Mein
letzter Besuch im Dynamo ist schon eine ganze Weile her, und in
dieser Zeit wurde offensichtlich der komplette Innen-Umbau
durchgeführt. Dessen war ich mir gar nicht bewusst, und so hatte ich
zunächst, oben im Saal angekommen, zuerst mal leichte
Orientierungsschwierigkeiten. Der Grund dafür ist der neue Ort der
Bühne, die vom ehemaligen Standort linkerhand nun um 90 Grad in
Laufrichtung aus Sicht des Eingangs verschoben wurde. Dazu wurde
noch eine Galerie angebracht, die, einfach etwas kleiner, der vom
Komplex 457 ähnelt. Soweit so gut, und wie sich nachher heraus
stellte, waren heute Abend ziemlich viele Besucher das erste Mal
überhaupt (!) im Dynamo. An diesem gewöhnlichen Dienstag sah der
Saal erstaunlich gut gefüllt aus, und das dürften schätzungsweise
gegen 500 Fans gewesen sein. Vor dieser erfreulichen Kulisse rockten
zuerst Crystal Ball, die nun nach dem Sängerwechsel (Steve Mageney
ersetzte Mark Sweeney) und den letzten drei wirklich guten
Studioalben der Neuzeit definitiv wieder Blut geleckt haben. Der
Headliner aus dem hohen Norden zeigte danach aber eindrücklich, was
den berühmten Unterschied des Erfolges ausmacht. (rsl)
Crystal Ball
Jüngere Fans der Schweizer Hardrocker, die sich (noch) nicht mit
deren Bandgeschichte befasst haben, die bis 1999 zurück reicht,
werden die Truppe womöglich erst ab 2013 wahr genommen haben. Vor
vier Jahren stellten nämlich Gitarrist Scott Leach und Drummer
Marcel Sardella als einzig verbliebene Ur-Member ihr Baby namens
Crystal Ball auf einen frischen Sockel. Die gewichtigste Veränderung
war der Posten des Frontmannes. Auf Mark Sweeney folgte Steven
Mageney und mit ihm veränderte sich auch der Sound hin zu etwas
härteren Gefilden. Die Keyboards, die früher von Tom Graber bedient
wurden, sind zwar immer noch vorhanden, werden live jedoch ab Band
eingespielt. Mit der Hinzunahme eines zweiten Gitarristen (aktuell
Tony Castell als Nachfolger von Markus Flury) lastet die
Saitenarbeit nicht nur auf den Schultern von Scott und ermöglicht so
einen erweiterten Guitar-Sound. Diese „neue Härte“ steht dem Fünfer
gut zu Gesicht, und spätestens aber dem letztjährigen neuen Dreher
«Déjà-Voodoo» ist an dieser Ecke spürbar mehr Zug auszumachen.
Dieser neue Schwung begleitet die kürzlich abgeschlossene Tour, die
zusammen mit Shakra bestritten wurde. Der heutige Support für Pretty
Maids bedeutete ein Wiedersehen auf der Bühne nach
nicht
weniger als sechzehn Jahren! Entsprechend motiviert gingen Crystal
Ball ans Werk, und es dauerte nicht lange, bis der gut gefüllte Saal
des Dynamo in eine gute Stimmung versetzt werden konnte. Steven
Mageney ist längst in seiner Rolle als überzeugender Fronter
aufgegangen und lenkte das Geschehen ohne Mühe. Die heute Abend
gespielten Songs stammten bis auf den alten Smasher «Hellvetia»
ausnahmslos von den letzten drei Alben. Die Auswahl ging soweit in
Ordnung, aber für meinen persönlichen Geschmack fehlten von der
neuen Scheibe «To Freedom And Progress» sowie «Time And Tide», und
von einigen älteren Perlen sprechen wir jetzt gar nicht. Unter dem
Strich war der Auftritt sehr solide, auch wenn es manchmal etwas an
durchdringender Durchschlagskraft mangelt. So, wie das zum
Beispielweise Eclipse oder H.E.A.T drauf haben. Crystal Ball 2.0
sind jedoch grundsätzlich auf dem richtigen Weg und müssen nun
beweisen, ob sie in Zukunft noch einen Gang höher schalten können.
Am Willen scheint es auf jeden Fall nicht zu mangeln, und der
erfreuliche Zuspruch des Zürcher Publikums dürfte die Ambitionen
weiterhin beflügeln. (rsl)
Setliste: «Intro» - «Director's
Cut» - «Dr. Hell No» - «Suspended» - «Hold Your Flag» - «Back For
Good» - «Paradise» - «Hellvetia» - «Déjà Voodoo» - «Anyone Can Be A
Hero».
Pretty Maids Auch wenn Crystal
Ball ein gutes Set ablieferten, was danach bei Pretty Maids
losgetreten wurde, war eine andere Liga. Die Konstellation Pretty
Maids/Crystal Ball war schon im Jahre 2000 zusammen auf Tour. Damals
war das aktuelle Album der Dänen «Carpe Diem», aus dem an diesem 21.
Februar 2017 kein einziger Song mehr gespielt wurde. Leider, denn
dieses Werk beinhaltet immerhin solche Göttergaben wie «Tortured
Spirits», «Clay» oder «Wouldn't Miss You». Das ist einfach das
grosse Problem, welches sich bei Pretty Maids in den letzten 36
Jahren aufgebaut hat. Auf jedem der fünfzehn Studioalben hat es
genügend Hits, die in das
Set gehören. So blieb die Setliste ohne grosse Überraschungen,
ausser das «Red, Hot And Heavy» schon als dritter Track gespielt
wurde und nicht, wie sonst, erst im Zugabenteil für Furore sorgte.
Es ist ein Jammern auf sehr hohem Level, aber als Fan der ersten
Stunde vermisst man immer wieder den einen oder anderen
Lieblingssong («Lethal Heroes», «Rock The House», «Loud'n Proud»,
«Attention», «Running Out», «Wake Up To The Real World», «Another
Shot Of Your Love», «Dead Or Alive», «Destination Paradies» oder
«Back Off»). So konzentrierten sich die Herren Ronnie Atkins
(Gesang), Ken Hammer (Gitarre), Rene Shades (Bass), Allan Tschicaja
(Drums) und Neu-Keyboarder Chris Laney auf das neue Album
«Kingmaker» und die erfolgreichste Scheibe «Future World», aus denen
jeweils fünf, respektive vier Lieder gespielt wurden. Von der ersten
Sekunde herrschte im Dynamo eine ausgelassene Partystimmung, auf der
sich die Band und ihre Fans von Song zu Song mehr anstachelten.
Ronnie erwähnte immer wieder das neue Album «Kingmaker», liess das
Publikum den Titel laut heraus schreien und freute sich mit einem
diebischen Grinsen ob der Reaktion. Es war auch der Sänger, der
erneut mit seiner unnachahmlichen Gestik und Mimik den Tracks seinen
Stempel aufdrückte. Keiner durchlebt die Songs mit so viel Hingabe
oder Schmerz wie er. Auch wenn Mister Atkins gesanglich nicht mehr
jede Note so trifft wie auf den Studioalben, bot er
eine
verdammte starke Show. Er genoss den grossen Applaus und fragte
zurecht, wieso es seit 1990 keine Show der dänischen Truppe mehr in
Zürich gab («It's a fucking long time, since we played in Zurich»).
In Form von Allan hat die Truppe ein Tier eines Trommlers in den
eigenen Reihen. Es war unglaublich, mit welcher Energie er auf sein
Arbeitsgerät einschlug und die Show dabei mit einem breiten Grinsen
genoss. Unter seinen Schlägen erzitterte nicht nur das Drum, sondern
es vibrierte und schien förmlich vom Drumriser runter zu fallen. Ken
scheint sich von Konzertreise zu Konzertreise noch ein bisschen mehr
Masse anzufuttern. Trotzdem bolzte er gottesgleiche Riffs («Red, Hot
And Heavy») ins Dynamo und solierte («Back To Back») mit einer
unglaublichen Sicherheit. Dass dabei auch mal ein Solo schief etwas
klingt («Please Don't Leave Me») sei dem Gitarristen verziehen,
gehören solche Momente doch einfach zu einer LIVE-Show!
«Danke schön und guten Abend», begrüsste Ronnie die Fans in
akzentfreiem Hochdeutsch. «It's wonderful to be here! We love you
Zurich, you‘re fantastic!» grinste Ronnie zufrieden ins Publikum und
wischte sich die dicken Schweissperlen von der Stirne. Es war ja
nicht so, dass der Fünfer den Erfolg einfach genoss, nein sie
ackerten auch hart dafür! Mister Atkins hat sich in den letzten
Jahren auch als einer der unterhaltsamten Shouter geoutet: «…we're
touring with another swedish band called Gotthard», lächelte Ronnie
ins Publikum und erwähnte, dass Pretty Maids momentan eigentlich als
Support für Gotthard unterwegs sind, aber die Day Offs für eigene
Headliner-Gigs nutzten. Ronnie sprach viel mit dem Publikum, und
die Ansagen hatten alle was Natürliches, was Ehrliches und nicht
Einstudiertes. Und diese sympathische Art übertrug sich auch auf die
Band, als sie locker einen Swing-Part vor «Savage Heart» spielte
oder vor dem letzten Song noch «Black Night» von Deep Purple zum
Besten gab. «Savage Heart» wurde zuerst nur mit Keyboard und Gesang
vorgetragen und war neben «Please Don't Leave Me» auch die einzige
ruhige Nummer. Ansonsten wurde gerockt und aus allen Rohren
geschossen. Was dem Sound auch gut tat, war die zweite Gitarre,
welche sich Chris immer wieder umhängte. Speziell bei den älteren
Liedern klang dies verdammt gut, zumal diese damals auch für zwei
Gitarren geschrieben wurden. Ob es bei diesem üppigen Backkatalog
neben der John Sykes-Nummer «Please Don't Leave Me» auch noch den
Ausflug zu Pink Floyds «Another Brick In The Wall» brauchte, muss,
wie immer, jeder selber entscheiden. Der Show tat es dies jedoch
keinen Abbruch, und somit ging diese Kurzfassung des
Floyd-Klassikers voll auf. Sympathisch war Ken, der nicht nur
unzählige Plektren verteilte und damit seinen Techniker an den Rand
der Verzweiflung brachte, weil dieser immer wieder den
Mikrofonständer mit neuen Gitarrenplektren bestücken musste, sondern
auch, weil er bei «I.N.V.U.» einige Mineralwasserflaschen ins
Publikum spedierte.
Es war mittlerweile verdammt heiss
geworden im Dynamo. Was immer Pretty Maids auch spielten, waren es
neuer Stücke wie «Mother Of All Lies» oder speziell «Heavens Little
Devil», älteres Material wie «Pandemonium» plus «Little Drops Of
Heaven» (Hammer!) oder Klassiker wie «Rodeo», «Back To Back»,
«Yellow Rain» (HAMMER!) oder die erste Zugabe «Future World»…, die
Band kickte Ass ohne Verschnaufpause. Bei «Future World» wurde das
Publikum, wie bei einigen anderen Songs auch, durch
einem
Mitsingpart in die Show miteinbezogen. Der Besucherchor war laut wie
textsicher, und zur Unterstützung wurde bis in die hintersten Reihen
mitgeklatscht. Das Foto für Instagram musste logischerweise
ebenfalls noch geschossen werden, bevor Ronnie und seine Mannschaft
mit «Love Games» ein fantastisches Set abschlossen. «In Zürich, das
ist deutsche Region? Alles klar», ja es war alles bestens, und ich
gehe sogar soweit, dass ich diesen Gig auf die gleiche Stufe stelle,
wie damals der Openerauftritt beim «Monsters Of Rock 1987», als die
Herren noch in der Blüte der Jugend standen und mit dem gerade
erschienenen Meisterwerk «Future World» die Bühne rockten und von
diesem Moment an zu den ganz Grossen gezählt wurden. Knapp dreissig
Jahre später präsentierte sich die Truppe gereifter, aber noch lange
nicht gezähmter. Da am gleichen Abend zudem durchsickerte, dass
Pretty Maids das Brienzer Rockfestival im August headlinen werden,
war dieser Auftritt beste Werbung in eigener Sache. Der Fünfer kam,
sah und hinterliess eine völlig begeisterte Schar. Auch wenn man den
Herren Atkins und Hammer die Lebenserfahrungen aus dem Musikbusiness
deutlich ansieht, strotzen sie unablässig vor Energie und besitzen
nach wie vor den unbändigen Willen, noch heute jede Bühne dem
Erdboden gleich zu machen. Nach dem Freedom Call-Gig war dies ein
weiterer Höhepunkt im Konzertjahr 2017. Ich bin gespannt, ob
Gotthard und Krokus da beim nächsten grossen Konzert mithalten
können! (tin)
Setliste: «Intro» - «Kingmaker» - «When God
Take A Day Off» - «Red, Hot And Heavy» - «Face The World» - «Mother
Of All Lies» - «Heavens Little Devil» - «Yellow Rain» - «Rodeo» -
«Bull's Eye» - «Savage Heart» - «Pandemonium» - «Another Brick In
The Wall (Short)» - «I.N.V.U.» - «Please Don't Leave Me» - «Fortuna
Imperatrix Mundi (Intro)» - «Back To Back» -- «Future World» -
«Little Drops Of Heaven» - «Love Games».
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