Seit nun schon 8 Jahren findet am Schieferfelsen im UNESCO
Welterbe Oberes Mittelrheintal bei St. Goarshausen eines der
weltweit beliebtesten Prog-Rock Festivals statt. Allein der
atemberaubende Blick von oben auf die Rheinkurven ist spektakulär.
1939 wurden die Bauarbeiten für die charismatische Freilichtbühne
Loreley beendet und seit dem finden dort grossartige Aufführungen
statt, die einem bis ans Lebensende in Erinnerung bleiben werden.
Das erste Rockkonzert gaben dort übrigens im Juli 1976 Genesis! Und
hier schliesst sich der Kreis wieder, denn dieses Jahr trat zum
ersten Mal der Phil Collins Nachwuchs auf (Sound Of Contact).
Das Angebot an Künstlern war bereichernd und unglaublich
interessant. Mit 2700 Besuchern am Samstag und deren 2300 am
Sonntag muss man leider eingestehen, dass diese anspruchsvolle
Musikrichtung eher die Minderheit anspricht, denn wenn es sein muss,
quetschen sich hier locker bis zu 15'000 Menschen auf das Gelände
(MUSE, einen Tag davor). Ich hätte ehrlich gesagt mit viel mehr
Zuspruch gerechnet, wenn man bedenkt, dass der Headliner am Samstag
- Steven Wilson - Platz 3 der deutschen Album-Charts belegte.
Als Besucher selbst empfand ich es jedoch ausserordentlich gemütlich
und hoffe sehr, dass der Veranstalter keine Einbussen hatte.
Musikalisch gab es nicht viel Kritik zu üben, kulinarisch muss ich
sagen, hätte ich ein anderes Angebot bevorzugt. Mit Wurst und kalten
Pommes sowie kalten Pommes und Wurst musste man sich die zwei Tage über
eher einseitig ernähren und auf das krosse «Güggeli» im attraktiven
Biergarten, mit Blick auf den Rhein, musste man stundenlang warten,
da die «Servierdüsen» es irgendwie nicht so ganz im Griff hatten.
Das war eher demotivierend, also bestellte man vorab lieber noch
eine Runde Bier, um sich das Warten zu versüssen. Doch auch das dauerte
gefühlte 30 Tage, bis es unsere heitere Runde erreichte. Ja ja,
schon klar - das Wetter war bombastisch, aber Leute: Die zügige
Zufuhr von Nahrung und Alkohol ist nicht unterzubewerten! Leider ist
der Veranstalter hierbei von den Betreibern des Loreley Geländes
abhängig, die für die Organisation der Verpflegung zuständig sind.
Für 2014 hat man einen Punkt schon mal verbessert: Das Festival
findet nächstes Jahr Freitag und Samstag statt (18.-19.07.2014). Ich
bin in jedem Fall wieder gerne mit dabei und denke all die Schweizer
Fans, welche extra angereist waren, ebenfalls. Das 10-jährige
Jubiläum 2015 sollte man sich ebenfalls jetzt schon vormerken,
denn da verspricht der Veranstalter sogar ein «Best Of» Line-Up...
Samstag, 13. Juli 2013
Sanguine Hum
Herr Steven Wilson persönlich wählte das Programm für den Samstag
aus und den Opener des Festivals empfahl er wärmstens. Die Engländer
Sanguine Hum hatten daher die Ehre, das Festival zu eröffnen. Mit «Cognoscenti»
- dem vierten Song ihres 2013 erschienenen Album «The Weight Of The World»-
klang zunächst alles vielversprechend. Grundsätzlich bot die Truppe
aus Oxford intelligentes Songwriting und liess von Anfang an
aufhorchen. Für meinen Geschmack flachte das Ganze jedoch viel zu
schnell ab und die Stimme von Sänger Joff Winks konnte mich nicht
dauerhaft überzeugen, da sie keine Abwechslung bot und kraftlos
wirkte. Die grossen Erwartungen aufgrund der Empfehlung von Wilson
selbst wurden für mich in diesem Fall nicht ganz erfüllt.
Sound Of Contact
Das wird nicht ganz einfach werden. Aufgrund meiner absoluten
Überzeugung was diese Band betrifft, fällt es mir unglaublich
schwer, bezüglich diesem Auftritt die nötige Objektivität zu wahren.
Sound Of Contact hatten mich mit ihrem eingängigen Prog/Pop-Rock im
Vorprogramm von Spock's Beard in ihren Bann gezogen und ich habe
die Tage gezählt, bis ich sie wieder sehen durfte. Das Debüt-Album «Dimensionout»
läuft bei mir rauf und runter und gehört bis jetzt zu meinen "Alltime
Favourits". Auch die Band selbst war im
Vorfeld unglaublich
aufgeregt, auf diesem besonderen Festival zu spielen. Daher war der
Schock bezüglich den technischen Problemen gewaltig. Das Publikum
musste mit einer längeren Verzögerung rechnen, bis es überhaupt den
ersten Ton von «Cosmic Distance Ladder», mit Sänger Simon Collins an
den Drums, lauschen durfte. Dafür gab es am Ende das aus vier Teilen
und knapp 20 Minuten bestehende «Möbius Slip», welches die Band an
diesem Tag zum ersten Mal in voller Länge vorgetragen hatte. Ein
absolutes Highlight! Leider war die Band an diesem Tag nicht in
Hochform, da muss man einfach ehrlich sein. Sie haben aber bereits
schon mehrmals beweisen können, dass sie grossartige Livekonzerte
spielen können. Mehr Infos zur Band und warum die Bühne an diesem
Tag fast abgefackelt wäre, gibt es im Interview mit Keyboarder und
Songwriter Dave Kerzner, welches ich an der Loreley führen durfte.
The Pineapple Thief >>>
Es überrascht mich immer wieder aufs Neue, wie grossartig die Band
live rüber kommt. Die Alben wirken auf mich eher emotional
durchschnittlich, aber live explodieren sie und vor allem Sänger
Bruce Soord schafft es immer wieder, mich mit seiner
aussergewöhnlicher Leidenschaft und der kraftvollen Stimme zu
fesseln. Mit «Give It Back» vom Album «All The Wars» zu starten war
schon mal eine perfekte Wahl. Danach folgten Songs wie «Shoot
First», «Snowdrops» und «Build A World». Trotz grossartigem Ambiente
muss ich sagen, dass die Bühne am Nachmittag recht fahl wirkte und
die weisse Leinwand im Hintergrund den Auftritt jeder Band tagsüber
visuell zunichte machte. Das war wirklich schade.
Crippled Black Phoenix
Trotz Lobgesang durch Medien und Umfeld: Die Musik der Engländer
kommt bei mir nicht an. Das sehr lange Set mit vierzehn Songs und dem
Journey Cover «Of A Lifetime» wirkte auf mich so uninteressant, wie
alkoholfreier Schaumwein aus der Pfalz. Weiss der Fuchs (oder war es
der Geier?) warum, denn musikalisch bewegen sich Crippled Black
Phoenix mit ihren dunklen und zähen Soundscapes eigentlich in meinem
Beuteschema. Vielleicht waren mir die melancholischen Melodien an
diesem Tag der absoluten Happiness dann doch etwas zu schwer
eingefahren. Und da trennte sich die Meinung zwischen mir und dem
Publikum, welches die Band jubelnd und kreischend abfeierte.
Magma
Ich behaupte mal, dass ich auf diese Band am meisten gespannt
gewesen bin. Die bereits 1969 gegründete französische Progressive
Rockband, welche das Musikgenre Zeuhl etablierte, ist ebenfalls ein
grosser Einfluss Steven Wilsons. Mit eigens durch Christian Vander
(Gründer von Magma) kreierter Kunstsprache («Kobaiansich»), Free
Jazz Anleihen, folkloristischen Einflüssen und Chorgesängen
schafften es Magma, das Publikum zu
hypnotisieren. Der ganze Auftritt
wirkte spirituell und sonderbar. Steven Wilson stand am Bühnenrand
und schien es sehr zu geniessen. Auch Mikael Åkerfeldt von Opeth,
der extra einen Tag früher angereist war, wippte begeisternd zu den
Tönen von Magma und kaufte sich am Anschluss gleich am Merchstand
ein Shirt, welches er an seinem Auftritt stolz getragen hatte. Es
war also keine grosse Überraschung, musikalische Parallelen zum
gemein-samen Projekt «Storm Corrosion» von Åkerfeldt/Wilson
festzustellen. Es ist jedoch ganz und gar nicht einfach gewesen,
sich bei Magmas Auftritt auf Anhieb zurecht zu finden - musikalische
Exoten auf ganzer Ebene.
Steven Wilson
Magischer Moment! Wilson, der sich immer mit Händen und Füssen
gewehrt hatte, am "Night Of The Prog" aufzutreten, überwand endlich
seinen inneren Schweinehund und wollte beweisen, dass Surround Sound
auch im Freien funktioniert. Sicherlich nichts Neues, denn bereits
Pink Floyd haben diese Technik umgesetzt, damit die Shows mit
dramatischen Geräuschen wie Flugzeugabstürze oder einem Lachen
unterlegt werden können. Wilsons audiovisuelle Experimente live zu
erleben, gleicht jedoch immer wieder einem emotionalen Erlebnis, das
Seinesgleichen sucht. Wenn ich den Auftritt an der Loreley mit dem
im theaterähnlichen Volkshaus (Zürich) diesen Jahres vergleiche,
empfand ich die Umsetzung des bei Wilson Konzerten zu erwartenden
glasklaren Sounds inklusive der Rundumbeschallung, in Konzertsälen
qualitativ besser. Mit der Auswahl der Songs bekam das Publikum die
besten Häppchen seiner Solo-Karriere serviert: Der extravagante
12-Minuten Track «Luminol» (The Raven That Refused To Sing), das
gefühlvolle «Postcard» (Grace For Drowning) oder «Harmony Korine»
der Opener seines ersten Solo-Werks («Insurgentes») durften hierbei
nicht fehlen. Die grossartige Auswahl der Bandmitglieder trug wie
immer dazu bei, dass man hier musikalisch auf höchstem Niveau
bedient wird. Leider musste der charismatische Schlagzeuger Marco
Minnemann (mit Joe Satriani auf Tour) dieses Mal durch Chad
Wackermann, der bezüglich seiner Arbeit mit Frank Zappa bekannt
wurde, ersetzt werden. «Leider» deswegen, weil Minnemann pulsiert
und vor Energie sprüht, was man von Chad Wackerman nicht unbedingt
sagen konnte. Für mich passt Minnemann besser. Mit dem Porcupine
Tree Song «Radioactive Toy» ging dann der erste wundervolle Tag des
Festivals zu Ende.
Sonntag 14. Juli 2013
Anima Mundi
Da das Festival hauptsächlich von Acts aus Grossbritannien dominiert
wurde, brachten Anima Mundi aus Kuba karibisches Temperament mit und
heizten dem Publikum bereits um die Mittagszeit mal richtig ein. Die
Sonne schien also nicht nur von oben, sondern auch frontal von der
Bühne aus. Wahnsinn! Die Euphorie die hier entwickelt wurde, war
enorm und ich dachte nur "Der Tag fängt ja mal gut an!"
Lateinamerikanische Einflüsse, gepaart mit melodisch symphonischem
Prog Rock und eine Bomben-Stimmung. Was will man mehr?
<<< Maybeshewill
Mit ausschliesslich instrumentaler Musik, die ab und an durch
gesprochene Filmsequenzen vom Band begleitet wurde, brachten
Maybeshewill etwas Abwechslung ins Programm. Die blutjungen
Engländer hatten ganz schön viel Power und begeisterten mich durch
packenden Post Rock im Stil von «Long Distance Calling» oder «Leech».
Die minutenlangen repetitiven Klangmuster sollten nicht langweilen,
sondern gehören zum Stil dieser Musikrichtung. Auf mich wirkte das
eher beruhigend und meditativ. Tolle Neuentdeckung.
Änglagård
Die Schweden haben es erst zum zweiten Mal geschafft in Deutschland
aufzutreten, daher war die Spannung im Publikum gross. Die Band, die
hauptsächlich vom Prog Rock der 70er Jahre inspiriert wurde, nutzte
auch deshalb einige Instrumente aus dieser Zeit (z.B. Rickenbacker
Bass, Mellotron), um ihren eigenwilligen Sound umsetzen zu können.
Auffällig war Anna Holmgren, die zwischen Flöte, Saxophon und
Keyboard wechselte, was beachtlich gewesen ist. War doch gar nicht
notwendig so schüchtern und zurückhaltend die Ansagen zwischen den
Songs ins Mikrophon zu flüstern. Mehr Selbstbewusstsein hätte ihr
gut getan. Sicherlich auch keine Band, die man beim ersten Hören
locker wegsteckte.
Amplifier
Eine rauchige Angelegenheit war das. Leider auch hier technische
Probleme und dann noch überproportional viel Nebel auf der Bühne -
ein visuelles Desaster. Aufgrund der Technik waren Amplifier
gezwungen ihr Set zu kürzen, was den Briten natürlich gar nicht in
den Kram passte und wofür sie sich mehrmals höflich entschuldigten.
Das facettenreiche Material hat mich an anderen Orten schon mehr
überzeugen können. Nichtsdestotrotz bleiben Amplifier für mich eine
sympathische Band mit anspruchsvollem Sound, die einfach an diesem
besagten Tag irgendwie die Sonne nicht auf ihrer Seite hatte. Kann
ja mal passieren.
Caravan
1968 gegründet, ist Caravan somit noch vor Magma die älteste Band am
"8. Night Of the Prog" und Wegbereiter des sogenannten «Canterbury
Sounds». Die Midsechziger kamen auf die Bühne, strahlten um die
Wette und versprühten damit erstmal extrem gute Laune. Mit
raffiniertem Songmaterial, welches mit Flöte und Geige untermalt
wurde, war dies im Vergleich zu den anderen Bands eher leichte Kost.
Auffallend bei dem Auftritt war für mich das Energiebündel Mark
Walker, welcher Gründungsmitglied Richard Couhhlan an den Drums
ersetzt hatte. Ständig wechselte er seine Sitzposition, zappelte in
der Gegend herum und streckte den Kopf in die Luft, um seine Zunge zu
zeigen. Amüsante Truppe, die trotz fortgeschrittenen Alters weder
altbacken noch langweilig wirkte.
The Devin Townsend Project
Auch wenn man als «Proggie» einen überdurchschnittlich weiten
Horizont haben sollte, was Musik betrifft: Den Switch zwischen
Caravan und Devin Townsend zu verkraften, war wohl die grösste
Herausforderung an diesen zwei Tagen Loreley. "Sensibel und
feinfühlig" wie der Kanadier ist, warnte er das Publikum auf das was
jetzt folgen sollte, schon mal auf seine Weise mit viel Sarkasmus
vor, nachdem er die von Fans gebastelte Pappfigur des Gitarristen
Dave Young an
den leeren Mikrophonständer gestellt hatte. Leider
musste dieser aufgrund familiären Angelegenheiten dem Auftritt fern
bleiben. Die Idee mit der Pappfigur sorgte natürlich für erstes
grosses Gelächter. Devin erwies sich, wie so oft bei anderen Konzerten
auch, als absolut perfekter Entertainer und unterhielt die Leute mit
frechen Sprüchen und extremen Fratzen oder mit sonderbaren Aktionen
wie Beschnüffeln der Fotografen im Graben, Abknutschen des Security
Personals oder offensichtliches Bohren in der Nase. Die Liste ist
unendlich lang. Ständig musste ich im Graben vor ihm flüchten, da er
wie ein wildgewordenes Tier mehrmals zum Publikum raste. Willkommen
in der bizarren und lauten Welt dieses Ausnahmekünstlers. Sein
letztes Album «Epicloud» will Optimismus und Menschlichkeit
zelebrieren. Es bedarf an sehr viel Aufmerksamkeit, um diese eher
positiven Eigenschaften mit der hauptsächlich brutalen und
fordernden Musik des Devin Townsend vereint zu wissen. Die Auswahl
der Songs mit u.a. «Kingdom», «Juular» und «Planet Of The Apes» war
ein Schlag direkt in die Fresse.
Opeth
Für mich die grösste Überraschung des gesamten Festivals! Zwar
konnte ich Opeth das eine oder andere Mal bereits live erleben, was
die Band jedoch an diesem Abend geboten hatte, war die Sensation
schlechthin! Die Schweden liessen ein teuflisch bestialisches Gewitter
am glasklaren Prog-Himmel aufkommen («Ghost Of Perdition»), um im
nächsten Augenblick mit zarten liebevollen Tracks das Publikum
wieder auf den Boden der Tatsachen herunter zu hieven («Hope Leaves»).
Wie Mikael Åkerfeldt dabei vom grunzenden Growling zum klaren Gesang
wechselte ohne mit der Wimper zu zucken, war beachtlich. Auch das
Bühnenbild hatte einen unglaublichen Eindruck hinterlassen. Die
Lichter schienen über das Bühnendach hinaus und reichten fast schon
bis zum Mond. Grossartige Soundqualität und freche witzige Sprüche
zwischendurch rundeten den gelungen Auftritt perfekt ab. Besser
hätte das "8. Night Of The Prog" nicht enden können! Frontmann Mikael
Åkerfeldt erzählte noch stolz, dass er neue Sätze in Deutsch gelernt
hat, wie zum Beispiel «Mein Hund ist blau». Ist es nicht
lebenswichtig, das zu wissen?
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