Livereview: Rage - Freedom Call
14. April 2006 Z7 Pratteln
By
Roger W.
Ein ganz starkes zweier Package besuchte uns mit Rage und Freedom Call mitte April im Z7. Dieser Meinung waren auch die rund 800 Personen, die in den Metal-Palast gepilgert waren, um sich von den beiden Gruppen verwöhnen zu lassen. Und obwohl Rage auf eine viel längere Dienstzeit zurück blicken können, hatte ich den ganzen Abend den Eindruck, dass die Mehrheit vor allem wegen Freedom Call gekommen war. Aber lest selbst: Freedom Call sind Gewinner im Vergleich mit AC/DC und Rage mit Dream Theater, wenn die jeweils gemeinsam unterwegs wären.

Freedom Call
Eigentlich stand ja der ganze Abend unter dem Banner des Heavy Metal's und von daher hätten sich die beiden Bands und ihre Konzerte auch nicht all zu sehr unterscheiden sollen. So dachte ich im Vorfeld und wurde dann eines Besseren belehrt. Freedom Call legten mit "Warrior" schon mal mächtig los und brachten die Stimmug im Publikum vom ersten Ton an zum Kochen. Und dieses Kochen sollte auch bis zum Ende nicht mehr abbrechen. Die Band nutzte ihre beachtliche Spielzeit von 70 Minuten und zeigte, was eine wirklich gute Live-Band ausmacht: Guter Sound, viel Bewegung auf der Bühne, zum Teil an der Grenze zum Kitsch übertriebene Gestiken, viel Begeisterung und natürlich grandiose, aber im Vergleich zu Rage eher einfach gestrickte Songs. Freedom Call sind eine der Party-Metal Bands schlechthin. Da stört es auch nicht, dass gewisse Texte eher platt daher kommen. Spass ist angesagt und den hatten wohl die Meisten der Anwesenden. Immer wieder wurden Mitsing- und Mitklatsch-Passagen eingebaut, welche dankbar angenommen wurden. Die beiden neuen Bandmitglieder an Bass und Gitarre schienen ebenfalls schon sehr integriert zu sein, und posten und musizierten, sodass man durchaus von einer geschlossenen Einheit reden konnte. Von den Songs her waren alle vier bisherigen Alben angemessen vertreten, auch wenn ich persönlich den Überhammer-Song "The quest" schmerzlich vermisste. Na ja, den guck' ich mir jetzt jeden Tag auf der "Wacken 03-DVD" an... - Sowieso hätte die Band ohne Weiteres noch länger spielen können. Nach dem grandiosen "Freedom Call" war aber erst mal Schluss, bevor mit "Hymn to the brave" die einzige Zugabe gespielt wurde und die Band unter tosendem Applaus die Bühne verliess. Freedom Call legten die Stimmungsmesslatte für Rage enorm hoch, die diese anschliessend noch zu toppen versuchten. Einziges Manko bei Freedom Call waren höchstens die kleinen Spielfehler, die sich vor allem bei Chris immer wieder einschlichen. Aber wer will sich bei dieser grandiosen Live-Band schon beschweren?!!

Set-Liste Freedom Call: "Warrior", "We are one", "Hero nation", "Hunting high and low", "Metal invasion", "Tears of Taragon", "Anotherd day", "Mother earth", "Warriors of the light", "Ocean", "Land of light", "Freedom Call", "Hymn to the brave".

Rage
Wer absolut perfekt gespielte Lieder wollte, kam sowieso anschliessend bei Rage auf seine Kosten. Ob es nun das beste Rage Line-Up ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Band nur in dieser Besetzung live gesehen habe. Klar ist aber, dass einem Schlagzeuger wie Mike Terrana so schnell keiner was nach macht. Auch Gitarrist Victor Smolski kann man ohne mit den Augen zu zwinkern zu einem der weltweit Besten zählen, der sich auch von einem Uli John Roth nicht verstecken muss. Was dieser Junge auf seiner Gitarre hinzaubert, ist unglaublich. So unglaublich, dass auch die Stimmung im Publikum darunter leidet. Zumindest war die Euphorie beim Rage-Auftritt viel schwächer als bei Freedom Call. Erklären kann man sich das vielleicht mit einem Vergleich. Stellt Euch vor, Dream Theater würden gemeinsam mit AC/DC auf Tour gehen. AC/DC mit ihren einfach gestrickten Mitgeh-Songs und Dream Theater mit ihren langen, sehr durchdachten und komplizierten Liedern. Beides sind Weltklasse-Bands, die aber ganz verschiedene Stimmungen erzeugen. Rage waren an diesem Abend also die Techniker, die mit "Speak of the dead" vom neuen Album, "No fear" und "Down", kräftig loslegten und für einzelne Grund zum Stagediven waren. Auch cTurn the page", "Im crucified" und "Straight to hell" (göttlich!) zogen in diese Richtung, bevor's eher früh im Set schon das Drum-Solo von Mike Terrana gab. Zwei weitere Songs danach wurde es ruhig und Bassist und Sänger Peavy kündigte an, dass sie jetzt die komplette "Suite Lingua Mortis" vom neuen Album spielen würden. Eine stimmungsvolle Lightshow und klassische Klänge ab Konserve läuteten diese ein, bevor die Band einstieg und vor allem Victor Smolski an der Gitarre sein Talent zur Schau stellen konnte. Leider litt vor allem der erste Teil an einer Schwäche, die früher bei der "Lingua Mortis"-LP noch nicht da war. Die klassischen Instrumente waren zu sehr im Hintergrund und verhinderten ein gleichberechtigtes Dasein beider Elemente, das zum Markenzeichen von Lingua Mortis und von "XIII" geworden ist. Erst im zweiten Teil der Suite wurde das Orchester auf Band lauter, schade! Abgeschlossen wurde das Ganze durch einen langen Solo-Part von Victor. In Zukunft wäre es toll, wenn Rage uns wieder mit Orchester beehren würden, Material für Band und Orchester hat man mittlerweile ja genug. So aber hinterliess dieses Stück bei mir einen eher zwiespältigen Eindruck. Mit "War of worlds" und "Human Metal" zeigten Rage anschliessend nochmals, was sie Geschwindigkeits-mässig drauf haben, bevor mit dem obligaten Klassiker "Dont fear the winter", der letzte Song vor den Zugaben gespielt wurde. Dieser bestand dann aus der deutschen Version von "Vollmond" vom neuen Album und durch "Higher than the sky". "Vollmond" dürfte sich in nächster Zeit zum Klassiker entwickeln und überzeugt nicht nur durch ein tolles Arrangement, sonder beweist auch, dass Rage auf Deutsch Klasse klingen. Schon lange ein Klassiker ist "Higher than the sky". Und so ist es mir unerklärlich, wieso das "For those about to rock" von Rage, also das obligate Abschlusslied von jedem Rage-Konzert, diesmal absolut daneben ging. Abschlusslied bedeutet, dass erst danach Schluss ist und nicht schon während dem Lied. Die langen, lauten, sich fast unendlich wiederholenden Publikums-Chöre des Refrains waren diesmal ungewöhnlich schwach, und so wurde das Stück von einem leicht genervten Peavy vorzeitig beendet. Ein schwacher Schluss für ein ansonsten gutes Konzert das sich von der Liederauswahl sehr vom letzten Konzert unterschied, was ich sehr positiv finde. Allerdings mussten sich Rage klar von den als "Schrecken der Headliner"-Bekannten Freedom Call geschlagen geben. Vielleicht könnte man nächstes Jahr auch einfach die Rollen tauschen, also Rage als Vorgruppe mit beachtlicher Spielzeit und Freedom Call als Hauptgruppe. Der Logik eines Konzertabends, bei dem sich die Stimmung bis zum Finale steigert, würde das eher gerecht. Nichtsdestotrotz war es ein toller Abend, der mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Set-Liste Rage: "Speak of the dead", "No fear", "Down", "Turn the page", "I'm crucified", "Straigt to hell", "Drum-Solo Mike", "Faster than hell", "Baby, I'm your nightmare", "Suite Lingua Mortis (Morituri the salutant)", "Prelude of souls", "Innocent", "Depression", "No regrets", "Confusion", "Black, Beauty"), "Gitarren-Solo Victor", "War of worlds", "Human Metal", "Don't fear the winter" / Zugaben: "Vollmond" und "Higher than the sky".