Livereview: The Ocean - Post Human Big Bang
10. Dezember 2011, Oberentfelden - Böröm Pöm Pöm
By Natalia N.
Im Jahre 2008 bekam ich zum ersten Mal die Möglichkeit, den Klang der deutschen Band The Ocean an ihrem Konzert in Zürich einzuschätzen, wo sie als Support-Band von Cynic und Opeth auftraten. Ich erinnere mich, dass ich an jenem Abend vom starken und kompliziert strukturierten Klang der Band total begeistert war, und ich begann, ihr Schaffen, das mich auch heute noch wundert, zu beobachten. Das Ziel der damaligen Reisen der Band war es, das Progressive/Atmospheric/Sludge Metal-Album «Precambrian» zu fördern. Doch zwischen diesen zwei Auftritten fand eine neue Wendung der stilistischen Entwicklung der Band statt, und es erschien das Doppelalbum «Heliocentric»/«Anthropocentric», das zu den Stilen des Atmospheric Rock/Post Hardcore zählt. Ich kann sagen, dass ich auch dieses Experiment von der Band gern hatte, deswegen wartete ich mit Ungeduld auf den Auftritt von The Ocean als Headliner im  Böröm Pöm Pöm in Oberentfelden. Vor The Ocean trat an jenem Abend die junge, schweizerische Band Post Human Big Bang auf, die eine vom Konzept her interessante Variante des Post Metal's spielte.

Post Human Big Bang

Ach, diese Post Metal-Bands! Manchmal fällt es einem so schwer, zu erraten, auf welchen traditionellen Stilen (oder eher auf deren Restanten) ihre Musik beruht! Jedoch erscheinen auf dieser Deponie von allen möglichen stilistischen Experimenten und instrumen-talen Partien ab und zu solch wunderbare Exemplare wie die Musik von Post Human Big Bang. Erst vor kurzem erschien das gleichnamige Debütalbum der Band, und ihr Konzert fand dank der Unterstützung des Organi-sators mit dem tollen Namen ProgHippie.com statt. Es schien, als sängen die Musiker alle Lieder aus ihrem einzigen Album live, weil sie eine ganze Stunde spielten. Und diese Stunde verging wie im Fluge, weil die Musiker mit viel Enthusiasmus spielten, indem sie von ihrer eigenen Musik und von der Unterstützung des Publikums eine geballte Ladung Energie bekamen. Was die Musikrichtung anbelangt, so klang es, als hätten die Musiker Metal, Hardcore und Progressive Metal als Basis genommen, wobei der Klang ihrer Gitarren oft dem Djent ähnelte. Mir gefiel das Gitarrenduo von Remo Häberli und Lüku Bleuer sehr - ihr gemeinsames Riffing war großartig! In der Band ist Lüku Bleuer auch für die Synthesizer-Parts verantwortlich, die die Musik vollständig und transparent machen. Deswegen spielte er mal den hellroten Synthesizer, dann wiederum auf seiner smaragdgrünen Gitarre. Außerdem spielte Lüku Bleuer im Lied «Future T.E.M.» sehr schön Mandola. Anders gesagt: Es stellte sich heraus, dass er ein echter Allerweltskerl ist! Die Clean Vocal-Partien werden von Remo gesungen, und das Gebrüll fügte Patrick Häberli hinzu. Dazu leistet er seinen Beitrag zum gemeinsamen Gitarrenklang und unterstütz-enden Rhythmus, indem er seine achtseitige Gitarre spielt. Die Schlagpartien von Mike Liechti, darunter auch die Blastbeats, klangen zusammen mit den Basspartien von Isabelle Ryser sehr überzeugend. Die nette Bassistin Isa, die den zentralen Platz auf der Bühne einnahm, war eine echte Verschönerung der Band. An jenem Abend bekamen alle Anwesenden die maximale Dosis von experimenteller Metal-Musik. Und die Musiker haben den längeren Applaus, mit dem das Publikum sie belohnte, wirklich verdient.




The Ocean
Nachdem Post Human Big Bang den letzten Kasten mit ihrer Ausrüstung beiseite geschleppt und die Bühne geräumt hatten, betraten The Ocean die Bretter und schlossen fast mit eigenen Kräften alle ihre Anlagen an, Leiter und Gitarrenspieler Robin Staps setzte die Software zur Musikbearbeitung auf dem Laptop in Gang, der allmählich zum vollwertigen Bandteilnehmer nicht nur im Studio, sondern auch auf der Bühne wird. Umso mehr denn eben mit Hilfe des Laptops wurde auf den Bildschirm, gegen dessen Hintergrund die Band spielte, eine apokalyptische Videoreihe der Clips projiziert, die zu den Tracks aus dem Album «Anthropocentric» gedreht worden waren: «She Was the Universe», «The Grand Inquisitor II: Roots & Locusts», und «The Grand Inquisitor I: Karamazov Baseness». Dies verstärkte die durchdringende Emotionalität des Auftrittes, weil die Musiker selbst Teilnehmer der fürchterlichen Episoden zu sein schienen. Es sei erwähnt, dass vom ursprünglichen Bandbestand nur der geistige Anreger der Band, Komponist und Gitarrenspieler Robin Staps, geblieben ist. Dieser außerordentliche Gitarrenspieler und Musiker besitzt das Talent, zahlreiche talentierte Musiker an sich zu ziehen, die ganz verschiedene Musikinstrumente spielen (was sich in den unterschiedlichsten musikalischen Arrangements mit reichen instrumentalen Partien widerspiegelt, wo man sowohl echte Geigen und Bläser als auch eine Menge von Synthesizer-Effekten hören kann). Trotzdem ist es der Sänger, der die Wahrnehmung der Band im Konzert am stärksten beeinflusst. Im Jahre 2008 nahm Mike Pilat mit seinen riesigen Fäusten und seinem glänzenden Growl den Platz am Mikrophon ein, wo er alle «Precambrian»-Gesangpartien sang. Im Rahmen des neuen Doppelalbums gibt es aber viele Gesangpartien, die von dem mageren Loic Rossetti mit sauberer Stimme gesungen werden. Seine saubere Stimme klingt deutlich, expressiv und höchst variabel, und sein Screaming wirkt einfach zerstörend. Es gelingt ihm ideal, die Zuhörer mit der komplizierten philosophischen Konzeption bekannt zu machen, auf der das Schaffen von The Ocean beruht. Mit solch einem Sänger hat die Band ihre Brutalität natürlich teilweise verloren, ist dafür aber auch noch intellektueller und raffinierter geworden.

Die Art und Weise, auf die sich die Band auf der Bühne benahm, ist extra zu beschreiben. Es versetzte in Staunen, wie tief die Musiker ins Spiel versunken waren - sie schienen in ihrer Musik aufzugehen. Jeder Bandteilnehmer bildete mit seinem Instrument ein einheitliches Ganzes und schien um sich herum nichts zu bemerken. Als Zuhörer hatte man den Eindruck, dass die Musiker erst am Anfang ihrer Tour waren und dass sie noch voller Kraft und Emotionen waren, obwohl das tatsächlich der letzte Auftritt im Rahmen einer großen, europaweiten Tour war. Besonders expressiv waren die Gitarrenspieler Robin Staps und Jonathan Nido: Jonathan sprang oft auf die Lautsprecherboxen, die am Bühnenrand standen, als ob es eine Steilwand wäre. Man hatte das Gefühl, dass er in die Halle wie in die Ozeantiefe gleich hinabstürzen würde. Die dunkelblaue Gitarre von Robin Staps, deren Farbe auch an den Ozean erinnerte, stieg in seinen Händen mehrmals auf und sank fast bis zum Boden. Die Riffstruktur der Musik von The Ocean hat eine breite Amplitude und ähnelt dem starken Schlag der Wellen gegen Felsenriffe. So erinnerten auch die Bewegungen der Musiker an Sturmwellen. Bassist Louis Jucker, der extravagante, üppige Haare hat, verstärkte die Gesangpartien mit seinen Growls und sogar mit hysterischem Geschrei, was durchaus angebracht war. Die Arbeit vom Schlagzeuger Luc Hess hat das höchste Lob verdient, weil es nur selten vorkommt, dass man während eines Auftrittes solch eine Vielfalt von rhythmischen Strukturen der Schlagpartien hört. Die Set-Liste bestand wirklich aus den besten Tracks der letzten zwei Alben. Das Schaffen dieser Band ist viel zu intellektuell, um ihre Lieder als ‚Hits’ zu bezeichnen, jedoch wurde ganz am Ende ihr melodischstes Lied «Orosirian: For The Great Blue Cold Now Reigns», das sich sofort erkennen liess, aus dem Album «Precambrian» gespielt.

Setliste: «Shamayim» - «Firmament» - «The Grand Inquisitor II: Roots & Locusts» - «Stenian/Mount Sorrow» - «Anthropocentric» - «The Grand Inquisitor I: Karamazov Baseness» - «Swallowed By The Earth» - «She Was The Universe»» - «The Origin Of Species» - «The Origin Of God» - «Orosirian: For The Great Blue Cold Now Reigns».