Livereview: Motörhead - The Vibes
21. Oktober 2011, Zürich - Hallenstadion
By Rockslave

Die lauteste Rock'n'Roll Band der Welt war in den letzten Jahren in der Schweiz ein regelmässiger Gast und schon in mancher Location aufgetreten. Erst gerade Anfangs August spielten Lemmy und seine Jungs unter anderem bei der 20. Auflage des «Rock Oz'Arènes» in Avenches (VD) auf. So kam dann die Ankündigung eines neuerlichen Auftrittes und dann erst noch im Hallenstadion schon etwas überraschend. Sollten die Motörköppe nun wirklich mehr als 10'000 Leute anziehen können? Nein, das schon nicht und es zeichnete sich dann auch bald einmal ab, dass die Bühne nicht ganz hinten in der Halle stehen würde. Eigentlich rechnete man aber allenthalben mit einem Umzug nach Winterthur, so wie das Alice Cooper widerfuhr, der ursprünglich in der Basler St. Jakobshalle zu Gast sein sollte. Das geschah aber nicht und so fanden sich denn letzten Endes etwa rund 6'000 Fans im Hallenstadion ein, was bezüglich der Auslegung am heutigen Abend fast ein "sold out" zuliess. Als Support waren die Schweizer Retro-Rocker von The Vibes dabei, die es mächtig krachen liessen und voll überzeugten.

The Vibes

Die Schweizer Band aus Aarau, die, wie der Headliner, aus drei Musikern, namentlich MoJo (Daniel Flückiger, g/v), Matlock (Matthias Flückiger, b/v/keys) und Stuntman Jack (Reto Grüter) besteht, existiert schon fast zehn Jahre. In dieser Zeit entstanden zwei Alben und das dritte mit dem Titel «45 Minutes To Go» wird am 10. Dezember 2011 im Aarauer Kiff (wo denn sonst?) seine Plattentaufe erleben. Diesem an sich freudigen Ereignis ging freilich bereits der bisherige Höhepunkt der ganzen Karriere voraus, denn The Vibes konnten im Vorprogramm von Motörhead lärmen und das notabene im Hallenstadion! Auch wenn die Hütte "nur" halbvoll war, so vermittelte die entsprechend hergerichtete Konzerthalle genau das richtige Feeling. Punkt 20.00 Uhr enterten The Vibes die Bühne und mussten sich zuvor wohl nochmals in den Allerwertesten kneifen, um die Bedeutung dieses geschichts-trächtigen Moments richtig wahr nehmen zu können. Doch das Rock-Trio erstarrte dabei keineswegs in Ehrfurcht, sondern legte gleich wie die Feuerwehr los! Gitarrist MoJo vermittelte auch optisch das richtige Bild und liess mit seiner Haarpracht unweigerlich ein paar Gedanken an den unvergesslichen Phil Lynott und natürlich auch unseren Kissi von Metal Factory aufkommen. Mit kräftiger 70er-Schlagseite sowie teils etwas psychedelischen Einlagen wurde in der Folge gerockt, was das Zeug hielt! Chris dö Röhr (Krokus) hätte da mit seinen berühmten Spruch "Meh Dräck" nicht landen können. Ich musste mir (als einziger Fotograph überhaupt!) nach den gemachten Pix im Fotograben echt die Augen reiben und hatte immer mehr Freude an dem, was da auf der Bühne abging! Das heimische Publikum goutierte den beherzten Auftritt auch anerkennend, was zu deutlich mehr als bloss Höflichkeitsapplaus führte. Die Flückiger-Brothers hatten derweil das Geschehen immer im Griff und zogen ihr Ding voll durch. Interessant fand ich dabei das Detail, dass Matlock während dem zwischenzeitlichen Keyboard-Spiel über ein weiteres Instrument die in dieser Konstellation benötigten Basstöne zusätzlich beisteuerte. MoJo nutzte zudem die grosszügigen Platzverhältnisse und machte einmal ganz am Bühnenrand vorne locker einen auf Rockstar. Es war wirklich erstaunlich, welch heterogene wie wild vorgetragene Musikalität, gepaart mit cooler Lässigkeit da geboten wurde, und man hatte kaum das Gefühl, dass hier eine Support-Band zugegen war. Dass dann aus den eigentlich erwarteten 30 Minuten rund 37 wurden, durfte als weiterer Erfolg abgebucht werden und diese standen am Ende des Konzertes nochmals im Fokus meiner Live-Rezi. Fazit: The Vibes boten im Rahmen ihrer Möglichkeiten echt grosses Kino und werden wohl noch lange von diesem kultigen Abend in Zürich zehren!


Motörhead
Ich war nicht der einzige, einsame Rufer in der Wüste, der im Vorfeld etwas skeptisch war, ob Motörhead in so einer grossen Halle den nötigen Druck erzeugen können. Die früheren Zeiten der zugegebenermassen oftmals zu hohen Lautstärke-Pegel sind inzwischen zwar längst per Gesetz eingebremst worden, doch mitunter braucht es oder fehlt halt einfach die nötige Power, damit das Ganze wirklich abgeht. Wie dem auch sei, in Winterthur 2007 lieferten Lemmy & Co. vor gut 3'500 Fans auf jeden Fall einen der besten Gigs ever auf Schweizer Boden ab, wenn man mal von den kultigen Anfängen in den 80ern und frühen 90ern absieht. Die Affiche in Zürich stimmte zumindest, denn auch die Sitzplätze im extra dafür zurecht gestutzten Hallenstadion waren sichtlich belegt. Sonst brauchte es ausser einem grossen Backdrop mit dem Bandlogo und einer entsprechenden Wand an Amps aus dem Hause Marshall nicht viel mehr. In der Mitte thronte natürlich das mächtige Schlagzeug von Mikkey Dee und das war's dann auch. Kurz vor 21.15 Uhr stieg der Headliner auf die Bühne und wurde zunächst mal ordentlich vom Zürcher Publikum begrüsst. Mit dem Opener «Damage Case», einer ziemlich alten Kamelle von «Overkill» (1979), hätte ich nicht wirklich gerechnet und das liess mich zu Beginn noch darauf hoffen, dass die Setliste noch weitere Überraschungen beinhalten würde. «Iron Fist» verpuffte meiner Meinung nach anschliessend jedoch überraschend schnell, aber da noch im Fotograben stehend, stand mein Urteil wohl etwas auf wackligen Füssen. Wieder draussen, mitten im Publikum, respektive auf der rechten Seite stehend, bestätigte sich mein erster Eindruck jedoch rasch, denn zum Beispiel auch ein "very old classic" wie «Metropolis» plätscherte praktisch ohne Wirkung dahin. Das liess für den weiteren Fortgang nicht wirklich Gutes erahnen, zumal die Stimmung nicht gerade der Burner war. Tatsächlich war dann irgendwie der Wurm drin und die augenscheinlich etwas lustlos wirkenden Akteure der Saitenfront rupften derweil einen Song nach dem anderen runter.

Obwohl die Setliste total immerhin elf Alben berücksichtigte, war die Auswahl auch schon besser und warum man zum Beispiel «March Or Die» (1992) oder auch «Another Perfect Day» (1983) gar nicht oder im letzteren Fall nicht mehr berücksichtigt, finde ich einfach schade. Ebenso fehlten mir «Just 'Cos You've Got The Power», «Steal Your Face», «Lost In The Ozone» oder Lärmdinger der Sorte «Dogs» und «Born To Raise Hell». Was hinten raus blieb, waren die sattsam bekannten Musts. Allerdings zeigt sich in der Nachlese, dass es bei weiteren Konzerten auf dieser Tour durchaus zu Änderungen, respektive mehr gespielten Songs kam. So fehlten in Zürich «Rock Out» und der «Whorehouse Blues». Allerdings sah ich mal irgendeinen Gegenstand, Getränkebecher oder was aus immer in Richtung Bühne fliegen und darauf reagiert Lemmy jeweils höchst allergisch! Das kann sogar sofortige Konzertabbrüche nach sich ziehen! Gut möglich dass dies mit der sowieso fehlenden Lust einher ging und das ganze "Spektakel" deshalb nach exakten 75 Minuten bereits zu Ende war! Das hiess in der Endabrechnung, dass beim identischen Ticket-Preis von CHF 75.-- für jede einzelne Minute ein Franken locker gemacht wurde. In diesem Zusammenhang erwähne ich gerne und auch wiederholt die «1916»-Tour, die vor 20 Jahren durch unser Land rollte und damals nach gerade mal 65 Minuten (!) Schicht im Schacht war. Die infernalische Lautstärke wog allerdings die doppelte Zeit auf. Mit dem heutigen Konzert war ich persönlich gar nicht zufrieden, denn das war jetzt nach all den Jahren und unzähligen, miterlebten Konzerten das mit Abstand am schlechteste und die exorbitanten Preise am Merchstand, unter anderem CHF 50.-- für ein Tourshirt, raubten mir schliesslich noch den letzten Rest an guter Laune, mit der ich eigentlich nach Zürich gefahren war. Wacken, BYH!!! und andere Grossanlässe mögen da unbestritten die bessere Resonanz erfahren, aber Fakt ist, dass Motörhead bei mittelgrossen Locations wie maximal in Winterthur einfach besser funktionieren sowie eine alle glückselig machende Setliste halt nie oder kaum mehr zustande kommen wird. Und ja, wie oben erwähnt, spielten The Vibes zuvor einen somit zeitlich betrachtet "halben" Motörhead-Set.

Setliste: «Damage Case» - «Iron Fist» - «I Know How To Die» - «Stay Clean» - «Metropolis» - «Get Back In Line» - «Over The Top» - «One Night Stand» - «Guitar Solo Phil» - «The Chase Is Better Than The Catch» - «Born To Lose (w/ Drum Solo)» - «Orgasmatron» - «Going To Brazil» - «Killed By Death» - «Bomber» -- «Ace Of Spades» - «Overkill».