Livereview: Mr. Big
24. September 2009, Pratteln Z7
By Rockslave
Ich gehe jetzt nun schon seit 1980 an Rock- und Metalkonzerte. In dieser Zeit habe ich praktisch alles gesehen und gehört, was mir wichtig erschien. Dann gibt es gewisse Umstände, die manchmal von simpel bis hin zu kompliziert reichen. Gemeint ist damit das Auslassen und/oder Ignorieren von einzelnen Bands und deren Konzerten, bis man eines Tages feststellt, dass dies aufgrund der Auflösung oder einem markanten Lineup-Wechsel irreversibel ist. Die Gründe dafür sind natürlich ebenso mannigfaltig, aber mit dem Tod eines oder mehrerer Musiker für alle Ewigkeit in Stein gemeisselt. Beispiele dafür gäbe es genügend und in meinem Fall stehen da (leider) Queen zu Buche. Wer aber Glück hat, und das waren in den letzten Jahren tausende von Fans, kriegt nochmals eine Chance, die es ultimativ zu packen gilt. Ich sage da zum Beispiel nur Tesla oder eben Mr. Big! Es ist Tatsache, dass diese Supergroup in Europa von vielen nur auf den Smasher «To Be With You» reduziert wurde und die mangelnde Präsenz bei uns aufgrund des immensen Erfolges in Japan den Rest besorgte. Das ist nun zum Glück Geschichte und es dürfte in die Annalen vom Z7 eingehen, dass heute Abend tatsächlich die Herren Martin, Gilbert, Sheehan und Torpey gemeinsam auf die Bühne stiegen!

Offenbar waren sich ziemlich viele Fans der Bedeutung dieses Ereignisses bewusst, denn wie wäre es sonst zu erklären gewesen, dass nicht weniger als 900 (!!) Tickets bereits im Vorverkauf geordert wurden und somit zum Konzert die beeindruckende Kulisse von über 1'000 Zuschauern dem Ganzen die verdiente Würde gleich von Anfang an zukommen liess. Bevor die Amerikaner sich blicken liessen, wäre es normalerweise üblich gewesen, dass zuerst noch eine Support-Band aufspielt. Bei einem Abendkassen-Preis von 50 Franken ansich nicht mehr als fair. Warum es schliess-lich nicht dazu kam, konnte man auf einem Aushang im Bereich der Bar-Tresen nachlesen. Da in dieser Form und an dieser Stelle so noch nie gesehen, hier der exakte Wortlaut: "Liebe Fans, Um die Nerven von Mr. Big zu schonen haben wir auf den Einsatz einer Vorgruppe verzichtet... Für euer Verständnis recht vielen Dank. Showstart 21 Uhr"

Nun ja, wie dem auch sei, aber es bleibt zu hoffen, dass dieses etwas fragwürdige Beispiel nicht Schule macht, sonst werden W.A.S.P., sollten sie je wieder im Z7 spielen, nie mehr einen Support-Act in Pratteln haben! Um Punkt 21.00 Uhr war das alles jedoch vergessen und wie weggeblasen, als Mr. Big lautstark begrüsst wurden und gleich mit dem Opener «Daddy, Brother, Lover, Little Boy» fulminant los legten! Von der ersten Sekunde an war die Magie, die von dieser Ausnahme-Combo ausgeht, spürbar. Vor allem die musikalische Präsenz von Bass-Gott Billy Sheehan und 6-Saiten Hexer Paul Gilbert war schlicht überwältigend! Zu einem wahrhaft göttlichen Sound, für den ein weibliches Crew-Mitglied verantwortlich zeichnete, gerieten auch auffällig viele Musiker im Publikum ins Schwärmen. Wer die kommende, neue Live-DCD «Back At Budokan» zum Beispiel bereits bei CeDe.ch näher beäugt hatte, merkte vielleicht alsbald, dass quasi der erste Teil des Konzertes genau in der gleichen Reihenfolge wie in Tokyo gespielt wurde. Sänger Eric Martin zeigte sich dabei fit wie ein Turnschuh und sah nicht nur immer noch ziemlich jugendlich aus, sondern sang einfach fabelhaft. Derweil spielte sich das Saiten-Duo in aller Leichtigkeit warm und brachte schon ganz zu Beginn ihre berühmten Akku-Bohrmaschinen (mit Plektren bestückt) zum Einsatz. Das war aber noch gar nichts, denn die Solo-Einlagen standen ja erst noch bevor!

Als Erster durfte Drummer Pat Torpey diesen Part wahrnehmen und entlockte seinem optisch eher mager ausge-statteten Drum Beats und Fills, die man ihm so nicht zugetraut hätte. Darüber hinaus strahlte der Schlagzeuger während dem ganzen Auftritt und hatte sichtlich Spass an seinem Job. Diesen hatten auch die bestens gelaunten Fans, die jeden Sing-a-long, den Eric anzettelte, aktiv unterstützten. Nach dem Cat Stevens Cover «Wild World» folgte noch «Take A Walk», ehe dann Paul Gilbert zeigte, was für ein brillanter Gitarrist er ist. Sein Kompagnon Billy Sheehan liess sich in der Folge auch nicht lange bitten und vollführte auf seinem Bass die hohe Kunst der tiefen Töne. Dies alleine und auch zusammen mit Paul. Eric tat einem zwischendurch fast leid, wenn er sich zeitweise vor das Drum setzte und halt warten musste, bis seine Kollegen fertig gefiedelt hatten. Diese technisch schwer an Dream Theater erinnernden und ausufernden Solo-Eskapaden waren sichtlich nicht für alle Besucher gleich interessant, da dadurch die zuvor ausgelassene Stimmung beinahe ganz in sich zusammenfiel. Für die anwesenden Musiker wie zum Beispiel Ex-Krokus Recke Many Maurer wurde es eine Lehrstunde der fast brutalen Art. Vor allem Billy Sheehan war schon alleine das Eintrittsgeld wert, ein Wahnsinniger! Dafür verantwortlich war unter anderem auch der Hammer-Mix, der jeden einzelnen Ton des Ausnahme-Könners aus der PA hervor zauberte. Nebst den beeindruckenden Solo-Gewittern hatten Mr. Big ihr Pulver jedoch noch längst nicht verschossen und brachten dann zum Beispiel noch so Hämmer wie «Rock'n'Roll Over» oder «Addicted To That Rush», die, unterstützt durch geiles Licht aus dem Hause, alles in Grund und Boden rockten. Und dann kam er, als erste Zugabe..., der Chart-Hit «To Be With You», wo Master Gilbert mit der akustischen Gitarre die richtige Atmosphäre erzeugen konnte. Im Anschluss holzten die Amis noch «Colorado Bullfrog» runter, das von der Art her etwa mit «Hot For Teacher» von Van Halen verglichen werden kann.

Ein Blick auf die Uhr zeigte langsam in Richtung zwei Stunden Spielzeit, aber das Publikum holte die Band mit lautem Applaus nochmals zurück auf die Bühne. Was in Japan fix auf der Setliste stand, fehlte in Pratteln seltsamerweise, obwohl «Smoke On The Water» ja fest mit der Schweiz verwurzelt ist. Die vier Amerikaner waren zum Glück in absoluter Spiellaune und zockten den Purple-Smasher so zu sagen als Zugabe der Zugaben runter. Über-raschenderweise (wie in Tokyo wohl auch), tauschten alle (!) Musiker ihre Instrumente unter-einander aus! Somit sass Paul am Schlagzeug, Eric spielte Gitarre, Pat Bass und Billy stellte seine ordentlichen Gesangsqualitäten ebenfalls unter Beweis. Zum Solo hin gab es dann nochmals eine kleinere Rochade, will heissen Billy krallte sich jetzt die sechs Saiten, Eric entsprechend vier und Pat war für die restlichen Gesangszeilen verantwortlich. Was für ein Spass und so klang es auch. Das war's aber immer noch nicht, denn erst «Baba O'Reily» und zuletzt «Blame It On My Mouth» beendeten nach satten 130 Minuten einen der besten Gigs, der je in dieser Halle abgehalten wurde! Zwar teilten nicht alle die gleichen Meinung, aber ich war für mich persönlich einfach nur megahappy, an diesem denkwürdigen Abend dabei gewesen zu sein. Ein absolutes Highlight meiner jahrzehntelangen Passion für harte Rockmusik. Flasche leer, ich habe fertig!

Setlist: «Daddy, Brother, Lover, Little Boy» - «Take Cover» - «Green-Tinted Sixties Mind» - «Alive And Kickin'» - «Hold Your Head Up» - «Just Take My Heart» - «Temperamental» - «It's For You/The Planets Op. 32: Mars (Billy, Paul & Pat)» - «Drum Solo Pat» - «Price You Gotta Pay» - «Wild World (Acoustic)» - «Take A Walk (Acoustic - Electric)» - «Guitar Solo Paul/Double Human Capo» - «The Whole World's Gonna Know» - «Rock'n'Roll Over» - «Bass Solo Billy» - «Addicted To That Rush» -- «To Be With You» - «Colorado Bulldog» --- «Smoke On The Water» - «Shy Boy» - «Fielders Choice» - «Baba O'Reily» - «Blame It On My Youth».