Der höchst magere Fanaufmarsch von knapp 50 Nasen bestätigte
meine Befürchtung, dass heutzutage kaum jemand noch weiss, wer Tokyo
Blade sind. Allerdings sah ich 2002 an gleicher Stelle Metalium vor
etwa 30 Nasen (!) aufspielen, die nun schon der eine andere damals
gekannt hatte. Aktuell war kürzlich ja Ex-Accept Klampfer Herman
Frank zu Gast, wo dem Vernehmen nach auch nur etwa 60 bis 70 Fans
nach Pratteln kamen. Was ich damit sagen will, ist, dass es nicht
zwingend eine alte Band aus den seligen NWOBHM-Zeiten sein muss, die
keine Leute (mehr) mobilisieren kann. Dies freilich sagt aber nichts
über die Qualität der Darbietietung aus. Im Zuge der unglaublichen
Menge an Bands, die in den letzten paar Jahren unterwegs waren/sind,
gilt es eh zunehmend ein gewisses Gespür dafür zu entwickeln, welche
überraschenden Momente trotz einer vermeintlich angestaubten Affiche
oder schlichter Unkenntnis dennoch möglich sind. So geschehen auch
am heutigen Abend, an dem sich Tarchon Fist aus Italien als
sackstarke (Support-) Band empfahlen.
Tarchon Fist
Es gibt ja die etwas verächtliche Bezeichnung "Spaghetti Metal", der
meist in Verbindung mit Rhapsody, Labyrinth, Macbeth und Konsorten
verwendet wird. Gemeint sind also Metal Bands aus der Ecke des
melodisch-bombastisch und meist speedig ausgerichteten Symphonic
Metal. Daneben gibt es noch eine ganze Menge Vertreter aus dem
progressiven Lager wie Icycore, Time Machine oder Vision Divine. Sleaziges und Rock'n'Rolliges exisitert auch nicht zu knapp, aber da
ist nichts wirklich Bahnbrechendes dabei. In Sachen solidem Heavy
Metal schicken sich Tarchon Fist aus Bologna jedoch an, diesen
Zustand wenn nicht gerade vergessen zu machen, dann aber sicher
gehörig aufzumischen. Dass dem wirklich so ist, bewies bereits der
flotte Opener «Eyes Of Wolf», der trotz unüberhörbaren Maiden-Vibes
erstaunlich frisch wirkte. Sänger Luigi Sangermano setzte sich von
Anfang gekonnt und ohne Akzent gut in Szene und wurde von den
Twin-Guitars seiner Kollegen Luciano Tattini und Fede Mengoli
optimal unter-stützt. Dass der Frontmann optisch als vermeintlicher
Bruder von Zak Stevens durchging und stimmlich zumindest in den
oberen Lagen immer wieder mal an Bruce Dickinson erinnerte, war
eigentlich nur mit positiven Attributen besetzt. Mit im Gepäck
hatten Tarchon Fist das neue Album «Fighters» und beim Merchstand
fand auch der letztjährige und selbstbetitelte Longplayer einige
Abnehmer, zu denen ich mich mittlerweile ebenfalls zählen kann. Die
Setliste war mit nicht weniger als Dreiviertel aller neuen Songs
bestückt, der Rest stammte vom Full Length-Debüt. Dazu kam mit «Breaking
The Law» eine von acht auf der Tour abwechslungsweise gespielten
Cover-Versionen («Highway To Hell» oder «Running Free» gehörten zum
Beispiel
auch dazu), die sinnigerweise als «Headshaker» aufgeführt
wurde. Was auch angenehm auffiel, waren die nicht wenigen
Mitsing-Möglichkeiten und die beindruckenden Backing Vocals.
Textlich mit durchaus truemetallischen Inhalten versehen, ver-sprühte
die Chose die nötige Prise True Metal, die aber nie kitschig oder
aufgesetzt daher kam. Was aber definitiv, nebst den technischen
Fertigkeiten, überraschte, waren die innerhalb von gewissen Grenzen
recht abwechslungsreichen Songs, die, wie bei «Bad Man Mania» mal
mit power-metallischer Energie glänzten oder «Black Cold Fever» mit
einem überaus rockigen Charakter auftrumpften. Leisere Töne
gibt es grundsätzlich auch, aber die wurden dem Tonträger überlassen. Die leider
nicht so zahlreichen Fans merkten jedoch zunehmend, wie gut die
Italiener waren und zeigten im Rahmen ihrer Möglichkeiten immer mehr
Reaktionen. Wer auf alte Saxon, Iron Maiden und generell
traditionellen Heavy Metal der alten Schule steht, wird künftig an
Tarchon Fist nicht mehr vorbei kommen. Obwohl erst seit 2005 in
dieser Besetzung zusammen, zeigt Signore Tattini (g) als
federführender Songwriter mit seinen 44 Jahren deutlich an, dass er
nach diversen Wechseln über einige Erfahrung verfügt und diese nun
im aktuellen Lineup voll entfaltet werden. Darum Leute: Augen auf,
wenn diese Truppe wieder mal in der Schweiz spielt, denn da ist
Hingehen absolute Pflicht!
Setlist: «Eyes Of Wolf» - «3 Days In Hell» - «Bad Situation» - «Falling
Down» - «Fighters» - «Black Gold Fever» - «Metal Detector» - «Victims
Of The Nations» - «Hammer Squad» - «Bad Man Mania» - «It's My World»
- «We Are The Legions» - «Headshaker (Breaking The Law)» - «The Game
Is Over».
Tokyo Blade
Ehrlich gesagt war ich nach dieser wirklich erfreulich starken
Support-Band nicht sicher, ob Tokyo Blade da als Headliner echt noch
ein paar Briketts nachlegen können. Dies umso mehr, wenn man weiss,
dass von der ursprünglichen, anfangs der 80er gegründeten Formation
ja nur noch Gitarrist Andy Boulton übrig ist. Die Liste der
ehemaligen Musiker ist ellenlang, was nicht gerade für Kontinuität
spricht, respektive gesorgt hat. Dies kann man auch vom Sound her
sagen, der sich kaum treffend schubladisieren lässt und die
Spannbreite zwischen Glam Rock und Heavy Metal zum Vorschein
brachte. Ein gewisser Sänger namens Vic Wright, der 1990 mit Johnny
Crash ein Hammer-Album («Neighbourhood Threat») einsang, zierte
bekanntlich die 84er Kult-Scheibe «Night Of The Blade», wo der
gleichnamige Titeltrack auch heute noch für Gänsehaut sorgt. In die
gleiche Kategorie gehört «Sunrise In Tokyo» und weitere Kracher
mehr. Wer sich mal durch die alten Scheiben hindurch pflügt, wird
vor allem an die ganz alten Saxon, Warrior oder auch an die
frühesten Urzeiten von Def Leppard erinnert. Dazu kommen immer
wieder Elemente, die etwas später in der Glam-, Plüsch- und
Hardrock-Szene erneut auftauchten. Von da her war es also durchaus
interessant zu hören und sehen, was die aktuelle Besetzung mit dem
jungen Sänger Chris Gillen, Gitarrist Frank Holland, Bassist Frank
Sapardi und Drummer Lorenzo Gonzalez zustande brachte! Aber halt...,
fehlt da nicht noch einer? Genau..., nämlich der Chef
höchstpersönlich! Was wohl vor Ort kaum einer der Zuschauer, mich
eingeschlossen (wenn überhaupt) bemerkte, war die tatsächliche
Vakanz von Andy Boulton in Pratteln! Dies fiel mir nämlich erst
jetzt beim Schreiben der Livereview auf, weil auf der
unterschriebenen Setliste nur vier Namen prangen. Mehr Musiker
standen aber ja gar nicht auf der Bühne! Komischerweise wurde
seitens der Band kein Wort darüber verloren, aus welchem Grund Andy Boulton an diesem Abend nicht mittun konnte oder wollte. Das lässt
das Konzert im Nachhinein natürlich in einem etwas anderen Licht
erscheinen.
Frank Holland machte seine Sache nämlich sehr gut und da
kam jetzt niemand drauf (ausser denen, die Andy Boulton wirklich
kennen), dass hier was, das heisst ein zusätzlicher Mann, fehlte.
Wenn man jetzt aber bedenkt, wie fett oder eben ultrafett der
Gitarren-Sound mit zwei Gitarristen hätte sein können, muss man fast
eine Träne im Auge ausdrücken. Da war es an sich ein schwacher
Trost, wenn man den mega abbangenden Bassisten auf der Bühne
rumhampeln sah. Diese quasi Rumpf-mannschaft zeigte sich jedoch auch
ohne ihren Häuptling sehr agil und songmässig kam einfach ein
Brecher nach dem anderen. Wenigstens machte die erste Reihe (viel
mehr als zwei hatte es gar nicht) voll mit und es wurde gar ein
grosses Tuch mit dem legendären Schriftzug mitgebracht. Diese
Die-Hard Fans waren es denn auch, die nichts anbrennen liessen und
trotz der erbärmlichen Zuschauerkulisse dennoch voll auf ihre Kosten
kamen. Was mich allerdings überraschte und mir persönlich natürlich
nicht gerade gut rein kam, war die Rainbow Cover-Version vom Überhit
«Long Live Rock'n'Roll». Den hätte man getrost weglassen können, ja
müssen! Aber was solls, denn nach «Sunrise In Tokyo» folgte als
Zugabe der finale Doppelschlag mit dem saustarken «Heaven Is Hell»
(nicht etwa zu verwechseln mit Black Sabbaths «Heaven & Hell»!) und
dem Jahrhundert-Banger «Night Of The Blade». Nach knappen 70 Minuten
(mit Master Boulton hätte das bestimmt länger gedauert!) war leider
bereits Schicht im Schacht. Doch auch so wussten alle anwesenden
Fans, dass sie soeben eine echte NWOBHM-Legende hatten erleben und
geniessen dürfen. Hoffentlich beehren uns Tokyo Blade bald wieder
und dann möglichst zu fünft beim nächsten Mal!
Setlist: «Lovestruck» - «Someone To Love» - «Lightning Strikes» - «Midnight
Rendez-Vous» - «Blackhearts And Jaded Spades» - «Mean Streak» - «Unleash
The Beast» - «Dead Of The Night» - «Attack Attack» - «Monkeys Blood»
- «Long Live Rock'n'Roll» - «Sunrise In Tokyo» -- «Heaven Is Hell» -
«Night Of The Blade».
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