Was für ein Konzertabend! Zwei der renommiertesten
Hardrock-Bands der Szene gaben sich im Hallenstadion die Ehre. Zählt man die Bandjahre
zusammen, kommt man auf unglaubliche 87 Jahre. Das muss man sich zuerst mal auf der Zunge
zergehen lassen. Die Scorpions feiern ihr 50-Jähriges und Whitesnake
ihr 37-jähriges Bestehen. Zählt man die Zeit von Deep Purple dazu,
als David Coverdale (Gesang) Mitglied der Engländer war, sind es
sogar noch vier Jahre mehr. Das heisst aber auch, dass bei
Whitesnake mit Mister Coverdale (64 Jahre), und Schlagzeuger Tommy
Aldridge (65 Jahre) und bei den Scorpions mit Rhythmusgitarrist
Rudolf Schenker (67 Jahre), Sänger Klaus Meine (67 Jahre) und
Leadgitarrist Matthias Jabs (60 Jahre) zusammen 323 Jahre
musikalische Erfahrungen zu sehen und zu hören sind.
Das alleine verdient Respekt. Sieht man aber noch, wie aktiv,
agil, bewegungsfreudig und powervoll diese Mucker auf der Bühne
stehen, fällt der Nahrungsbalken noch tiefer. Geht man dann noch
musikalisch auf Ahnensuche, wird klar, wie dominierend die beiden
Bands in den Achtzigern waren. Dies hat sich bis heute nicht
verändert und die deutschen Scorpions, wie auch die englischen
Whitesnake haben bis ins Hier und Jetzt nichts von ihrem Flair und
ihrer Faszination verloren. Das bewog offenbar viele Konzertbesucher, diesem
Kult-Abend beizuwohnen. Ob dies nun erstaunlicherweise sehr viele junge
Fans waren, der geneigte Hardrocker, der Biker, der Metal-Fan aus
den 80er-Jahren oder der Schlipsträger mit einem aufgetakelten
Blondie (Typ: High-Heels, knapper Leder-Mini, Lederjacke mit tiefem
Dekolleté), alle wollten die beiden Legenden sehen. Mit einer fetten
Videoproduktion (Scorpions) und einer noch fetteren Lichtshow (beide
Combos) boten die Rock-Dinos eine vorzügliche Show. Der Skorpion, wie
auch die weisse Schlange hatten dabei die Möglichkeit, sich auf dem
breiten Laufsteg ins Publikum nach Herzenslust auszutoben!
Whitesnake
Pünktlich um 19.30 Uhr wurde das sehr gut gefüllte Hallenstadion mit
den Klängen von The Who's Klassiker «My Generation» ab Band aus der Ruhe geholt. Das
Sextett bestieg die Bühne und mit marker-schütternden Schreien
leitete Mastermind Coverdale zum Deep Purple-Klassiker «Burn» über.
Um gleich den Nörglern den Wind aus den Segel zu nehmen… Ja, David
singt nicht mehr wie früher, seine Schreie sind ab und zu ein
bisschen gequält, aber verdammt, ich habe ihn seit der «1987»-Tour
selten so genial und aufopferungs- und hingebungsvoll singen gehört.
Wie viele junge Shouter kacken schon auf der ersten Tour ab? Wer mit
64 Lenzen noch immer eine so tolle Performance abgibt, David stand
selten still, dem gebührt einfach grosser Respekt. «Burn» liess dann
schon mal die Härtegrade erkennen. Und ja, lieber Rockslave, deine
Frage «wo ist der Blues geblieben?» ist absolut berechtigt.
Whitesnake klingen heute wieder metallener als auch schon. Aber, das
steht der Truppe sehr gut zu Gesicht. David animierte, lief wie ein
wilder Tiger über die Bühne, schaute seiner weiblichen Beute in die
Augen und lief mit einem lasziven Blick weiter. Seine spielerische
Show mit dem Mikrofonständer ist längst legendär. Entweder wirbelt er seinen
Mikrofonhalter durch die Luft oder verwendet ihn als imaginäre
Geschlechtsteilverlängerung. Beides gehört zur Show des Briten, wie
das Amen in der Kirche. Seine Spielfreude wurde selbst durch die
lethargische Reaktion des Publikums gebremst. Auch wenn man Mister
Coverdale ansah, dass er darob ab und zu fast resignierte. Aber wenn
selbst die Textzeilen von «Here I Go Again» nicht sattelfest sitzen,
zweifle ich doch ein bisschen an der kulturellen Standfestigkeit der
Besucher.
Ein
weiterer Hingucker war Tommy Aldridge, der zum wiederholten Mal
hinter der Schiessbude sass. Meine Damen und Herren, was dieser
Trommler mit seinen 65 Jahren nach wie vor abliefert, mit welcher
Dynamik der stets gelockte "Rentner" spielt und seine Drumsticks
filigran durch die Finger wandern lässt, ist schon einmalig. Auch
sein Solo war einmal mehr alles andere als langweilig, sondern eine
interessante Mischung aus Technik und Animation. Und JA!!! Noch
immer spielt er den zweiten Teil seines Solos mit blossen Händen!!!
Reb Beach und Joel Hoekstra bildeten das perfekte Gitarrenduo. Die
Augen waren logischerweise auf Joel gerichtet, welcher seit einem
Jahr Doug Aldrich ersetzt. Mister Hoekstra ist ein Poser wie er im
Buche steht. Breitbeinig steht er auf der Bühne, haut seine Riffs
und seine Solos raus, bangt mit seinen langen blonden Haaren und hat
ein breites Grinsen im Gesicht. Seine solistischen Darbietungen
spielt er kniend oder wie John Sykes (ehemals Whitesnake). Sein
Partner Reb ist seit 2003 bei der weissen Schlange, bekam durch den
Weggang von Doug aber bedeutend mehr Freiräume und Soloparts
zugesprochen. Michael Devin (Bass) und das jüngste
Whitesnake-Mitglied, Brian Ruedy (Keyboard / Orgel) ergänzen die
Truppe perfekt.
Die Setliste bestand einerseits aus Deep Purple-Klassikern, welche
auf dem jüngsten Whitesnake-Album «The Purple Album» stehen und den
grössten Hits der weissen Schlange. Herausragend waren dabei «Burn»,
das solistisch vorzüglich vorgetragene «Love Ain't No Stranger»
welches am Schluss zurecht einen tosenden Beifall erntete,
«Mistreated» mit einem gefühlvollen Solopart von Reb, «Soldier Of
Fortune» und logischer-weise «Is This Love» (mit tieferem, göttlichem
Coverdale-Gesang), «Fool For Your Loving» (endlich mit der
legendären Ansage: «Heeeere's a song for ya!»), «Give Me All Your
Love», «Here I Go Again» und natürlich «Still Of The Night». «Make some
fucking noise Zurich!» Dies hallte unzählige Male durch das
Hallenstadion, und auch wenn der Applaus nach dem letzten Ton einem
Siegeszug gleichkam, reichte das Publikum mit seiner Reaktion nie an
die Leistung der Band oder im speziellen an David heran, der immer der
grosse Antreiber war. Sein Sexappeal von früher hat nichts an Würze
verloren und wenn er vor dem Solo bei «Still Of The Night» ins
Mikrofon singt, haucht und leidet, werden (feuchtwarme) Emotionen
wach. Whitesnake zeigten in knapp 75 Minuten ein würdiges
Headlinerset. «Cheers to this night» bemerkte David mit einem
breiten Grinsen, der sichtlich stolz auf die abgelieferte Show sein
konnte. Verschwitzt und mit dem Bewusstsein alles gegeben zu haben,
verabschiedete sich das Sextett von Zürich.
Setliste:
«My Generation (Intro – The Who)» - «Burn» - «Bad Boys» -
«Love Ain't No Stranger» - «Mistreated» - «Harmonica Solo Michael
Devin» - «You Fool No One» - «Drum Solo Tommy Aldrige» - «Soldier Of
Fortune» - «Is This Love» - «Fool For Your Loving» - «Give Me All Your
Love» - «Here I Go Again» - «Still Of The Night».
Scorpions
Sirenen kündigten den Start der Hannoveraner an und ehe man sich
umsehen konnte, standen Klaus Meine (v), Rudolf Schenker (g),
Matthias Jabs (g), Pawel Maciwoda (b) und James Kottak (d) auf der Bühne. Der Sound war
von Beginn weg besser als der von Whitesnake, wenn auch nicht
perfekt! Das Schlagzeug stand auf einer zusätzlichen, erhöhten
Bühne. Die Videoscreens vor, hinter und neben James waren ein
zusätzliches Unterhaltungselement und vermischten dabei Einspielungen mit der gefilmten
Bühnenpräsenz der Band. Mit «Going Out With A Bang», dem Opener des
letzten Studioalbums «Return To Forever», feierte das Quintett einen
vorzüglichen Einstieg. 50 Jahre Scorpions wurde zelebriert. Aus
diesem Grund stand nicht nur der neueste Output mit vier Liedern im
Mittelpunkt, sondern die komplette Bandgeschichte. Dazu griff die
Truppe auf ein cooles Medley «Top Of The Bill/Steamrock
Fever/Speedy's Coming/Catch Your Train» zurück (Zitat Klaus: «Als
wir in den frühen 70er-Jahren in einem klapprigen Bus unterwegs
waren, träumten wir irgendwann davon, hier bei euch in Zürich
aufzutreten!»), welches die Frühphase der Skorpione abdeckte, zurück.
Logischerweise standen auch die Balladen im Zentrum. So wurde zuerst
in einer reinen Akustikversion die drei Tracks «Always Somewhere/Eye
Of The Storm/Send Me An Angel» gespielt, um dann in den wohl
bekanntesten Song «Wind Of Change» (die zweite Strophe wird nur vom
Publikum gesungen) über zu leiten. Mit «Still Loving You» wurde noch
ein weiterer sehr emotionaler Song gespielt. Ergänzend spielten die
Skorpione einen Hit nach dem anderen, die den finalen Härtegrad bei
«Blackout» und «Dynamite» erreichten.
Die
Band selber spielte gross auf. War es der eher ruhige Pawel, der
seine Parts in die Menge pumpte oder das Duracell-Häschen Mister
Kottak, der mit seiner wilden und ungezügelten Show auf sich
aufmerksam machte. Er ist ein verdammtes Drum-Animal und darf diesen
Ausdruck zu Recht tragen! Sein Drumsolo auf einem in die Höhe
gesetzten Podest (Kiss lassen grüssen!) war einmal mehr ein
Hingucker, wie auch seine stetige Stick-Show. Sein grosses Rücken
Tattoo «Rock & Roll Forever» ist für ihn nicht nur ein
Lippenbekenntnis, sondern eine klare Lebenseinstellung. Rudolf
rannte, hüpfte und bewegte sich fit wie ein 20-Jähriger und befand
sich immer wieder auf dem Weg zum Laufsteg. Interessanterweise
spielte er mehr Solos als auch schon. Matthias ist und bleibt dagegen einer
der unterbewertesten Sologitarristen dieses Planeten. Alleine seine
Darbietung bei «Delicate Dance», bei dem er nicht von Rudolf, sondern
von seinem Gitarren-techniker Ingo Powitzer unterstützt wird, zeigte,
mit welchem Feingefühl in den Fingern Mister Jabs zu spielen vermag.
Ansonsten war auch er viel unterwegs und animierte das Publikum mit seiner
ansteckenden Art. Klaus sang derweil wie ein Gott. Ganz ehrlich Leute,
wie souverän der Mann noch immer shoutet, verdient nichts als grossen
Respekt. Da ist die Performance bei einer Ballade ebenso überzeugend
wie bei einem schnellen Track («Dynamite»). Auch er stand nie ruhig,
animierte das Publikum («Hallo Zürich, schön euch zu sehen. Wie sagt
man bei euch? Grüetzi mitenand?») und bedankte sich immer wieder für
den tosenden Applaus.
«Wir feiern für das Miteinander», liess Klaus verlauten und widmete
«Send Me An Angel» den Terroropfern von Paris. Zusammen mit den Videoeinspielungen (sehr
abgespacte Farben bei «Top Of The Bill») boten die Scorpions ganz
grosses Kino, in dem aber immer die Musik und die Performance
der Musiker im Mittelpunkt wie Vordergrund steht. So fanden sich
die Protagonisten oftmals auf der erhöhten Bühne wieder, neben dem
Drum vom James (z. B. bei «The Zoo»). «Einer der Gründe, wieso wir noch
da sind. Wisst ihr warum? We build this house on a rock», verkündete
Klaus mit einem breiten Grinsen und war sich dessen bewusst, dass
die Scorpions alle Höhen und Tiefen des letzten halben Jahrhunderts fast
problemlos meisterten. Wer einen Hit wie «Still Loving You»
geschrieben hat, zu dem sich alle Besucher in den Armen lagen, darf
auch getrost stolz auf das Vergangene sein. Aber, Zürich war auch
«ready to rock» und feierte den neuen Track «Rock'n Roll Band» ab.
Dass es aber auch noch einen Zacken härter und wilder geht, bewiesen
die schon angesprochenen «Blackout» und speziell «Dynamite». Es war
ein Fest, auch wenn das Publikum erneut fast ein bisschen steif
wirkte. Trotzdem bedankte sich Klaus mit den Worten: «We love you
Zurich. It's time to rock you like a hurricane!». Das
Schlussfeuerwerk mit diesem Alltime-Classic liess dann auch die Besucher auf den
Rängen aufstehen und zum kollektiven Mitsingen und Mitklatschen als
Finale endlich völlig ausrasten. Nach 95 Minuten liessen sich die
Jungs zu Recht feiern.
Kaum eine andere Band mit einem
solchen Altersschnitt geht noch dermassen steil auf der Bühne ab.
Auch nach fünfzig Jahren sind die Scorpions noch immer eins. Eine der
besten
Livebands, wenn nicht sogar die Beste. Eine Truppe, die noch immer
coole neue Songs schreibt und eine Combo die weiss, dass man den
Rock fühlen und zelebrieren muss. Herzlichen Dank an beide Bands für
diesen unvergesslichen Abend, auf dass ihr gesund bleibt und bald
wieder in der Schweiz spielt, denn wie meinte Klaus so schön: «Ich
weiss, ihr brauchtet viel Geduld. Es bedurfte dreier Anläufe, bis wir
wieder bei euch in Zürich sein durften». Hoffen wir einfach, dass
der Skorpion seinen Stachel schon bald wieder in der Schweiz platzieren
wird. Ich werde garantiert dabei sein!
Setliste: «Intro» - «Going Out With A Bang» -
«Make It Real» - «The Zoo» - «Coast To Coast» - «Top Of The Bill/Steamrock Fever/Speedy's
Coming/Catch Your Train» - «We Built This House» - «Delicate Dance» -
«Always Somewhere/Eye Of The Storm/Send Me An Angel» - «Wind Of Change» -
«Rock'n Roll Band» - «Dynamite» - «In The Line Of Fire» -
«Kottak Attack» - «Blackout» - «Big City Nights» - «Still Loving You» --
«Rock You Like A Hurricane».
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