Livereview: Paul DiAnno - Ever Since
13. Januar 2007, Rockpalast St. Urs, Biberist
By Kissi
Da soll noch einer sagen, Metalfactory sei nicht relevant! Als ich Anfangs Januar unsere Konzert-Agenda überflog, da staunte ich nicht schlecht, als ich mit weit aufgerissenen Augen freudig bemerkte, dass kein Geringerer als Paul Di'Anno, vielen wohl noch bekannt als der erste erwähnenswerte Iron Maiden-Sänger und somit eines der Unikate des New Wave of British Heavy Metal, mitverantwortlich für Hymnen der Ewigkeit à la „Phantom of the Opera“, „Wrathchild“ oder „Sanctuary“, in einem mir bis dato unbekannten Club namens St. Urs in Biberist auftreten würde. Dabei erwiesen sich vorgängige Zweifel in punkto Stimmvermögen Di'Annos, der seit seinem Abgang bei Maiden eher durch seinen exzessiven Lebenswandel als durch Sänger oder musikalische Aktivitäten an sich aufgefallen war, als ziemlich unbegründet, rockte der bullige Brite in bierseligem Zustand doch den mit gut 100 Nasen proppenvollen, saunaheissen Rockpalast (wohl der kleinste, aber auch gemütlichste Palast der Welt) mit haufenweise Nummern der ersten Jungfern-Alben „Iron Maiden“ und „Killers“, gespickt mit dem einen oder anderen Song aus seiner eher unbeachteten Solo-Karriere. Eine ruppige Retro-Vorstellung, die den Wandel, den Maiden in den letzten 20 Jahren durchgemacht haben, vollends vor die Augen stellte. Was will man als Maiden-Fan mehr, als im Dezember Steve Harris’ Truppe selbst, einen Monat später Di'Anno live zu erleben?

Eversince
Doch bevor das Biest selbst die Bühne enterte, zeigte das Sextett Ever Since, dass, man mag es glauben oder nicht, auch das verschlafene Wallis Metal zu produzieren weiss, wenn auch an diesem Abend nicht ganz die passende Sparte. Mit dem brandneuen Debut „Between Heaven & Hell“ im Gepäck zog das Sechserpack, angeführt vom growlenden, Gitarre spielenden Hühnen Stéphane und der bezaubernden Gothic-Queen Ludivine zumindest alle Augen auf sich. Stampfende Riffs und an Drum'n'Bass („Between Heaven & Hell“) erinnernde Keyboard- bzw. Drumbeats, gepaart mit den schon erwähnten Gothic-Trademarks kamen dagegen bei dem auf Old School-Metal wartenden Publikum nicht wirklich an. Ansonsten bewiesen die unglaublich ambitionierten Alpenbewohner mit ihren zwischen Nightwish, Crematory, Soilwork und Deathstars pendelnden Songs ungeheures Potential, so bewegungsfreudig und agil vorgetragen, wie es auf der äusserst kleinen Bühne eben ging: Headbanging, Posing, charmante Ansagen auf Französisch (einzig Nymphe Ludivine spricht Schweizerdeutsch) - eine professionelle Metal-Performance, die in einem anderen Rahmen, vielleicht eben im Vorprogramm der schon genannten Kappellen, auf euphorischen Zuspruch stossen würde, trotz der manchmal etwas sperrigen Songstrukturen.

Setlist Ever Since:
Vae Soli - Opposite Angle - Lost In My Thoughts - A Shadow Behind The Mirror Of My Mind - Something Of You - Treason - Between Heaven And Hell - La Petite Mort - I'm Just The Only One

Paul Di'Anno
Wie kommt eine nicht mehr ganz aktuelle Metal-Legende bei einem Clubgig auf die Bühne? Genau: Mitten durch das dicht gedrängte Publikum hindurch, um sich dann mit Hilfe des verwirrten, an der Seite stehenden Metalfactory-Journalisten auf die Bühne zu hieven, während die italienische Begleitband auf perfekte Art und Weise den instrumentalen Opener von „Killer“ (1981), „The Ides Of March“, zum Besten gibt. Äusserlich hat sich der kantige Frontman seit den frühen 80ern zwar nicht wenig verändert (Glatze und ca. 40 Kilogramm mehr auf den Rippen), gesanglich zeigt Paul jedoch keine Blösse und lässt schon beim Opener „Wrathchild“ und dem darauf folgenden „Prowler“ metallische Gänsehaut aufkommen, kreischt und rotzt der sich versoffen ans Mikro klammernde Kasten doch, als wären die letzten Jahrzehnte gar nicht erst ins Land gezogen. Bewegungsmässig ändert sich an dieser Stellung zwar das ganze Set über nicht mehr viel, was schlussendlich nicht im Geringsten stört, musikalisch wird man dafür ja um ein Vielfaches entlöhnt - der Headgangbang war somit eröffnet. Mit „Marshal Lokjaw“ erschüttert dann der erste Song aus der Post-Maiden-Ära, genauer gesagt vom 92er Album „Murder One“ der Band Killer, die Gehörgänge, wie alles Material aus Di'Annos Soloprojekten eher amerikanisch riffbetont als britisch melodisch. Schmunzelnd erklärt Di'Anno, dass dies wohl der kleinste Club sei, in welchem er je gespielt habe, wobei sich der seine Lederjacke nun ausziehende Brocken leicht heiser anhört, was ihn aber nicht daran hindert, eine leicht punkige, manchmal an Motörhead erinnernde Version von „Murders In The Rue Morgue“ hinzulegen, gefolgt vom auch auf „Murder One“ enthaltenen „The Beast Arises“. Repräsentiv für einen anderen Lebensabschnitt Di'Annos wird darauf „Children Of Madness“ vom gleichnamigen „Battlezone“-Album zum Besten gegeben, um das atmosphärische und Gänsehaut hervorrufende „Remember Tomorrow“ vom Iron Maiden-Debut dem an Multiple Sklerose erkrankten Clive Burr (Maiden-Drummer bis und mit „Number Of The Beast“) zu widmen. Wieder thrashig wirds bei „Impaler“, „Faithhealer“ und „The Living Dead“, bevor man sich mit „Killers“ wieder der guten alten Maiden-Zeit zuwendet. Die Ansage dazu: „Wer ist der Nummer 1-Terrorist auf der Welt? George W. Bush!!! Fuck you!“. Mit „Phantom Of The Opera“ und „Running Free“ wird dann zum metallischen Endspurt geblasen, die Nackenwirbel knacken nur noch so und die Luft brennt förmlich. Das erschöpft auch Paul, und so muss der übergewichtige Glatzkopf sich einen Moment neben der Bühne ausruhen, während die Band mit dem instrumentalen „Transylvania“ in den Zugabenteil des „Wohnzimmerkonzertes“, wie Di'Anno diesen Auftritt betitelt, überleiten. Dass Paul schlussendlich immer näher am Punk als am Metal angesiedelt war, das beweist er stilsicher mit einer ruppigen Version des Ramones-Klassikers „Blitzkrieg Bop“, schweissgebadet das kühle Bier in der Hand haltend und nur noch minim fähig, Töne aus der Kehle zu quetschen, was den letzten Song des Abends, „Sanctuary“, ebenfalls beinahe zum Instrumental verkommen lässt, was anhand des relativ textsicheren Publikums nicht wirklich Probleme bereitet, singen eben die 100 anwesenden Maiden-Fans, sich bewusst, soeben einen wenn auch nicht professionellen dann doch charmanten und kultigen Auftritt erlebt zu haben. Gut, Paul Di'Anno lebt von einem Vermächtnis, das nun schon über 20 Jahre auf dem Buckel hat, doch alte Maiden-Classics von einem Original-Mitglied in einem klitzekleinen Club zu geniessen und das für ein vielfaches weniger als Maiden live zu sehen, das hat schon was!

Setlist Di'Anno:
The Ides Of March - Wrathchild - Prowler - Marshal Lokjaw - Murders In The Rue Morgue - The Beast Arises - Children Of Madness - Remember Tomorrow - Impaler - The Living Dead - Faith Healer - Killers - Phantom Of The Opera - Running Free
- - - - - - -
Zugaben: Transylvania - Blitzkrieg Bop - Sanctuary