Bereits zum siebten Mal, aber erstmals in der Berner Festhalle, wurde
bei der renommierten "Rock Meets Classic-Tour" ein einzigartiges
Konzerterlebnis aus legendären Rocksongs und klassischer Musik in
Perfektion versprochen. Das musikalische Crossover-Projekt
verschmilzt in einem dreistündigen Liveprogramm weltbekannte Rock-Hits mit
gefühlvoller Klassik. Das Ambiente liess mich aber erst einmal
zweifeln – gähnende Leere im hinteren Teil der Halle, abgesehen vom
Wurst- und Merchandise-Stand und vorne durchnummerierte Stuhlreihen
– das schrie förmlich nach Spiessertum und hatte nicht einen Hauch
von Rock. Auch die Mehrheit des Publikums hatte die Spitze ihrer
jugendlichen Blütezeit merklich überschritten und T-Shirts mit
Prints von Iron Maiden oder Europe waren klar in der Minderheit. Es
sollte ein Abend der Gegensätze werden und Gegensätze ziehen sich ja
bekanntlich an. Pünktlich um 20.00 Uhr ging der Vorhang auf und ab da war ich
nur noch geflasht.
Das Prager Bohemian Symphonie Orchester, das mehrheitlich aus
herausgeputzten weiblichen Mitgliedern bestand, eröffnete zusammen
mit dem "Rock Meets Classic" Mastermind Mat Sinner (Sinner, Primal
Fear etc.) und seiner Band mit einem Medley aus Aerosmith-, Led
Zeppelin- und anderen hochkarätigen Rocksongs den Abend. Im
Hintergrund wurden passend dazu Bilder diverser Rockgrössen
eingeblendet. Ebenso treffend, mutierte Dirigent Bernhard Wünsch innert
Kürze zum Headbanger und agierte ausser Rand und Band.
Gleich
im Anschluss erhob sich das Publikum zum ersten Mal von den Sitzen
als Steve Walsh (Ex-Kansas) «Carry On My Wayward Son» anstimmte. Der
Stimme des Sängers waren die Jahre auf dem Buckel deutlich anzuhören,
aber dies tat der Ehrfurcht des Publikums keinen Abbruch. Von den
stehenden Ovationen zeigte sich Walsh sichtlich angetan. In
grossartiger Spiellaune präsentierten sich auch Andy Scott und Pete
Lincoln von The Sweet. Mit Hits wie «Action» oder «Fox On The Run»
brachten sie das Publikum zum Tanzen und Mitsingen. Die Stühle waren
schon bald nur noch lästiges Accessoire oder dienlich als
Kleiderständer. Gerade als die Massen ihnen aus der Hand zu fressen
begannen und die Party zu kochen anfing, wurde mit Doro (Doro Pesch)
aus Deutschland der nächste Künstlerwechsel vollzogen. Zu ihrem
Leidwesen bremste dies die Zuschauer ein wenig aus und sie hatte es
schwer mit ihren Songs «Für Immer» (trotz brennenden Feuerschalen)
und «Love's Gone To Hell» für die richtige Stimmung zu sorgen. Mit
ihrem Hit «All We Are» schaffte sie es aber dann doch noch, die
Massen wieder zu begeistern und zumindest die Kenner zum Mitbrüllen
zu animieren.
Was Doro sich hart erarbeitet hatte, durften Scott Gorham und Ricky
Warwick von Thin Lizzy/Black Star Riders grinsend übernehmen. Im
Hippielook versus Nadelstreifenanzug präsentierten Gitarrist Gorham
und Sänger Warwick Hits wie «Jailbreak&» oder «Rosalie». Zu späterer
Stunde brachten sie dann mit «The Boys Are Back In Town» die
Zuschauermenge noch richtig zum Kochen und einige ganz
eingefleischte Fans in den ersten Reihen zum Headbangen. Als
Abwechslung streute das Bohemian Symphonie Orchester das «Star
Wars-Theme» ein und Dirigent Wünsch tauschte zu diesem Anlass seinen
Taktstock gegen ein Laserschwert aus. Herzzerreissend und höchst emotional
war dann im Anschluss der Auftritt des gesundheitlich angeschlagenen
Dan McCafferty (Ex-Nazareth). Krankheitsbedingt musste er den
jahrelangen Dienst als Sänger bei Nazareth quittieren (1971-2014),
liess sich aber für "The Last Goodbye" zu diesem Projekt überreden.
Sichtlich gezeichnet und auf einem Stuhl sitzend stimmte er «Dream On»
an. Die Nackenhaare stellten sich reihenweise auf und in den
Gesichtern des Publikums war Rührung und Ehrerbietung abzulesen.
Nach so viel Emotionalität hatten auch die Zuschauer wieder
Partystimmung sichtlich nötig und dieser Bitte kam Ultravox-Sänger und
-Gitarrist Midge Ure gerne nach. Er bezeichnete sich selbst als
„König von Schottland“ und die Bühne plus Orchester als sein
Gefolge. Er begeisterte mit Stimme, Darbietungsweise und
Ausstrahlung. Bei seinen Songs «If I Was» oder «Dancing With Tears
In My Eyes» hatten auch die eher Pop-Erprobten endlich Gelegenheit
mitzuträllern. Nach der Pause machte die Mat Sinner Band mit
Whitesnake's «Here I Go Again» mächtig Dampf im Kessel. Herausragend
waren dabei die Gastsänger Sascha Krebs und die Sopranistin Eilika.
Danach reihten sich Hit an Hit, das Publikum tanzte und blieb sogar
bei McCaffertys zweiter Ballade «Love Hurts» stehen. Ein bis dahin
wirklich gelungener Konzertabend mit vielen Höhepunkten.
Getoppt wurden diese aber noch von Europe's Sänger und Rampensau
Joey Tempest, der sich erst zum Finale die Ehre gab und den grossen
Entertainer markierte. Motiviert und vor überschäumender Energie nur
so strotzend, machte er mit «Rock The Night» den Anfang, bei
«Superstitious» liess es sich Tempest nicht nehmen von der Bühne zu
springen, einzelne Fans abzuklatschen oder sogar kurz zu umarmen, um
dann anschliessend auf der Bühne, den Mikrofonständer herumwirbelnd, wieder
Vollgas zu geben. Die Schmusenummer «Carrie+ versetzte wohl viele
Anwesende wieder zurück in die Schulzeit oder in den privaten
Kellerraum eines Freundes, bei dem die Paare der Klassenparty eng
umschlungen „slow“ tanzten. Der unvermeidbare Party-Hit «The Final
Countdown» kam etwa zur gleichen Zeit wie die Meldung, dass der SCB
Schweizermeister geworden ist. Kanonen feuerten Papierregen in die
Zuschauermenge, die das Spektakel unter Jubelrufen begrüssten.
Passender ging es nun wirklich nicht… obwohl ich mir einen anderen
Meister erhofft hatte (Anm. d. R.). Nach «Ready Or Not» folgte
schliesslich noch das grosse Finale in dem von allen Sängern
gemeinsam interpretierten Led Zeppelin-Klassiker «Rock And Roll»,
der nach der fast dreistündigen Show letzte Kraftreserven im
Publikum freisetzte und die Menschen mit einem wohligen Gefühl in
die verregnete Nacht entliess. Auch das als sonst eher langsame
Bern hat tierisch gerockt – Bitte mehr davon!
Setliste:
«Carry On Wayward Son» «Action» - «Fox On The Run» - «Für Immer» - «Love's
Gone To Hell» - «All We Are» - «Jailbreak» - «Rosalie» - «Star Wars Theme» -
«Dream On» - «If I Was» - «Vienna» - «Here I Go Again» - «Love Is Like
Oxygen» - «Ballroom Blitz» - «Dust In The Wind» - «Dancing In The
Moonlight» - «The Boys Are Back In Town» - «Dancing With Tears In My
Eyes» - «Love Hurts» - «Game Of Thrones» - «Rock The Night» -
«Superstitious» - «Days Of Rock'n'Roll» - «Carrie» - «The Final Countdown» -
«Ready Or Not» -- «Rock'n'Roll».
Nachdem ich etlichen grölenden Fans des SC Bern ausgewichen bin
und Tom Naumann hinter der Festhalle erklärt hatte, dass die Berner
nicht im Fussball, sondern im Eishockey Schweizermeister geworden
sind und dass sie keinen Stau auf der A1 zu fürchten brauchen, da
diese in Lugano und nicht in Luzern gespielt haben, spickte er die
Zigarette auf den Boden, verabschiedete sich und die Bustür schloss
sich langsam hinter ihm. Ich ging im Regen zu meinem Auto, bedeckte
während der Ausfahrt meinen HC Davos Wimpel und drehte Avantasia's
«Draconian Love» noch etwas lauter auf.
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