Livereview: Night Of The Prog

13. & 14 Juli 2013, Loreley - Deutschland
By Liane P.
Seit nun schon 8 Jahren findet am Schieferfelsen im UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal bei St. Goarshausen eines der weltweit beliebtesten Prog-Rock Festivals statt. Allein der atemberaubende Blick von oben auf die Rheinkurven ist spektakulär. 1939 wurden die Bauarbeiten für die charismatische Freilichtbühne Loreley beendet und seit dem finden dort grossartige Aufführungen statt, die einem bis ans Lebensende in Erinnerung bleiben werden. Das erste Rockkonzert gaben dort übrigens im Juli 1976 Genesis! Und hier schliesst sich der Kreis wieder, denn dieses Jahr trat zum ersten Mal der Phil Collins Nachwuchs auf (Sound Of Contact).

Das Angebot an Künstlern war bereichernd und unglaublich interessant. Mit 2700 Besuchern am Samstag und deren 2300 am Sonntag muss man leider eingestehen, dass diese anspruchsvolle Musikrichtung eher die Minderheit anspricht, denn wenn es sein muss, quetschen sich hier locker bis zu 15'000 Menschen auf das Gelände (MUSE, einen Tag davor). Ich hätte ehrlich gesagt mit viel mehr Zuspruch gerechnet, wenn man bedenkt, dass der Headliner am Samstag - Steven Wilson - Platz 3 der deutschen Album-Charts belegte.

Als Besucher selbst empfand ich es jedoch ausserordentlich gemütlich und hoffe sehr, dass der Veranstalter keine Einbussen hatte. Musikalisch gab es nicht viel Kritik zu üben, kulinarisch muss ich sagen, hätte ich ein anderes Angebot bevorzugt. Mit Wurst und kalten Pommes sowie kalten Pommes und Wurst musste man sich die zwei Tage über eher einseitig ernähren und auf das krosse «Güggeli» im attraktiven Biergarten, mit Blick auf den Rhein, musste man stundenlang warten, da die «Servierdüsen» es irgendwie nicht so ganz im Griff hatten. Das war eher demotivierend, also bestellte man vorab lieber noch eine Runde Bier, um sich das Warten zu versüssen. Doch auch das dauerte gefühlte 30 Tage, bis es unsere heitere Runde erreichte. Ja ja, schon klar - das Wetter war bombastisch, aber Leute: Die zügige Zufuhr von Nahrung und Alkohol ist nicht unterzubewerten! Leider ist der Veranstalter hierbei von den Betreibern des Loreley Geländes abhängig, die für die Organisation der Verpflegung zuständig sind. Für 2014 hat man einen Punkt schon mal verbessert: Das Festival findet nächstes Jahr Freitag und Samstag statt (18.-19.07.2014). Ich bin in jedem Fall wieder gerne mit dabei und denke all die Schweizer Fans, welche extra angereist waren, ebenfalls. Das 10-jährige Jubiläum 2015 sollte man sich ebenfalls jetzt schon vormerken, denn da verspricht der Veranstalter sogar ein «Best Of» Line-Up...


Samstag, 13. Juli 2013

Sanguine Hum

Herr Steven Wilson persönlich wählte das Programm für den Samstag aus und den Opener des Festivals empfahl er wärmstens. Die Engländer Sanguine Hum hatten daher die Ehre, das Festival zu eröffnen. Mit «Cognoscenti» - dem vierten Song ihres 2013 erschienenen Album «The Weight Of The World»- klang zunächst alles vielversprechend. Grundsätzlich bot die Truppe aus Oxford intelligentes Songwriting und liess von Anfang an aufhorchen. Für meinen Geschmack flachte das Ganze jedoch viel zu schnell ab und die Stimme von Sänger Joff Winks konnte mich nicht dauerhaft überzeugen, da sie keine Abwechslung bot und kraftlos wirkte. Die grossen Erwartungen aufgrund der Empfehlung von Wilson selbst wurden für mich in diesem Fall nicht ganz erfüllt.

Sound Of Contact
Das wird nicht ganz einfach werden. Aufgrund meiner absoluten Überzeugung was diese Band betrifft, fällt es mir unglaublich schwer, bezüglich diesem Auftritt die nötige Objektivität zu wahren. Sound Of Contact hatten mich mit ihrem eingängigen Prog/Pop-Rock im Vorprogramm von Spock's Beard in ihren Bann gezogen und ich habe die Tage gezählt, bis ich sie wieder sehen durfte. Das Debüt-Album «Dimensionout» läuft bei mir rauf und runter und gehört bis jetzt zu meinen "Alltime Favourits". Auch die Band selbst war im Vorfeld unglaublich aufgeregt, auf diesem besonderen Festival zu spielen. Daher war der Schock bezüglich den technischen Problemen gewaltig. Das Publikum musste mit einer längeren Verzögerung rechnen, bis es überhaupt den ersten Ton von «Cosmic Distance Ladder», mit Sänger Simon Collins an den Drums, lauschen durfte. Dafür gab es am Ende das aus vier Teilen und knapp 20 Minuten bestehende «Möbius Slip», welches die Band an diesem Tag zum ersten Mal in voller Länge vorgetragen hatte. Ein absolutes Highlight! Leider war die Band an diesem Tag nicht in Hochform, da muss man einfach ehrlich sein. Sie haben aber bereits schon mehrmals beweisen können, dass sie grossartige Livekonzerte spielen können. Mehr Infos zur Band und warum die Bühne an diesem Tag fast abgefackelt wäre, gibt es im Interview mit Keyboarder und Songwriter Dave Kerzner, welches ich an der Loreley führen durfte.



The Pineapple Thief >>>
Es überrascht mich immer wieder aufs Neue, wie grossartig die Band live rüber kommt. Die Alben wirken auf mich eher emotional durchschnittlich, aber live explodieren sie und vor allem Sänger Bruce Soord schafft es immer wieder, mich mit seiner aussergewöhnlicher Leidenschaft und der kraftvollen Stimme zu fesseln. Mit «Give It Back» vom Album «All The Wars» zu starten war schon mal eine perfekte Wahl. Danach folgten Songs wie «Shoot First», «Snowdrops» und «Build A World». Trotz grossartigem Ambiente muss ich sagen, dass die Bühne am Nachmittag recht fahl wirkte und die weisse Leinwand im Hintergrund den Auftritt jeder Band tagsüber visuell zunichte machte. Das war wirklich schade.

Crippled Black Phoenix
Trotz Lobgesang durch Medien und Umfeld: Die Musik der Engländer kommt bei mir nicht an. Das sehr lange Set mit vierzehn Songs und dem Journey Cover «Of A Lifetime» wirkte auf mich so uninteressant, wie alkoholfreier Schaumwein aus der Pfalz. Weiss der Fuchs (oder war es der Geier?) warum, denn musikalisch bewegen sich Crippled Black Phoenix mit ihren dunklen und zähen Soundscapes eigentlich in meinem Beuteschema. Vielleicht waren mir die melancholischen Melodien an diesem Tag der absoluten Happiness dann doch etwas zu schwer eingefahren. Und da trennte sich die Meinung zwischen mir und dem Publikum, welches die Band jubelnd und kreischend abfeierte.

Magma
Ich behaupte mal, dass ich auf diese Band am meisten gespannt gewesen bin. Die bereits 1969 gegründete französische Progressive Rockband, welche das Musikgenre Zeuhl etablierte, ist ebenfalls ein grosser Einfluss Steven Wilsons. Mit eigens durch Christian Vander (Gründer von Magma) kreierter Kunstsprache («Kobaiansich»), Free Jazz Anleihen, folkloristischen Einflüssen und Chorgesängen schafften es Magma, das Publikum zu hypnotisieren. Der ganze Auftritt wirkte spirituell und sonderbar. Steven Wilson stand am Bühnenrand und schien es sehr zu geniessen. Auch Mikael Åkerfeldt von Opeth, der extra einen Tag früher angereist war, wippte begeisternd zu den Tönen von Magma und kaufte sich am Anschluss gleich am Merchstand ein Shirt, welches er an seinem Auftritt stolz getragen hatte. Es war also keine grosse Überraschung, musikalische Parallelen zum gemein-samen Projekt «Storm Corrosion» von Åkerfeldt/Wilson festzustellen. Es ist jedoch ganz und gar nicht einfach gewesen, sich bei Magmas Auftritt auf Anhieb zurecht zu finden - musikalische Exoten auf ganzer Ebene.


Steven Wilson
Magischer Moment! Wilson, der sich immer mit Händen und Füssen gewehrt hatte, am "Night Of The Prog" aufzutreten, überwand endlich seinen inneren Schweinehund und wollte beweisen, dass Surround Sound auch im Freien funktioniert. Sicherlich nichts Neues, denn bereits Pink Floyd haben diese Technik umgesetzt, damit die Shows mit dramatischen Geräuschen wie Flugzeugabstürze oder einem Lachen unterlegt werden können. Wilsons audiovisuelle Experimente live zu erleben, gleicht jedoch immer wieder einem emotionalen Erlebnis, das Seinesgleichen sucht. Wenn ich den Auftritt an der Loreley mit dem im theaterähnlichen Volkshaus (Zürich) diesen Jahres vergleiche, empfand ich die Umsetzung des bei Wilson Konzerten zu erwartenden glasklaren Sounds inklusive der Rundumbeschallung, in Konzertsälen qualitativ besser. Mit der Auswahl der Songs bekam das Publikum die besten Häppchen seiner Solo-Karriere serviert: Der extravagante 12-Minuten Track «Luminol» (The Raven That Refused To Sing), das gefühlvolle «Postcard» (Grace For Drowning) oder «Harmony Korine» der Opener seines ersten Solo-Werks («Insurgentes») durften hierbei nicht fehlen. Die grossartige Auswahl der Bandmitglieder trug wie immer dazu bei, dass man hier musikalisch auf höchstem Niveau bedient wird. Leider musste der charismatische Schlagzeuger Marco Minnemann (mit Joe Satriani auf Tour) dieses Mal durch Chad Wackermann, der bezüglich seiner Arbeit mit Frank Zappa bekannt wurde, ersetzt werden. «Leider» deswegen, weil Minnemann pulsiert und vor Energie sprüht, was man von Chad Wackerman nicht unbedingt sagen konnte. Für mich passt Minnemann besser. Mit dem Porcupine Tree Song «Radioactive Toy» ging dann der erste wundervolle Tag des Festivals zu Ende.





Sonntag 14. Juli 2013

Anima Mundi
Da das Festival hauptsächlich von Acts aus Grossbritannien dominiert wurde, brachten Anima Mundi aus Kuba karibisches Temperament mit und heizten dem Publikum bereits um die Mittagszeit mal richtig ein. Die Sonne schien also nicht nur von oben, sondern auch frontal von der Bühne aus. Wahnsinn! Die Euphorie die hier entwickelt wurde, war enorm und ich dachte nur "Der Tag fängt ja mal gut an!" Lateinamerikanische Einflüsse, gepaart mit melodisch symphonischem Prog Rock und eine Bomben-Stimmung. Was will man mehr?

<<< Maybeshewill
Mit ausschliesslich instrumentaler Musik, die ab und an durch gesprochene Filmsequenzen vom Band begleitet wurde, brachten Maybeshewill etwas Abwechslung ins Programm. Die blutjungen Engländer hatten ganz schön viel Power und begeisterten mich durch packenden Post Rock im Stil von «Long Distance Calling» oder «Leech». Die minutenlangen repetitiven Klangmuster sollten nicht langweilen, sondern gehören zum Stil dieser Musikrichtung. Auf mich wirkte das eher beruhigend und meditativ. Tolle Neuentdeckung.

Änglagård
Die Schweden haben es erst zum zweiten Mal geschafft in Deutschland aufzutreten, daher war die Spannung im Publikum gross. Die Band, die hauptsächlich vom Prog Rock der 70er Jahre inspiriert wurde, nutzte auch deshalb einige Instrumente aus dieser Zeit (z.B. Rickenbacker Bass, Mellotron), um ihren eigenwilligen Sound umsetzen zu können. Auffällig war Anna Holmgren, die zwischen Flöte, Saxophon und Keyboard wechselte, was beachtlich gewesen ist. War doch gar nicht notwendig so schüchtern und zurückhaltend die Ansagen zwischen den Songs ins Mikrophon zu flüstern. Mehr Selbstbewusstsein hätte ihr gut getan. Sicherlich auch keine Band, die man beim ersten Hören locker wegsteckte.

Amplifier
Eine rauchige Angelegenheit war das. Leider auch hier technische Probleme und dann noch überproportional viel Nebel auf der Bühne - ein visuelles Desaster. Aufgrund der Technik waren Amplifier gezwungen ihr Set zu kürzen, was den Briten natürlich gar nicht in den Kram passte und wofür sie sich mehrmals höflich entschuldigten. Das facettenreiche Material hat mich an anderen Orten schon mehr überzeugen können. Nichtsdestotrotz bleiben Amplifier für mich eine sympathische Band mit anspruchsvollem Sound, die einfach an diesem besagten Tag irgendwie die Sonne nicht auf ihrer Seite hatte. Kann ja mal passieren.


Caravan
1968 gegründet, ist Caravan somit noch vor Magma die älteste Band am "8. Night Of the Prog" und Wegbereiter des sogenannten «Canterbury Sounds». Die Midsechziger kamen auf die Bühne, strahlten um die Wette und versprühten damit erstmal extrem gute Laune. Mit raffiniertem Songmaterial, welches mit Flöte und Geige untermalt wurde, war dies im Vergleich zu den anderen Bands eher leichte Kost. Auffallend bei dem Auftritt war für mich das Energiebündel Mark Walker, welcher Gründungsmitglied Richard Couhhlan an den Drums ersetzt hatte. Ständig wechselte er seine Sitzposition, zappelte in der Gegend herum und streckte den Kopf in die Luft, um seine Zunge zu zeigen. Amüsante Truppe, die trotz fortgeschrittenen Alters weder altbacken noch langweilig wirkte.

The Devin Townsend Project
Auch wenn man als «Proggie» einen überdurchschnittlich weiten Horizont haben sollte, was Musik betrifft: Den Switch zwischen Caravan und Devin Townsend zu verkraften, war wohl die grösste Herausforderung an diesen zwei Tagen Loreley. "Sensibel und feinfühlig" wie der Kanadier ist, warnte er das Publikum auf das was jetzt folgen sollte, schon mal auf seine Weise mit viel Sarkasmus vor, nachdem er die von Fans gebastelte Pappfigur des Gitarristen Dave Young an den leeren Mikrophonständer gestellt hatte. Leider musste dieser aufgrund familiären Angelegenheiten dem Auftritt fern bleiben. Die Idee mit der Pappfigur sorgte natürlich für erstes grosses Gelächter. Devin erwies sich, wie so oft bei anderen Konzerten auch, als absolut perfekter Entertainer und unterhielt die Leute mit frechen Sprüchen und extremen Fratzen oder mit sonderbaren Aktionen wie Beschnüffeln der Fotografen im Graben, Abknutschen des Security Personals oder offensichtliches Bohren in der Nase. Die Liste ist unendlich lang. Ständig musste ich im Graben vor ihm flüchten, da er wie ein wildgewordenes Tier mehrmals zum Publikum raste. Willkommen in der bizarren und lauten Welt dieses Ausnahmekünstlers. Sein letztes Album «Epicloud» will Optimismus und Menschlichkeit zelebrieren. Es bedarf an sehr viel Aufmerksamkeit, um diese eher positiven Eigenschaften mit der hauptsächlich brutalen und fordernden Musik des Devin Townsend vereint zu wissen. Die Auswahl der Songs mit u.a. «Kingdom», «Juular» und «Planet Of The Apes» war ein Schlag direkt in die Fresse.



Opeth
Für mich die grösste Überraschung des gesamten Festivals! Zwar konnte ich Opeth das eine oder andere Mal bereits live erleben, was die Band jedoch an diesem Abend geboten hatte, war die Sensation schlechthin! Die Schweden liessen ein teuflisch bestialisches Gewitter am glasklaren Prog-Himmel aufkommen («Ghost Of Perdition»), um im nächsten Augenblick mit zarten liebevollen Tracks das Publikum wieder auf den Boden der Tatsachen herunter zu hieven («Hope Leaves»). Wie Mikael Åkerfeldt dabei vom grunzenden Growling zum klaren Gesang wechselte ohne mit der Wimper zu zucken, war beachtlich. Auch das Bühnenbild hatte einen unglaublichen Eindruck hinterlassen. Die Lichter schienen über das Bühnendach hinaus und reichten fast schon bis zum Mond. Grossartige Soundqualität und freche witzige Sprüche zwischendurch rundeten den gelungen Auftritt perfekt ab. Besser hätte das "8. Night Of The Prog" nicht enden können! Frontmann Mikael Åkerfeldt erzählte noch stolz, dass er neue Sätze in Deutsch gelernt hat, wie zum Beispiel «Mein Hund ist blau». Ist es nicht lebenswichtig, das zu wissen?