Nach dem superben, (wirklich letzten?) Studio-Album «Sting In The
Tail» und der Ankündigung, man gehe jetzt noch bis 2012 auf
Abschiedstour, war es für meine Wenigkeit klar, dass ich zu diesem
Anlass hin musste. Da konnte auch der relativ lange Anfahrtsweg
nichts in Frage stellen. Was ich allerdings nicht voraus sehen
konnte, war zum Einen das Wetter mitte Mai und zum Andern, dass der
Ort Longirod, ein kleines Kaff in der Nähe von Lausanne und oberhalb
des Genfersees, auf nicht weniger als 900 m ü. M. liegt! Der
insgesamt 3-tägige Anlass als Solcher ging zurück auf die Idee einer
Handvoll Enthusiasten, die das Ganze lange geplant und sich
eigentlich als einmaligen Event vorgestellt hatten. Das ideale und
weitläufige Gelände wurde entspre-chend mit einer währschaften
wie typischen Zeltstadt versehen. Wichtig-ste Elemente waren dabei die drei
Stage-Zelte, die entweder 8'000, 3'000 oder 1'500 Fans aufnehmen
konnten. Die Riege der Stars und auch weniger bekannten Bands konnte
ich sich sehen lassen. Mein Bericht stammt vom Samstag und ist im
Wesentlichen den Scorpions zugedacht.
K's Choice
Als ich noch im Anfahrtsstau stand und versuchte, den Vorteil meines
vorhandenen Presse-Parkscheins in einen dem Eingang möglichst nahe
gelegenen Parkplatz um zu münzen, standen die belgischen Post/Grunge
Rocker mit der Sängerin Sarah Bettens bereits als erster Act auf der
Mainstage. Die anfangs der 90er gegründete Band fand nach der
Auflösung von 2003 letztes Jahr wieder zusammen und ist seither
wieder aktiv. Das, was ich von Weitem und noch als letzte paar Takte
mitbekam, klang aber ziemlich lasch. In der Blütezeit, als man auch
entsprechend Airplay in den Medien hatte, besass dieser Name
zumindest eine vorübergehende Popularität. Hier und heute ging mir
das aber ziemlich am Arsch vorbei und auch die Reaktionen der Leute,
die sich im grossen Zelt eingefunden hatten, spendeten maximal einen
Höflichkeitsapplaus. Derweil war ich ebenfalls auf ein Zelt aus,
nämlich das Pressezelt. Darin befanden sich angenehm wärmende
Gasstrahler, die den permanent gehenden, bissigen Wind vergessen
liessen.
Juliette Lewis
Auf diesen Auftritt war ich tatsächlich mindestens etwas gespannt.
Die singende US-Schauspielerin, bestens bekannt von Filmen wie «Natural
Born Killers» oder «Cape Fear» entschloss sich anfangs 2003, eine
eigene Band mit Namen Juliette And The Licks zu gründen. Ein Jahr
später kam das Debüt heraus und bis heute sind drei Alben
erschienen. Inzwischen tritt die quirlige Fronterin unter ihrem
eigenen
Namen auf und veröffentlichte letztes Jahr den aktuellen
Tonträger «Terra Incognita». Stilistisch bewegt sich Juliette
grund-sätzlich auf dem Rock-Parkett, das zum Einen etwas alternativ
bis zuweilen punkig ausgelegt ist. Dazu kommt ihre immer noch sehr
energie-reiche Performance. Soweit so gut, aber das, was ich von ihr
schon am TV gesehen habe, und das waren meistens auch
Festival-Auftritte, konnte mich selten bis gar nicht aus der Reserve
locken. Dies geschah nun an dieser Stelle abermals, was aber wie
gesagt nicht an ihrer Art, sondern klar der Musik lag. Technisch war
an ihrer Begleitband The New Roman-tiques allerdings nichts
auszusetzen, doch das Ganze klang zwar meist irgendwie wild, war
jedoch selten ansteckend rockig und kaum melodiös. Die Songs waren
teils sogar recht sperrig und besassen keinen
Wiedererkennungseffekt. Deshalb sprang auch der Funke nicht auf das
jetzt deutlich zahlreichere Publikum unter der Zirkuskuppel über.
Auf der neuen Scheibe sind auch gemächlichere Songs vertreten, die
gut von Avril Lavigne stammen könnten. Ich hatte schon nach den
ersten drei Songs im Fotograben genug gesehen und gehört. Mag ja
sein, dass Juliette Lewis vor dem richtigen Publikum ankommt und
absahnen kann, hier war aber nichts davon zu sehen. Den Rest ihres
Auftrittes schenkte ich mir darum und verbrachte die restliche Zeit
mit einem Erkundungsgang auf dem Gelände.
Setliste: «Small Intro» - «Noche Sin Fin» - «Kick Drum Song» - «Hot
Kiss» - «Purgetory Blues» - «Fantasy Bar» - «Hard Lovin' Woman» -
«Beauty #2/The Devil Knows» - «Sticky Honey» - «Terra Incognita» - «Got
Love To Kill» - «Suicide Dive Bombers».
Scorpions
Es war schon ein ganze Weile her, seit ich die Scorpions das letzte
Mal in der Schweiz live gesehen hatte (2004 in Uster), und darum
freute ich mich tierisch auf diesen Auftritt! Nach dem Intro ging es
gleich mit dem Titeltrack vom neuen Album los und innert Kürze bebte
das prall gefüllte Zelt! Es folgte «Make It Real» und legte zeitlich
gleich satte drei Dekaden zwischen sich und den Opener. Spätestens
beim Smasher «Bad Boys» war der Zapfen ab und das Konzert
entwickelte sich zum viel umjubelten Selbstläufer. Die ganze Band
präsentierte sich sehr agil und liess rein gar nichts anbrennen.
Mein persönliches Highlight war der zweite neue und gleichzeitig
letzte Song auf der neuen CD: «The Best Is Yet To Come». Was schon
auf dem Tonträger für eine mordsmässige Gänsehaut sorgt, überzeugte
live ebenso, hammer!
Zur weiteren Untermauerung der Balladen-Phase
während des Sets folgten «Send Me An Angel» und «Holiday», die
unmissverständlich aufzeigten, über welch einzigartige Stimme unser
aller Klaus Meine verfügt! Sollte diese eines Tages wirklich mal
verstummen, sind die Scorpions für immer und ewig Geschichte. Rudolf
Schenker und Matthias Jabs bearbeiteten derweil ihre Klampfen, wie
wenn es kein Morgen gäbe und die verjüngte Rhythm-Section mit Pawel
Mąciwoda und Drum-Tier James Kottak setzte ein wuchtiges
Rhythmus-Gerüst, das alles zusammen hielt. Die Stimmung war
bombastisch und draussen standen fast nochmals so viele Fans an wie
welche drinnen waren.
Bevor dann Ex-Kingdom Come Drummer James seinen mit Videos witzig
angereicherten Solo-Part zum Besten gab, zeigten weitere zwei neue
Songs (darunter der Opener der CD), wie gut die neuen Songs in der
Tat geworden sind und eigentlich nahtlos an die alten Klassiker
anschliessen können. Dass mit «321» ein einziger Vertreter des nicht
minder guten Vorgängers «Humanity-Hour I» auf der Setliste stand,
war natürlich schade, aber nicht zu verhindern. Wären jetzt Led
Zeppelin in den 70ern auf der Bühne gestanden, hätte man gewusst,
dass es bis zu drei Stunden hätte dauern können. So viel Zeit hatten
die Scorpions heute Abend in Longirod leider nicht vorgesehen, aber
der Schlussspurt inklusive den beiden "Musts" «Still Loving You» und
«Wind Of Change» sowie dem obligaten Rausschmeisser «Rock You Like A
Hurricane» lockten das enthusiastisch abfeiernde Publikum nochmals
aus der Reserve und sorgten für ein lang anhaltendes Wohlgefühl,
soeben was Beson-deres erlebt zu haben. Keine Ahnung, ob das nun
wirklich der letzte Openair-Auftritt auf Schweizer Boden gewesen
ist. Bis zum selbst verordneten und ja schon vor der Tour
angekündigten Abschied aufs Altenteil dürfte sicher auch noch eine
(wirklich?) letzte Hallentournee anstehen. In diesem Sinne, also
2011/2012, Augen auf und nicht lange fackeln, denn mit Meine & Co.
wird sich die grösste, deutsche Rock-Band ever von den Bühnen der
Welt und ihren Fans verabschieden. Seien wir darum nochmals dabei
und rocken zusammen den Hurrikan!
Setliste: «Intro» - «Sting In The Tail» - «Make It Real» - «Bad
Boys Running Wild» - «The Zoo» - «Coast To Coast» - «Loving You Sunday Morning» -
«The Best is Yet To Come» - «Send Me An Angel» - «Holiday» - «The
Good Die Young» - «Raised On Rock» - «321» - «Kottak Attack (Drum-Solo
James)» - «Black» Out - «Big City» -- «Still Loving You» - «Wind Of
Change» - «Rock You Like A Hurricane».
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