setzte und Vince wie Nikki von den schon erwähnten
schwebenden Podesten grüssten und dankten. Fertig war das Konzert freilich
noch nicht. Die Scheinwerfer leuchteten erneut auf und suchten die
Musiker, welche sich den Weg durchs Publikum mit Taschenlampen bahnten
und auf einer Minibühne hinter dem Mischpult angelangt «Home Sweet Home»
spielten, begleitet von einem kleinen Video, welches den Werdegang der Amis vom
Start bis heute präsentierte. Unzählige brennende hoch gereckte Feuerzeuge verabschiedeten die
Band in eine ungewisse Zukunft. Werden wir Nikki, Mick, Vince und
Tommy jemals wieder auf einer Bühne sehen, oder sollte es doch nicht der
letzte Gig auf Schweizer Boden als Mötley Crüe gewesen sein? Sicher
war, dass sich die Herren würdevoll und mit viel Tam-Tam
verabschiedeten. Eine Truppe, die in den letzten 35 Jahren durch viele
Skandale auf sich aufmerksam machte, sich musikalisch auf jeden Album
anders präsentierte und die Szene mit den ersten vier Scheiben
nachhaltig geformt und geprägt hat. Auch wenn die Showelemente seit einigen
Jahren überhand genommen haben..., Jungs..., wir werden euch vermissen und den
Fussabdruck, den Mötley Crüe da hinterlassen, wird keine andere oder neue Band
je gleichwertig ausfüllen können…
Setliste: «So Long, Farewell (Intro)» - «Girls, Girls,
Girls» - «Wild Side» - «Primal Scream» - «Same Ol' Situation (S.O.S.)» -
«Don't Go Away Mad (Just Go Away)» - «Smokin' In The Boys' Room» - «Looks
That Kill» - «Mutherfucker Of The Year» - «Anarchy In The U.K.» - «In The
Beginning (Intro)» - «Shout At The Devil» - «Louder Than Hell» -- «Drum
Solo Tommy Lee» - «Guitar Solo Mick Mars» - «Saints Of Los Angeles» -
«Live Wire» - «T.N.T. (Terror 'n Tinseltown)-(Intro)» - «Dr. Feelgood» -
«Kickstart My Heart» --- «Home Sweet Home» - «My Way (Outro)».
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