Da wir vom Veranstalter unverständlicherweise bloss für den
Samstag eine Akkreditierung erhalten hatten, beschränkt sich unsere
Berichterstattung zum «neo1-Festival» 2010 nur auf den Samstag, also
den zweiten Tag. Nachdem das ursprüngliche Billing zuerst noch etwas
anders ausgesehen hatte, konnte sich die definitive Running Order
dennoch sehen lassen. Der Ausfall der Woodstock-Legende Ten Years
After dürfte allerdings nur einen Teil des Publikums, vorab älteren
Jahrgangs, missmutig gestimmt haben. Mein Fokus am Freitag waren eh
nur Krokus und vor allem Billy Idol, der einen unerwartet genialen
Auftritt hinlegte! Dabei war Kult-Gitarrist Steve Stevens schon
alleine das Eintrittsgeld wert und ich endlich um die lang ersehnte
Premiere (!) reicher. Tags darauf wurde es für uns erst ab The
Hooters relevant, denn Good Charlotte davor waren einfach nur
grauenvoll. HammerFall überraschten derweil mit einem spritzigen
Set, während Twisted "Fuckin" Sister auf der ganzen Linie killten
und Gotthard danach zwar sehr solide waren, mich letztendlich aber
nicht aus den Schuhen hauten.
The Hooters
Eigentlich war ich nie ein grosser Fan der Amis, die 1980, also vor
just drei Dekaden den Grundstein zu ihrer beachtlichen Karriere
legten. Im Wesentlichen liegt das daran, dass die Truppe um die drei
Gründungsmitglieder Eric Bazilian (g/v), Rob Hyman (keys/v) und
David Uosikkinen (d) für meinen persönlichen Geschmack viel
weichspülermässig aufspielt. Dennoch muss man attestieren, dass wir
es hier mit sehr gehaltvoller, poprockig ausgerichteter Musik mit
etwas Folkeinschlag zu tun haben. Aufgrund des massiven Airplays
kennt das gemeine Volk natürlich deren Classics «All You Zombies»,
«Johnny B.» und «Satellite». Daneben gab es noch weitere Hit-Titel
wie «Hanging On A Heartbeat» oder «Day By Day». Das zweite Album «Nervous
Night» (als erstes Major-Teil) verkaufte sich 1985 nicht weniger als
2'000'000 Mal! Während sich in Europa der Erfolg in der Folge
steigern liess, schwand das Interesse in der Heimat zusehends. 1995
wurde die
Band offiziell aufgelöst, da diverse Solo-Projekte
anstanden und 2001 ebenso amtlich wieder reformiert. Das Ur-Trio Bazilian-Hyman-Uosikkinen verstärkte sich mit neuen Musikern und
seither ist man wieder live unterwegs. In diesem Sommer kam mit
«Five By Five» gar eine neue EP heraus. Vor nicht allzu viel
Publikum zelebrierten danach The Hooters ihre Hits und die allgemein
sehr melodiöse Mucke. Auch wenn stimmungsmässig nicht gerade der Bär
los war, fand das Publikum durchaus Gefallen an diesem Auftritt und
bekundete das jeweils mit ordentlichem Applaus. Meine Wenigkeit war
danach zwar immer noch kein (neuer) Fan geworden, aber rein
musikalisch, also vom Songwriting her, merkte man schon, dass die
Band total harmonierte und es immer noch absolut drauf hat. Überdies
passte dieser Stimmungs-Sound bestens ins Huttwiler Openair-Konzept
und wurde natürlich professionell wie tight vorgetragen. Am Ende
standen gute 60 Minuten Wohlfühl-Musik zu Buche und sichtlich
zufriedene Zuschauer waren nun gespannt auf die nächste Gruppe, die
bald auf der Bühne stehen würde.
HammerFall
Der stilistische Wechsel konnte nun "krasser" nicht sein! Heavy
Metal nach Folk Rock? Ja warum denn auch nicht, denn Abwechslung
macht das Leben süss, oder?!! Zudem gab es, sofern bei der späteren
Nachfrage durch Sänger Joacim Cans nicht geschummelt wurde, etliche
Fans, die HammerFall zum allerersten Mal überhaupt sahen! Sowas
passiert auf einem Festival wie diesem aber noch oft. Unseren Lesern
müssen wir die Schweden aber mit Sicherheit nicht näher vorstellen!
In den Anfängen noch voll auf dem True Metal Trip, wandelte sich der
Stil in den letzten Jahren etwas mehr in die powermetallische Ecke,
was spätestens seit 2002 mit dem Album «Crimson Thunder» deutlich
hörbar ist. Dieser clevere Schachzug bescherte der spielfreudigen
Band eine mächtige Fan-Basis, was sich zum Beispiel im Z7 in
Pratteln stets durch ausverkaufte Konzerte manifestierte. Die
jüngere Vergangenheit war geprägt vom medienmässig eng begleiteten
Ausstieg zweier Musiker, nämlich Bassist Magnus Rosén und Gitarrist
Stefan Elmgren. Diese Lücken wurden längst wieder ausgefüllt und mit
Fredrik Larsson (b) kam gar ein ehemaliger Bandmember (1994 - 1997)
wieder zurück. Der zweite Gitarrist Pontus Norgren (neben dem
letzten, verbliebenen Gründungsmitglied Oscar Dronjak) hat sich
inzwischen bestens integriert und HammerFall besitzen seither wieder
die Schlagkraft von früher. Dies spürte man von der ersten Sekunde
an, als die Schweden auf die Bühne stürmten und sehr groovig mit «Punish
And Enslave» in den Set einstiegen, bezüglich der ursprünglichen Running
Order jedoch mit etwas Verspätung. Weniger Freude am Beginn hatte
allerdings Frontmann
Joacim, dessen Mic seinen Dienst zunächst mal
verweigerte. Dieses Problem, begleitet von einer ärgerlichen Miene
des Sängers, liess sich dann zum Glück aber bald beheben. Doch es
drohte weiteres Ungemach, denn kaum war meine Fotosession nach den
ersten drei Songs um, kamen erste Regentropfen im Emmental auf.
Sofort hatte ich das Bild von Jonschwil im Kopf, zumal zwischen der
Wiese (wo mein Auto stand) und dem Festival-Gelände der offizielle
Camping-Platz durchquert wurde. Trotz weiterem Nass von oben, hielt
sich das Ganze zum Glück in Grenzen, wobei die Sitztribüne dann
relativ schnell entvölkert war. Die Band liess sich von all dem
jedoch überhaupt nicht aus dem Konzept bringen und spielte
insgesamt einen eher midtempolastigen Set, der mich deswegen
wirklich positiv überraschte! Die zur Verfügung stehende Stunde
wurde, wie zuvor auch schon, optimal ausgenutzt und die Nordländer
hatten am Schluss ihres Sets bestimmt einige Fans dazu gewonnen!
Dabei störte es überhaupt nicht, dass die eigentlich sonst gewohnten
Bühnenaufbauten gänzlich, respektive umbaubedingt, fehlten.
Twisted Sister
Ich frage mich heute noch, wie das OK die amerikanische Kult-Band
überhaupt nach Huttwil lotsen konnte! Doch die Freude über die
blosse Ankündigung und dem tatsächlichen Aufmarsch überwog dann
schnell einmal jede Skepsis zu dieser Situation! Es war so zu sagen
eine Art Generalprobe für den bevorstehenden Headliner-Auftritt eine
Woche später in Balingen (D) am BYH!!!-Festival. Des Weiteren war
der Rock- und Metalpresse ja zu entnehmen, dass Dee Snider & Co.
nicht mehr gross Bock auf das ständige Umherreisen haben und schon
nur deshalb musste man sich die Boys zu Gemüte führen! Aufgrund des
Festivals und dass danach ja noch Gotthard kamen, musste man
annehmen, dass Twisted Sister ohne grösseren Show-Faktor bezüglich
der Kleider, Schminke und Haare auf die Bühne steigen würden. Und so
kam es dann auch..., lediglich Dee Snider hatte sich noch einige
Haar-Extensions einflechten lassen, aber ansonsten gab es in erster
Linie Musik pur und dies nicht zu knapp! Zudem standen ja mit Jay
Jay French(g), Eddie Ojeda (g), Mark Mendoza (b) und A.J. Pero (d)
alle Original-Mitglieder auf der Bühne! Das bürgte natürlich für den
unverfälschten wie unvergleichlichen Sound der Amerikaner. Frontsau
Dee legte wie erwartet von der
allerersten Sekunde an los wie ein
Eilzug und man musste sich wirklich bald verwundert die Augen
reiben, um erstaunt fest zu stellen, wie viel Energie da noch locker
freigesetzt werden konnte. Die Party nahm so ihren Lauf, aber ich
hatte mehrmals das Gefühl, dass das anwesende Publikum durch diese
Energie-Attacke regelrecht über-rumpelt wurde. Klar war die Stimmung
gut, zeitweilen sogar sehr gut, aber verglichen mit den kultigen
Hammer-Auftritten von Balingen, war hier in Sachen Begeisterung kaum
was Ekstatisches auszumachen. Selbst der ungewohnt früh gespielte
Übersong «We're Not Gonna Take It» vermochte den Mob nicht ganz
aufzurütteln. Nichtsdestotrotz zogen Twisted 'Fuckin' Sister in
Huttwil voll vom Leder und hinterliessen nur noch verbrannte Erde.
Der Sound hinten in der Mitte auf Höhe des Mischpults klang für
meine Ohren sehr gut, was tags zuvor schon bei Billy Idol
festgestellt werden konnte. Die zwischenzeitlichen Ansagen des blond
gelockten Wirbelwindes waren zwar weit weg von einer Ikone wie Paul
Stanley von Kiss, aber während Letzterer meist nur von Alkohol und
Sex spricht, erfuhr das Schweizer Publikum zu seiner Überraschung,
dass Dee Snider eine Deutschschweizer Mutter hat (!!) und er
eigentlich viel zu selten hier sei! Die Band war (nach dem Z7) eh
erst zum zweiten Mal überhaupt bei uns zu Gast! Darum musste man
dankbar sein für jede einzelne der 75 Minuten des Co-Headliners! Der
überragende Schlusspunkt wurde schliesslich mit einer
atemberaubenden Version von «Long Live Rock'n'Roll» zu Ehren des am
16. Mai verstorbenen Ronnie James Dio (R.I.P.) gesetzt. Zeitweise
hatte man fast das Gefühl, der Meister himself sei auf der Bühne
gestanden. Die Hommage strahlte wirklich was Magisches aus und man
konnte regelrecht fühlen, dass der Geist von Ronnie gerade an diesem
Ort war.
Gotthard
Auch wenn es jetzt hart klingt, aber eigentlich hätte das Openair
nach Twisted Sister bereits beendet sein müssen, denn was will man
noch nach so einer Wahnsinns-Show der Amis runter reissen? Zudem
kommen Gotthard bei mir in der jüngeren Vergangenheit immer weniger
an! Der livehaftige
Peak wurde eigentlich spätestens im Dezember
2005 erreicht, als die Schweizer das Hallenstadion gefüllt und
wirklich einen saustarken Auftritt hingelegt hatten. «Domino Effect»
(2007) war gewiss kein Ausfall, aber der kompositorische Glanz und
Biss der früheren Jahre hat klar nachgelassen und man wandelt
schleichend immer mehr auf den Spuren von Bon Jovi, wenn auch nicht
so soft zum Glück. Immerhin klingt das neuste Opus «Need To Believe»
(2009) mehrheitlich recht knackig (obwohl es gleichzeitig dazu auch
Stimmen gibt, die an dieser Stelle monieren, dass der Sound total
überladen sei) und dass der Chart-Thron der CH-Hitparade regelmässig
erklommen wird, ist ebenfalls Tatsache. Trotzdem "langweilen" mich
die Konzerte von Gotthard zunehmend, was wohl auch damit zu tun hat,
dass die Schweizer mittlerweile einfach zu mainstreamig geworden
sind und das Publikum entsprechend auch. Natürlich sind die Balladen
spitzenmässig, aber ohne Steve Lee wären diese erstens nur halb so
gut und zweitens kann es doch nicht sein, dass viele Leute nur auf «Heaven»
warten. Punkt 22.00 Uhr stieg der Headliner auf jeden Fall sichtlich
motiviert auf die Bühne und vor dem unter anderem für diesen
Auftritt reaktivierten, alten Bühnen-Dekor der «Lipservice»-Tour
legten Steve Lee und seine Mannen kraftvoll los. Ungewohnt früh im
Set kam «Hush», was die Stimmung in Huttwil umgehend ansteigen
liess. «Top Of The World» geriet auch ganz gut und danach gab es
eine feine Balladen-Triplette, die beinahe schon andächtig wirkte.
Steve Lee sang des Weiteren ohne Fehl und Tadel und die beiden
Gitarren von Leo und Freddy waren angenehm laut abgemischt. Hena's
Drum hingegen klang total pappig, also echt grottig und wenn ich
schon beim Rummosern bin, dann sollte sich der liebe Marc mal etwas
anders einkleiden, denn der ewige "Holzfäller aus Kanada"-Look ist
einfach nicht sexy! Match-Winner des Abends war dann klar «Shangri
La», der Opener der neuen
CD. Die schon fast obligaten Solo-Parts
von Leo, Freddy und Steve waren soweit stimmig und nicht zu
ausufernd. Die Drum-Battle zwischen Steve und Hena wurde hingegen
aus technischen wie örtlichen Gründen ausge-lassen, was aber nicht
weiter tragisch war, denn wenn man diese Einlage ein paar Mal
gesehen hat, verliert sie rasch ihren Reiz. Ein weiteres Highlight
war schliesslich «Sister Moon», doch leider verzichtete man heute
Abend auf «Firedance», das eine Woche später in Lugano gespielt
wurde! «Anytime Anywhere» und das mittlerweile total abgelutschte
«Mighty Quinn» Cover beendeten knapp vor Mitternacht ein unter dem
Strich ohne Zweifel tolles Konzert. Trotzdem denke ich mit etwas
Wehmut an die 90er Jahre zurück, als Gotthard wirklich noch mehr
Saft in den Knochen hatten und die Konzertsäle zum Kochen brachten.
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