Porcupine Tree rufen, und die Schweiz antwortet - Betrachtet man
den sich stetig ausdehnenden Zulauf an Konzertbesuchern bei
Auftritten des englischen Quartetts, so lässt sich diese Aussage
durchaus in Bares ummünzen. Die Band hat sich über die letzten fünf
Jahre konsequent nach oben gespielt, und dabei in der Reihenfolge
zuerst dem Fri-son, dem Z7, dem Volkshaus, dem Rocksound-Festival,
und nun auch dem Sportzentrum Tägerhard den Stempel aufgedrückt -
Gut Ding will halt doch Weile haben. Obwohl die Statistik
diesbezüglich eine klare Tendenz offenbarte, so waren die Progonosen
bezüglich der möglichen Besucheranzahl dieses Abends so
unterschiedlich wie nur möglich - Zumal man beim Anblick des
Konzert-Saales auch gleich leer schlucken musste: Nicht nur, dass da
gut 2100 Besucher reinpassen, was für Porcupine Tree dann schon eine
ganze Menge Nasen sind - Der Saal gehörte ebenfalls zu jener Sorte,
die grundsätzlich für die abstrusesten Soundergebnisse sorgen, weil
er halt eben als Sportsaal konzipiert wurde. Doch allen
Befürchtungen zum Trotz standen vor Konzertbeginn nicht nur das
Publikum Schlange, sondern auch der Sound war über alle Zweifel
erhaben…
Stick Men aus Kingston machten den Anfang, und branchenüblich
wurden sie knapp zwanzig Minuten früher als angekündigt auf die
Bühne geschickt - Ein Umstand, der bei genaurer Betrachtung des
Line-Ups umso mehr für Stirnrunzeln sorgte: Das Trio besteht aus
Tony Levin (King Crimson, Peter Gabriel-Band), Pat Mastelotto (King
Crimson) und Michael Bernier, und kann somit mit Fug und Recht
Anspruch auf die grundlegendsten Einflüsse von Porcupine Tree
erheben. Die Umstände des verfrühten Auftritts liessen die
abgebrühten Profis dann auch offensichtlich völlig kalt, die Jungs
wollten einfach auf die Bühne und die Sau rauslassen - Was ihnen vom
ersten Ton an auch wunderbar gelang: Während Pat Mastelotto die
Drums prügelte, schraubten sich Tony Levin und Michael Bernier an
ihren Chapman-Sticks (Eine Art Synthie-Gitarre) die Finger wund.
Dass die dabei entstehende Mucke eher etwas für Frickel-Fans war,
schien dabei kaum jemanden der bereits anwesenden Besucher zu
stören. Obwohl die Band trotz all der beinahe ausufernden
Solo-Einlagen und den schrägen Vocals von Tony Levin mächtig groovte,
wollte das Material kaum in die Beine gehen – Zu abstrakt war die
Musik und das damit Hand in Hand gehende Erscheinungsbild der
fidelnden Mittfünfziger. Nach gut vierzig Minuten quietschfideler
aber komplett überdrehten Musik verabschiedeten sich Stick Men mit
einer Zugabe vom Schweizer Publikum, und trotz des überraschend
lauten Applaus wurde ich das Gefühl nicht los, gerade eben ein Paar
Minuten an Lebenszeit an die falsche Show verschwendet zu haben…
Porcupine Tree sollten's richten - Und theoretisch hätte das
auch von der ersten Minute an der 160-Minuten-Show auch geklappt.
Blöderweise fokussierten sich die Englischen Prog-Genies um Fronter
Steven Wilson in der ersten Hälfte der Show ausschliesslich auf das
Material der aktuellen zwar gut gemeinten aber einlullenden Platte 'The
Incident', welches sie in kompletter Reihenfolge runterleierten.
Resultat: Allgemeine Zurückhaltung und ein kleines Nickerchen im
Stehen meinerseits. Porcupine Tree haben wir obschon des technischen
Könnens auch schon intensiver erlebt, würde ich mal meinen. Irgendwo
nach einer knappen Stunde dann die erlösende Ansage von Herr Wilson:
Die Band würde sich für eine kurze Pause zurückziehen, und darauf
ein zweites Set hinlegen - Meine Gedanken schwappten in diesem
Moment an die überaus vielfältigen Erinnerungen an ältere Shows, aus
denen Porcupine Tree stetig als absolute Gewinner herausgingen.
Der auf die Rückwand der Bühne projezierte zehnminütige
Pausen-Countdown liess die Besucher schmoren, die letzten sechs
Sekunden wurden lauthals mitgezählt - Und Porcupine Tree zerlegten
pünktlich und gekonnt mit 'The Start Of Something Beautiful' alle
Zweifel und Befürchtungen in Schutt und Asche. Der Klassiker 'Russia
On Ice' stellte kurz darauf nur die Ruhe vor dem Sturm dar, 'Anesthetize
/ The Pills I'm Taking' entfaltete auf dem Höhepunkt des Songs die
volle zerstörerische Grösse, und riss den bisher mit
Samthandschuhen
behandelten Besuchern den Boden unter den Füssen weg. Das Fazit zu
diesem Zeitpunkt war klar: Wie zur Hölle schafften es die Songs auf
'The Incident' bloss, veröffentlicht, geschweige denn gespielt zu
werden, wenn die Band doch normalerweise auf Übermaterial der Marke
'In Absentia', 'Deadwing' und 'Fear Of A Blank Planet' setzen kann?
Das mag zwar reisserisch klingen, aber der direkte Vergleich führte
den Besuchern den klaffenden Intensitäts-graben zwischen den beiden
Sets mehr als offensichtlich vor die Augen:
Sämtliche fünf Musiker wirkten plötzlich um einiges präsenter, die
Stimmung im Saal schlug innerhalb eines kurzen Augenblicks von
'passiv mithörend' auf 'aktiv hingebend' um, und über allem
schwebten die durch Mark und Bein gehenden Grooves und Melodien von
weiteren Songs wie 'Way
Out Of Here'. Die Band verabschiedete sich nach gut fünfzig Minuten
im zweiten Set ein erneutes Mal, nur um kurz darauf dank dem
tosenden Applaus des Publikums ein letztes Mal auf der Bühne zu
erscheinen, und die beiden Übersongs 'The Sound of Muzak' und 'Trains'
in die Nacht zu schmettern. Produktionstechnisch war übrigens alles
über dem grünen Bereich, Licht wie auch Sound entsprachen
diskussionslos dem hohen Standard der Band, was vor allem aufgurnd
der etwas zwielichtigen Location (Wer bitte bucht überdimensionierte
Turnhallen für Shows?) erwähnt werden muss. Ich bin nächstes Mal
gerne wieder dabei - Aber lasst doch bitte 'The Incident' daheim, ok?
Setlist Porcupine Tree - Erstes Set: Occam's Razor, The Blind House,
Great Expectations, Kneel and Disconnect, Drawing The Line, The
Incident, Your Unpleasant Family, The Yellow Windows of the Evening
Train, Time Flies, Degree Zero of Liberty, Octane Twisted, The
Séance, Circle of Manias, I Drive the Hearse
Zweites Set: The Start of Something Beautiful, Russia on Ice (Pt I),
Anesthetize (Pt II, «The Pills I'm Taking»), Stars Die, Way Out of
Here, Normal, Bonnie the Cat
Zugaben: The Sound of Muzak, Trains
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