Livereview: Scorpions - Whitesnake

28. November 2015, Zürich – Hallenstadion
By Tinu - All Pics by Rockslave
Was für ein Konzertabend! Zwei der renommiertesten Hardrock-Bands der Szene gaben sich im Hallenstadion die Ehre. Zählt man die Bandjahre zusammen, kommt man auf unglaubliche 87 Jahre. Das muss man sich zuerst mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Scorpions feiern ihr 50-Jähriges und Whitesnake ihr 37-jähriges Bestehen. Zählt man die Zeit von Deep Purple dazu, als David Coverdale (Gesang) Mitglied der Engländer war, sind es sogar noch vier Jahre mehr. Das heisst aber auch, dass bei Whitesnake mit Mister Coverdale (64 Jahre), und Schlagzeuger Tommy Aldridge (65 Jahre) und bei den Scorpions mit Rhythmusgitarrist Rudolf Schenker (67 Jahre), Sänger Klaus Meine (67 Jahre) und Leadgitarrist Matthias Jabs (60 Jahre) zusammen 323 Jahre musikalische Erfahrungen zu sehen und zu hören sind.

Das alleine verdient Respekt. Sieht man aber noch, wie aktiv, agil, bewegungsfreudig und powervoll diese Mucker auf der Bühne stehen, fällt der Nahrungsbalken noch tiefer. Geht man dann noch musikalisch auf Ahnensuche, wird klar, wie dominierend die beiden Bands in den Achtzigern waren. Dies hat sich bis heute nicht verändert und die deutschen Scorpions, wie auch die englischen Whitesnake haben bis ins Hier und Jetzt nichts von ihrem Flair und ihrer Faszination verloren. Das bewog offenbar viele Konzertbesucher, diesem Kult-Abend beizuwohnen. Ob dies nun erstaunlicherweise sehr viele junge Fans waren, der geneigte Hardrocker, der Biker, der Metal-Fan aus den 80er-Jahren oder der Schlipsträger mit einem aufgetakelten Blondie (Typ: High-Heels, knapper Leder-Mini, Lederjacke mit tiefem Dekolleté), alle wollten die beiden Legenden sehen. Mit einer fetten Videoproduktion (Scorpions) und einer noch fetteren Lichtshow (beide Combos) boten die Rock-Dinos eine vorzügliche Show. Der Skorpion, wie auch die weisse Schlange hatten dabei die Möglichkeit, sich auf dem breiten Laufsteg ins Publikum nach Herzenslust auszutoben!

Whitesnake
Pünktlich um 19.30 Uhr wurde das sehr gut gefüllte Hallenstadion mit den Klängen von The Who's Klassiker «My Generation» ab Band aus der Ruhe geholt. Das Sextett bestieg die Bühne und mit marker-schütternden Schreien leitete Mastermind Coverdale zum Deep Purple-Klassiker «Burn» über. Um gleich den Nörglern den Wind aus den Segel zu nehmen… Ja, David singt nicht mehr wie früher, seine Schreie sind ab und zu ein bisschen gequält, aber verdammt, ich habe ihn seit der «1987»-Tour selten so genial und aufopferungs- und hingebungsvoll singen gehört. Wie viele junge Shouter kacken schon auf der ersten Tour ab? Wer mit 64 Lenzen noch immer eine so tolle Performance abgibt, David stand selten still, dem gebührt einfach grosser Respekt. «Burn» liess dann schon mal die Härtegrade erkennen. Und ja, lieber Rockslave, deine Frage «wo ist der Blues geblieben?» ist absolut berechtigt. Whitesnake klingen heute wieder metallener als auch schon. Aber, das steht der Truppe sehr gut zu Gesicht. David animierte, lief wie ein wilder Tiger über die Bühne, schaute seiner weiblichen Beute in die Augen und lief mit einem lasziven Blick weiter. Seine spielerische Show mit dem Mikrofonständer ist längst legendär. Entweder wirbelt er seinen Mikrofonhalter durch die Luft oder verwendet ihn als imaginäre Geschlechtsteilverlängerung. Beides gehört zur Show des Briten, wie das Amen in der Kirche. Seine Spielfreude wurde selbst durch die lethargische Reaktion des Publikums gebremst. Auch wenn man Mister Coverdale ansah, dass er darob ab und zu fast resignierte. Aber wenn selbst die Textzeilen von «Here I Go Again» nicht sattelfest sitzen, zweifle ich doch ein bisschen an der kulturellen Standfestigkeit der Besucher.

Ein weiterer Hingucker war Tommy Aldridge, der zum wiederholten Mal hinter der Schiessbude sass. Meine Damen und Herren, was dieser Trommler mit seinen 65 Jahren nach wie vor abliefert, mit welcher Dynamik der stets gelockte "Rentner" spielt und seine Drumsticks filigran durch die Finger wandern lässt, ist schon einmalig. Auch sein Solo war einmal mehr alles andere als langweilig, sondern eine interessante Mischung aus Technik und Animation. Und JA!!! Noch immer spielt er den zweiten Teil seines Solos mit blossen Händen!!! Reb Beach und Joel Hoekstra bildeten das perfekte Gitarrenduo. Die Augen waren logischerweise auf Joel gerichtet, welcher seit einem Jahr Doug Aldrich ersetzt. Mister Hoekstra ist ein Poser wie er im Buche steht. Breitbeinig steht er auf der Bühne, haut seine Riffs und seine Solos raus, bangt mit seinen langen blonden Haaren und hat ein breites Grinsen im Gesicht. Seine solistischen Darbietungen spielt er kniend oder wie John Sykes (ehemals Whitesnake). Sein Partner Reb ist seit 2003 bei der weissen Schlange, bekam durch den Weggang von Doug aber bedeutend mehr Freiräume und Soloparts zugesprochen. Michael Devin (Bass) und das jüngste Whitesnake-Mitglied, Brian Ruedy (Keyboard / Orgel) ergänzen die Truppe perfekt.

Die Setliste bestand einerseits aus Deep Purple-Klassikern, welche auf dem jüngsten Whitesnake-Album «The Purple Album» stehen und den grössten Hits der weissen Schlange. Herausragend waren dabei «Burn», das solistisch vorzüglich vorgetragene «Love Ain't No Stranger» welches am Schluss zurecht einen tosenden Beifall erntete, «Mistreated» mit einem gefühlvollen Solopart von Reb, «Soldier Of Fortune» und logischer-weise «Is This Love» (mit tieferem, göttlichem Coverdale-Gesang), «Fool For Your Loving» (endlich mit der legendären Ansage: «Heeeere's a song for ya!»), «Give Me All Your Love», «Here I Go Again» und natürlich «Still Of The Night». «Make some fucking noise Zurich!» Dies hallte unzählige Male durch das Hallenstadion, und auch wenn der Applaus nach dem letzten Ton einem Siegeszug gleichkam, reichte das Publikum mit seiner Reaktion nie an die Leistung der Band oder im speziellen an David heran, der immer der grosse Antreiber war. Sein Sexappeal von früher hat nichts an Würze verloren und wenn er vor dem Solo bei «Still Of The Night» ins Mikrofon singt, haucht und leidet, werden (feuchtwarme) Emotionen wach. Whitesnake zeigten in knapp 75 Minuten ein würdiges Headlinerset. «Cheers to this night» bemerkte David mit einem breiten Grinsen, der sichtlich stolz auf die abgelieferte Show sein konnte. Verschwitzt und mit dem Bewusstsein alles gegeben zu haben, verabschiedete sich das Sextett von Zürich.

Setliste: «My Generation (Intro – The Who)» - «Burn» - «Bad Boys» - «Love Ain't No Stranger» - «Mistreated» - «Harmonica Solo Michael Devin» - «You Fool No One» - «Drum Solo Tommy Aldrige» - «Soldier Of Fortune» - «Is This Love» - «Fool For Your Loving» - «Give Me All Your Love» - «Here I Go Again» - «Still Of The Night».

Scorpions
Sirenen kündigten den Start der Hannoveraner an und ehe man sich umsehen konnte, standen Klaus Meine (v), Rudolf Schenker (g), Matthias Jabs (g), Pawel Maciwoda (b) und James Kottak (d) auf der Bühne. Der Sound war von Beginn weg besser als der von Whitesnake, wenn auch nicht perfekt! Das Schlagzeug stand auf einer zusätzlichen, erhöhten Bühne. Die Videoscreens vor, hinter und neben James waren ein zusätzliches Unterhaltungselement und vermischten dabei Einspielungen mit der gefilmten Bühnenpräsenz der Band. Mit «Going Out With A Bang», dem Opener des letzten Studioalbums «Return To Forever», feierte das Quintett einen vorzüglichen Einstieg. 50 Jahre Scorpions wurde zelebriert. Aus diesem Grund stand nicht nur der neueste Output mit vier Liedern im Mittelpunkt, sondern die komplette Bandgeschichte. Dazu griff die Truppe auf ein cooles Medley «Top Of The Bill/Steamrock Fever/Speedy's Coming/Catch Your Train» zurück (Zitat Klaus: «Als wir in den frühen 70er-Jahren in einem klapprigen Bus unterwegs waren, träumten wir irgendwann davon, hier bei euch in Zürich aufzutreten!»), welches die Frühphase der Skorpione abdeckte, zurück. Logischerweise standen auch die Balladen im Zentrum. So wurde zuerst in einer reinen Akustikversion die drei Tracks «Always Somewhere/Eye Of The Storm/Send Me An Angel» gespielt, um dann in den wohl bekanntesten Song «Wind Of Change» (die zweite Strophe wird nur vom Publikum gesungen) über zu leiten. Mit «Still Loving You» wurde noch ein weiterer sehr emotionaler Song gespielt. Ergänzend spielten die Skorpione einen Hit nach dem anderen, die den finalen Härtegrad bei «Blackout» und «Dynamite» erreichten.

Die Band selber spielte gross auf. War es der eher ruhige Pawel, der seine Parts in die Menge pumpte oder das Duracell-Häschen Mister Kottak, der mit seiner wilden und ungezügelten Show auf sich aufmerksam machte. Er ist ein verdammtes Drum-Animal und darf diesen Ausdruck zu Recht tragen! Sein Drumsolo auf einem in die Höhe gesetzten Podest (Kiss lassen grüssen!) war einmal mehr ein Hingucker, wie auch seine stetige Stick-Show. Sein grosses Rücken Tattoo «Rock & Roll Forever» ist für ihn nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern eine klare Lebenseinstellung. Rudolf rannte, hüpfte und bewegte sich fit wie ein 20-Jähriger und befand sich immer wieder auf dem Weg zum Laufsteg. Interessanterweise spielte er mehr Solos als auch schon. Matthias ist und bleibt dagegen einer der unterbewertesten Sologitarristen dieses Planeten. Alleine seine Darbietung bei «Delicate Dance», bei dem er nicht von Rudolf, sondern von seinem Gitarren-techniker Ingo Powitzer unterstützt wird, zeigte, mit welchem Feingefühl in den Fingern Mister Jabs zu spielen vermag. Ansonsten war auch er viel unterwegs und animierte das Publikum mit seiner ansteckenden Art. Klaus sang derweil wie ein Gott. Ganz ehrlich Leute, wie souverän der Mann noch immer shoutet, verdient nichts als grossen Respekt. Da ist die Performance bei einer Ballade ebenso überzeugend wie bei einem schnellen Track («Dynamite»). Auch er stand nie ruhig, animierte das Publikum («Hallo Zürich, schön euch zu sehen. Wie sagt man bei euch? Grüetzi mitenand?») und bedankte sich immer wieder für den tosenden Applaus.

«Wir feiern für das Miteinander», liess Klaus verlauten und widmete «Send Me An Angel» den Terroropfern von Paris. Zusammen mit den Videoeinspielungen (sehr abgespacte Farben bei «Top Of The Bill») boten die Scorpions ganz grosses Kino, in dem aber immer die Musik und die Performance der Musiker im Mittelpunkt wie Vordergrund steht. So fanden sich die Protagonisten oftmals auf der erhöhten Bühne wieder, neben dem Drum vom James (z. B. bei «The Zoo»). «Einer der Gründe, wieso wir noch da sind. Wisst ihr warum? We build this house on a rock», verkündete Klaus mit einem breiten Grinsen und war sich dessen bewusst, dass die Scorpions alle Höhen und Tiefen des letzten halben Jahrhunderts fast problemlos meisterten. Wer einen Hit wie «Still Loving You» geschrieben hat, zu dem sich alle Besucher in den Armen lagen, darf auch getrost stolz auf das Vergangene sein. Aber, Zürich war auch «ready to rock» und feierte den neuen Track «Rock'n Roll Band» ab. Dass es aber auch noch einen Zacken härter und wilder geht, bewiesen die schon angesprochenen «Blackout» und speziell «Dynamite». Es war ein Fest, auch wenn das Publikum erneut fast ein bisschen steif wirkte. Trotzdem bedankte sich Klaus mit den Worten: «We love you Zurich. It's time to rock you like a hurricane!». Das Schlussfeuerwerk mit diesem Alltime-Classic liess dann auch die Besucher auf den Rängen aufstehen und zum kollektiven Mitsingen und Mitklatschen als Finale endlich völlig ausrasten. Nach 95 Minuten liessen sich die Jungs zu Recht feiern.

Kaum eine andere Band mit einem solchen Altersschnitt geht noch dermassen steil auf der Bühne ab. Auch nach fünfzig Jahren sind die Scorpions noch immer eins. Eine der besten Livebands, wenn nicht sogar die Beste. Eine Truppe, die noch immer coole neue Songs schreibt und eine Combo die weiss, dass man den Rock fühlen und zelebrieren muss. Herzlichen Dank an beide Bands für diesen unvergesslichen Abend, auf dass ihr gesund bleibt und bald wieder in der Schweiz spielt, denn wie meinte Klaus so schön: «Ich weiss, ihr brauchtet viel Geduld. Es bedurfte dreier Anläufe, bis wir wieder bei euch in Zürich sein durften». Hoffen wir einfach, dass der Skorpion seinen Stachel schon bald wieder in der Schweiz platzieren wird. Ich werde garantiert dabei sein!

Setliste: «Intro» - «Going Out With A Bang» - «Make It Real» - «The Zoo» - «Coast To Coast» - «Top Of The Bill/Steamrock Fever/Speedy's Coming/Catch Your Train» - «We Built This House» - «Delicate Dance» - «Always Somewhere/Eye Of The Storm/Send Me An Angel» - «Wind Of Change» - «Rock'n Roll Band» - «Dynamite» - «In The Line Of Fire» - «Kottak Attack» - «Blackout» - «Big City Nights» - «Still Loving You» -- «Rock You Like A Hurricane».