Das soll es nun gewesen sein? Eine der wohl prägendsten und
erfolgreichsten Truppen im Hard Rock will sich von der Bühne
verabschieden? Auch wenn die «Get Your Sting And Blackout
Farewell»-Tour noch einige Monate dauern wird und dies vielleicht
das letzte Konzert auf helvetischem Boden gewesen ist, so bleibt
nach diesem 10. November Wehmut zurück. An eine Zeit, in der ein
gewisses Reinheitsgebot bei den harten Klängen zum guten Ton gehörte
und das Outfit ebenso zum Sound passte, wie die Hymnen zu den
Scorpions. Tja, eine der ganz grossen Bands tritt ab. Welche anderen
Combos werden ihr folgen? Und was noch weitaus schlimmer ist, welche
jungen Bands sollen solche Lücken schliessen? Danke! Mir fällt auch
keine ein...
Aber, da sass ich nun im Hallenstadion und erinnerte mich an die
unglaublichen Momente zurück, als die Hannoveraner 1988 zusammen mit
Cinderella die Züricher Kultstätte in Schutt und Asche legten. Oder
ein Jahr später, zusammen mit Vixen. Oder 1991 zusammen mit Tesla.
Viele Jugenderinnerungen ziehen an mir vorbei und verursachen ein
Hühnerfell. Es war 20:10 Uhr, als die Lichter im Hallenstadion
erloschen und auf den drei Videoleinwänden Bilder von der «World
Wide Live»-Tour aufblitzten. Die breite Bühne und der Laufsteg ins
Publikum liessen erahnen, dass die Herren, trotz ihres Alters,
Gitarrist Rudolf Schenker und Sänger Klaus Meine mit je 62 Jahren,
noch immer Vollgas auf der Stage geben wollen. Zusammen mit
Lead-Gitarrist Matthias Jabs und den jüngeren Teilnehmern Bassist
Paweł Mąciwoda und Trommelwunder James Kottak (ehemals Kingdom Come)
sollten die nächsten knappen zwei Stunden eine Reise in die
Vergangenheit und Gegenwart sein. James spielte zuerst auf seinem
hydraulischen Drumriser in schwindelerregender Höhe und gab wie
immer kraftvoll den Takt an. Neben seinem
präzisen
Spiel war es einmal mehr seine Show mit den Sticks, die
propellerartig drehten oder in die Luft flogen um dann für den
nächsten Schlag wieder aufgefangen wurden. Er ist ein verdammtes
Tier an seinem Werkzeug. Dies manifestierte auch sein Solo, das mit
einem kleinen Film, mit unterschiedlichen Scorpions-Covers («Love At
First Sting», «Lovedrive», «Animal Magnetism», «Crazy World», «Humanity:
Hour I», «Sting In The Tail») in denen er die Hauptrolle spielte,
untermalt wurde. Mit seinem Bekenntnis zur Schweiz: «Great to be
back in Switzerland, but it’s better to be in Zurich! Three Words:
YOU KICK ASS!» hatte er alle auf seiner Seite. Etwas ruhiger
verhielt sich da Paweł, der sehr solide spielte, aber sich gegen das
Charisma von Klaus, Rudolf und Matthias nicht behaupten konnte.
Klaus sang die höheren Töne erstaunlicherweise noch immer sehr gut
und trieb das Publikum während der ganzen Show an. Rudolf rannte von
der einen Bühnenseite zur anderen, verpasste trotzdem nie seinen
Einsatz für den Chorgesang, drehte seine Pirouetten und hüpfte wie
ein junges Reh auf der Bühne. Matthias bewies, dass er einer der
besten Lead-Gitarristen ist. Alleine seine Solodarbietung «Six
String Sting» liess vielen wieder mal den Mund offen stehen.
Nach der bebilderten Einleitung startete das Quintett mit «Sting In
The Tail» um anschliessend die ersten Evergreens «Make It Real» und
«Bad Boy Running Wild» anzuhängen. Genau solche Tracks sind es, die
es heute kaum mehr zu hören gibt. Lieder, die mit einer Melodie
ausgestattet sind, die man sofort mitsingen kann und trotzdem nie
langweilig werden. Wer wird zukünftig solches Material schreiben? «The
Zoo» mit dem ersten Mitsingpart der Fans und das Instrumental «Coast
To Coast» heizten die Stimmung weiter an. Wie gewohnt spielte bei «Coast
To Coast» Klaus mit einer dritten Gitarre mit und als James am
Schluss des Songs mit einer Schweizer Fahne seinen nackten
Oberkörper einwickelte gab es kein Halten mehr in der Halle. Dabei
präsentierte der Schlagzeuger auch zum ersten Mal an diesem Abend
sein Rückentattoo «Long Live Rock’n Roll». Für ihn mehr als nur eine
Lebensweisheit! Weiter ging’s mit «Loving You Sunday Morning». Klaus
begrüsste nach diesem Track das Publikum: «Grüetzi mitenand Zürich!
Schön wieder hier zu sein, um euch zu danken. Wir schauen nicht
zurück, sondern straight nach vorne», und spielte zusammen mit seine
Bandkollegen den kommenden Live-Hit («The Best Was Yet To Come»). -
Würden die Skorpione weiter die Welt mit ihrer Musik verzücken. -
Hört man in solchen Momenten nur Klaus und das Publikum singen,
läuft es jedermann kalt den Rücken rauf und runter. Den Ausklang
fand diese Nummer mit Rudolf und Matthias auf den Laufsteg. Nur mit
ihren Akustischen bewaffnet. Klaus gesellt sich zu ihnen und widmet
den nächsten Song («Send Me An Angel»), dem grossen und tragisch
verunfallten Steve Lee... Die ersten Zeilen des Refrains («Here I
am») werden lauthals von den Schweizern mitgesungen.
Wenn wir schon in einer gefühlvollen Phase sind, dann werden wir sie
auch richtig auskosten. Mit «Holiday» und Mister Meine, der die
Schweizer dazu antreibt den Ton lange zu halten («Was ist los
Zürich? Seid ihr dabei? Ihr könnt den Ton sehr lange halten, ich
glaube ihr habt lange geprobt mit den Alphörnern») und einem
fantastischen Doppelsolo von Rudolf und Matthias geht es über zum
legendären 1989 Music Peace Festival in Moskau, das die Inspiration
für den nächsten Song war, der seinen Erfolg mit dem Fall der Mauer
feierte und heute nichts von seiner Message verloren hat. Hier ist
«Wind Of Change»!» Wie bei jedem Song, fanden auch hier Bilder zum
entsprechenden Song den Weg auf die Leinwände. Dass
Moskau
und Berlin bei der wohl bekanntesten Pfeifmelodie zu ehren kamen,
war klar. Nach den eher besinnlicheren Momenten ging es weiter mit «Raised
On Rock», «Tease Me Please Me» und dem wohl härtesten Track der
Scorpions «Dynamite». Bei «Blackout» trat Rudolf mit der
«Gesichtsverzierung» vom Cover des gleichnamigen Albums auf, um dann
mit «Big City Nights», dem kampferprobten Mitsingteil und mit der
bekannten und lange nicht mehr aufgeführten Scorpions-Pyramide den
offiziellen Teil der Show zu beenden.
Ein klatschendes Händemeer, grelle Schreie und «Zugabe»-Rufe holten
die Jungs nochmals auf die Bühne zurück. «Vielen Dank!», sagte Klaus
um die erste Zugabe anzukünden: «Was soll ich nach all den Jahren
sagen? «Sill Loving You, Baby!» Passend wurde zu diesem Song ein
küssendes Paar aus dem Publikum gefilmt. Seien wie ehrlich. Wie
viele Kinder wurden wohl bei diesem Song gezeugt? «Rock You Like A
Hurricane» beendete dann diese Show, die ohne Support-Band auskam
und ehrlich gesagt auch keine brauchte. Vielleicht sehen wir die
Jungs nochmals auf dieser Tour. Wenn nicht, war dies hier ein
würdiger Abschied einer Band, die seit 1972 mit dem ersten Album
Musikgeschichte geschrieben hat und nicht zu ersetzen sein wird. Für
mich ein sehr emotionales Konzertende...
Setliste Scorpions: Sting In The Tail, Make It Real, Bad Boys
Running Wild, The Zoo, Coast To Coast, Loving You Sunday Morning,
The Best Is Yet To Come, Send My An Angel, Holiday, Wind Of Change,
Raised On Rock, Tease Me Please Me, Dynamite, Kottak Attack,
Blackout, Six String Sting, Big City Nights, Sill Loving You, Rock
You Like A Hurricane
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