Livereview: The Night Flight Orchestra - Black Mirrors

08. Dezember 2018, Zürich – Dynamo (Saal)
By Rockslave (rsl) und Roger W. (rog) - All pics by Rockslave
Vor fast einem Jahr, genau am 18. Dezember 2017 lieferten The Night Flight Orchestra ihr umjubeltes erstes Schweizer Konzert im Keller-Gewölbe der gleichen Liegenschaft ab. Das dritte Album «Amber Galactic», erschienen im Mai 2017, verzauberte Anhänger unterschiedlicher Rock- und Metal-Genres gleichermassen. Für meine Wenigkeit traf dieser Sound voll ins Schwarze, und nach dem hammermässigen Auftritt schnellten die Erwartungen in entsprechende Höhen. So überraschte es indes nicht, dass Nuclear Blast als renommiertes Label dafür sorgte, dass ihr neues Rösslein im Stall bald die nächsten neuen Songs abliefern möge. So dauerte es etwas mehr als zwölf Monate, als Ende Juni mit «Sometimes The World Ain't Enough» der vierte Wurf auf die Menschheit losgelassen wurde. Das Verdikt fiel grundsätzlich durchaus positiv aus, auch wenn der Vorgänger insgesamt die zwingenderen Ohrwürmer am Start hatte. Die grosse Frage war nun, ob der heutige Auftritt an die letztjährige Heldentat anzuknüpfen vermochte oder nicht. Das erste Überraschungsmoment gehörte jedoch der jungen belgischen Support-Band Black Mirrors, die mit ihrem schweren 70ies-Sound brillierten. (rsl)

Black Mirrors

Die Vorgruppe von The Night Flight Orchestra auf deren 2018er Indoor-Tour?! Black Mirrors aus Belgien?! Nie gehört zuvor, und das erstaunte zum einen gar nicht, aber zum anderen fragt man sich zuweilen schon, wie einem solche Perlen erst nach einer Weile auf- oder wie heute Abend quasi in den Schoss fallen. Die lasziv wirkende und attraktive Frontfrau Marcella di Troia (die in der Tat einen italienischstämmigen Vater hat) war Dreh- und Angelpunkt dieser aufstrebenden Combo. Zusammen mit ihren Sidekicks Pierre Lateur (g) und Loïc Videtta (d) lieferte sie eine ziemlich energetische Performance ab. Die Klassifizierung ihrer Mucke lautet offiziell auf "Indie / Alternative / Blues Rock", wobei mir die ersten zwei Begriffe normalerweise nicht wirklich munden. Hier wars aber anders, denn es wurde ein überaus mächtiger Groove freigesetzt, der zwischendurch auch von feineren Klängen durchsetzt war. Mit indianisch anmutender Schminke im Gesicht hängte Marcella all ihre Emotionen mit hoher Energie in ihren ausdrucksstarken Gesang hinein, und das Resultat war schlicht verblüffend! Das Publikum schien ebenso angetan von dieser frischen Brise, die da von der Bühne runter wehte. Auch seinen spürbaren Anteil daran hatte natürlich Schlagzeuger Paul Moreau, der seine Jugendlichkeit in pure Energie umwandelte. Der Grossteil der gespielten Songs ist auf der Debüt-Scheibe «Look Into The Black Mirror» zu finden, ergänzt um die schmissige Cover-Version des MC5-Songs «Kick Out The Jam», der auf der letztjährigen EP «Funky Queen» glänzt. Ich selber war letztlich so angetan vom Gesamtpaket Black Mirrors, dass unmittelbar nach dem Auftritt sogleich der Merchandise-Stand aufgesucht wurde. Die Hoffnung auf Vinyl erfüllte sich zur grossen Freude, und so liess ich gleich ein paar Scheinchen für die Erweiterung meiner Tonträger-Kollektion springen. Sowas bereitet eh die grösste Freude, wenn einem ein Auftritt so gefällt wie dieser hier und die Band folglich direkt unterstützt wird. Die Überraschung war letztlich mehr als nur geglückt, und nun stand der Headliner in der herausfordernden Pflicht, die eigenhändig sehr hoch angesetzte Messlatte vom Vorjahr ins Auge zu fassen! (rsl)

Setliste: «Intro» - «Shoes For Booze» - «Günther Kimmich» - «Funky Queen» - «The Mess» - «Inner Reality» - «Moonstone» - «Mind Shape» - «Lay My Burden Down» - «Kick Out The Jams (MC5 Cover)» - «Burning Warriors».


The Night Flight Orchestra
Irgendwie hatte ich eine Vorahnung, obwohl die Vorfreude auf das Konzert gross war. Das letztjährige Gastspiel, unten im Werk 21, war dermassen geil und dazu noch der allererste Auftritt in der Schweiz. Das sind Momente, die sich allermeistens nicht reproduzieren lassen, und so kam das heute Abend leider ebenso. Doch drehen wir das Rad der Zeit zunächst zurück an den Anfang der Show, als erstmal wie erfreulicherweise das gleiche Line-Up, inklusive der beiden "Stewardessen" Anna-Mia Bonde und Anna Brygärd, die Bühne des Dynamo-Saals betrat. Sofort danach stellte sich dem geneigten Fan die Frage nach der Setliste, und hier war natürlich schon klar, dass das neue Album «Sometimes The World Ain't Enough» im Fokus stand, aber dass just der Titeltrack nach dem Intro als Opener folgte, entpuppte sich nicht wirklich als Glücksgriff. «This Time» hätte da freilich besser gepasst, und wo man auf dem Studioalbum mit etwas "Highway Star" Flair gleich mit der Tür ins Haus fällt, liess der Live-Sound erstaunlicherweise einiges an Druck vermissen. Vor allem die Gitarren von David Andersson und Sebastian Forslund klangen schwachbrüstig, und dem Ganzen fehlte es irgendwie an Esprit. Dennoch wurde immerhin von allen vier bisherigen Alben mindestens ein Song in den diesjährigen Tour-Set aufgenommen. Spürbare, sprich songwriterische Höhepunkte waren nicht unerwartet die insgesamt fünf performten Tracks von «Amber Galactic». Leider fehlte hier mindestens noch der Disco-Groover «Domino». Der grundsätzlich guten Stimmung tat dies allerdings keinen Abbruch und Björn Strid war zumindest stimmlich auf der Höhe, wie auch das "Anna-Doppelpack". Die beiden Ladies bewiesen erneut, wie wichtig sie für die Authentizität der Band sind. Kämen ihre kraftvollen Stimmen ab Band, würde die Magie vollends flöten gehen. Die Showeinlage mit dem Überreichen von Sekt und Schweiss abtupfen bei Frontmann Björn sorgte derweil für ein paar Schmunzler.

«Speedwagon» und «Turn To Miami», zwei der neuen Songs, standen kompositorisch jedoch klar auf dem Niveau des brillanten Vorgängers, aber es fehlte ein spürbares Mass an Spritzigkeit. Warum das so war, ist noch schwierig zu erklären, und alles nur dem ungenügenden Sound anzulasten wäre zu einfach. Je länger das Konzert andauerte, desto mehr wurde klar, dass der Exploit des Vorjahres nicht mal annähernd wiederholt werden konnte. Gerade so ein Groove-Track wie «Paralyzed» muss einen einfach (wie bei «Domino») mit der Wucht von Mother's Finest wegblasen. «1998» vom Debüt «Internal Affairs» empfahl sich derweil mit töftem Guitar Twin-Solo als gute Wahl und beendete den offiziellen Set nach knapp etwas mehr als gerade mal sechzig Minuten! Der unweigerliche Blick auf die Uhr verhiess dabei Unerfreuliches, aber The Night Flight Orchestra legten dann dennoch drei Zugaben hin, wovon der schmissige Album-Opener einige Kohlen aus dem Feuer holte, am Anfang aber eine bessere Figur abgegeben hätte. Nach «West Ruth Ave» war dann, wie letztes Jahr schon, definitiv Schicht im Schacht. Leider wurde bei uns in Zürich auf «Stiletto» verzichtet, das ein paar Tage später zumindest in München, Prag und Nürnberg kredenzt wurde. Härter erwischte es offenbar Saarbrücken, wo nebst «Stiletto» auch «This Time» als erste Zugabe auf der Strecke blieb, und ja, ich war natürlich etwas enttäuscht darüber, dass «The Heather Reports» als Longtrack nicht erneut zum Handkuss kam. Bei all der Rummoserei hier muss The Night Flight Orchestra jedoch attestiert werden, dass sie es generell schon drauf haben. Der heutige Abend als Ganzes verdiente, nicht zuletzt wegen den tollen Black Mirrors, die übrigens einen deutlich besseren Sound hatten (!) so oder so viel Lob. Schon bald, nämlich am 10. Januar 2019, kann das schwedische Ensemble am "ICE ROCK"-Festival im Emmental dann zeigen, wie man es besser macht. Die Chance dazu ist real und einmalig zugleich! (rsl)

Zweitmeinung von Roger W.
Neben Begeisterung und Euphorie lösten The Night Flight Orchestra bei ihrem Auftritt in Zürich auch bei wenigen Besuchern Kopfschütteln aus. So erging es zumindest mir. Riesig hatte ich mich auf den Auftritt gefreut, nachdem mich das neue Album «Sometimes The World Is Not Enough» richtiggehend geflasht hatte. Diese Mischung aus Foreigner, Toto und anderen AOR und Hard Rock-Bands ist songwriterisch und musikalisch schlicht umwerfend – leider nur auf CD. Dass es sich bei den Urhebern um Death Metal Musiker handelt, macht die Sache umso spannender. Live offenbarte sich dann aber etwas, was auch passiert, wenn man den Vanille-Rum Captain Morgan einmal pur, also ohne Cola, versucht: In der Nase top, im Gaumen ein Flop, weil sich da der billige Alkohol bemerkbar macht. Oder auf The Night Flight Orchestra bezogen: Auf CD top, live ein Flop, weil sich da die Death Metal Band bemerkbar macht. Was also auf dem Tonträger nach rhythmischem Hard Pop (oder wie auch immer man das nennen will) klingt, wurde in Zürich viel zu stark auf den Punkt gespielt. Dass die Band Probleme hat, wurde gleich mit dem Eröffnungslied klar. «Sometimes The World Is Not Enough» war schlicht ein musikalisches Chaos. Jedes Bandmitglied schien dabei etwas anderes zu spielen. Danach wurde es zwar ein wenig besser, aber den Rhythmus, der die AOR-Bands ausmacht, wurde wenn, dann jeweils nur kurz gehalten. Dazu kam, dass die Band innerhalb der Lieder immer wieder unabsichtlich die Tempi wechselte. Wären auf der Bühne Anfänger gestanden, hätte mich das auch nicht gestört. Bei den langjährigen Erfahrungen dieser Musiker löste das bei mir aber anstelle von headbangen nur trauriges Kopfschütteln aus. Erstaunlich war aber auch, dass dieses Manko von verschiedenen Musikern in Publikum nicht wahrgenommen wurde. Mein persönliches Fazit: Ich werde der Band in zwei bis drei Jahren nochmals eine Chance geben. Falls sie da auch „versagen“, bleiben mir wenigstens noch die CDs mit dem genialen Songwriting. (rog)

Setliste: «Intro» - «Sometimes The World Ain't Enough» - «Living Tor The Nighttime» - «Speedwagon» - «Midnight Flyer» - «Turn To Miami» - «Star Of Rio» - «Gemini» - «Something Mysterious» - «Josephine» - «Paralyzed» - «Can't Be That Bad» - «1998» -- «This Time» - «Lovers In The Rain» - «West Ruth Ave».