Ich gehe jetzt nun schon seit 1980 an Rock- und Metalkonzerte. In
dieser Zeit habe ich praktisch alles gesehen und gehört, was mir
wichtig erschien. Dann gibt es gewisse Umstände, die manchmal von
simpel bis hin zu kompliziert reichen. Gemeint ist damit das
Auslassen und/oder Ignorieren von einzelnen Bands und deren
Konzerten, bis man eines Tages feststellt, dass dies aufgrund der
Auflösung oder einem markanten Lineup-Wechsel irreversibel ist. Die
Gründe dafür sind natürlich ebenso mannigfaltig, aber mit dem Tod
eines oder mehrerer Musiker für alle Ewigkeit in Stein gemeisselt.
Beispiele dafür gäbe es genügend und in meinem Fall stehen da
(leider) Queen zu Buche. Wer aber Glück hat, und das waren in den
letzten Jahren tausende von Fans, kriegt nochmals eine Chance, die
es ultimativ zu packen gilt. Ich sage da zum Beispiel nur Tesla oder
eben Mr. Big! Es ist Tatsache, dass diese Supergroup in Europa von
vielen nur auf den Smasher «To Be With You» reduziert wurde und die
mangelnde Präsenz bei uns aufgrund des immensen Erfolges in Japan
den Rest besorgte. Das ist nun zum Glück Geschichte und es dürfte in
die Annalen vom Z7 eingehen, dass heute Abend tatsächlich die
Herren Martin, Gilbert, Sheehan und Torpey gemeinsam auf die Bühne
stiegen!
Offenbar waren sich ziemlich viele Fans der Bedeutung dieses
Ereignisses bewusst, denn wie wäre es sonst zu erklären gewesen,
dass nicht weniger als 900 (!!) Tickets bereits im Vorverkauf
geordert wurden und somit zum Konzert die beeindruckende Kulisse von
über 1'000 Zuschauern dem Ganzen die verdiente Würde gleich von
Anfang an zukommen liess. Bevor die Amerikaner sich blicken liessen,
wäre es normalerweise üblich gewesen, dass zuerst noch eine
Support-Band aufspielt. Bei einem Abendkassen-Preis von 50 Franken
ansich nicht mehr als fair. Warum es schliess-lich nicht dazu kam,
konnte man auf einem Aushang im Bereich der Bar-Tresen nachlesen. Da
in dieser Form und an dieser Stelle so noch nie gesehen, hier der
exakte Wortlaut: "Liebe Fans, Um die Nerven von Mr. Big zu schonen
haben wir auf den Einsatz einer Vorgruppe verzichtet... Für euer
Verständnis recht vielen Dank. Showstart 21 Uhr"
Nun ja, wie dem auch sei, aber es bleibt zu hoffen, dass dieses
etwas fragwürdige Beispiel nicht Schule macht, sonst werden W.A.S.P.,
sollten sie je wieder im Z7 spielen, nie mehr einen Support-Act in
Pratteln haben! Um Punkt 21.00 Uhr war das alles jedoch vergessen
und wie weggeblasen, als Mr. Big lautstark begrüsst wurden und
gleich mit dem Opener «Daddy, Brother, Lover, Little Boy» fulminant
los legten! Von der ersten Sekunde an war die Magie, die von dieser
Ausnahme-Combo ausgeht, spürbar. Vor allem die musikalische Präsenz
von Bass-Gott Billy Sheehan und 6-Saiten Hexer Paul Gilbert war
schlicht überwältigend! Zu einem wahrhaft göttlichen Sound, für den
ein weibliches Crew-Mitglied verantwortlich zeichnete, gerieten auch
auffällig viele Musiker im Publikum ins Schwärmen. Wer die kommende,
neue Live-DCD «Back At Budokan» zum Beispiel bereits bei CeDe.ch
näher beäugt hatte, merkte vielleicht alsbald, dass quasi der erste
Teil des Konzertes genau in der gleichen Reihenfolge wie in Tokyo
gespielt wurde. Sänger Eric Martin zeigte sich dabei fit wie ein
Turnschuh und sah nicht nur immer noch ziemlich jugendlich aus,
sondern sang einfach fabelhaft. Derweil spielte sich das Saiten-Duo
in aller Leichtigkeit warm und brachte schon ganz zu Beginn ihre
berühmten Akku-Bohrmaschinen (mit Plektren bestückt) zum Einsatz.
Das war aber noch gar nichts, denn die Solo-Einlagen standen ja erst
noch bevor!
Als Erster durfte Drummer Pat Torpey diesen Part wahrnehmen und
entlockte seinem optisch eher mager ausge-statteten Drum Beats und
Fills, die man ihm so nicht zugetraut hätte. Darüber hinaus strahlte
der Schlagzeuger während dem ganzen Auftritt und hatte sichtlich
Spass an seinem Job. Diesen hatten auch die bestens gelaunten Fans,
die jeden Sing-a-long, den Eric anzettelte, aktiv unterstützten.
Nach dem Cat Stevens Cover «Wild World» folgte noch «Take A Walk»,
ehe dann Paul Gilbert zeigte, was für ein brillanter Gitarrist er
ist. Sein Kompagnon Billy Sheehan liess sich in der Folge auch nicht
lange bitten und vollführte auf seinem Bass die hohe Kunst der tiefen
Töne. Dies alleine und auch zusammen mit
Paul. Eric tat einem
zwischendurch fast leid, wenn er sich zeitweise vor das Drum setzte
und halt warten musste, bis seine Kollegen fertig gefiedelt hatten.
Diese technisch schwer an Dream Theater erinnernden und ausufernden
Solo-Eskapaden waren sichtlich nicht für alle Besucher gleich
interessant, da dadurch die zuvor ausgelassene Stimmung beinahe ganz
in sich zusammenfiel. Für die anwesenden Musiker wie zum Beispiel
Ex-Krokus Recke Many Maurer wurde es eine Lehrstunde der fast
brutalen Art. Vor allem Billy Sheehan war schon alleine das
Eintrittsgeld wert, ein Wahnsinniger! Dafür verantwortlich war unter
anderem auch der Hammer-Mix, der jeden einzelnen Ton des
Ausnahme-Könners aus der PA hervor zauberte. Nebst den
beeindruckenden Solo-Gewittern hatten Mr. Big ihr Pulver jedoch noch
längst nicht verschossen und brachten dann zum Beispiel noch so
Hämmer wie «Rock'n'Roll Over» oder «Addicted To That Rush», die,
unterstützt durch geiles Licht aus dem Hause, alles in Grund und
Boden rockten. Und dann kam er, als erste Zugabe..., der Chart-Hit
«To Be With You», wo Master Gilbert mit der akustischen Gitarre die
richtige Atmosphäre erzeugen konnte. Im Anschluss holzten die Amis
noch «Colorado Bullfrog» runter, das von der Art her etwa mit «Hot
For Teacher» von Van Halen verglichen werden kann.
Ein Blick auf die Uhr zeigte langsam in Richtung zwei Stunden
Spielzeit, aber das Publikum holte die Band mit lautem Applaus
nochmals zurück auf die Bühne. Was in Japan fix auf der Setliste
stand, fehlte in Pratteln seltsamerweise, obwohl «Smoke On The
Water» ja fest mit der Schweiz verwurzelt ist. Die vier Amerikaner
waren zum Glück in absoluter Spiellaune und zockten den Purple-Smasher so zu sagen als Zugabe der Zugaben runter.
Über-raschenderweise (wie in Tokyo wohl auch), tauschten alle (!)
Musiker ihre Instrumente unter-einander aus! Somit sass Paul am
Schlagzeug, Eric spielte Gitarre, Pat Bass und Billy stellte seine
ordentlichen Gesangsqualitäten ebenfalls unter Beweis. Zum Solo hin
gab es dann nochmals eine kleinere Rochade, will heissen Billy
krallte sich jetzt die sechs Saiten, Eric entsprechend vier und Pat
war für die restlichen Gesangszeilen verantwortlich. Was für ein
Spass und so klang es auch. Das war's aber immer noch nicht, denn
erst «Baba O'Reily» und zuletzt «Blame It On My Mouth» beendeten
nach satten 130 Minuten einen der besten Gigs, der je in dieser
Halle abgehalten wurde! Zwar teilten nicht alle die gleichen
Meinung, aber ich war für mich persönlich einfach nur megahappy, an
diesem denkwürdigen Abend dabei gewesen zu sein. Ein absolutes
Highlight meiner jahrzehntelangen Passion für harte Rockmusik.
Flasche leer, ich habe fertig!
Setlist: «Daddy, Brother, Lover, Little Boy» - «Take Cover» - «Green-Tinted
Sixties Mind» - «Alive And Kickin'» - «Hold Your Head Up» - «Just
Take My Heart» - «Temperamental» - «It's For You/The Planets Op. 32:
Mars (Billy, Paul & Pat)» - «Drum Solo Pat» - «Price You Gotta Pay»
- «Wild World (Acoustic)» - «Take A Walk (Acoustic - Electric)» - «Guitar
Solo Paul/Double Human Capo» - «The Whole World's Gonna Know» - «Rock'n'Roll
Over» - «Bass Solo Billy» - «Addicted To That Rush» -- «To Be With
You» - «Colorado Bulldog» --- «Smoke On The Water» - «Shy Boy» - «Fielders
Choice» - «Baba O'Reily» - «Blame It On My Youth».
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