Steven
Wilson gab schon das vierte Solo-Album, das viele Kritiker nämlich
für das Album des Jahres halten, heraus. Wie dem auch sein mag, wird
jede Aufnahme des Ex-Mitgliedes von Porcupine Tree zum
Grossereignis, und Musikschwärmer verspüren einen Drang für
Gastspielreisen, die als Unterstützung des Albums gedacht sind. Die
Reise für den Support von „Hand. Cannot. Erase.“ begann Anfang
März und Ende September erreichten Steven & Co. endlich die Schweiz.
Ich muss gleich vorweg nehmen, dass das Haus ausverkauft war und Steven ein
paar Überraschungen für die Zuhörer vorbereitet hatte. Aber alles
der Reihe nach...
Das Konzert begann um zehn nach
acht abends mit der Vorführung von Videostücken zu einem
Drone-Intro. Während dem Demonstrieren von schwarzen Figuren nahm
Drummer Craig Blundell zuerst seinen Platz hinter dem Schlagzeug ein,
danach folgten Bassist- und Stickplayer Nick Beggs, Keyboarder Adam Holzman,
Gitarrist Dave Kilminster und endlich auch Steven selbst, barfuss und
mit der E-Gitarre in der Hand. Danach versank der ganze
Zuschauerraum in die Atmosphäre der wahren Kunst. Freude an der
Teilnahme an dieser Kunst konnte nichts trüben: Weder die
Tonaufnahme der weiblichen Parts, die das allerneuste Album von
Wilson "Hand. Cannot. Erase." so gut schmückten, noch die Abwesenheit
des Blasmusikers, dessen Flöte, Klarinette und Saxophon beim neuen
und auch bei früheren Alben von Steven Wilson so unersetzlich
schienen.
Die Showkonzeption wurde dem Album "Hand. Cannot.
Erase" gewidmet. Wilson und seine Band spielten den Grossteil der
Lieder von neuem Album. Aber Steven kehrte in gewissem Masse in die
Zeiten von Porcupine Tree zurück, denn man spielte vier Lieder aus
der Ex-Band von Steven. Dabei sah es so aus, dass man diese Lieder
mit Absicht auf die Setliste beigefügt hatte, um „die Konzeption zu
betonen“: so z.B. nach dem düsteren “Index” war es noch besser, das
neueste Lied “Home Invasion” mit ähnlicher Stimmung wahrzunehmen.
Die Bühnenwirksamkeit der Musik verstärkte man durch optische
Elemente – Videos wechselte man mit Lichtmusik ab. Steven beschloss,
Videos von Regisseur Jess Cope, die speziell für Kompositionen aus
vorherigem Albums „Drive Home“ und „The Raven That Refused To Sing“
aufgenommen waren, zu zeigen. Aber man zeigte auch Videos zu den
neuen Liedern. Zum Beispiel das neue Video zum Song "Routine", in
dem eine völlig erschöpfte Frau ständig aufräumte, Geschirr abwusch
und reparierte. Vor diesem Lied erklärte Steven, dass das Lied
alldem, woraus unser Leben bestand, gewidmet war. Vom Schicksal der
unglücklichen Hausfrau wechselte man auf das Sujet über
Menschen-Puppen aus der Komposition Index (Remix „From Grace For
Drowning“). Es schien so, dass Steven beschloss, sich ein bisschen
von der Hauptheldin des Albums, Joyce Carol Vincent, und ihrer
traurigen Geschichte zu erholen. Nämlich ausgerechnet in der
schweizerischen Show wich Steven von seinem gewöhnlichen Szenarium
ab und zeigte nicht die Videos über das Leben der unglücklichen
Joyce, deren Leiche erst nach 3 Jahren nach ihrem Tod in ihrer
Wohnung in London gefunden wurde. Die Kulmination des Auftritts war
der Moment, als der weisse, durchsichtige Vorhang von der Decke zu
Boden fiel. Es geschah vor “Sleep Together”, und die Musiker blieben
wie im dichten Nebel und in einer anderen Welt. Während dieses
anstrengenden Liedes versuchte Steven immer wieder, diesen
durchsichtigen Vorhang durchzufechten. Mit dem Verschwinden des
Vorhangs war auch der Auftritt zu Ende, und die Musiker verliessen
die Szene unter dem Beifall. Aber danach rief man „da capo“.
Konzerte von Steven Wilson sind so erfolgreich nicht nur dank dem
guten Stoff und der aus der Sicht des Regisseurs ideal
durchgedachten Show, sondern auch dank der Fähigkeit von Steven,
hochtalentierte Musiker zu sich zu ziehen und jedem von ihnen den
Ehrenplatz in der Band zu vergeben. Es ist schon seltsam, wenn der
Bandleader seine Kollegen nicht in den Schatten stellt. Aber Steven
versuchte es doch und stellte alle Musiker so auffällig er konnte
vor. Am Anfang des Auftrittes vor jedem Lied sagte er ein paar gute
Worte über jedes Gruppenmitglied. Und seine Kollegen dienten ihm mit
gleicher Münze, in dem sie aus dem Vollen schöpften! Ab und zu
schien es mir, dass Nick Beggs Steven im Singen übertraf und Dave
Kilminster beim Gitarrespielen. Aber dieser Eindruck war natürlich
täuschend, denn die Band sah unteilbar und harmonisch aus. Es schien
mir auch, dass sich Steven mit den Zuschauern in der Schweiz
ungewöhnlich lange unterhielt. Vor einem Lied teilte er sogar mit,
dass er möchte, dass man den Sinn jedes Liedes versteht und weiss,
worum es geht.
Setliste: „No Twilight Within The Courts Of The
Sun“; „Drive Home“; „Hand. Cannot. Erase“; „Routine“; „Don't Hate
Me“; „Shesmovedon“; „Index“; „Home Invasion“; „My Book Of Regrets“;
„Ancestral“; „Happy Returns“; „Ascendant Here On...; „Sectarian“;
„Sleep Together“ Encore: „The Sound Of Muzak“; „The Raven That
Refused To Sing“
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