Die athletischen Metal-Veteranen im Rock City. Was ich mir schwer
vorstellen konnte, da die Briten bekannt dafür sind, dass sogar die
grösste Bühne für ihre Performance noch zu klein ist, entpuppte sich
als (fast) kein Hindernis für einen der Show-Schwerpunkte der
Newcastler. Das Trio gab alles, besonders Gitarrist Mark Gallagher
tropfte der Schweiss nach wenigen Sekunden literweise vom Körper.
Sie verwandelten das Rock City in einen Club der früher achtziger
Jahre.
So muss man sich die Anfänge der «new wave of british Heavy
Metal» vorstellen. In einem kleinen Club, den man über eine Treppe
erreicht, tummeln sich ein paar Hartgesottene, die eingekleidet in
Leder, Jeans und vielen Aufnähern ihrer Lieblinge, das kommende
Ereignis kaum erwarten können. Das Bier fliesst und die
Fachgespräche laufen auf Hochtouren. Jeder scheint jeden zu kennen
und alle berichten von ihren neuen Errungenschaften und den
kommenden «In»-Bands. Was sich vielleicht in den letzten 30 Jahren
geändert hat, dass Raven nicht mehr zu den künftigen Superstars
zählen, sondern schon als alte Helden abgefeiert werden.
Sin Starlett
Den Start gebührt dann Sin Starlett. Eine Retro-Truppe, wie sie
im Buche steht. Sie wurde von Sänger Elias und Gitarrist Reno in
Luzern gegründet und zeigt mit Stolz geschwellter Brust, welches
ihre Bands sind. Ob da nun Riot oder Diamond Head mit fetten
Buchstaben auf den Shirts steht, eine Judas-Priest-Gürtelschnalle
oder eine gestreifte Steve-Harris-Gedächtnishose zu sehen ist, es
wird schnell klar, dass die Jungs mit jedem Knochen, jedem
Blutstropfen und jeder Gestik den wahren Metal verteidigen wollen.
Auch musikalisch wird dies schnell dokumentiert, nämlich dann wenn
die doppelläufigen Soli sich den Weg zu den Anwesenden bahnen. Mit
den markanten Schreien von Elias wird dieser Zeitreise nachhaltig
der Stempel aufgedrückt. Man sieht dem Quintett an, dass sie lieben,
was sie da aus den Boxen zaubern und zusammen mit den wirklich guten
Songs, kommen Sin Starlett auch bestens beim Publikum an. Aus den
Kompositionen ragt «Black Magic Sky» heraus. Ein Lied, das ruhig
startet und dann mit galoppierendem Basslauf in einen fetten
Bang-Track übergeht. Durch die Tempowechsel wird dieser Song auch
nie langweilig, sondern bleibt immer spannend und interessant. Tja,
es hat mich in den letzten Jahren selten eine helvetische Truppe
überzeugt. Sin Starlett ist es gelungen!
Raven
Dann liessen die Gallagher-Brüder und Joe Hasselvader alle Dämme
brechen. Mit dem Eröffnungstrio «Take Control», «Live At The
Inferno» und «All For One» markierten die Herren schon mal ihre
Duftnote ins Rock City. Die Haare der Fans flogen im Takt, die
Bierdose musste als Ersatzgitarrenhals herhalten und wer früh genug
am Bühnenrand stand, konnte seinen Stinksocken noch auf die
Monitorboxen stellen. Bangerherz, was willst du mehr? Die Stimmung
war von Beginn weg auf dem Siedepunkt, auch wenn sich nur ganz
Wenige an dieses Konzert verirrt hatten. Aber die machten Lärm für
eine 10’000er Halle. Und Raven selber? Das Szenario auf der Bühne
glich einem viel zu kleinen Käfig, in dem wilde, hungrige und
unruhige Tiere eingesperrt waren. Sie haben absolut nichts verlernt.
Da sitzt jede (Gallagher-)Pose (einzeln oder zu zweit) und die
knochenzersplitternden Schreie von John gehören noch immer zu den
markantesten, die es im Metal-Bereich zu hören gibt. Dank dem
kabellosen Mikrofon von John, das wie bei einer Telefonistin um
seinen Kopf hing, war auch sein Bewegungsradius nicht eingeschränkt.
Ebenso wenig wie der seines Bruders Mark, der stetig in
Bewegung
war. Hinten in der Mitte sass Joe, der alles in Grund und Boden
holzte und mit jedem seiner Schläge ein kleines Erdbeben auslöste.
Tja, das Trio war agil und kämpfte um jeden Besucher. Das Publikum
konnten sie eh schon nach den ersten Takten dirigieren, wie sie
wollten. So sangen die Entzückten lauthals bei «All For One» oder
«Rock Until You Drop» mit, was ab und zu schon fast in
Massenhysterie ausartete. Auch die Songs des neuen Werks «Walk
Through Fire», namentlich «Breaking You Down» und «Long Days Journey»,
passten gut in die Setliste und wurden mit der gleichen Euphorie
aufgenommen, wie die alten Klassiker dieses Hitpotpuri. Es war ganz
einfach eine fantastische Vorstellung der Engländer, vor denen ich
meinen Hut ziehe und grosse Achtung habe. Als bei der Zugabe «Break
The Chain» auch der legendäre rote Bass zu Einsatz kam, war
endgültig alles so, wie es sein musste. Dummerweise quittierte das
Instrument seinen Dienst, als wie gewohnt noch alte Klassiker
angespielt wurden. Selbst ist der Mann, stöpselte John seinen Bass
um und der Set konnte zu Ende gespielt werden.
Es war nicht nur die markante Nase und das Hammerteil von Zunge des
Gitarristen, die dieses Konzert so einzigartig machten. Sondern eine
Truppe, die nach all den Jahren noch immer genug Feuer im Hintern
hat und sich selbigen für die Besucher aufreisst. Auch wenn die Band
niemals Mainstream sein wird, sie hat Musikgeschichte geschrieben,
selbige geprägt und inspiriert. Dafür gebührt dem Trio ein grosser
Dank und die entsprechende Würdigung. Alleine aus diesen Gründen
müssen das nächste Mal noch mehr Freunde des Metals den Weg zu Raven
finden, denn enttäuscht haben die Jungs auf der Bühne noch nie!
Setliste Raven: «Take Control» - «Live At The Inferno» - «All For
One» - «Breaking You Down» - «Lambs To The Slaughter» - «Rock Until
You Drop» - «Guitar Solo Mark Gallagher» - «Speed Of The Reflex/Run
Silent Run Deep/Mind Over Metal» - «Long Days Journey» - «Architect
Of Fear» - «Faster Than The Speed Of Light» - «On And On» - «Don’t
Need Your Money» - «Bass Solo John Gallagher» - «Break The Chain»
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