Livereview: Schandmaul - Regicide
6. Mai 2006, Zürich Rohstofflager
By Kissi
Vor einem Jahr beschwerte ich mich während eines Interviews darüber, dass die deutschen Folk Rocker einfach viel zu wenig in der Schweiz spielen würden. Nun, auf ihrer Tour zum neuen Album „Mit Leib und Seele“, da kommt das Sextett prompt an zwei aufeinander folgenden Abenden in die Eidgenossenschaft. Grund für mich, nach dem Hammer-Gig am Vorabend in Bern auch am Samstag zu den Mäulern zu pilgern. Da man aber im Vorfeld schon vom Volkshaus ins Rohstofflager wechseln musste (welches natürlich völlig ausverkauft war), gab es eine kleine Terminkollision (um 23:00 musste die Halle geräumt sein, da eine Drum'n'Bass Party angesagt war...) und so begann die ganze Chose schon am späteren Nachmittag, nämlich um 18.00 (Türöffnung), was dazu führte, dass das letzte Konzert der Tour fast völlig besucherfrei begann, ein Konzert voller Scherze, Unerwartetem und unbestreitbarem Partyflair sondergleichen.

Regicide
Gerade mal 20 Nasen, wenn es hoch kommt, stehen bei Beginn der Vorstellung der Berliner Gothic Rocker vor der Bühne, darunter ganz Schandmaul. 18.55 Uhr ist auch eine verdammt frühe Zeit um loszulegen, doch das Septett, darunter die zwei hübschen Damen Frauke (Vocals) und Jonna (Violine), nimmt’s gelassen und rockt, was das Zeug hält. Mit ihren beiden Scheiben „Viorus“ und „Break the silence“ im Rücken präsentierten sie hochkarätigen und (vor allem für dieses Genre ausgesprochen) partytauglichen Gothic Rock, lyrisiert durch die eben schon erwähnte, dreadlocks-geschmückte Frauke und den männlichen Sänger Timmo, welche beide (die eine lieblich, der andere aggressiv), gefühlvoll das Mikro beschallten. Durch den für eine siebenköpfige Band und dem von Schandmaul schon aufgebauten Schlagzeug bedingten minimalen Platz, konnte man natürlich nicht riesige Turnübungen erwarten. Da waren die männlichen Besucher, die sich während des 45-minütigen Sets zu einer ansehnlichen Menge ansammelten, schon mit den nymphenhaften Bewegungen der beiden weiblichen Mitglieder zufrieden und Regicide ernteten doch einigen Applaus. Während des Sets zeigten sich dann auch die ersten Streiche, welche am letzen Tourtag einer Schandmaul-Tour von jedem gegen jeden ausgeübt werden. So bewarfen Schandmaul und deren Crew die Regicideler mit Unmengen an BH's und Klopapier, bevor sich Ducky (Schandmaul-Gitarrist) ins E-Monitoring System der Band einhackte und ihnen irgendwelches Zeugs in die Ohren schwafelte, was vor allem die beiden Vokalisten völlig aus dem Konzept brachte. Dazu wurde noch schnell die Stimme Timmo's auf eine Helium-ähnliche Ebene verzerrt, sodass der ansonsten schon sehr laute Gesang das Trommelfell ebenso malträtierte, wie die Lachmuskeln, die sich nach der rasanten Version von Schandmauls „Teufelsweib“ erst einmal beruhigen konnten.

Schandmaul
Um Punkt 20.00 Uhr erlosch zum zweiten Mal an diesem Abend das Licht in der nun schon proppenvollen Halle. Noch von einem weissen Vorhang verborgen, beginnen die Schandmäuler wie gewohnt mit einem aktuellen Instrumental, namentlich mit „Das Mädchen und der Tod“ von der neuen Scheibe „Mit Leib und Seele“. Der Vorhang fällt und „Drachentöter“ wird angestimmt, bei dem die ersten Hüpfwellen ausbrechen und das von der neuen Single „Kein Weg zu weit“ gefolgt wird, welches schon jetzt problemlos mitgesungen werden kann. Gehüpft was das Zeug hält, wird natürlich auch zu „Sichelmond“ und „Vogelfrei“ (beide vom Drittlingswerk „Narrenkönig“) fordert vom Publikum alles. Kleine Verschnaufpause gibt's beim „Die Tür in mir“, welches Melancholie über die Besucher zu legen vermag. Nachgedoppelt mit Neuem wird in Form von „Vor der Schlacht“, bei welchem die Schandmäuler, allen voran Gitarrero Ducky, der ein glanzvolles Solo hinlegt, beweisen, dass man auch mit Dudelsack und Violine saftig rocken kann. Die Fans scheinen mit „Mit Leib und Seele“, welche gerade mal einen Monat alt ist, schon bestens vertraut und unterstützen ihr Lieblingssextett auch während „Die letzte Stunde“ tatkräftig, bevor Butler „Timmo“, Sänger von Regicide die Bühne betritt und den Mäulern ein Maul des Rum's „Käptn Cormark“ einschenkt. Diese heitere Trinkrunde läutet das spacige Instrumental „Käptn Coma“ ein. War die erste Butlereinlage schon vom Vortage her bekannt, überraschten Regicide mit einem zweiten Auftritt, in welchen man natürlich einwilligte. „Und runter damit“, lautete das Motto auch nach dem gruseligen „Geisterschiff“, denn nun sollte nach jedem weiteren Song ein Gläschen gekippt werden. Um ihr technisches Können zu bangen, begann Birgit Muggenthaler (Flötistin Schandmaul's) dann, ihre Ration an die ersten Reihen zu verschenken, doch als nach dem diabolischen „Feuertanz“ (definitiv auch auf der nächsten Tour zu hören...) und dem „Lichtblick“ die Sauforgie immer noch nicht enden wollte und die Folkrocker langsam abzulehnen begannen, brauste natürlich – ja wir Schweizer sind eben ein Trinkervolk – die bekannten „Einer geht noch“-Chöre auf. Der „Untote“, wiederum von der neuen Scheibe, wandelte sich dann aber nahtlos in „Teufelsweib“ um, dessen Party-Garantie nur ein wenig durch die kaum hörbare Gitarre geschmälert wurde. Dabei fiel auch gerade noch die etwas zu übertriebene Lautstärke des Vier-, beziehungsweise Fünfsaiters des Herren Matthias XX auf, die bei der „Mitgift jedoch wenig störte. Die unmenschliche Hitze des niedrigen Raumes im Rohstofflager steigerte sich in unmenschliche Höhen, als man endlich die ersten Takte der „Walpurgisnacht“ anstimmte, nicht nur mein absoluter Lieblingssong von Schandmaul. Der Herzschmerzbrocken „Dein Anblick“ beendete dann im Kontrast zum vorherigen Hüpfgaranten den regulären Set-Teil. Nach natürlich nur kurzer Wartezeit, in welcher die üblichen, extrem lauten Schandmaul-Sprechchöre aufbrandeten, stürmten unsere Lieblingsdeutschen wiederum die Bühne, um noch ganze vier Zugaben zum Besten zu geben. Der „Herr der Finsternis“ wurde zum Vorstellen der Crew („Bitte einmal alle umdrehen, der Mann dort am Mischpult hat auch einen Applaus verdient!“) und der „Herren der Winde“ genutzt, die Bandhymne schlechthin, welche gleich darauf folgte. Leider dröhnte der Bass auch an dieser Stelle unmenschlich laut aus den Boxen, was aber bei „Der letzte Tanz“ und dem abschliessend vorgebrachten, fast nur instrumental gespielten „Sonnenstrahl“ schon wieder besserte. Verbeugen, Sticks und Plektren ins Publikum schmeissen, Licht aus – fertig!

Nach sechsmal Schandmaul live bleibt nur noch eins zu sagen: Bitte noch einmal, denn was die Mäuler bei einem Gig präsentieren, ist einfach gute Laune pur. Wer die sechs Spielleute im Frühling verpasst hat, muss jetzt aber nicht verzagen, denn drei weitere Schweiz-Konzerte sind für dieses Jahr schon bestätigt.

Set-Liste: „Das Mädchen und der Tod“, „Drachentöter“, „Kein Weg zu weit“, „Sichelmond“, „Vogelfrei“, „Die Tür in Mir“, „Vor der Schlacht“, „Die Letzte Stunde“, „Käptn Coma“, „Geisterschiff“, „Der Feuertanz“, „Lichtblick“, „Der Untote“, „Teufelsweib“, „Mitgift“, „Walpurgisnacht“, „Dein Anblick“ / Zugaben: „Herr der Finsternis“, „Herren der Winde“, „Der letzte Tanz“, „Sonnenstrahl“.