Dass im
Zusammenhang mit Opeth "Voraussicht" so was wie eine unmüglich einsetzbare Fähigkeit
ist, das dürfte manchem da draussen klar sein. Ob songtechnische Stilsprünge,
musikalische Flexiblität oder eben Publikumsaufmarsch, es lässt sich einfach nicht im
Voraus sagen, was im Endeffekt der Fall sein wird. Betrachtet man den nüchteren Fakt,
dass Opeth im Grunde eine wuchtvolle Death Metal Band sind, so würde man nicht zwingend
mit einem ausverkauften Abart rechnen, dafür eher mit eingefleischten Haarsportlern. Aber
natürlich darf man auch nicht vergessen, dass gerade durch's "Damnation"-Album eine
Vielzahl an neuen Fans Zugang zu den dunklen und atmosphärischen Fantasiewelten der fünf
Schweden gefunden haben. Wer also sollte an diesem Abend die Überhand behalten, welche
Sorte Musikfanatiker würde das Geschehen vor der Bühne dominieren? Rückblickend lässt
sich das leider genauso wenig feststellen - Denn die glückliche Masse aus vollbedienten
Schwarzklamottenträgern liess sich partout nicht mehr in gängige Kategorisierungen
unterteilen. Aber genau so sollte es schliesslich auch sein - Und dass gerade Opeth dieses
Kunststück zustande bringen konnten, das wäre eigentlich das wirklich einzig
Voraussehbare an diesem Abend gewesen (Nebst kollektivem Kieferaufdenbodenklatschen und
hemmungslosem Gruppentraumschwelgen).
Opeth waren so freundlich, ihre schwedischen Kollegen von Burst mit auf Tour zu nehmen.
Parallelen innerhalb der Musik der beiden Bands lassen sich dummerweise fast keine ziehen,
denn Burst's Wurzeln liegen klar im Hardcore. Wenn während des 40-minütigen Aufwärmgigs
ab und zu flächige Passagen die Überhand gewannen, so liessen sich diese eher
Szene-Klassikern wie Neurosis zuordnen, als progressive Elemente darin zu erkennen. Das
Publikum wusste zu Beginn des Sets nicht wirklich, wie es sich verhalten sollte, gewann
den oftmals lärmigen Songs im Laufe des Auftritts aber immer mehr ab, und so wurden am
Schluss sogar einige Zugaben- Wünsche in Richtung Bühne gerufen. Burst gaben sich
professionell, wenn auch leider etwas zurückhaltend. Der Sänger bedankte sich zwischen
den Songs artig beim Publikum und versuchte sich etwas an Smalltalk, ohne aber einen
wirklichen Draht herstellen zu können. Als nach einer 40-minütigen Umbaupause die
Lichter ausgingen und ein melodisches Intro ab Band lief, waren Burst dann auch schnell
vergessen.
Was dann folgte, waren ungefähr zwei Stunden reich an musikalischer Genialität,
ungezähmter Spielfreude und zynischem Humor. Frontgrunzer Martin Akerfeldt stand mehr
oder weniger allein im Scheinwerferlicht, konnte aber perfekt mit seiner Leader-Position
umgehen und wusste das Publikum mit Hilfe zahlreicher Spässe bei Laune zu halten. Peter
Lindgren (Lead-Gitarre), Martin Mendez (Bass), Neuzugang Per Wiberg (Keys, Hammonds,
Backing-Vocals) und Martin Axenroth (Drums, Ersatz für Martin Lopez -> siehe
Interview) kümmerten sich dafür um das musikalische Fundament, und bildeten so quasi die
Plattform für Herrn Akerfeldt. Sie kamen dieser Aufgabe mehr als perfekt nach, hämmerten
sich arschtight durch die jeweils mindestens sechs Minuten dauernden Songs, und schafften
obendrauf auch noch das Kunststück, die Wechsel zwischen harten Sounds und ruhigen
Momenten völlig natürlich und homogen rüber zu bringen. Mit anderen Worten: Opeth sind
so fit wie nie zuvor, quasi ein Lehrstück in Sachen Einheit und Perfektion.
Doch genug der Lobeshymnen, wir wollen uns nun auf die tatsächliche Abfolge des Gigs
konzentrieren. Wie zu erwarten, wählten sie den ersten Track der neuen Scheibe, "Ghost
of perdition", auch als Show-Opener, und bereits der erste Akkord löste sämtliche
Anspannung im Publikum - selten habe ich so viele grinsende Gesichter an einer Metalshow
gesehen. Zum Vergleich lässt sich höchstens der Gesichtsausdruck eines Kindes beim
Betreten eines Süssigkeiten-Ladens heran ziehen. Von sämtlichen Akteuren auf der Bühne
bewegte sich Basser Martin Mendez am meisten, nebst ausufernden Bangorgien suchte er immer
wieder Blickkontakt mit Drummer Martin Axenroth, der, ganz der Profi, voll konzentriert
die wahnwitzigsten Beats und Grooves aus seinem Kit herausprügelte. Hier müsste
vielleicht noch einmal mit dem Finger auf die Glanzleistung dieses Herren gezeigt werden -
Mal so nebenbei als Aushilfe bei Opeth einzuspringen und die neue CD (oder wenigstens
einige der Songs) auswendig zu lernen, diese Leistung ist beinahe nicht mehr steigerbar.
Klar ersetzt er keinen Martin Lopez, er schafft es aber, den Partituren seinen eigenen
Stempel aufzudrücken. Doch zurück zum Geschehen auf der Bühne: Während zwei Stunden
brillierte die Band mit einem Querschnitt aus beinahe sämtlichen bisher erschienen Alben,
lediglich der alte Gassenhauer "The drapery falls" (Von "Blackwater Park") wird nur
ein paar Sekunden lang angespielt.
Martin Akerfeldts Interreaktion mit dem Publikum sollte übrigens ebenfalls nicht
unerwähnt bleiben: Er schaffte es, dank lockeren Sprüchen und Anekdoten, das Publikum in
den Auftritt mit einzubeziehen, und sorgte auch nebst der dargebotenen musikalischen Kunst
für Höhepunkte. So machte er unter anderem mehrere Male auf humorvolle Art und Weise
klar, dass er der alleinige Herrscher über das Mikro sei, und deswegen ungeniert
schmutzige Dinge sagen dürfe (die ich hier nicht auflisten will, sie wären eh der Zensur
zum Opfer gefallen). Dafür durfte das Publikum dem Gitarrentechniker «Happy Birthday»
singen, obwohl Mikael laut eigener Aussage eigentlich gar nicht mehr wisse, wo er den
Typen aufgegabelt habe. Aber weil Opeth so grossherzig seien, würden sie ihn ab und zu
mit Brotkrümeln, abgeschnittenen Fussnägeln und sonstigen auf dem Boden des Tourbusses
aufgefundenen Häppchen füttern (O-Ton Mikael). Offensichtlich befindet sich Mikael sowie
der Rest der Band (Und auch die Crew) in blendend guter Verfassung, anders kann ich mir
den gelungenen Abend nicht erklären.
Als die Band nach circa zwei Stunden die Bühne verliess und das Publikum langsam wieder
auf den Boden der Realität zurück kehrte, war es dann auch Zeit für ein zusammenfassendes
Schlusswort: Mit erstens etwas mehr Platz im Zuschauerraum und zweitens akustisch
besseren Räumlichkeiten, hätte dieser Auftritt der Höhepunkt des Konzertjahres 2005
werden können - Aber auch ohne diesem Titel musste sämtlichen Besuchern klar geworden sein,
dass sie hier Zeuge einer ungewöhnlich starken Performance geworden waren und Opeth
einmal mehr ihrem Mythos gerecht wurden - Als eine Band, die sämtliche positiven
Aspekte der Musik in sich vereinte und über perfekte Songs zum Ausdruck brachte.
Gespielte Songs: "Ghost of perdition", "Baying of the hounds", "The grand conjuration", "Closure",
"Deliverance", "A fair judgement", "Bleak", "Blackwater Park", "When", "White cluster", "Under the
weeping moon".
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