Am 9. Februar trat eine wunderbare
Band in Zürich auf. Die norwegische Gruppe Ulver machte einen
unglaublichen Entwicklungsweg durch. Am Anfang ihrer Karriere, zu
Beginn der 90er, waren Ulver einfach eine der zahlreichen, norwegischen
Black Metal-Bands. Aber bis zum heutigen Zeitpunkt dehnte die Gruppe den
Bereich des von ihnen produzierten Materials mehrfach aus. Bis jetzt
sind in ihrer Diskografie Alben aus folgenden Genres vorhanden:
Acoustic Folk, Post/Black Metal, Avantgarde/Dark Ambient, Indie Rock
und Psychedelic Rock. Mit dem letzten Release «Messe I.X-VI.X» zeigte
die Band ihre Fähigkeiten, sich auch in Symphonic/Ambient/Modern
Classical-Musikrichtungen auszudrücken. Ich füge hinzu, dass sich sogar
die Weltanschauung der Musiker im Laufe der Zeit sehr verändert hat.
Die Möglichkeit, die Zuhörer zur Wahrnehmung der Musik von Ulver
einzustimmen, hatte der Schweizer Reto Mäder bewerkstelligt – er ist der
Gründer der One Man-Band RM74, die Drone/Post Rock-Material darbietet.
RM74
Der Dynamo-Saal wurde speziell für den Auftritt von Reto Mäder
umgebaut. Grundsätzlich wurde die Bühne natürlich für Ulver
vorbereitet, aber Reto erhielt noch einen kleinen Bereich vor der
Hauptbühne zur Verfügung. Dieser glich quasi einem Nebenplaneten, der nur noch
für einen Bewohner vorgesehen war. Aber es gab da alles Nötige: Ausser der
Bassgitarre, den Verstärkermodulen und allerlei Fusspedalen lagen auf dem
Apparaturkorb noch verschiedene merkwürdige Dinge: ein mit
Klebeband zusammen geklebter CD-Player, Kuhglöckchen, ein antikes
Horn und ein kleines, abgerissenes Notizbuch. Das alles wurde von
Kerzen verschiedener Grössen umrahmt - dadurch schien diese kleine Welt
noch gemütlicher. Der "Besitzer dieses Planeten" kam dann gegen 21.00 Uhr
hervor und nahm "sein Instrument" in die Hand! Eben ein Instrument und nicht bloss
eine Bassgitarre im traditionellen Sinne des Musizierens. Jetzt liess Reto
das aus, weil er nun musikalisch zu zaubern begann. Im Laufe des Auftrittes
entlockte er seinem Bass nicht nur mit Hilfe des Plektrums Töne,
sondern auch mittels Glocken, und ausserdem drehte er mit irgendeinem Ding
an den Saiten, das einem Korkenzieher glich. Der so erzeugte Sound war mal
dicht, undurchlässig, mal begann er mit zunehmender Lautstärke zu
pulsieren. Es war sonderbar, dass für diesen dichten musikalischen Vorhang
nur ein Musiker und dessen Bassgitarre ausreichte! Aber es war schon
ein spezieller Moment, als Reto nun seine Gitarre beiseite legte und ein
anderes Instrument, eine Art "metallic vibrating Kalimba" - in die Hände
nahm. Dadurch übertrug sich gleich eine gute Stimmung auf das Publikum,
und deswegen fingen viele Leute spontan an zu tanzen. Während dieser Performance
wurden die Bassgitarren-Töne mit Aufnahmen, unterbrochenen leisen Gesprächen
oder dem Knarzen der Apparatur ergänzt. Eine so zu sagen eigentümliche Wahrnehmung des
Endzeitmorgens! Der Auftritt dieses speziellen Einzelgängers dauerte 45 Minuten,
und am Ende gelang es Reto gar, die anwesenden Leute der Wirklichkeit zu entreissen
und in die esoterische Welt überzuführen, was vor dem Auftritt von
Ulver genau das Richtige war.
Ulver
Die Musiker von Ulver kamen um halb Zehn zu einem Glockenton auf die
Bühne. Viele der Fans erkannten dann einen von ihnen bestimmt gleich,
nämlich Kristoffer Rygg - den Sänger der Band. Er begrüsste die Besucher des Dynamo
kurz und teilte mit, dass die Band am Morgen in Zürich angekommen war
und diesen Glockenton gleich in der Stadt aufgenommen hatte.
Natürlich wurde diese Aufnahme dank der schöpferischen Idee
unmittelbar während des Auftrittes verändert. Den Platz am Tisch
in der Mitte der Bühne, neben Kristoffer, nahm Jørn H.
Sværen, der für den sprachlichen Part des Materials zuständig ist. An der
anderen Seite befand sich Tore Ylwizaker, seines Zeiches Herr der Tasten
und links stand der durch seine Soloprojekte bekannte Gitarrist/Bassist
Daniel O'Sullivan. Um ihm herum lagen auch verschiedene Gerätschaften,
mit denen er den Gitarrenton so unkenntlich wie möglich zu machen
versuchte: Ein Elektrobogen, kleine Platten und ein Menge
Fusspedale. Gemeinsam mit dem Haupt-Lineup traten noch zusätzliche Trommler,
Perkussionisten und Keyboarder im Rahmen dieser Tournee auf. Die grösste
Aufmerksamkeit zog dabei die Rhythmus-Gruppe auf sich, denn das
ethnische Schlagzeug, bei dem im Hintergrund der Bühne ein riesiger
Metallgong aufgehängt war, sah sehr auffällig aus. Der Musiker
nahm ab und zu eine riesige Kette und schlug damit den auf den
Gong, wodurch ein düsteres Rasseln erschallte. Während des Auftritts
unterhielten sich die Musiker kaum miteinander, aber von der Bühne
ging ein massiver Kommunikationsfluss
aus, der dabei nicht nur musikalischen Ursprungs war. Auf der Bühne stand
zudem eine Projektionswand, auf der ein arabesker Film zu sehen war.
Natürlich glichen diese Sequenzen Fragmenten aus irgendwelchen Träumen: Es
waren schwarz/weisse Szenen, ethnische Motive sowie esoterische und
religiöse Symbole zu sehen. Besonders gefiel mir, wie einzelne Szenen
aus dem berühmten Film "2001: Odyssee im Weltraum" von Stanley Kubrick
darin platziert wurden: Das Auftauchen auf der Welt der schwarzen Obeliske
und dem Affen, der den Knochen als Arbeitsmittel zu benutzen begann.
Ulver wählten für ihren Auftritt auf dieser Tour Lieder aus den letzten
paar Alben aus. Unter ihnen befanden sich solche wie «England», «Dressed In Black»
sowie «Nowhere». Vom neuen Material spielten sie nur ein paar Tracks, doch
auch so war dieser Konzertabend zweifellos unvergesslich.
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