Samstag Abend, ein sonniger Samstag Abend und doch ist einem
nicht geheur. Rund ums Volkshaus karren in VW-Bussen bis zu den
Zähnen bewaffnete Polizisten durch die Strassen Zürich, darauf
gefasst, im nächsten Moment auf eine Gruppe Randalierender und
Linksautonomer zu stossen. All jene, die zu diesem Zeitpunkt (18.00
Uhr) schon vor dem eben genannten Volkshaus ausharren, bis dessen
Türen endlich geöffnet werden, kratzt das nicht. Grund für die
Warterei der überraschend zahlreichen Menge: Die deutschen
Mittelalter Folk Rocker Schandmaul gaben sich zum Ende ihrer «Anderswelt»-Tour
die Ehre in Zürich. Das sechste und auch erfolgreichste Album der
Spielleute aus dem grossen Kanton kletterte in der Schweiz auf Platz
44 und in ihrer Heimat gar auf Rang 8. So erstaunte es nicht, dass
das ehrwürdig Volkshaus bis auf den letzten Platz vollgestopft war
mit Fans unterschiedlichster Couleur (vom Lack-und-Leder-Goth über
Wikinger und Blumenkinder zum Slayer-Shirts tragenden Metallern) als
die Schandmäuler zu einer zweistündigen Reise in die «Anderswelt»
aufspielten.
The Seer
Vorbereitet wurde der Fantasie-Trip zuerst aber von den Augsburger
Alternative-Folk-Veteranen The Seer, deren harmonierendes
Soundgemisch aus U2, Placebo, The Cure und irischen Klängen das
Publikum in kürzester Zeit zum Schwitzen bringen konnte. Denn dem
Umstand, dass die schon etwas älteren Herren die Väter für viele der
Anwesenden sein könnten, zum Trotz vermittelt das Quintett um den
drahtigen Frontmann Mike Nigg eine ungeheure Spielfreude. Wie so oft
im Volkshaus konnte sich auch der Sound vom ersten Ton an hören
lassen, sowohl in Sachen Druck als auch Klarheit. Dabei weisen die
radiokompatiblen Songs durch Geiger Jo Corda (der auch zur Mandoline
greift) mal keltischen, mal country-haften und dann wieder
bluegrass-artigen Spirit auf, wobei gerade die folk-lastigen Nummern
wie «The One» oder «Please» den Schandmaul-Fans Zucken in Beinen und
Köpfen beschehrte. Verständlich also, dass die Schandmäuler selbst
The Seer als Support gewählt hatten, coverten sie doch ganz zu
Beginn ihrer Karriere mehrere Songs des Fünfers, der mit seinem
Debüt «Across The Border» 1995 zu den Begründern des Genres in
Deutschland gezählt werden kann. Dass nach dem Abgang des Sehers
aber trotzdem sogleich lautstarke «Schandmaul»-Chöre aufbrandeten
versteht sich von selber.
Schandmaul
Dann schländern die sechs Schandmäuler grinsend auf die in blaues
Licht getauchte Bühne und als mit «Wolfsmensch» die ersten
Schalmeien-, Violinen- und Gitarrenklänge ertönen gibt es für die
nahezu 2000 Fans kein halten mehr und die Temperatur im Volkshaus
steigt auf gefühlte 60°C. Schandsänger Thomas Lindner wird dabei wie
immer flankiert von den Teufelsweibern Birgit Muggenthaler und Anna
Kränzlein, deren Rückendeckung die erhöht situierte Rockfraktion
Stefan/Ducky/Matthias bildeten. Allesamt sind sie dabei in
extravagante Kleider gewandet (www.aderlass.com), die neben dem
Publikum und der perfekt auf die Musik abgestimmte, farbenfrohe
Lightshow, sicherlich auch ein Grund sind, warum Thomas schon zu
«Herren der Winde» vom Kinn tropft wie ein Wasserspender. Neu ins
Bühnenbild gekommen sind vier von der Decke hängende
Projektionsflächen, auf welchen sich fantasievolle und
stimmungskräftige Lichtmuster tummeln, während unter ihnen Anna mit
verführerischen Bewegungen und Drehleier passend zum «Lichtblick»
die Männeraugen auf sich zieht. Dass Thomas mit einer giftigen
Erkältung zu kämpfen hat merkt man der Gesangsleistung des
kahlköpfigen Barden zwar schon an, seiner Bitte ans Publikum, ihn an
diesem Abend stimmgewaltig zu unterstützen kommen die Anwesenden
aber nur zu gerne nach und so geraten auch neue Songs wie «Zweite
Seele», das schalkige «Missgeschick» oder das märchenhafte
«Anderswelt» zu wahren Chorstücken. Zum «Geisterschiff» von «Wie
Pech und Schwefel» werden im wahrsten Sinne des Wortes die Segel
gesetzt (hinter dem Drumkit werden weisse, zerfetzte Tücher
aufgezogen) und zur beschwingten «Mitgift» verfällt die gesamte
Halle in einen Tanzrausch, in welchem sich die Musiker schon längst
befinden, wechselt das Sextett doch andauernd die Plätze und kann
beim besten Willen keinen Fuss stillhalten. Die ausgelassene
Feierstimmung kann da auch der etwas zu leise Sound nicht verderben,
werden die Fans ansonsten doch mit einem glasklaren Sound verwöhnt.
„Drei Stufen des Tourwahnsinns gibt es zu unterscheiden“, erklärt
Flötenspezialistin Birgit darauf, „Die erste zeigt sich im
schleichenden Verlust von Sprachvermögen und Stimme, also von
'kannst du mir ne Zigarette geben' zu 'hm, zigarette!'. Die zweite
Stufe betrifft das Abhandenkommen von Hygiene und gepflegtem
Aussehen, von Frisur zu Vogelnest und Wohlgeruch zu
Schwefelausdünstung. Bei Nummer drei angelangt wird die ganze Sache
dann ansteckend und alle, die mit einem in Berührung kommen
verfallen diesem Wahnsinn... wenn ich euch so betrachte sind wir an
diesem Punkt nun endgültig angekommen – ihr seid total wahnsinnig!“
Dies beweisen die Anwesenden natürlich gleich zu «Feuertanz» oder
dem lange nicht mehr dargebotenen «Talisman», bevor mit dem
melancholischen «Grosses Wasser» eine kurze Verschnaufspause
anstand. Diese war auch wirklich nötig, denn mit dem aktuellen, ein
wenig an Flogging Molly erinnernden Instrumental «Fiddlefolkpunk»
läuteten die Schandmäuler zur finalen Sause ein, ein
Tanz-Hüpf-Bang-Marathon, der es in sich hatte: «Krieger» und «Frei»
stellten klar, dass auch in der «Anderswelt» gerockt werden kann,
der Überhit «Walpurisnacht» machte aus den Fans dynamische
Sprungfedern und «Der Letzte Tanz» liess auch die Zuschauer heiser
werden, was Thomas ja längst schon war. Da jener sich und seine
Stimme danach unbedingt erholen musste, kamen die Instrumentalisten
nach kurzer Zeit alleine wieder zurück auf die Bühne, um das
psychedelische «Das Mädchen und der Tod» als erste Zugabe zu
intonieren. Diese gestalteten sich im Ganzen als überraschend
besinnlich und romantisch: Vor einem Netz aus bunten Lampen, die
eine gemütliche Gartenparty-Stimmung heraufbeschworen, gabs mit «Die
Braut» und «Dein Anblick» noch was fürs Herz mit auf den Weg. Zu
letzterem schlichen sich nun alle ausser Thomas von der Bühne, der
gemeinsam mit dem Publikum minutenlang den Überrefrain dieses Songs
weiter intonierte, solange, bis die anderen sich wieder zurück auf
die Bühne gesellten, um zum endgültigen Abschluss die whemütige
«Prinzessin» hervorzuholen, die das Publikum träumerisch in die
warme Sommernacht entliess, die sich nach gut zwei Stunden
schweisstreibendem Feiern wohlig kühl anfühlte.
Setlist:
«Wolfsmensch» - «Herren der Winde» - «Leb!» - «Lichtblick» - «Zweite
Seele» - «Die Tür in Mir» - «Missgeschick» - «Anderswelt» -
«Geisterschiff» - «Mitgift» - «Feuertanz» - «Der Talisman» - «Das
Tuch» - «Grosses Wasser» - «Fiddlefolkpunk» - «Krieger» - «Frei» -
«Walpurgisnacht» - «Der Letzte Tanz»
- - - - - - - - - -
«Das Mädchen und der Tod» - «Die Braut» - «Dein Anblick» -
«Prinzessin»
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