Die Geschichte von Nazareth erstreckt sich mittlerweile über
ein halbes Jahrhundert, und es gibt wohl kaum eine andere Rock-Band,
die so viel Höhen und Tiefen erlebt hat. Dazu gehören drei
einschneidende Themen, nämlich erstens das Schicksal von
Gründungs-Mitglied Dan McCafferty, der die Band aus Schottland mit
seiner Reibeisen-Gesangsstimme von 1968 bis 2013 prägte. Dann
zweitens der plötzliche Tod von Drummer Darrell Sweet, der heuer,
respektive Ende April, bereits zwanzig Jahre her sein wird und
drittens die stilistische Achterbahnfahrt zwischen 70ies-Rock,
Hardrock, einem Spritzer NWOBHM und AOR. Letzteres war der Absicht
geschuldet, vor allem in Übersee auch Fuss fassen zu können. Die
kommerziellere Ausrichtung führte allerdings dazu, dass sich vor
allem die Fans in Europa immer weniger mit "Naz" identifizieren
konnten. Da aber vor allem die frühen Jahre eine ganze Reihe an
grossartigen Songs hervor brachten, blieb für die seither sehr
zahlreich gespielten Konzerte stets genug Relevantes übrig. Für
einige Daten der Euro-Tour 2019 war das deutsche Trio Formosa als
Support mit dabei. Eine junge und spritzige Band, die mich echt zu
überraschen vermochte.
Formosa
Wie ist das heutzutage doch komfortabel, sich vor dem Konzert noch
schnell auf YouTube einen Clip einer Band rein zu ziehen, von der
man zuvor noch keinen Ton gehört und gesehen hat! So hätte das auch
hier, wie zuvor bei gleicher Ausgangslage schon mehrmals geschehen,
ebenso ablaufen können. Hätte, denn dazu kam es für einmal nicht,
leider muss man dazu sagen, und so entgingen mir zunächst ein paar
witzig gemachte Musik-Videos des vifen Trios. Der Vorteil am Ganzen
ist aber, dass die erste Begegnung mit etwas völlig Neuem stets eine
spannende Angelegenheit ist. Noch im Fotograben stehend wurde ich
somit von der unbändigen und jugendlichen Energie der
multinationalen Truppe aus Deutschland (Essen) und den Niederlanden
(Enschede) förmlich überrollt. Nik Bird (v/b), Nik Beer (g/backing
vocals) und Paris Jay (d/backing vocals) waren augenscheinlich bis
in die Fingerspitzen motiviert und bewegten sich von Anfang an sehr
agil auf der Bühne. Schon bald blitzte auch das technische Können
auf, was der Leichtigkeit des Spiels spürbar
entgegen
kam und den drei Musikern völlig freien Raum für ihre energetische
Performance liess. 2015 gegründet, folgte im Jahr darauf mit «Tight
& Sexy» bereits die Debüt-Scheibe, und seit letztem Jahr ist der
Zweitling «Sorry For Being Sexy» erhältlich. Daraus stammte der
Grossteil der heute Abend gespielten Songs, und bei «Fuck Up Your
Liver» erreichte Frontmann Nik, dass der angezettelte Mitsing-Part
doch auf einige Resonanzen stiess. Zusätzlich punkteten Formosa mit
massig kongenialen Backing Vocals beider Mitmusiker, die der eh
groovigen Mucke mehr als einmal noch das gewisse Etwas verliehen.
Stilistisch lassen sich als Vergleich neben den alten Krokus
durchaus auch The Treatment heran ziehen. Letztere natürlich, was
die mitunter freigesetzte Energie betrifft. Ich gehe jetzt mal davon
aus, dass dieser überaus frische Auftritt von Formosa wohl die
CH-Premiere war. Hoffentlich bald wieder!
Setliste: «The
Dynamite» - «Never Stop Rock'n'Roll» - «Love On The Highway» -
«Mańana» - «Rock'n'Roll Generation» - «Rakija Fever» - «Johnny The
Beaver» - «Fuck Up Your Liver» - «Friends Of The Night» - «Bad
Boys».
Nazareth Ich will niemandem zu
nahe treten, aber wer Nazareth nie mit Dan McCafferty live erleben
durfte, respektive konnte und voll auf deren Mucke abfährt, erlebt
das gleiche Fiasko wie ich persönlich mit Queen und Freddie Mercury!
Das sind Musikfan Wunden, die nie mehr ausheilen können, und doch
darf man sich
aktuell glücklich schätzen, dass zumindest mit Bassist Pete Agnew
noch ein Gründungsmitglied dabei ist, Sohne-mann Lee Agnew als
Drummer einen würdigen Ersatz für den unvergessenen Darrell Sweet
(R.I.P.) abgibt und Gitarrist Jimmy Murrison immerhin auch schon
zwanzig Jahre mittut. Und ob man es glaubt oder nicht, aber
Carl Sentance als aktueller Frontmann (Linton Osborn als erster, das
heisst direkter Nachfolger von Dan musste ebenfalls aus
gesund-heitlichen Gründen die Segel bereits nach wenigen Monaten
wieder streichen!) trägt immerhin auch schon seit über vier Jahren
dazu bei, dass das Publikum nach wie vor ein paar der grössten alten
Songjuwelen im gewohnten Soundkleid der schottischen Rock-Legende
auf den Bühnen der Welt sehen und anhören kann. Doch während noch
das kultige Intro «Caoineadh Cú Chulainn» lief, erfasste einen
sogleich die Wehmut, dass das unersetzliche Gesangs-Raubein Dan
McCafferty nie mehr zurück kehren wird. Schlimmer noch, weil es ihm
gemäss Aussagen von Pete Agnew
aktuell
gar nicht gut gehen soll. Dafür kann der gute Carl Sentance
natürlich nichts und ohne ihn wäre wohl eh schon lange Schicht im
Schacht. Gitarrist Jimmy Murrison als bekannter THC/CBD-Liebhaber
schien derweil heute Abend, zumindest auf der Bühne, nicht merklich
zugedröhnt zu sein, und solange der dafür noch erfreulich fit
wirkende Pete den Karren zieht, wird es weiter gehen.
Dazu
wurde die Geschichte von Naz bereits weiter geschrieben und kriegte
letztes Jahr frische Nahrung mit dem allerersten, nicht von Dan
eingesungenen Album «Tattooed On My Brain». Nebst dem ordentlichen
Titeltrack hielten mit «Never Dance With The Devil» und «Change»
noch zwei weitere neue Songs Einzug in die Setliste zur laufenden
Tour. Somit bestand der Rest aus quasi nur Klassikern, wobei der
geneigte Fan natürlich sofort die Nase darüber rümpfen konnte, was
leider nicht berücksichtigt wurde. Dazu gehören natürlich, und das
nenne ich halt gebetsmühlenartig in jeder Naz-Rezi, Songs vom
Überalbum «No Mean City» (1978) wie der Kracher «Just Get Into It».
Aber wer mit dem Backkatalog vertraut ist und einen Blick auf die
untenstehende Setliste wirft, wird immer noch einige Schwergewichte
der über 50-jährigen Karriere dieses Rock-Dinos entdecken. Und ja,
auch wenn Carl nicht wie Dan klingt, so lieferte der sympathische
Mann aus Cardiff eine abermals tadellose Performance ab. Unter dem
Strich und natürlich vor allem für die älteren Fans, wird der
künftige Gang an ein Konzert der einstigen Legende allerdings immer
weniger relevant. Auch ich werde mich somit mehr auf Bild- und
Tonkonserven abstützen, damit wenigstens so ein paar der alten Vibes
wiederbelebt werden können. Wer sich zudem das Album «Commander Of
Pain» (2018) des Österreichers Klaus Schubert (Gitarrist und
Produzent) zulegt, kriegt im Umfeld von "Schubert In Rock" immerhin
zwei mitunter "brandneue", respektive von Dan veredelte Songs
spendiert, wovon einem vor allem «Too Late» vor Augen und Ohren
führt, welches umfassende Erbe dieser Ausnahmesänger dereinst als
Vermächtnis hinterlassen wird. Naz forever!
Setliste:
«Caoineadh Cú Chulainn (Intro)» - «Turn On Your Receiver» - «Never
Dance With The Devil» - «Razamanaz» - «This Flight Tonight» - «Dream
On» - «Holiday» - «My White Bicycle» - «Change» - «Heart's Grown
Cold» - «Beggars Day» - «Changin' Times» - «Hair Of The Dog» -
«Tattooed On My Brain» - «Love Hurts» - «Morning Dew» -- «Silver
Dollar Forger» - «Where Are You Now» - «Go Down Fighting».
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