Im Jahre 2008 bekam ich zum ersten Mal die Möglichkeit, den Klang
der deutschen Band The Ocean an ihrem Konzert in Zürich
einzuschätzen, wo sie als Support-Band von Cynic und Opeth
auftraten. Ich erinnere mich, dass ich an jenem Abend vom starken
und kompliziert strukturierten Klang der Band total begeistert war,
und ich begann, ihr Schaffen, das mich auch heute noch wundert, zu
beobachten. Das Ziel der damaligen Reisen der Band war es, das
Progressive/Atmospheric/Sludge Metal-Album «Precambrian» zu fördern.
Doch zwischen diesen zwei Auftritten fand eine neue Wendung der
stilistischen Entwicklung der Band statt, und es erschien das
Doppelalbum «Heliocentric»/«Anthropocentric», das zu den Stilen des
Atmospheric Rock/Post Hardcore zählt. Ich kann sagen, dass ich auch
dieses Experiment von der Band gern hatte, deswegen wartete ich mit
Ungeduld auf den Auftritt von The Ocean als Headliner im Böröm
Pöm Pöm in Oberentfelden. Vor The Ocean trat an jenem Abend die
junge, schweizerische Band Post Human Big Bang auf, die eine vom
Konzept her interessante Variante des Post Metal's spielte.
Post Human Big Bang
Ach, diese Post Metal-Bands! Manchmal fällt es einem so schwer, zu
erraten, auf welchen traditionellen Stilen (oder eher auf deren
Restanten) ihre Musik beruht! Jedoch erscheinen auf dieser Deponie
von allen möglichen stilistischen Experimenten und instrumen-talen
Partien ab und zu solch wunderbare Exemplare wie die Musik von Post
Human Big Bang. Erst vor kurzem erschien das gleichnamige Debütalbum
der Band, und ihr Konzert fand dank der Unterstützung des
Organi-sators mit dem tollen Namen ProgHippie.com statt. Es schien,
als sängen die Musiker alle Lieder aus ihrem einzigen Album live,
weil sie eine ganze Stunde spielten. Und diese Stunde verging wie im
Fluge, weil die Musiker mit viel Enthusiasmus spielten, indem sie
von ihrer eigenen Musik und von der Unterstützung des Publikums eine
geballte Ladung Energie bekamen. Was die Musikrichtung anbelangt, so
klang es, als hätten die Musiker Metal, Hardcore und Progressive
Metal als Basis genommen, wobei der Klang ihrer Gitarren oft dem
Djent ähnelte. Mir gefiel das Gitarrenduo von Remo Häberli und Lüku
Bleuer sehr - ihr gemeinsames Riffing war großartig! In der Band ist
Lüku Bleuer auch für die Synthesizer-Parts verantwortlich, die die
Musik vollständig und transparent machen. Deswegen spielte er mal
den hellroten Synthesizer, dann wiederum auf seiner smaragdgrünen
Gitarre. Außerdem spielte Lüku Bleuer im Lied «Future T.E.M.» sehr
schön Mandola. Anders gesagt: Es stellte sich heraus, dass er ein
echter Allerweltskerl ist! Die Clean Vocal-Partien werden von Remo
gesungen, und das Gebrüll fügte Patrick Häberli hinzu. Dazu leistet
er seinen Beitrag zum gemeinsamen Gitarrenklang und
unterstütz-enden Rhythmus, indem er seine achtseitige Gitarre spielt.
Die Schlagpartien von Mike Liechti, darunter auch die Blastbeats,
klangen zusammen mit den Basspartien von Isabelle Ryser sehr
überzeugend. Die nette Bassistin Isa, die den zentralen Platz auf
der Bühne einnahm, war eine echte Verschönerung der Band. An jenem
Abend bekamen alle Anwesenden die maximale Dosis von experimenteller
Metal-Musik. Und die Musiker haben den längeren Applaus, mit dem das
Publikum sie belohnte, wirklich verdient.
The Ocean
Nachdem Post Human Big Bang den letzten Kasten mit ihrer Ausrüstung
beiseite geschleppt und die Bühne geräumt hatten, betraten The Ocean
die Bretter und schlossen fast mit eigenen Kräften alle ihre Anlagen
an, Leiter und Gitarrenspieler Robin Staps setzte die Software zur
Musikbearbeitung auf dem Laptop in Gang, der allmählich zum
vollwertigen Bandteilnehmer nicht nur im Studio, sondern auch auf
der Bühne wird. Umso mehr denn eben mit Hilfe des Laptops wurde auf
den Bildschirm, gegen dessen Hintergrund die Band spielte, eine
apokalyptische Videoreihe der Clips projiziert, die zu den Tracks
aus dem Album «Anthropocentric» gedreht worden waren: «She Was the
Universe», «The Grand Inquisitor II: Roots & Locusts», und «The
Grand Inquisitor I: Karamazov Baseness». Dies verstärkte die
durchdringende Emotionalität des Auftrittes, weil die Musiker selbst
Teilnehmer der fürchterlichen Episoden zu sein schienen. Es sei
erwähnt, dass vom ursprünglichen Bandbestand nur der geistige
Anreger der Band, Komponist und Gitarrenspieler Robin Staps,
geblieben ist. Dieser außerordentliche Gitarrenspieler und Musiker
besitzt das Talent, zahlreiche talentierte Musiker an sich zu
ziehen, die ganz verschiedene Musikinstrumente spielen (was sich in
den unterschiedlichsten musikalischen Arrangements mit reichen
instrumentalen Partien widerspiegelt, wo man sowohl echte Geigen und
Bläser als auch eine Menge von Synthesizer-Effekten hören kann).
Trotzdem ist es der Sänger, der die Wahrnehmung der Band im Konzert
am stärksten beeinflusst. Im Jahre 2008 nahm Mike Pilat mit seinen
riesigen Fäusten und seinem glänzenden Growl den Platz am Mikrophon
ein, wo er alle «Precambrian»-Gesangpartien sang. Im Rahmen des
neuen Doppelalbums gibt es aber viele Gesangpartien, die von dem
mageren Loic Rossetti mit sauberer Stimme gesungen werden. Seine
saubere Stimme klingt deutlich, expressiv und höchst variabel, und
sein Screaming wirkt einfach zerstörend. Es gelingt ihm ideal, die
Zuhörer mit der komplizierten philosophischen Konzeption bekannt zu
machen, auf der das Schaffen von The Ocean beruht. Mit solch einem
Sänger hat die Band ihre Brutalität natürlich teilweise verloren,
ist dafür aber auch noch intellektueller und raffinierter geworden.
Die Art und Weise, auf die sich die Band auf der Bühne benahm, ist
extra zu beschreiben. Es versetzte in Staunen, wie tief die Musiker
ins Spiel versunken waren - sie schienen in ihrer Musik aufzugehen.
Jeder Bandteilnehmer bildete mit seinem Instrument ein einheitliches
Ganzes und schien um sich herum nichts zu bemerken. Als Zuhörer
hatte man den Eindruck, dass die Musiker erst am Anfang ihrer Tour
waren und dass sie noch voller Kraft und Emotionen waren, obwohl das
tatsächlich der letzte Auftritt im Rahmen einer großen, europaweiten
Tour war. Besonders expressiv waren die Gitarrenspieler Robin Staps
und Jonathan Nido: Jonathan sprang oft auf die Lautsprecherboxen,
die am Bühnenrand standen, als ob es eine Steilwand wäre. Man hatte
das Gefühl, dass er in die Halle wie in die Ozeantiefe gleich
hinabstürzen würde. Die dunkelblaue Gitarre von Robin Staps, deren
Farbe auch an den Ozean erinnerte, stieg in seinen Händen mehrmals
auf und sank fast bis zum Boden. Die Riffstruktur der Musik von The
Ocean hat eine breite Amplitude und ähnelt dem starken Schlag der
Wellen gegen Felsenriffe. So erinnerten auch die Bewegungen der
Musiker an Sturmwellen. Bassist Louis Jucker, der extravagante,
üppige Haare hat, verstärkte die Gesangpartien mit seinen Growls und
sogar mit hysterischem Geschrei, was durchaus angebracht war. Die
Arbeit vom Schlagzeuger Luc Hess hat das höchste Lob verdient, weil
es nur selten vorkommt, dass man während eines Auftrittes solch eine
Vielfalt von rhythmischen Strukturen der Schlagpartien hört. Die
Set-Liste bestand wirklich aus den besten Tracks der letzten zwei
Alben. Das Schaffen dieser Band ist viel zu intellektuell, um ihre
Lieder als ‚Hits’ zu bezeichnen, jedoch wurde ganz am Ende ihr
melodischstes Lied «Orosirian: For The Great Blue Cold Now Reigns»,
das sich sofort erkennen liess, aus dem Album «Precambrian»
gespielt.
Setliste: «Shamayim» - «Firmament» - «The Grand Inquisitor II: Roots
& Locusts» - «Stenian/Mount Sorrow» - «Anthropocentric» - «The Grand
Inquisitor I: Karamazov Baseness» - «Swallowed By The Earth» - «She
Was The Universe»» - «The Origin Of Species» - «The Origin Of God» -
«Orosirian: For The Great Blue Cold Now Reigns».
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