Livereview: Murderdolls - Marionette
25. Januar 2011, Zürich - Dynamo (Grosser Saal)
By Kissi
2003, ein heisser Juni-Abend: Der Verfasser dieser Zeilen, gerade einmal 16 Jahre alt, steht aufgeregt im sich langsam füllenden Forum Fribourg. Zum zweiten Mal in seinem Leben wird er seine grossen Helden Iron Maiden livehaftig zu Gesicht bekommen. Doch zuerst hiess es Bühne frei für die Vorband. Ein aufgebretzelter mit schwarzem Lack & Leder und ebenso schwarzem Make-up dekorierter Haufen, irgendwo zwischen Zombies und Dragqueens, entert die Bühne und spielt punkig-simplen Sleaze Rock. Die Griffigkeit, die Eingängigkeit und die derben Texte mit reichlich viel „Fuck“ gefällt den jugendlichen Ohren. Ganz im Gegensatz zum Gros der Anwesenden. Die Traditionalisten verschmähen die Effekthascherei, das Übertriebene und schwankt zwischen Desinteresse und offener Ablehnung in Form von Buh-, oder, netter, „Maiden“-Rufe. Meinem Teenie-Ich ist das ganz egal. Am nächsten Tag statte ich dem Plattenladen meines Vertrauens einen Besuch ab und kaufe mir „Beyond The Valley Of The Murderdolls“.

Acht Jahre sind seither vergangen. Acht Jahre, in denen sich mein Musikgeschmack und -wissen vertieft und verfeinert hat und trotzdem mag ich die Murderdolls noch. Genauso wie das Gros sie immer noch nicht ausstehen kann. Weil sie eben übertreiben, weil sie eine Parodie sind auf sich selbst, auf Glam Rock, Zombie-Image und die Verbindung von Horror und Metal. Deswegen werden sie verschmäht und genau deswegen von einer Schar Fans verehrt, die geschnallt hat, wie bewusst karikierend die ganze Sache ist. Dass die zweite Gruppe sich in sieben Jahren, in welchen es still geworden war um die Truppe, nicht wirklich vergrösserte bewies das Konzert der Mörderpuppen im Zürcher Dynamo. Nur gerade eine handvoll Fans nahm an diesem Dienstag Abend den Weg ins Kulturzentrum an der Limmat auf sich, trotz den guten Kritiken, die „Women And Children Last“, der lang erwartete Nachfolger, mehrheitlich einheimsen konnte. Keiner der nicht einmal 150 Anwesenden wird jedoch seinen Besuch bereut haben, denn was die Truppe um Wednesday 13 und Slipknot-Drummer Joey Jordison vollführte war eine übertrieben schöne Grusel-Glam-Show im intimen Rahmen. Warum kompliziert, wenn's einfach auch geht?

Marionette
Doch zuerst hiess es Bühne frei für die Vorband. Marionette sind nicht viel älter als die meist noch nicht 20-jährigen Zuschauer. In ihrer Heimat als aufstrebender Stern des modernen Melo Death abgefeiert, trat der Fünfer bei uns erst als Support der Apokalyptischen Reiter 2008 ins Bühnenlicht und bis auf ein paar euphorische Fans herrscht im Publikum eher Skepsis denn Aufwärmfreude. Ob dies am für Murderdolls-Fans vielleicht zu harten Sound oder doch an der zwischen Emo und Goth liegenden Kleidung lag? In Sachen Performance macht das Quintett auf jeden Fall nichts falsch. Vorbildlich wird die enge Bühne (für die Murderdolls ist schon alles aufgestellt) möglichst schwunghaft beackert, der erst seit letztem Jahr frontende Sänger Alexander Andersson brüllt stark und bietet mit seiner weissen Phantom-der-Oper-Maske für den nötigen Unterhaltungsfaktor. Klar, moderner Death Metal mit Keyboards, irgendwo zwischen Children Of Bodom, neueren In Flames , Soilwork und den Death Stars ist nicht die Sache jedes Metallers, doch etwas mehr Höflichkeitsapplaus könnte man den Skandinaviern schon gönnen. Immerhin stimmt auch der Sound (bis auf ein paar von Andersson verursachte Rückkoppelungen), das Zusammenspiel und Songs wie „In Spite“, „Black Hand“ oder „Lights Off“ vom neuen und nunmehr dritten und bald erscheinenden Album kommen schwungvoll rüber.

Murderdolls
Als dann nach einer exakt passend langen Pause (Bier und Zigarette finden ihren Weg zu den dafür vorgesehenen Organen) das Bühnenlicht gelöscht und „The World According to Revenge“, das Intro zum Neuling „Women And Children Last“, abgespielt wird, sehen die Publikumsreaktionen ganz anders aus und das nicht nur bei der Schar schon jetzt aus dem Häuschen geratender, wirklich blutjunger Fans direkt vor der Bühne. Mit „Chapel of Blood“ stürmt die Band auf die Bühne und eröffnen damit eine über 90 Minuten dauernde räudige Horror-Glam-Show mit höchstem Unterhaltungswert. Optisch geben die Murderdolls ihren Fans dabei, was sie erwarten. Schwarz in schwarz, mit reichlich Mehl bestäubt, geben sie die Zombie-Truppe mit unverkennbaren Misfits-Anleihen. Fronter Wednesday 13 mutet im langen Mantel an, als wäre ein SS-Offizier auferstanden. Was die Setlist anbelangt, so gelingt den Dolls der Spagat zwischen alt und neu, denn nach dem ebenfalls vom neuen Album stammenden, knatternden „Death Valley Superstar“ und „Homicide Drive“ folgt mit „Slit my Wrist“, „Twist my Sister“ und „She Was a Teenage Zombie“ schon ein Klassiker-Dreier, der die Partylaune im Dynamo hochschiessen lässt. So im direkten Vergleich fällt dabei auch die musikalische Veränderung auf, die der Fünfer in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die neuen Songs sind zwar immer noch ruppige Sleaze-Knaller, jedoch nun melodiöser, abwechslungsreicher und weniger plakativ (dabei noch lange nicht komplexer), als das alte Material. So kann man zwar auch mit Aktuellem wie „My dark Place alone“ oder dem zynisch fröhlichen „Summer Suicide“ punkten, kriegt die lauten und ausgelassenen Chöre, die in die Höhe gereckten Hände aber doch mit „Die my Bride“ oder „People Hate Me“ deutlich besser hin.

Ob neu oder alt, soundmässig präsentieren sich die Songs im passend fräsenden Gitarrensound und angemessen laut. So wirkt das Gepose und Rockstar-Gehabe, dass die Truppe hinlegt trotz nicht einmal halbvoller Halle und der vergleichsweise niedrigen und kleinen Bühne des Dynamo-Saals kaum unangebracht oder übertrieben. Vielmehr harmonieren die Hollywood-Untoten mit ihren nicht einmal einen Meter entfernten Fans und geben, wenn auch nicht sonderlich kommunikativ, so doch ohne Diva-Anfälle alles. Joey Jordison, Slipknot's vielbeachtetes Trommelmonster wirkt dabei überraschend klein und schmächtig, beinahe macht man sich Sorgen, die grosse, natürlich bis zu den Knien runterhängende Gitarre, würde ihn zu Boden ziehen. Mit „Pieces of You“, dem fast schon als cheesig zu bezeichnenden „Nowhere“ und dem zwar überraschend gespielten, aber letztlich doch verzichtbaren „Bad Things“ aus Wednesday 13's Solokarriere folgt darauf der letzte Happen Neues und mit „Welcome to the Strange“ , „197666“ und „Mother F***er I Don't Care“ findet das reguläre Set sein Ende. Doch Verschnaufpausen scheinen im Repetoire der Murderdolls nicht enthalten zu sein, denn nach nicht einmal zwei Minuten stehen die Jungs wieder auf der Bühne und Wednesday bellt und geifert in bester Assi-Manier (wie überhaupt an diesem Abend!) „Dawn of the Dead“, einer extrem kurzen Version von „I Take Drugs“ und „Dead in Hollywood“ in die Menge. Gut 90 Minuten sind derweil vergangen, getrost könnten es die Dolls nun gut sein lassen. Doch trotz der bei anderen Bands Schicht im Schacht signalisierenden langen Verabschiedung inklusive Verbeugungen kehrt man noch einmal auf die Bühne zurück und versetzt dem Publikum mit „I Love to Say Fuck“, natürlich inklusive dem obligatorischen „Fuck“-Regenschirm, den finalen Todesstoss. Hämisch denkt man danach an all jene, die sich diese vom Unterhaltungswert, nicht aber vom Verhalten der Band hollywoodeske Schock-Rock-Show haben entgehen lassen. Drei, vier Akkorde, reichlich lyrische Leichen und noch mehr Fuck's, mehr braucht es eben manchmal nicht, um zu feiern.

Setlist Murderdolls: „The World According to Revenge“ - „Chapel of Blood“ - „Death Valley Superstars“ - „Homicide Drive“ - „Slit my Wrist“ - „Twist my Sister“ - „She Was a Teenage Zombie“ - „My dark Place alone“ - „Drug me to Hell“ - „Summer Suicide“ - „Die my Bride“ - „People Hate me“ - „Blood Stained Valentine“ - „Pieces of You“ - „Bad Things“ (Wednesday 13 Cover) - „Nowhere“ - „Welcome to the Strange“ - „197666“ - „Mother F***er I Don't Care“
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„Dawn of the Dead“ - „I Take Drugs“ - „Dead in Hollywood“
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„I Love to Say Fuck“