Da soll noch einer sagen, Metalfactory sei
nicht relevant! Als ich Anfangs Januar unsere Konzert-Agenda
überflog, da staunte ich nicht schlecht, als ich mit weit
aufgerissenen Augen freudig bemerkte, dass kein Geringerer als Paul
Di'Anno, vielen wohl noch bekannt als der erste erwähnenswerte Iron
Maiden-Sänger und somit eines der Unikate des New Wave of British
Heavy Metal, mitverantwortlich für Hymnen der Ewigkeit à la „Phantom
of the Opera“, „Wrathchild“ oder „Sanctuary“, in einem mir bis dato
unbekannten Club namens St. Urs in Biberist auftreten würde. Dabei
erwiesen sich vorgängige Zweifel in punkto Stimmvermögen Di'Annos,
der seit seinem Abgang bei Maiden eher durch seinen exzessiven
Lebenswandel als durch Sänger oder musikalische Aktivitäten an sich
aufgefallen war, als ziemlich unbegründet, rockte der bullige Brite
in bierseligem Zustand doch den mit gut 100 Nasen proppenvollen,
saunaheissen Rockpalast (wohl der kleinste, aber auch gemütlichste
Palast der Welt) mit haufenweise Nummern der ersten Jungfern-Alben
„Iron Maiden“ und „Killers“, gespickt mit dem einen oder anderen
Song aus seiner eher unbeachteten Solo-Karriere. Eine ruppige
Retro-Vorstellung, die den Wandel, den Maiden in den letzten 20
Jahren durchgemacht haben, vollends vor die Augen stellte. Was will
man als Maiden-Fan mehr, als im Dezember Steve Harris’ Truppe
selbst, einen Monat später Di'Anno live zu erleben?
Eversince
Doch bevor das Biest selbst die Bühne enterte, zeigte das Sextett
Ever Since, dass, man mag es glauben oder nicht, auch das
verschlafene Wallis Metal zu produzieren weiss, wenn auch an diesem
Abend nicht ganz die passende Sparte. Mit dem brandneuen Debut „Between
Heaven & Hell“ im Gepäck zog das Sechserpack, angeführt vom
growlenden, Gitarre spielenden Hühnen Stéphane und der bezaubernden
Gothic-Queen Ludivine zumindest alle Augen auf sich. Stampfende
Riffs und an Drum'n'Bass („Between Heaven & Hell“) erinnernde
Keyboard- bzw. Drumbeats, gepaart mit den schon erwähnten
Gothic-Trademarks kamen dagegen bei dem auf Old School-Metal
wartenden Publikum nicht wirklich an. Ansonsten bewiesen die
unglaublich ambitionierten Alpenbewohner mit ihren zwischen
Nightwish, Crematory, Soilwork und Deathstars pendelnden Songs
ungeheures Potential, so bewegungsfreudig und agil vorgetragen, wie
es auf der äusserst kleinen Bühne eben ging: Headbanging, Posing,
charmante Ansagen auf Französisch (einzig Nymphe Ludivine spricht
Schweizerdeutsch) - eine professionelle Metal-Performance, die in
einem anderen Rahmen, vielleicht eben im Vorprogramm der schon
genannten Kappellen, auf euphorischen Zuspruch stossen würde, trotz
der manchmal etwas sperrigen Songstrukturen.
Setlist Ever Since:
Vae Soli - Opposite Angle - Lost In My Thoughts - A Shadow Behind
The Mirror Of My Mind - Something Of You - Treason - Between Heaven
And Hell - La Petite Mort - I'm Just The Only One
Paul Di'Anno
Wie kommt eine nicht mehr ganz aktuelle Metal-Legende bei einem
Clubgig auf die Bühne? Genau: Mitten durch das dicht gedrängte
Publikum hindurch, um sich dann mit Hilfe des verwirrten, an der
Seite stehenden Metalfactory-Journalisten auf die Bühne zu hieven,
während die italienische
Begleitband
auf perfekte Art und Weise den instrumentalen Opener von „Killer“
(1981), „The Ides Of March“, zum Besten gibt. Äusserlich hat sich
der kantige Frontman seit den frühen 80ern zwar nicht wenig
verändert (Glatze und ca. 40 Kilogramm mehr auf den Rippen),
gesanglich zeigt Paul jedoch keine Blösse und lässt schon beim
Opener „Wrathchild“ und dem darauf folgenden „Prowler“ metallische
Gänsehaut aufkommen, kreischt und rotzt der sich versoffen ans Mikro
klammernde Kasten doch, als wären die letzten Jahrzehnte gar nicht
erst ins Land gezogen. Bewegungsmässig ändert sich an dieser
Stellung zwar das ganze Set über nicht mehr viel, was schlussendlich
nicht im Geringsten stört, musikalisch wird man dafür ja um ein
Vielfaches entlöhnt - der Headgangbang war somit eröffnet. Mit „Marshal
Lokjaw“ erschüttert dann der erste Song aus der Post-Maiden-Ära,
genauer gesagt vom 92er Album „Murder One“ der Band Killer, die
Gehörgänge, wie alles Material aus Di'Annos Soloprojekten eher
amerikanisch riffbetont als britisch melodisch. Schmunzelnd erklärt
Di'Anno, dass dies wohl der kleinste Club sei, in welchem er je
gespielt habe, wobei sich der seine Lederjacke nun ausziehende
Brocken leicht heiser anhört, was ihn aber nicht daran hindert, eine
leicht punkige, manchmal an Motörhead erinnernde Version von „Murders
In The Rue Morgue“ hinzulegen, gefolgt vom auch auf „Murder One“
enthaltenen „The Beast Arises“. Repräsentiv für einen anderen
Lebensabschnitt Di'Annos wird darauf „Children Of Madness“ vom
gleichnamigen „Battlezone“-Album zum Besten gegeben, um das
atmosphärische und Gänsehaut hervorrufende „Remember Tomorrow“ vom
Iron Maiden-Debut dem an Multiple Sklerose erkrankten Clive Burr (Maiden-Drummer
bis und mit „Number
Of The Beast“) zu widmen. Wieder thrashig wirds bei „Impaler“, „Faithhealer“
und „The Living Dead“, bevor man sich mit „Killers“ wieder der guten
alten Maiden-Zeit zuwendet. Die Ansage dazu: „Wer ist der Nummer
1-Terrorist auf der Welt? George W. Bush!!! Fuck you!“. Mit „Phantom
Of The Opera“ und „Running Free“ wird dann zum metallischen Endspurt
geblasen, die Nackenwirbel knacken nur noch so und die Luft brennt
förmlich. Das erschöpft auch Paul, und so muss der übergewichtige
Glatzkopf sich einen Moment neben der Bühne ausruhen, während die
Band mit dem instrumentalen „Transylvania“ in den Zugabenteil des
„Wohnzimmerkonzertes“, wie Di'Anno diesen Auftritt betitelt,
überleiten. Dass Paul schlussendlich immer näher am Punk als am
Metal angesiedelt war, das beweist er stilsicher mit einer ruppigen
Version des Ramones-Klassikers „Blitzkrieg Bop“, schweissgebadet das
kühle Bier in der Hand haltend und nur noch minim fähig, Töne aus
der Kehle zu quetschen, was den letzten Song des Abends, „Sanctuary“,
ebenfalls beinahe zum Instrumental verkommen lässt, was anhand des
relativ textsicheren Publikums nicht wirklich Probleme bereitet,
singen eben die 100 anwesenden Maiden-Fans, sich bewusst, soeben
einen wenn auch nicht professionellen dann doch charmanten und
kultigen Auftritt erlebt zu haben. Gut, Paul Di'Anno lebt von einem
Vermächtnis, das nun schon über 20 Jahre auf dem Buckel hat, doch
alte Maiden-Classics von einem Original-Mitglied in einem
klitzekleinen Club zu geniessen und das für ein vielfaches weniger
als Maiden live zu sehen, das hat schon was!
Setlist Di'Anno:
The Ides Of March - Wrathchild - Prowler - Marshal Lokjaw - Murders
In The Rue Morgue - The Beast Arises - Children Of Madness -
Remember Tomorrow - Impaler - The Living Dead - Faith Healer -
Killers - Phantom Of The Opera - Running Free
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Zugaben: Transylvania - Blitzkrieg Bop - Sanctuary
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