Ich gebe gerne zu, dass ich die bibelwerfenden Amis zu ihrer
Blütezeit in den 80ern nicht ernst genommen habe und auch sonst nie
ein Fan von ihnen wurde. Erst Jahre später krallte ich mir mal in
einer Brockenstube oder sonst wo eine ihrer alten Scheiben, und das
auch nur, weil sie spottbillig und noch in gutem Zustand war. Das
war's dann aber auch, sprich vielleicht einmal angehört und die
Pladde setzte wieder Staub an. Wenn mir nun einer vorausgesagt
hätte, dass ich mir eines Tages (und das in der Schweiz!) das wieder
vereinigte Ur-Lineup anschauen gehen würde, hätte ich das kaum
geglaubt. Doch genau das ist nun geschehen und dieser Abend wurde
unerwartet zum Konzert-Highlight des noch jungen Jahres. Am Anfang
stand natürlich die Meldung über die Reunion und einem brandneuen
Album («Murder By Pride»). Das alleine weckte mein Interesse aber
noch nicht. Erst als auf einmal ein CH-Konzert angesagt war (und das
erst noch relativ in der Nähe von mir), gab ich mir einen Ruck und
machte mich schliesslich trotz starkem Schneefall auf nach Biel. Ich
sollte es nicht bereuen!
Stryper
Es ist immer wieder interessant, das erste Mal an einen neuen Ort zu
gelangen, wo man konzertmässig noch nie zuvor war. Das Kongresshaus
in Biel machte von aussen nicht gerade den Eindruck, dass hier
massig Rock-Konzerte statt finden. Wie es der Name schon sagt,
beherbergt dieser Bau vielmehr eine Vielzahl an unterschiedlichen,
kulturellen Anlässen durch's Jahr hindurch. Warum man nun gerade an
diesem Ort die Amis aufspielen liess, entzieht sich meiner Kenntnis
im Detail. Auf jeden Fall hatten die Organisatoren vorgesorgt und
augenscheinlich viele Helfer für diesen Anlass aufgeboten. Praktisch
alle (wenn nicht alle) trugen einen offiziellen, jobgerechten
Stryper-Pass um den Hals und meine Wenigkeit kam dann als
akkreditierter Presse-Fuzzi natürlich ebenso zu so einem Teil, das
echt cool aussah und sogar ein Schweizer Kreuz enthielt! Dazu wurde
jedem Besucher noch ein Leucht-Bändchen ausgehändigt, das nachher im
Konzertsaal zum Einsatz, respektive eben zum Leuchten kam. Der
Aufmarsch betrug überraschenderweise ein paar Hundertschaften, die
aber relativ schwer abschätzbar waren. Ich tippte auf etwa gut 500
Leute, doch es sollen noch ein paar mehr gewesen sein. Im Vorverkauf
gingen auf jeden Fall dreiviertel der Tickets weg! Ansich
erstaunlich, vor allem wenn man den insgesamt überraschend tiefen
Altersdurchschnitt sah. Viele der anwe-senden "Fans" oder sagen wir
mal Konzertgänger waren noch lange gar nirgends, als Stryper vor 25
Jahren voll durchstarteten. Die Schweiz kam erst 1993 erst- und
gleichzeitig letztmals (!) zum Zuge, als Stryper in Greifensee (ohne
Michael Sweet) nach 400 Shows ihr letztes Konzert spielten, ehe
es sieben Jahre später wieder weiter ging. Ein Vierteljahrhundert
später läuft das Ganze
nun
entsprechend unter dem Banner «25th Anni-versary Tour». Dazu kam auch
Ur-Basser Timothy Gaines zurück in die Band! Erwarten durfte man
also eine interessante Setliste, die viele Classics und sicher auch
ein paar neue Songs enthalten würde. Wie sich bald einmal heraus
stellte, verzichtete man offenbar auf eine Vorband, was bei einem
Ticketpreis von fast 70 Flocken ansich grenzwertig ist.
Nichtsdestotrotz war die Vorfreude gross und es gab schon den einen
oder anderen Fan in meinem Alter, der ebenfalls gespannt war, was
nun folgen sollte. Bevor es losging, sprich das hätte eigentlich um
20.30 Uhr sein sollen, kamen auf einmal Drummer Robert Sweet und
Gitarrist Oz Fox auf die Bühne, sprachen ein paar Worte und warfen
traditionsgemäss erstmal ein paar Bibeln in die Menge rein. Nach
diesem obligaten Auftakt ging es dann etwa eine Viertelstunde später
endlich los!
Als Opener wurde «Soldiers Under Command» (Titelsong des ersten
Longplayers von 1985) gewählt und sogleich ging das Ding voll nach
vorne los! Zu einem erstaunlich knackigen Sound zeigten Stryper
schon mit den ersten Klängen, dass sie noch nichts verlernt haben.
Der zweite Song «Murder By Pride» war bereits der Titeltrack der
neuen Scheibe und spannte so den zeitlichen Bogen in die Gegenwart.
«Loud'n'Clear» setzte darauf die Zeitmaschine wieder in Richtung
Vergangenheit in Gang. Nach wenigen Takten
unterbrach die Band ihr Spiel und Sänger Michael Sweet animierte die
Meute dazu, die einfachen Mitsing-Parts kräftig zu unterstützen, was
anschliessend für Schweizer Verhältnisse ganz passabel ausfiel. Der
Bruder von Drummer Robert Sweet brillierte ohnehin und war kräftigst
bei Stimme. Dies zeigte bald Wirkung und fand nachhaltige
Bestätigung bei «The Rock That Makes Me Roll», einem schnelleren
Track. Gitarrist Oz Fox zockte derweil pfeilschnelle Soli runter und
steuerte, wie Bassist Tim Gaines, dienliche Backing Vocals bei, was
zum Beispiel bei «Reach Out» den feinen Unterschied ausmachte.
Ausser-halb der normalen Gepflogenheiten spielte Robert Sweet sein
Instrument quer, das heisst er sass von vorne her gesehen nach
rechts gerichtet hinter seinen Kesseln. Von hinten blies ihm zudem
ein grosser Ventilator stetig ins Genick und wirbelte seine blonde,
lange Mähne durch die Luft. Und so spielten sich Stryper durch fast
alle ihre Alben hindurch und wurden immer besser. Zwischendurch gab
es die unweigerlichen Ansagen, die sich aber soweit in
Grenzen
hielten. Gelungen war auch Judas Priest's «Breaking The Law» und das
auf dem neuen Album stehende «Peace Of Mind» (hat nix mit Iron
Maiden zu tun!) ist im Original bekanntlich von Journey. Ein
weiteres, kurzes Intermezzo wurde dazu benutzt, weitere Bibeln unter
das Volk zu bringen..., na ja. Nebst der obergeilen Bretterei
wurden, wie beim unverwüstlichen «Honestly», auch weichere Tunes
angeschlagen, die ebenso überzeugend rüber kamen. In der Schnittmenge
von härterem Hardrock mit (leicht) metallischer Attitüde
zelebrierten die vier Amerikaner ihr Jubiläum auf beeindruckende Art
und Weise. Die schiere Power und Tightness riss bis am Schluss nicht
ab und man konnte wirklich zufrieden mit dem Gezeigten sein. Der
allfällige Ärger über eine fehlende Support-Band verflog ziemlich
schnell, was die überaus gute Stimmung im Bieler Kongresshaus
deutlich unterstrich. Nebst dem guten Sound geizte man auf dem zur
Verfügung stehenden Raum ausserdem nicht mit stimmigem und fettem
Licht. Dazu kam noch 'ne Menge Trockeneis für den Showeffekt. Zum
Glück schlug das Michael nicht auf die Stimme und so liess dieser
bis zur ersten Zugabe hin kein bisschen nach. Der Scream am Ende von
«The Way» kam total sauber und kraftvoll. Im Zugabenteil
mobilisierte der legendäre «Sing-Along Song» nochmals das Publikum
und seine Mitsingqualitäten. Den würdigen, musikalischen
Schlusspunkt setzte schliesslich «To Hell With The Devil». Mit einem
gesprochenen Schlussgebet entliessen Stryper ihr begeistertes
Publikum wieder in die kalte Nacht hinaus. Mein Fazit fiel sehr
positiv aus, denn so gut hätte ich die gelbschwarz gestreifte
Kult-Combo aus den Staaten wirklich nicht erwartet. Wer nicht dabei
war, hat definitiv was verpasst!
Setliste: «Soldiers Under Command» - «Murder By Pride» - «Loud'n'Clear»
- «The Rock That Makes Me Roll» - «Reach Out» - «Calling On You» -
«Free» - «More Than A Man» - «Peace Of Mind» - «4 Leaf Clover» - «Honestly»
- «Open Your Eyes» - «All For One» - «My Love (I'll Always Show)» -
«The Way» -- «Sing-Along Song» - «Abyss/To Hell With The Devil».
|
|