2003, ein heisser Juni-Abend: Der Verfasser dieser Zeilen, gerade
einmal 16 Jahre alt, steht aufgeregt im sich langsam füllenden Forum
Fribourg. Zum zweiten Mal in seinem Leben wird er seine grossen
Helden Iron Maiden livehaftig zu Gesicht bekommen. Doch zuerst hiess
es Bühne frei für die Vorband. Ein aufgebretzelter mit schwarzem
Lack & Leder und ebenso schwarzem Make-up dekorierter Haufen,
irgendwo zwischen Zombies und Dragqueens, entert die Bühne und
spielt punkig-simplen Sleaze Rock. Die Griffigkeit, die
Eingängigkeit und die derben Texte mit reichlich viel „Fuck“ gefällt
den jugendlichen Ohren. Ganz im Gegensatz zum Gros der Anwesenden.
Die Traditionalisten verschmähen die Effekthascherei, das
Übertriebene und schwankt zwischen Desinteresse und offener
Ablehnung in Form von Buh-, oder, netter, „Maiden“-Rufe. Meinem
Teenie-Ich ist das ganz egal. Am nächsten Tag statte ich dem
Plattenladen meines Vertrauens einen Besuch ab und kaufe mir „Beyond
The Valley Of The Murderdolls“.
Acht Jahre sind seither vergangen. Acht Jahre, in denen sich mein
Musikgeschmack und -wissen vertieft und verfeinert hat und trotzdem
mag ich die Murderdolls noch. Genauso wie das Gros sie immer noch
nicht ausstehen kann. Weil sie eben übertreiben, weil sie eine
Parodie sind auf sich selbst, auf Glam Rock, Zombie-Image und die
Verbindung von Horror und Metal. Deswegen werden sie verschmäht und
genau deswegen von einer Schar Fans verehrt, die geschnallt hat, wie
bewusst karikierend die ganze Sache ist. Dass die zweite Gruppe sich
in sieben Jahren, in welchen es still geworden war um die Truppe,
nicht wirklich vergrösserte bewies das Konzert der Mörderpuppen im
Zürcher Dynamo. Nur gerade eine handvoll Fans nahm an diesem
Dienstag Abend den Weg ins Kulturzentrum an der Limmat auf sich,
trotz den guten Kritiken, die „Women And Children Last“, der lang
erwartete Nachfolger, mehrheitlich einheimsen konnte. Keiner der
nicht einmal 150 Anwesenden wird jedoch seinen Besuch bereut haben,
denn was die Truppe um Wednesday 13 und Slipknot-Drummer Joey
Jordison vollführte war eine übertrieben schöne Grusel-Glam-Show im
intimen Rahmen. Warum kompliziert, wenn's einfach auch geht?
Marionette
Doch zuerst hiess es Bühne frei für die Vorband. Marionette sind
nicht viel älter als die meist noch nicht 20-jährigen
Zuschauer. In
ihrer Heimat als aufstrebender Stern des modernen Melo Death
abgefeiert, trat der Fünfer bei uns erst als Support der
Apokalyptischen Reiter 2008 ins Bühnenlicht und bis auf ein paar
euphorische Fans herrscht im Publikum eher Skepsis denn
Aufwärmfreude. Ob dies am für Murderdolls-Fans vielleicht zu harten
Sound oder doch an der zwischen Emo und Goth liegenden Kleidung lag?
In Sachen Performance macht das Quintett auf jeden Fall nichts
falsch. Vorbildlich wird die enge Bühne (für die Murderdolls ist
schon alles aufgestellt) möglichst schwunghaft beackert, der erst
seit letztem Jahr frontende Sänger Alexander Andersson brüllt stark
und bietet mit seiner weissen Phantom-der-Oper-Maske für den nötigen
Unterhaltungsfaktor. Klar, moderner Death Metal mit Keyboards,
irgendwo zwischen Children Of Bodom, neueren In Flames , Soilwork
und den Death Stars ist nicht die Sache jedes Metallers, doch etwas
mehr Höflichkeitsapplaus könnte man den Skandinaviern schon gönnen.
Immerhin stimmt auch der Sound (bis auf ein paar von Andersson
verursachte Rückkoppelungen), das Zusammenspiel und Songs wie „In
Spite“, „Black Hand“ oder „Lights Off“ vom neuen und nunmehr dritten
und bald erscheinenden Album kommen schwungvoll rüber.
Murderdolls
Als dann nach einer exakt passend langen Pause (Bier und Zigarette
finden ihren Weg zu den dafür vorgesehenen Organen) das Bühnenlicht
gelöscht und „The World According to Revenge“, das Intro zum Neuling
„Women And Children Last“, abgespielt wird, sehen die
Publikumsreaktionen ganz anders aus und das nicht nur bei der Schar
schon jetzt aus dem Häuschen geratender, wirklich blutjunger Fans
direkt vor der Bühne. Mit „Chapel of Blood“ stürmt die Band auf die
Bühne und eröffnen damit eine über 90 Minuten dauernde räudige
Horror-Glam-Show mit höchstem Unterhaltungswert. Optisch geben die
Murderdolls ihren Fans dabei, was sie erwarten. Schwarz in schwarz,
mit reichlich Mehl bestäubt, geben sie die Zombie-Truppe mit
unverkennbaren Misfits-Anleihen. Fronter Wednesday 13 mutet im
langen Mantel an, als wäre ein SS-Offizier auferstanden. Was die
Setlist anbelangt, so gelingt den Dolls der Spagat zwischen alt und
neu, denn nach dem ebenfalls vom neuen Album stammenden, knatternden
„Death Valley Superstar“ und „Homicide Drive“ folgt mit „Slit my
Wrist“, „Twist my Sister“ und „She Was a Teenage Zombie“ schon ein
Klassiker-Dreier, der die Partylaune im Dynamo hochschiessen lässt.
So im direkten Vergleich fällt dabei auch die musikalische
Veränderung auf, die der Fünfer in den letzten Jahren durchgemacht
hat. Die neuen Songs sind zwar immer noch ruppige Sleaze-Knaller,
jedoch nun melodiöser, abwechslungsreicher und weniger plakativ
(dabei noch lange nicht komplexer), als das alte Material. So kann
man zwar auch mit Aktuellem wie „My dark Place alone“ oder dem
zynisch fröhlichen „Summer Suicide“ punkten, kriegt die lauten und
ausgelassenen Chöre, die in die Höhe gereckten Hände aber doch mit
„Die my Bride“ oder „People Hate Me“ deutlich besser hin.
Ob neu oder alt, soundmässig präsentieren sich die Songs im passend
fräsenden Gitarrensound und angemessen laut. So wirkt das Gepose und
Rockstar-Gehabe, dass die Truppe hinlegt trotz nicht einmal
halbvoller Halle und der vergleichsweise niedrigen und kleinen Bühne
des Dynamo-Saals kaum unangebracht oder übertrieben. Vielmehr
harmonieren die Hollywood-Untoten mit ihren nicht einmal einen Meter
entfernten Fans und geben, wenn auch nicht sonderlich kommunikativ,
so doch ohne Diva-Anfälle alles. Joey Jordison,
Slipknot's
vielbeachtetes Trommelmonster wirkt dabei überraschend klein und
schmächtig, beinahe macht man sich Sorgen, die grosse, natürlich bis
zu den Knien runterhängende Gitarre, würde ihn zu Boden ziehen. Mit
„Pieces of You“, dem fast schon als cheesig zu bezeichnenden „Nowhere“
und dem zwar überraschend gespielten, aber letztlich doch
verzichtbaren „Bad Things“ aus Wednesday 13's Solokarriere folgt
darauf der letzte Happen Neues und mit „Welcome to the Strange“ ,
„197666“ und „Mother F***er I Don't Care“ findet das reguläre Set
sein Ende. Doch Verschnaufpausen scheinen im Repetoire der
Murderdolls nicht enthalten zu sein, denn nach nicht einmal zwei
Minuten stehen die Jungs wieder auf der Bühne und Wednesday bellt
und geifert in bester Assi-Manier (wie überhaupt an diesem Abend!)
„Dawn of the Dead“, einer extrem kurzen Version von „I Take Drugs“
und „Dead in Hollywood“ in die Menge. Gut 90 Minuten sind derweil
vergangen, getrost könnten es die Dolls nun gut sein lassen. Doch
trotz der bei anderen Bands Schicht im Schacht signalisierenden
langen Verabschiedung inklusive Verbeugungen kehrt man noch einmal
auf die Bühne zurück und versetzt dem Publikum mit „I Love to Say
Fuck“, natürlich inklusive dem obligatorischen „Fuck“-Regenschirm,
den finalen Todesstoss. Hämisch denkt man danach an all jene, die
sich diese vom Unterhaltungswert, nicht aber vom Verhalten der Band
hollywoodeske Schock-Rock-Show haben entgehen lassen. Drei, vier
Akkorde, reichlich lyrische Leichen und noch mehr Fuck's, mehr
braucht es eben manchmal nicht, um zu feiern.
Setlist Murderdolls: „The World According to Revenge“ -
„Chapel of Blood“ - „Death Valley Superstars“ - „Homicide Drive“ - „Slit
my Wrist“ - „Twist my Sister“ - „She Was a Teenage Zombie“ - „My
dark Place alone“ - „Drug me to Hell“ - „Summer Suicide“ - „Die my
Bride“ - „People Hate me“ - „Blood Stained Valentine“ - „Pieces of
You“ - „Bad Things“ (Wednesday 13 Cover) - „Nowhere“ - „Welcome to
the Strange“ - „197666“ - „Mother F***er I Don't Care“
- - - - - - -
„Dawn of the Dead“ - „I Take Drugs“ - „Dead in Hollywood“
- - - - - - -
„I Love to Say Fuck“
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