Vor einem Jahr beschwerte ich mich während
eines Interviews darüber, dass die deutschen Folk Rocker einfach
viel zu wenig in der Schweiz spielen würden. Nun, auf ihrer Tour zum
neuen Album „Mit Leib und Seele“, da kommt das Sextett prompt an
zwei aufeinander folgenden Abenden in die Eidgenossenschaft. Grund
für mich, nach dem Hammer-Gig am Vorabend in Bern auch am Samstag zu
den Mäulern zu pilgern. Da man aber im Vorfeld schon vom Volkshaus
ins Rohstofflager wechseln musste (welches natürlich völlig
ausverkauft war), gab es eine kleine Terminkollision (um 23:00
musste die Halle geräumt sein, da eine Drum'n'Bass Party angesagt
war...) und so begann die ganze Chose schon am späteren Nachmittag,
nämlich um 18.00 (Türöffnung), was dazu führte, dass das letzte
Konzert der Tour fast völlig besucherfrei begann, ein Konzert voller
Scherze, Unerwartetem und unbestreitbarem Partyflair sondergleichen.
Regicide
Gerade mal 20 Nasen, wenn es hoch kommt, stehen bei Beginn der
Vorstellung der Berliner Gothic Rocker vor der Bühne, darunter ganz
Schandmaul. 18.55 Uhr ist auch eine verdammt frühe Zeit um
loszulegen, doch das Septett, darunter die zwei hübschen Damen
Frauke (Vocals) und Jonna (Violine), nimmt’s gelassen und rockt, was
das Zeug hält. Mit ihren beiden Scheiben „Viorus“ und „Break the
silence“ im Rücken präsentierten sie hochkarätigen und (vor allem
für dieses Genre ausgesprochen) partytauglichen Gothic Rock,
lyrisiert durch die eben schon erwähnte, dreadlocks-geschmückte
Frauke und den männlichen Sänger Timmo, welche beide (die eine
lieblich, der andere aggressiv), gefühlvoll das Mikro beschallten.
Durch den für eine siebenköpfige Band und dem von Schandmaul schon
aufgebauten Schlagzeug bedingten minimalen Platz, konnte man
natürlich nicht riesige Turnübungen erwarten. Da waren die
männlichen Besucher, die sich während des 45-minütigen Sets zu einer
ansehnlichen Menge ansammelten, schon mit den nymphenhaften
Bewegungen der beiden weiblichen Mitglieder zufrieden und Regicide
ernteten doch einigen Applaus. Während des Sets zeigten sich dann
auch die ersten Streiche, welche am letzen Tourtag einer
Schandmaul-Tour von jedem gegen jeden ausgeübt werden. So bewarfen
Schandmaul und deren Crew die Regicideler mit Unmengen an BH's und
Klopapier, bevor sich Ducky (Schandmaul-Gitarrist) ins E-Monitoring
System der Band einhackte und ihnen irgendwelches Zeugs in die Ohren
schwafelte, was vor allem die beiden Vokalisten völlig aus dem
Konzept brachte. Dazu wurde noch schnell die Stimme Timmo's auf eine
Helium-ähnliche Ebene verzerrt, sodass der ansonsten schon sehr
laute Gesang das Trommelfell ebenso malträtierte, wie die
Lachmuskeln, die sich nach der rasanten Version von Schandmauls
„Teufelsweib“ erst einmal beruhigen konnten.
Schandmaul
Um Punkt 20.00 Uhr erlosch zum zweiten Mal an diesem Abend das Licht
in der nun schon proppenvollen Halle. Noch von einem weissen Vorhang
verborgen, beginnen die Schandmäuler wie gewohnt mit einem aktuellen
Instrumental, namentlich mit „Das Mädchen und der Tod“ von der neuen
Scheibe „Mit Leib und Seele“. Der Vorhang fällt und „Drachentöter“
wird angestimmt, bei dem die ersten Hüpfwellen ausbrechen und das
von der neuen Single „Kein Weg zu weit“ gefolgt wird, welches schon
jetzt problemlos mitgesungen werden kann. Gehüpft was das Zeug hält,
wird natürlich auch zu „Sichelmond“ und „Vogelfrei“ (beide vom
Drittlingswerk „Narrenkönig“) fordert vom Publikum alles. Kleine
Verschnaufpause gibt's beim „Die Tür in mir“, welches Melancholie
über die Besucher zu legen vermag. Nachgedoppelt mit Neuem wird in
Form von „Vor der Schlacht“, bei welchem die Schandmäuler, allen
voran Gitarrero Ducky, der ein glanzvolles Solo hinlegt, beweisen,
dass man auch mit Dudelsack und Violine saftig rocken kann. Die Fans
scheinen mit „Mit Leib und Seele“, welche gerade mal einen Monat alt
ist, schon bestens vertraut und unterstützen ihr Lieblingssextett
auch während „Die letzte Stunde“ tatkräftig, bevor Butler „Timmo“,
Sänger von Regicide die Bühne betritt und den Mäulern ein Maul des
Rum's „Käptn Cormark“ einschenkt. Diese heitere Trinkrunde läutet
das spacige Instrumental „Käptn Coma“ ein. War die erste
Butlereinlage schon vom Vortage her bekannt, überraschten Regicide
mit einem zweiten Auftritt, in welchen man natürlich einwilligte.
„Und runter damit“, lautete das Motto auch nach dem gruseligen
„Geisterschiff“, denn nun sollte nach jedem weiteren Song ein
Gläschen gekippt werden. Um ihr technisches Können zu bangen, begann
Birgit Muggenthaler (Flötistin Schandmaul's) dann, ihre Ration an
die ersten Reihen zu verschenken, doch als nach dem diabolischen
„Feuertanz“ (definitiv auch auf der nächsten Tour zu hören...) und
dem „Lichtblick“ die Sauforgie immer noch nicht enden wollte und die
Folkrocker langsam abzulehnen begannen, brauste natürlich – ja wir
Schweizer sind eben ein Trinkervolk – die bekannten „Einer geht
noch“-Chöre auf. Der „Untote“, wiederum von der neuen Scheibe,
wandelte sich dann aber nahtlos in „Teufelsweib“ um, dessen
Party-Garantie nur ein wenig durch die kaum hörbare Gitarre
geschmälert wurde. Dabei fiel auch gerade noch die etwas zu
übertriebene Lautstärke des Vier-, beziehungsweise Fünfsaiters des
Herren Matthias XX auf, die bei der „Mitgift jedoch wenig störte.
Die unmenschliche Hitze des niedrigen Raumes im Rohstofflager
steigerte sich in unmenschliche Höhen, als man endlich die ersten
Takte der „Walpurgisnacht“ anstimmte, nicht nur mein absoluter
Lieblingssong von Schandmaul. Der Herzschmerzbrocken „Dein Anblick“
beendete dann im Kontrast zum vorherigen Hüpfgaranten den regulären
Set-Teil. Nach natürlich nur kurzer Wartezeit, in welcher die
üblichen, extrem lauten Schandmaul-Sprechchöre aufbrandeten,
stürmten unsere Lieblingsdeutschen wiederum die Bühne, um noch ganze
vier Zugaben zum Besten zu geben. Der „Herr der Finsternis“ wurde
zum Vorstellen der Crew („Bitte einmal alle umdrehen, der Mann dort
am Mischpult hat auch einen Applaus verdient!“) und der „Herren der
Winde“ genutzt, die Bandhymne schlechthin, welche gleich darauf
folgte. Leider dröhnte der Bass auch an dieser Stelle unmenschlich
laut aus den Boxen, was aber bei „Der letzte Tanz“ und dem
abschliessend vorgebrachten, fast nur instrumental gespielten
„Sonnenstrahl“ schon wieder besserte. Verbeugen, Sticks und Plektren
ins Publikum schmeissen, Licht aus – fertig!
Nach sechsmal Schandmaul live bleibt nur noch eins zu sagen: Bitte
noch einmal, denn was die Mäuler bei einem Gig präsentieren, ist
einfach gute Laune pur. Wer die sechs Spielleute im Frühling
verpasst hat, muss jetzt aber nicht verzagen, denn drei weitere
Schweiz-Konzerte sind für dieses Jahr schon bestätigt.
Set-Liste: „Das Mädchen und der Tod“, „Drachentöter“, „Kein Weg zu
weit“, „Sichelmond“, „Vogelfrei“, „Die Tür in Mir“, „Vor der
Schlacht“, „Die Letzte Stunde“, „Käptn Coma“, „Geisterschiff“, „Der
Feuertanz“, „Lichtblick“, „Der Untote“, „Teufelsweib“, „Mitgift“,
„Walpurgisnacht“, „Dein Anblick“ / Zugaben: „Herr der Finsternis“,
„Herren der Winde“, „Der letzte Tanz“, „Sonnenstrahl“.
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